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Das Private und das Öffentliche

Bleibt der Hosenschlitz offen oder zu? Kommt darauf an, sagt die Journaille.

Im Vergleich zu Grossbritannien gehen die Schweizer Medien mit der Privatsphäre von Prominenten (und weniger Prominenten) eher pfleglich um.

Jahre zurück sorgten die unbewiesenen Behauptungen, dass ein Bundesrat im Berner Rotlichtmilieu verkehre, für einen veritablen Skandal – und läuteten das Ende von «Facts» ein.

Als sich derselbe Bundesrat auf die Harley Davidson eines einem Rocker zum Verwechseln ähnlich sehenden Bundeshausjournalisten der «Schweizer Illustrierte» setzte und sich dabei ablichten liess, sorgte das für grosses Aufsehen. Die Alkoholprobleme eines anderen Bundesrat, die sexuelle Orientierung eines dritten, das waren alles halböffentliche Geheimnisse, über die man vielsagend nicht berichtete.

Das hat sich in den letzten Jahren etwas geändert. Ein Bankenlenker mit einem unseligen Hang zu halbseidenen Lokalitäten und den dort auftretenden Damen: wir kennen inzwischen jede einzelne Spesenrechnung, die dadurch verursacht wurde.

Ein Bundesrat auf Freiersfüssen, der sich mit einer deutlich jüngeren Pianistin vergnügt und sich vom Rendez-Vous im Ausland mit der Dienstlimousine nach Bern zurückchauffieren lässt: wir kennen die Details.

Ein giggeriger Stadtammann, der aus seinen Amtsräumen Fotos seines Gemächts an die Angebetete verschickt; wir wissen davon. Von all den Cervelat-Promis, die sich selber in die Schlagzeilen bugsieren wollen, indem sie Intimes preisgeben, von all den Selbstdarstellern auf den Social Media wollen wir erst gar nicht reden.

Ohne Beweis wird’s teuer

Aber von der Grenze zwischen Erlaubtem und Unanständigem. Gar Verbotenem. Ungeschlagener Rekordhalter ist der ehemalige Schweizer Botschafter in Berlin. Dem wurde ein Verhältnis ausserhalb der Ehe nachgesagt, mit Kronzeugin und allem. Allein, es fehlte der Beweis für missbräuchliches Tun. Das wurde dann sehr, sehr teuer für Ringier.

Im Prinzip gilt hier, dass es die Privatangelegenheit der Eheleute oder Partner ist, wenn einer von beiden aushäusig Vergnügen sucht. Sollte er dabei erwischt werden, ist es immer noch eine Sache der direkt Beteiligten.

Die abgelegte Geliebte, der abgelegte Fun Boy, da kann dann zu Karriereknicks führen, wenn Rachebedarf vorhanden ist. Das kostete den vorletzten VR-Präsidenten von Raiffeisen das Amt, darüber wäre auch Bundesrat Berset beinahe gestolpert.

Auch hier stellt sich die Frage, ob die Medien Handlangerdienste für solche Rachefeldzüge leisten sollen oder nicht. Die Story ist meistens saftig und daher verführerisch. Auf der anderen Seite ist es immer offenkundig, dass die Massenmedien benützt werden sollen. Für private oder geschäftliche Auseinandersetzungen.

Bei Personen des öffentlichen Interesses ist in der Schweiz immer noch ein entscheidendes Kriterium, ob durch den Blick hinter den Hosenschlitz oder unter den Rock etwas zum Vorschein kommt, was von öffentlichem Interesse sein könnte.

Das bedeutet: der reine menschliche Inhalt darunter oder dahinter ist es nicht. Aber wenn Amtsmissbrauch, Ausnützung einer hierarchisch übergeordneten Stellung, die Verwendung von Mitteln dazukommt, die für solche Zwecke nicht vorgesehen sind, sieht die Sache schon anders aus.

