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Schlechter Besserwisser

Christoph Gurk hat Schwein, dass man keine Namensscherze machen sollte.

Er «berichtet für die SZ aus Lateinamerika». Somit auch für das Qualitätsorgan Tagi & Co. Gurk sitzt in Buenos Aires in Argentinien und bestreicht von dort aus ganz Latein- und Zentralamerika plus die Karibik.

Das ist ungefähr so sinnvoll, wie wenn ein Korrespondent für Europa in Oslo sässe und von dort aus ganz Europa von Portugal bis Bulgarien beschriebe, mit Ausflügen in die Türkei oder auf die Azoren. Wäre das so, läge es nicht am Korrespondenten, dass meistens oberflächlicher Unsinn publiziert würde.

Nun äussert sich Gurk fleissig zu Argentinien, wo er sicherlich über gewisse Kenntnisse verfügt. Und über Bolivien, Brasilien, Mexiko, Nicaragua, um nur seine letzten Artikel Revue passieren zu lassen. Neuerdings auch über El Salvador. Dort ist gerade der amtierende Präsident Nayib Bukele erdrutschartig wiedergewählt worden. «Das ist ein Sieg mit der grössten Differenz zwischen dem ersten und dem zweiten Platz in der gesamten Geschichte», triumphierte er in der Wahlnacht. Ob es 70 oder 80 Prozent für ihn sind: offensichtlich geniesst er in der Bevölkerung einen überwältigenden Rückhalt.

Nun hat seine Wiederwahl einen kleinen Schönheitsfehler: laut Verfassung dürfte er kein zweites Mal antreten. Das hat er umgangen, indem er die Verfassung änderte, offiziell mal kurz vom Amt zurücktrat und seine Privatsekretärin zur geschäftsführenden Präsidentin machte. Nur Gurk aus dem fernen Buenos Aires ist nicht begeistert: «Sollte man nun also gratulieren? Eher nein.»

Denn: «Nun, so ist es zu befürchten, ist es (El Salvador, Red.) auf dem Weg in die nächste Diktatur.» Bukele geniesst diese überwältigende Zustimmung, weil er mit drakonischen Massnahmen die Bandenkriminalität eingedämmt hat. Nach über 70’000 Verhaftungen und dem Bau von gigantischen Gefängnissen zur Aufbewahrung ist El Salvador von einem der gefährlichsten zu einem der sichersten Länder Amerikas geworden, nur noch übertroffen von Kanada.

Der heute 43-Jährige hatte 2019 gegen den erbitterten Widerstand aller etablierten Parteien gesiegt. Als Unternehmer setzte er auch unkonventionelle Massnahmen in der Wirtschaft um, so beispielsweise die Anerkennung des Bitcoin als offizielle Währung. Politisch ist er ein Chamäleon, zuerst politisierte er für die linksextreme, ehemalige Guerillaorganisation FMLN, um dann – ähnlich wie Macron in Frankreich – eine eigene Partei namens Nuevas Ideas zu organisieren, mit deren Hilfe er nun regiert. Dabei nutzt er wie keiner vor ihm Social Media, auf Instagram zum Beispiel hat er 6,3 Millionen Follower, bei 6,5 Millionen Einwohnern des kleinen Landes.

El Salvador war viele Jahre – wie Guatemala oder Nicaragua – ein blutiges Schlachtfeld, wo rechtsextreme Todesschwadronen, finanziert von den Grossgrundbesitzern, Jagd auf Oppositionelle machten, wogegen linke Guerillas ankämpften. Schon ab 1932 wurden die indigenen Völker brutal unterdrückt, in der sogenannten Matanza (Schlachterei). Sie wurden gezwungen, Identität und Sprache aufzugeben. Der Bürgerkrieg Anfang 70er Jahre forderte mehr als 75’000 Todesopfer. Besonders abscheulich war das Massaker von El Mozote, begangen von US-trainierten Regierungssoldaten.

El Salvador ist also ein typisches, lateinamerikanisches Land, ein ehemaliges Schlachtfeld, erst seit wenigen Jahrzehnten unterwegs als wackelige Demokratie, wo sich die rechtsradikale ARENA und die ehemalige Guerilla FMLN an der Regierung abwechselten, beide hochkorrupt.

