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«Muskelspannung lösen»

Berichterstatterpflicht zu Polizeibrutalität? In Bruchstücken. Gequält. Ohne eigenen Einsatz. Ohne Inhalt.

Eine der wenigen Möglichkeiten, den Verrichtungsboxen in den Newsrooms zu entkommen, ist eine Stelle als Bundeshauskorrespondent. Das ist zwar keine Korrespondentenstelle, man ist einfach nicht in Zürich oder Aarau am Gerät.

Arbeitet man für die «Berner Zeitung» oder den «Bund», was ja sowieso das Gleiche ist, kann man zu Fuss zur Arbeit gehen. Oder per Velo.

Also an journalistisch Schaffenden fehlt’s eigentlich in der Bundeshauptstadt nicht. Nur sind die alle bereits im Feierabend, wenn jeweils am Donnerstag eine Demonstration stattfindet. Während die illegalen Besetzer des Bundeshausplatzes sich einer hautnahen Berichterstattung erfreuen konnten, kümmern die Coronaleugner, äh, «Gegner der Corona-Massnahmen», also diese Deppen nicht wirklich.

Glücklicherweise ist SDA so tapfer, eine «Korrespondentin» in diese Kampf- und Konflikzone zu entsenden. Die zitiert dann immerhin das Qualitätsmedium Tamedia in seinem «Newsticker» ) , dass viele Demonstranten eine Rose in der Hand getragen hätten.

«Die Rose stehe für Frieden, «wir sind alle friedlich hier», sagte ein Demonstrierender. «Wir sind aus der Mitte der Gesellschaft und keine Extremisten»», hat der offenbar einzig anwesende Journalist aufgeschnappt.

200, 500 oder mehr Demonstranten?

Was natürlich gelogen ist, denn die Polizei musste «mehrmals Gummischrot und Wasserwerfer» einsetzen, gegen die «mindestens 500 Gegner und Gegnerinnen» wovon eigentlich. Schon dazu ist einiges zu sagen.

Es wurden auch schon mal 1000 Teilnehmer geschätzt, als es zweifelsfrei eher 10’000 waren. Aber eine Null mehr oder minder, was interessiert das die Journi-Nullen. Dann müsste bei Tamedia ein neuer Proteststurm durch die Redaktionen brausen; wieso sind männliche Gegner vor den weiblichen erwähnt? Und die diversen, non binären, trans Menschen?

Schliesslich war es einmal Brauch, wenigstens in ein, zwei Worten zu erwähnen, was eigentlich die Anliegen der Manifestanten sind. Tragen sie vielleicht Transparente mit sich, skandieren sie etwas, und sei es nur «Ueli, Ueli»? Aber wozu soll sich die eine Hälfte des Zeitungsduopols mit sogar zwei Blättern (noch) vor Ort um solchen Pipifax kümmern.

Wozu hat man den Agenturticker der SDA abonniert, mit dem man den Teil der Berichterstattung bewältigt, den man nicht von der «Süddeutschen» übernimmt. Dazu noch Bauchnabelschau, fertig ist das Qualitätsprodukt.

Langsam macht ein brutaler Polizeieinsatz die Runde

Siehts bei CH Media besser aus?  Leicht, denn immerhin greift hier tatsächlich ein Redaktor zum Griffel. Auch hier macht die Polizei den Titel, sie «geht gewaltsam gegen Demo vor». Allerdings: CH Media hat ein verstörendes Video der lokalen TV-Station «Live1» in ihren Artikel eingebettet.

Man sieht die Vorgeschichte nicht, aber was man sieht, ist beunruhigend. Eine Gruppe Polizisten in Vollmontur, die auf einen am Boden liegenden Mann einprügeln, auf seinem Kopf knien und ihn offensichtlich malträtieren.

Das wäre, mit Verlaub, ein Riesenskandal über Polizeigewalt, Verhältnismässigkeit und mit Gebrüll von allen Zinnen – wenn der Malträtierte für eine richtige und gute Sache demonstriert hätte. Aber ein Coronaleugner? Recht geschieht’s ihm.

Die Erklärungen der Polizei mache die Sache nicht besser. Der Mann sei drohend auf die Polizisten zugelaufen. Auch Gummischrot habe ihn nicht aufgehalten. Schliesslich seien ihm

«Schmerzreize gesetzt» worden,

zudem mit Schlägen eine «Muskelspannung» abgebaut worden. In Wirklichkeit spielte es sich so ab, wie hier ins Einzelaufnahmen dokumentiert:

Stills 1 bis 5: Der Mann läuft auf die Polizeikette zu. Als er sie erreicht, wird er sofort zu Boden geworfen. Still 6: Mehrere Polizisten halten ihn, der rechts kniet auf seinem Hals und schlägt mehrfach auf ihn ein. Dann wird er (Still 7) über den Boden geschleift, schliesslich nochmal auf seinen Hals gekniet (Still 8). QUELLE der Prügelbilder 6 – 8: Twitter/LIVE1TV 

Schmerzreize und Abbau von Muskelspannung; auf Deutsch: mehrere Schläge in die Fresse eines am Boden fixierten Mannes, auf dem mindestens ein Polizist kniet, auf seinem Hals.

Auch der Dritte und Letzte im Bunde greift auf eine ganze Reihe von Kürzeln zurück (zis/ita/frk/SDA), um seine Berichterstattung zu zeichnen. Auch der «Blick» stellt die Polizeigewalt ins Zentrum seiner Berichterstattung; allerdings natürlich die von den Manifestanten provozierte.

Aber immerhin, nach dem Warnhinweis «das nachfolgende Video enthält verstörende Bilder» zeigt «Blick» unter der Oberzeile «Heftige Gewalt» die tatsächlich verstörende Prügelszene der Berner Polizei.

Eine auf Video festgehaltene Prügelszene? Nichts für SRF

Wie steht es denn beim Schweizer Farbfernsehen? Das bekommt ja schon über eine Milliarde an Gebührengeldern pro Jahr, um die Grundversorgung mit Informationen sicherzustellen. News-Webseite, «Tagesschau», «10 vor 10»? Die Hauptausgabe berichtet am Donnerstag über das Schicksal des gescheiterten CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet als Aufmacher, die vertiefende Sendung später über «Hoffnung für Afrika».

Bern, Demo, Polizeigewalt, war da was? Ach was, lediglich in «Schweiz aktuell» gab es einen präventiven Betrag, dass am Donnerstagabend wieder mit einer unbewilligten Demonstration gerechnet werden müsse, und was das immer koste.

Man kann hier also von einem veritablen Skandal sprechen. Und man bekommt einen Vorgeschmack darauf, wie es mit der Berichterstattung weitergeht, sollten die grossen Verlegerclans noch kräftiger am Subventionstropf des Staates hängen.

Wirklich schlimm ist aber die SRG. Da sie zwangsweise Gebühren erheben darf, hat sie nun eindeutig eine Berichterstatterpflicht. Natürlich muss dabei ausgewählt werden, was von den Tagesereignissen in die Nachrichtengefässe passt, was Platz hat. Nichts gegen Berichte über deutsche Innenpolitik oder die Malariabekämpfung in Afrika.

Aber eine Demonstration in Bern mit Ausschreitungen und hässlichen Szenen von Polizeigewalt? Das ist keine News? Nix, nada, nullo? Das hätte «Russia Today» auch nicht besser hingekriegt, kann man nur sagen.