Auf eigene Kosten ist es Privatangelegenheit

Wenn ein Bankenlenker seinen Hang zum Halbseidenen mittels der privaten Kreditkarte auslebt, wohlan. Auch einem hochrangigen NZZ-Mitarbeiter wurde nicht zum Verhängnis, dass er eine flotte Nummer mit Nutten und Koks aufs Parkett legte. Aber, dass er das mit der Firmenkreditkarte beglich.

Ein Bundesrat kann sich im In- und Ausland verlustieren, wie es ihm drum ist. Benützt er in diesem Zusammenhang seine Staatskarosse samt Chauffeur, sieht es schon etwas anders aus. Verwendet er die Macht seines Amtes gegen eine unangenehm werdende Geliebte ebenfalls.

Gehört das dann an die Öffentlichkeit? Zweifellos. Allerdings nicht mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger der Kommentatoren, die staatstragend sittliche Verhalten, moralische Reinheit und ethische Überlegenheit in einem Ausmass einfordern, zu dem sie selbst nicht in der Lage sind.

Ein Amtsträger, der das ausnützt, um einen Untergebenen oder eine Untergebene in die Horizontale zu befördern, ist ein verächtlicher Mensch. Wer diesen Wechsel der Körperhaltung durch Versprechungen oder gar Drohungen erreicht, hat den Bereich des Strafbaren betreten.

Allerdings sind auch hier die Grenzen fliessender, als es viele Pharisäer oder Verteidiger der moralischen Reinheit gerne hätten. So stolperte der «Bild»-Chefredaktor darüber, dass er als Casanova seinen Vorgesetzten gegenüber nicht reinen Tisch machte. Aber keine der von ihm beglückten Damen erhob die Anschuldigung, dass sein Tun gegen ihren Willen oder ohne ihr Einverständnis erfolgte.

Es passt auch nicht ins festgefasste Weltbild vieler Kritiker, dass die Rollenverteilung – Mann als Täter, Frau als Opfer – häufig, aber nicht immer klar ist. Es gibt Karrieristen jeglichen Geschlechts und jeglicher sexueller Ausrichtung, die sich planmässig nach oben schlafen. Da es immer noch viel mehr Männer als Frauen in Machtpositionen gibt, sind es vornehmlich Frauen. Aber nicht nur.

Damaliger Skandalfilm

Lange bevor #metoo Fahrt aufnahm, skandalisierte der Film «Disclosure» schon 1994 einen Fall, in dem eine Vorgesetzte einen weisungsabhängigen Mann verführen möchte. Als er sie abweist, bezichtigt sie ihn daraufhin der sexuellen Belästigung. Da es ein Hollywood-Streifen war, kommt es dennoch zum Happyend; der zu Unrecht Beschuldigte kann seine Unschuld beweisen.

Täterin Demi Moore, Opfer Michael Douglas.

Aber sowohl in der Ausgestaltung sexueller Beziehungen wie in der Berichterstattung darüber gibt es mehr Grauzonen als gesicherten Boden. Ab wann ist das Private öffentlich? Was braucht es, dass intimes Verhalten, Seitensprünge, der Besuch von Striplokalen, sexuelle Abnormitäten ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden dürfen?

Wie schützen sich die Medien davor, für Rachefeldzüge instrumentalisiert zu werden? Ist es zum Beispiel richtig, ein noch nicht publiziertes, nicht einmal geschriebenes Buch präventiv verbieten zu lassen, weil die porträtierte Person befürchtet, dadurch nicht reparierbar an ihrem Ruf geschädigt zu werden?

Und wenn eine solche Rufschädigung oder Persönlichkeitsverletzung eingetreten ist, wie kann sie geheilt werden? Die Stigmatisierung nach der Devise «etwas hängen bleibt immer» ist normalerweise nicht wiedergutzumachen. Auch bei Falschbeschuldigungen kann ein Schaden entstehen, der irreparabel ist.

Aber eigentlich, wie die aktuelle Debatte über die Nichtveröffentlichung eines Artikels über angebliche weitere Affären unseres Gesundheitsministers beweist, funktionieren in der Schweiz die Checks und Balances weitgehend.

Ausser im Fall des gefallenen Bankenstars. Da sind bei Tamedia alle Sicherungen durchgebrannt.