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Pfeifen im Wald

Wie peinlich kann Tamedia noch werden?

Offensichtlich aus dem letzten Mal nichts gelernt. Bekanntlich waren sich (fast) alle Kommentatoren, USA-Kenner, Analysten und grossen Wahlstrategen bis zum November 2016 sicher und einig: wir haben die erste Präsidentin der USA, völlig klar, dass dieser Amok mit merkwürdiger Frisur niemals gewinnen kann, ausgeschlossen.

Dann gab es eine schreckerfüllte, kurze Sendepause. Anschliessend musste erklärt werden, wieso die Wahl Trumps das Ende der Menschheit einläutet, diejenigen, die ihn gewählt haben, bescheuert sind, und dann kam Relotius. Gleichzeitig machte sich das ehemalig angesehene Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» mit der Ankündigung lächerlich, als vornehmste Aufgabe und Pflicht anzusehen, Trump «wegzuschreiben».

Dann kam Biden, allgemeines Aufatmen. Aber nun zeichnen sich die nächsten Wahlen in gut 10 Monaten am Horizont ab, und es droht, was all den Trump-Hassern wieder den Angstschweiss den Rücken runterfliessen lässt. Es sieht ganz danach aus, als ob Trump wieder antreten würde, falls ihn eines der vielen Gerichtsverfahren nicht stoppt. Und es sieht ganz danach aus, als ob Biden wieder antreten würde, falls seine senilen Aussetzer nicht ein Ausmass annehmen, dass er notfallmässig ersetzt werden müsste. Die dafür vorgesehene Vizepräsidentin hat sich – ebenso wie Biden – als Flop erwiesen und kommt nicht in Frage.

Üble Ausgangslage, vor allem für die Amis. und natürlich für die Kommentatoren. Schon recht früh macht sich einer bereits nach Kräften lächerlich: «Natürlich kann Biden noch gewinnen», spricht sich und seinen Gesinnungsblasenlesern Fabian Fellmann Mut zu. Man konstatiert hier eine zunehmende Konvergenz zwischen «Republik» und «Tages-Anzeiger». Wenn die Wirklichkeit nicht ins ideologisch gefärbte Bild von ihr passt, dann wird sie passend gemacht.

Denn  die Wirklichkeit ist dramatisch: «Biden zieht beinahe schon als Aussenseiter in die Wiederwahl gegen den Möchtegern-Diktator Donald Trump.» «Beinahe schon» und «Möchtegern-Diktator» eigentlich könnte man hier schon aufhören, den Quatsch zu lesen. Wer’s nicht tut: da gebe es, Schauder, Schauder, Umfragen, die eine Führung Trumps ergeben. Aber gemach: «Der angebliche Vorsprung von Trump, der seit Monaten Schlagzeilen macht, schrumpft bei genauerer Betrachtung zusammen.»

Man meint, das kollektive Aufatmen der verbleibenden Tagi-Leser zu hören. Aber Fellmann ist mit seiner Demontage der Umfragen noch nicht fertig: «Meistens führt Trump mit Werten, die sich lediglich im statistischen Fehlerbereich bewegen, was bedeutet, dass die beiden Männer in etwa gleichauf liegen. Ausserdem dürfte mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten an der Wahl gar nicht teilnehmen

Einer geht dann noch: «Zehn Monate vor dem Wahltermin haben solche Umfragen beschränkte Aussagekraft über die wahren Stimmabsichten

Also doch kein Anlass zur Panik? Fellmann versteht sich auf ein Wechselbad der Gefühle: «Es soll kein zu rosiges Bild entstehen. Allein die Tatsache, dass Trump Biden derart in Bedrängnis zu bringen vermag, ist ein Alarmsignal.» Was für ein Alarmsignal? Dass der Amtsinhaber, von Anfang an eine Verlegenheitslösung, weil die Personaldecke der Demokraten nicht weniger dünn ist als die der Republikaner, kaum etwas gebacken gekriegt hat, in Umfragen über die Zufriedenheit mit seiner Amtsführung abschmiert, immer wieder zeigt, dass er körperlich und mental so stark abbaut, dass man sich ernsthaft Sorgen um seine Fähigkeit, Kontakt mit der Realität zu halten und eigenständige Entscheidungen zu treffen machen muss, das sind Alarmsignale.

