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Leise raschelt das Papier

Und sagt beim Abschied mit Druckerschwärze auf Nimmerwiedersehen.

«20 Minuten», das letzte grosse Schweizer Erfolgsmodell im Print, gibt per Ende Jahr auf. Und erscheint nur noch digital.

Kurt W. Zimmermann singt in der «Weltwoche» die Abschiedsarie auf die gedruckte Zeitung. Auf das weltweit erfolgreichste und profitabelste Modell einer Pendlerzeitung. 40 Millionen Gewinn pro Jahr schaufelte «20 Minuten» in seinen besten Zeiten in die Kassen von Tamedia.

Um sich «20 Minuten» einzuverleiben, griff Tamedia zu einem Kniff. Der Konzern kündigte mit grossem Trara an, dass am Montag, 23. März 2003, ein eigenes Konkurrenzprodukt namens «Express» auf den Markt geworfen werde, um den Eindringling aus Oslo zu killen. Alles parat, 40 Journalisten am Gerät, Kriegsgeschrei.

Am Freitag zuvor wurden die 40 armen Teufel darüber informiert: April, April, «Express» wird nicht erscheinen, Tamedia hat «20 Minuten» gekauft. Blöd gelaufen für euch.

Und später verschob Oberboss Pietro Supino «20 Minuten» in ein eigenes Profitcenter, damit seine Gewinne nicht in die übrigen Printtitel des Hauses flössen. Das ist modernes Management.

Aber nun heisst es Abschied nehmen von bedrucktem Papier für Tageszeitungen. Zwischen Deadline, Druck und Auslieferung vergeht zu viel Zeit; keine Chance gegen das Internet. Der Bombenangriff Trumps Samstagnacht gegen den Iran machte die Berichterstattung der Sonntagszeitungen zu Makulatur. So sad, würde der Amok im Weissen Haus sagen.

Die gedruckte Ausgabe wird es weiterhin geben. Aber nicht mehr als Massenmedium, sondern für die happy few, die es noch gerne rascheln lassen, während sie am Morgen ihr Gipfeli verspeisen. Die werden auch über 1000 oder gar 2000 Franken für diese Gewohnheit zahlen.

Allerdings sind sie, wie die TV-Zuschauer der Gebührensender, überaltert, von 60 aufwärts. Sie werden wegsterben, und es kommen wenige nachher.

Da die Massenmedien es bis heute (mit wenigen Ausnahmen) nicht geschafft haben, ihre Online-Auftritte profitabel zu machen, einen immer magereren Inhalt weitgehend hinter Bezahlschranken verstecken (der grösste Flop auf diesem Gebiet ist «Blick+»), sich von Google & Co. die Werbebutter vom Brot nehmen lassen, wird auch das kein gutes Ende nehmen.

Gemeine Meinung, dazu Artikel, die sich meistens jeder auch gratis im Internet holen kann, Analysen, die eine KI viel besser hinkriegt, kaum geldwerte Gegenleistung für ein Abo, luftdicht von der Wirklichkeit abgeschlossener Gesinnungsjournalismus, fehlende Sachkompetenz, löchrige Korrespondentennetze, in denen Rechthaber ihre persönliche Befindlichkeit zum Besten geben (grauenhaft die von der SZ übernommenen Artikel im Kopfblattsalat von Tamedia), eine einwöchige Recherche ist bereits ein Riesending, eine Reportage vor Ort bekommt Seltenheitswert – das ist der nächste angekündigte Tod.

Nur mühsam und langsam lernen die überbezahlten Verlagsmanager, meistens noch dem Printdenken verhaftet, dass heute Jugendliche ganz andere Informationskanäle benützen, die nur amateurhaft bespielt werden.

Zimmermanns Schlussanalyse ist kaum etwas hinzuzufügen:

«Gratisblätter waren der letzte Rausch der Zeitungsbranche. Sie feierte noch noch einmal. Sie feierte auf einem Sterbebett, von dem noch niemand wusste, dass es ein Sterbebett war.»

Stirbt alles weg? Keineswegs. Die Medien, die nicht nur von Qualität, Einordnung, Analyse quatschen, während sie ihre Redaktionen zu Tode sparen, die werden überleben. Ein «New Yorker», eine «Financial Times», ein «Economist», ein «Guardian», ein «Atlantic». Und einige mehr. Ach, auf Deutsch? Ähm. Hm. Räusper, kopfkratz, augenzwinker, hüstel. NZZ?

Aber es gibt ja tolle Übersetzungsprogramme.