Alle Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit sollten durch eine Amnestie straffrei gestellt werden, was allerdings der Oberste Gerichtshof 2016 für verfassungswidrig erklärte. Unabhängig davon wurde El Salvador zunehmend Schauplatz von Bandenkriminalität (Mara Salvatrucha, M-18), Tausende von Gangstern beherrschten ganze Stadtteile oder Bezirke.

Bukele räumte mit starker Hand auf, verhängte den Ausnahmezustand, setzte das Militär zur Bekämpfung der Banden ein, baute ein Riesengefängnis für mehr als 42’000 Insassen und liess Zehntausende verhaften. Darunter sicher auch den einen oder anderen Unschuldigen. Aber: das brach den Banden das Genick, seither sind alle Kriminalitätsindizes dramatisch gesunken.

Kein Wunder, dass die Salvadorianer ihren Präsidenten lieben und wiederwählen. Dafür sollte man ihnen und ihm gratulieren. Aber als typisch deutscher Besserwisser und Mäkler und Motzer sieht das Gurk anders. Und Tamedia lässt diese Ferndiagnose von einem, der offensichtlich El Salvador nur oberflächlich kennt,  ungefiltert auf seine Leser los.

Mach aus der Qualitätskontrolle Gurkensalat, ist da offenbar die neue Devise von Überbleibseln der Jugendbewegung, die damals forderte: macht aus dem Staat Gurkensalat.

Let’s fetz im Netz

«Netzcourage» braucht Netzcourage.

Der Verein gegen Hass und Missbrauch im Netz braucht selbst seine Dienstleistungen. Denn seit Monaten fände eine «querulantische Twitter-Verleumdungskampagne von vier Ex-Mitgliedern» statt. So sieht das zumindest der zeitweilige «Präsident a.iHansi Voigt. Er bezeichnet sich inzwischen als «neuer Präsi», woraus man schliessen kann, dass eine Mitgliederversammlung stattfand.

Aber der Reihe nach.

Der Präsidentenstuhl im Verein «Netzcourage» scheint eher ein Schleudersitz zu sein. Nachdem sie noch den damaligen Geschäftsbericht unterzeichnet und lobende Worte über «Netzcourage» gesäuselt hatten, traten im Oktober 2021 die Co-Präsidentinnen Tamara Funiciello (SP) und Greta Gysin (Grüne) Knall auf Fall zurück. Angeblich wegen plötzlich aufgetauchten «strategischen Differenzen». Es wird bis heute gerätselt, was wirklich vorgefallen war.

Als «Interimspräsidentin» sprang Liliane Ritzi in die Lücke. Sie gab im Sommer 2022 bereits wieder auf: «Der Vorstand kann gar nicht strategisch arbeiten, weil Geschäftsführerin Spiess-Hegglin alles selbst machen will.» Insgesamt warfen dieses Jahr vier von sieben Vorstandsmitgliedern das Handtuch, was wohl kaum als «querulantisches Verhalten» abqualifiziert werden kann.

Wie ein Deus ex Machina tauchte dann plötzlich der Vielfach-Gescheiterte Hansi Voigt als neuer «Präsident a.i.» auf, wobei a.i. nicht für Artificial Intelligence steht. Neben Millionen-Verrösten mit «bajour» hatte er schon zuvor Zeit gefunden, sich als unverbrüchlicher Freund und Weggefährte von Spiess-Hegglin auf Twitter und anderswo zu profilieren und im «Beirat» des Vereins zu sitzen.

Allerdings gibt es neben all den Querelen ein paar kitzlige legale Probleme, denn ein Verein, vor allem ein gemeinnütziger, schwebt nicht im luftleeren Raum, sondern hat sich an gesetzliche Vorschriften und Vorgaben zu halten. Das ist nicht so die Kernkompetenz der Führungscrew, mit Schlampereien auf diesem Gebiet verscherzte sie sich schon staatliche Subventionen.