Dass ein Amok wie Trump ihn tatsächlich bei den kommenden Wahlen gefährden kann, ist ein Alarmsignal, aber anders, als Fellmann meint. Nicht wegen Trump, sondern wegen Biden. Aussenpolitisch rudert er herum, innenpolitisch gibt es kaum Lebenszeichen von ihm; sollte noch die Wirtschaft in eine Rezession geraten, dürften die Chancen auf Wiederwahl weit unter 50 Prozent fallen.

«Kann» er noch gewinnen? Natürlich. Es kann auch ein Meteorit einschlagen, Trump kann durch sein Haarfärbemittel vergiftet werden, es könnten auch Aliens landen und die Wahlen absagen. All das «kann» passieren.

Das ist alles Vermutungs-Konjunktiv, das Dreschen von leerem Stroh. Damit kann man sich lächerlich machen. Damit macht sich Fellmann lächerlich. Wozu Tamedia («Seit Sommer 2021 berichtet der Politologe als USA-Korrespondent aus Washington, D.C») so jemanden beschäftigt (und bezahlt!), das fragt sich der gebeutelte Leser. Der kann sein Abo verlängern. Oder auch nicht, weil er sich fragen könnte: wieso soll ich für dieses Gebabbel etwas bezahlen? Das ist doch wertlos, wieso sollte es dann geldwert sein?

Einer wird gewinnen

Früher war das eine Rätselsendung. Ist es heute noch.

Bekanntlich gibt es bei den französischen Präsidentschaftswahlen zwei Möglichkeiten. Garantiert. Entweder gewinnt der Amtsinhaber Emmanuel Macron – oder die Herausforderin Marine Le Pen.

Aus dieser Konstellation kann man nun leider nicht viel Prognostisches wagen. Also man könnte schon, aber den meisten Prognostikern sitzt noch der Schrecken in den Knochen, als sie bei der sicheren Siegerin Hillary Clinton krachend danebenlagen.

Bis heute wissen die Medienschaffenden nicht, ob sie die blöden Amis beschimpfen oder bemitleiden sollen. Die Ursachenforschung, wieso sich die US-Wähler nicht an die sicheren Prognosen und Analysen gehalten haben, dauert bis heute an. Inklusive Fall Relotius.

Verständlich also, dass man sich nun hier zurückhält. Man belässt es bei ein wenig Etikettenkleberei. Macron ist der Mann der Mitte, sein Hauptproblem sei seine Arroganz. Bei Le Pen ist es noch einfacher: ist und bleibt eine «Rechtspopulistin«, die Kreide gefressen hat.

Ansonsten herrscht aber vorsichtiges Abwägen. Macron liege in Führung, der Wahlkampf sei aber «kein Spaziergang«. Le Pen sei ihm «auf den Fersen«. Natürlich haben wir wieder einmal «ein gespaltenes Land«.

Da Macron eher teflonartig agiert und auch die Narrative der Journalisten bezüglich Russland bedient, konzentriert sich das Trommelfeuer auf Le Pen. Dabei wird vor allem herausgestrichen, dass sie Sprengpotenzial für die EU habe, sollte sie gewählt werden. Und eine Putin-Versteherin ist sie sowieso, liess sich sogar von einer russischen Bank einen Kredit geben.

Natürlich ist sie nebenbei eine Rechtsradikale, Rassistin sowieso oder schlicht «die gefährlichste Frau Europas«, wozu sie der SoBli ernannte. Aus all dem muss man schliessen, dass eigentlich nur Volldeppen Le Pen wählen können.

Das kleine Problem dabei: das werden wohl mindestens 40 Prozent aller Franzosen sein. Auch da gibt es zwei Möglichkeiten: entweder ist fast jeder zweite Franzose rechtsradikal, Rassist, Putin-Versteher und Gegner der EU – oder die Schweizer Kommentatoren verzeichnen ein wenig das Bild der Präsidentschaftskandidatin.

Das alles nur deswegen, weil der simple Satz «einer wird gewinnen» nicht ausreicht, um neben der Ukraine ein paar Spalten zu füllen. Aber: wie meist mit Ausnahme des NZZ-Lesers: Wer kann denn spontan und schnell die fünf wichtigsten Wahlversprechen Macrons und Le Pens aufzählen? Oder welche Vorschläge sie haben, was Frankreich tun könnte, um den Krieg in der Ukraine zu beenden?

Eher nicht? Nun, da erhebt sich mal wieder die Frage, wieso man denn freiwillig dafür bezahlen soll, dass Redaktoren und Korresponden dafür bezahlt werden, die Welt so hinzuschreiben, wie sie ihrer Meinung nach ist – oder sein sollte. Ähnlichkeiten mit der Realität sind meist zufällig und keinesfalls beabsichtigt.

Blöde Realität

Das wird ganz knapp für Macron. Ausser, es gibt eine Überraschung.

Das nähere Ausland ist leider nicht so eine gegendarstellungsfreie Zone wie, sagen wir Cabo Verde. Nur ganz knapp konnte sich die Berichterstattung über die französischen Präsidentschaftswahlen gegen die Ukraine behaupten. Immerhin unser Nachbar, nach dem Austritt Grossbritanniens die zweitwichtigste Volkswirtschaft in der EU. Force de Frappe, Atommacht.

Also ist es nicht ganz unwichtig, wer dort Präsident ist oder wird. Nun war schon der amtierende Amtsinhaber eine «Überraschung», weil er sozusagen aus dem Nichts kam und eine eigene Bewegung, die man kaum als Partei bezeichnen kann, hinter sich scharte.

Viele «Frankreichkenner» kannten dann Frankreich eben doch nicht so gut und gaben ihm bis fast vor Schluss nur Aussenseiterchancen. Aber immerhin, man hatte aus dem Desaster der US-Präsidentschaftswahlen gelernt. Da hielt die Fassungslosigkeit bis in spätabendliche Nachrichtensendungen an, dass die sichere Siegerin Hillary Clinton weder sicher, noch Siegerin war. Sondern der «hat keine Chance, ausgeschlossen» Newcomer Donald Trump.

Aber auch in Frankreich war man sich vom «Frankreichkenner» Daniel Binswanger abwärts (und vor allem, da ist viel Luft, aufwärts) ganz sicher: das wird eine knappe Sache. Ganz knapp, richtig knapp. Selbst dem rechten Schreckgespenst Éric Zemmour wurden Aussenseiterchancen eingeräumt. Auf verlorenem Posten sah man hingegen den Linken Jean-Luc Mélonchon. Der grosse Gottseibeiuns wurde aber Marine Le Pen.

In den Meinungsumfragen schmolz der Vorsprung Macrons, also echoten alle Frankreichkenner von nah und fern: das wird eine ganz, ganz enge Sache. So blieb’s auch bis zu den ersten behaftbaren Hochrechnungen. 27,6 Prozent für Amtsinhaber Macron, 23,4 Prozent für Le Pen – und 22 Prozent für Mélonchon. Immerhin wurde richtig geraten, dass die sogenannten traditionellen Parteien, also Republikaner und Sozialisten, unter ferner liefen ins Ziel kommen würden.

Nun ist ein Unterschied von 4,2 Prozent nicht alle Welt. Aber weit entfernt von sauknapp. Das Adjektiv trifft eher auf Le Pen und den Linken zu, der den Einzug in den zweiten Wahlgang nur um 1,4 Prozent verpasste.

Und das rechte Schreckgespenst landete ebenfalls abgeschlagen bei 7,1 Prozent. ein vernachlässigbares Resultat, im Vergleich zu den vielen, vielen Artikeln, die Zemmour gewidmet wurden.

Nun ist die Vorhersage von Wahlergebnissen tatsächlich keine exakte Wissenschaft. Es erhebt sich aber die Frage, wozu der Konsument eigentlich Geld ausgeben soll, wenn ihm Erkenntnisse serviert werden, die er auch selbst aus den Umfragen ziehen kann. Womit der Laie dann genauso falsch lag wie der angebliche Kenner und Frankreich-Korrespondent. Unbeschadet, ob der seine Korrespondenz vom sicheren Schreibtisch in der Schweiz aus oder tatsächlich vor Ort ausübt.