Nun soll, besagen Gerüchte, am vergangenen Freitag eine Mitgliederversammlung stattgefunden haben; hinter verschlossenen und gut kontrollierten Türen. Artfremden, Berichterstattern oder «querulantischen» Ex-Vorstandsmitgliedern war der Zutritt verwehrt, was anscheinend durch Wachpersonal und Personenkontrolle am Eingang sichergestellt wurde.

Laut Medienmitteilung sei alles wunderbar und in Harmonie verlaufen. Eine objektive Bestätigung dafür gibt es allerdings nicht. Wie ein Verein seine ehemalige Präsidentin, die in höchster Not und unter grossem Applaus einsprang, allerdings gegen ihren Willen wegen «vereinsschädigendem Verhaltens» ausschliessen kann, das ist nun nicht gerade ein Paradebeispiel für respektvollen und transparenten Umgang.

ZACKBUM ist immer für ein offenes Wort und vor allem dafür, dass Betroffene die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Nachdem JSH noch niemals auf diverse Anfragen reagierte, versuchten wir es diesmal bei Voigt. Der meinte immerhin schon mal, dass er nichts zu sagen habe. Aber vielleicht liesse sich das angesichts dieser Fragen noch etwas steigern:

1. Sie bezeichneten sich als «Präsident a.i.» des Vereins «Netzcourage». Wer hatte Sie in diese Position gewählt?
2. Laut Protokoll der letzten Mitgliederversammlung vom 23. Februar 2021 wurden sie damals nicht einmal in den Vorstand gewählt. Welches Gremium hat Sie dann berufen?
3. Zwischen der letzten Mitgliederversammlung und der aktuellen vergingen rund 20 Monate. Das ist im Schweizer Vereinsrecht so nicht vorgesehen. Weswegen dieser Verstoss?
4. Im Sommer 2022 sind von 7 immerhin 4 Vorstandsmitgliedern zurückgetreten. Darunter auch die Präsidentin a.i., die ihrerseits die Nachfolge von zwei per sofort zurückgetretenen Co-Präsidentinnen antrat. Wie erklären Sie diesen ständigen Exodus?
5. Sie haben als «Präsident a.i.» Ausschlussverfahren gegen vier Mitglieder des Vereins angekündigt und durchgeführt. Als nicht gewählter Präsident oder als nicht gewähltes Vorstandsmitglied sind Sie dazu gar nicht befugt. Woher nehmen Sie sich diese Macht?
6. Durch die überlange Zeit zwischen der letzten und der aktuellen Mitgliederversammlung ist auch die Amtszeit der verbleibenden Vorstandsmitglieder abgelaufen. Der Verein befand sich also in einem rechtlosen Zustand. Ist das nicht peinlich, bei diesem Vereinszweck?
7. Ein dazu nicht befugter «Präsident a.i.» hat eine Mitgliederversammlung einberufen und ebenfalls dazu nicht befugt vier Mitglieder von der Teilnahme ausgeschlossen. Damit ist diese Mitgliederversammlung rechtlich nicht gültig und müsste wiederholt werden. Wird das geschehen, und wer kann sie in einem solchen Fall (keine legalen Vorstandsmitglieder vorhanden) überhaupt einberufen?
8. Inzwischen bezeichnen Sie sich «als neuer Präsi». Halten Sie das für vertretbar, angesichts einer illegalen Mitgliederversammlung?
9. Wie sehen Sie es mit Haftungsfolgen, falls gerichtlich festgestellt wird, dass Ihre Wahl rechtsungültig ist und daher alle Ihre Entscheidungen in dieser Funktion nichtig?
Aber oh je, die eingeräumte, grosszügige Frist für eine Antwort verstrich ungenutzt. Weder der Präsident a.i., noch der «neue Präsi», noch sonst ein Vorstandsmitglied sah sich in der Lage, diese drängenden Fragen zu beantworten. Die vielgelobte Transparenz ist offenbar mehr eine Schimäre als Realität.
Das ist bedauerlich und betrüblich, denn das eigentliche Anliegen des Vereins ist durchaus lobenswert. Nur das Personal, daran hapert es halt …