Nach einer solchen Fehlananlyse könnte man – vielleicht – etwas aufs Haupt gestreute Asche erwarten. So eine klitzekleine Entschuldigung, dass man die Realität mal wieder zu sehr mit der gefärbten Brille betrachtet hätte. Aber das ist nicht die Kernkompetenz von Journalisten. Schon eine Richtigstellung oder gar Entschuldigung muss man normalerweise mit der juristischen Brechstange erzwingen.

Hier reicht der Allerweltsbegriff «Überraschung». Was hat sich der französische Wähler nur dabei gedacht? Aber wenn’s schon hier nicht knapp wurde, es steht ja noch der zweite Wahlgang bevor. Und da wird’s dann – Überraschung – ganz knapp. Richtig knapp. Ganz sicher.

 

 

Ferndiagnose – Fehldiagnose?

Christoph Gurk sitzt in Buenos Aires (Argentinien). Und schreibt über Honduras.

Gurk «berichtet für die SZ aus Lateinamerika». Das ist gross. Dazu gehört auch Zentralamerika, und da fanden in Honduras Präsidentschaftswahlen statt. Die Distanz zwischen dem Wohnsitz von Gurk bis zur hügeligen honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa beträgt Luftlinie 6211 km.

Die Distanz von Hammerfest ganz im Norden Norwegens bis nach Athen beträgt als Fahrstrecke rund 5000 km. Ob eine Berichterstattung vom Polarkreis über Wahlen in Griechenland viel Sinn machen würde?

Nun serviert auch das Qualitätsorgan «Tages-Anzeiger» und somit ganz Tamedia mit all ihren Kopfblättern diesen Bericht ihren zahlenden Lesern. Zuvor hatte sich Gurk in feministischen Kreisen einen Namen geschaffen durch einen Artikel über die brasilianische Impfhymne «Bum Bum Tam Tam».

Darin gehe es um Blasinstrumente, «vor allem aber um den Bumbum, den Hintern, den man bewegen soll». Das einschlägige Video lässt keine Fragen offen.

Diesmal geht es Gurk aber darum, dass «die frühere First Lady auf dem Weg zur Macht» sei. Das war sie bis 2007, in den vergangenen 14 Jahren ist sie Oppositionsführerin und mindestens einmal um den Wahlsieg betrogene Kandidatin sowie eigenständige Politikerin. In einem Land, das wie kaum ein anderes unter den USA gelitten hat. Als Basis für den schmutzigen Krieg gegen die Sandinisten in Nicaragua, als die noch links waren.

Die US-Botschaft in Tegucigalpa ist eine Festung und war für viele Jahre der wahre Sitz der Macht, nicht etwa der Präsidentenpalast.

Nun trägt Gurk aus der Ferne seine Bedenken vor, ob Xiomara Castro (nicht verwandt oder verschwägert) diesmal die Vereidigung erleben wird. Dabei haben ihn die Ereignisse bereits etwas überholt, aber er gibt selbst zu:

«Zu kompliziert ist die politische Lage im Land.»

Deshalb beschränkt er sich darauf, nur Dinge wiederzugeben, die jeder Tamedia-Leser mit einer kurzen Google-Suche auch selbst finden kann. Oder aber, er begibt sich in die Hände der BBC, die nicht nur einen Zentralamerika-Korrespondenten hat, sondern auch drauskommt.

Sicherlich sind honduranische Präsidentschaftswahlen (Bern – Tegucigalpa 9208 km) nicht für viele von brennendem Interesse. Aber wenn im ins Elend gesparten Journalismus schon ein Artikel darüber erscheint, sollte der vielleicht mehr als eine Ferndiagnose mit Allgemeinplätzen enthalten.

Es könnte allerdings auch sein, dass Gurk schlichtweg Schiss vor einer Landung auf dem Flughafen von Tegucigalpa hat, die wirklich nichts für Menschen mit Flugangst ist.