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Wo lag Auschwitz?

Geschichte wird immer wieder neu umgegraben.

Das Vergangene ist nicht tot. Es ist nicht einmal vergangen. Einen Beitrag zu dieser Erkenntnis leistet aktuell «20 Minuten». Denn das Gratis-Blatt veröffentlichte diese «Berichtigung»:

Dahinter steht, wie meist, eine komplexere Wahrheit. Es gibt wohl keinen anderen Begriff, der so symbolisch für das Jahrhundertverbrechen der Judenvernichtung steht wie Auschwitz. Das Wort steht für die Hölle auf Erden, für unvorstellbare Skrupellosigkeit und für die Ermordung von vermutlich 1,5 Millionen Menschen; in der überwiegenden Mehrzahl Juden.

Nun liegt Auschwitz heute unbestreitbar in Polen, heisst Oświęcim. Daher wird häufig der Begriff «polnisches KZ» verwendet, um es geographisch zu lokalisieren.

Unbestreitbar wurde das Lager von deutschen Besatzungstruppen errichtet und unter deutscher Leitung betrieben, im Generalgouvernement Polen. Das bestreitet – ausser ein paar unverbesserlichen Holocaust-Leugnern – niemand. Natürlich haben sich hier die Deutschen Schuld aufgeladen, die auch in der historischen Distanz nicht kleiner wird. Als die Rote Armee das KZ am 27. Januar 1945 befreite, traf sie auf noch 7000 Überlebende, von denen viele trotz medizinischer Hilfe in den folgenden Tagen verstarben.

Im Rahmen einer Geschichtsrevision gibt es in einigen europäischen Ländern den Versuch, die Beteiligung der eigenen Bevölkerung an der Judenverfolgung kleinzuschreiben. Denn in keinem anderen Land wurde diese dunkelschwarze Etappe der Geschichte so umfangreich aufgearbeitet wie in Deutschland.

Geschichtsklitterung in vielen europäischen Ländern

In Frankreich wiegt man sich bis heute noch in der Illusion, dass eigentlich fast jeder Franzose in der «Résistance», also im Widerstand war. Alle historischen Fakten und Tatsachen, die dieser Geschichtslüge widersprechen, werden gerne ausgeblendet.

Polen ist sogar einen Schritt weiter gegangen. Es hat Gesetze erlassen, die es untersagen, der polnischen Nation auch nur eine Mitverantwortung für den Holocaust zu geben. Wer das tut, muss mit einer Gefängnisstrafe rechnen.

Dennoch gibt es aktuelle Untersuchungen wie die Studie «Judenjagd» von Jan Grabowski, der aufgrund historischer Forschungen in Archiven und erhaltenen Akten zum Schluss kommt, dass Polen am Tod von bis zu 200’000 Juden mitverantwortlich waren, dass es auch polnische Judenhatz gab, Stichwort «Blaue Polizei».

Damit soll die unbestreitbare Hauptschuld der Deutschen in keiner Form relativiert werden. Es ist auch eine deutsche Schuld, die Schuld einer ganzen Nation, in der sich nach dem Zweiten Weltkrieg allzu viele damit herausreden wollten, dass sie von nichts gewusst hätten. Was eine kollektive Lüge ist.

Aber gesetzlich festzulegen, was über Geschichte gesagt werden darf und was nicht, das ist von Übel. Damit wird Vergangenheit nicht bewältigt, sondern beschönigt. Das ist Ausdruck eines übersteigerten Nationalismus, eine Schuldabweisung, die den historischen Tatsachen nicht entspricht.

Polen will sich seiner Vergangenheit nicht stellen

Gegen die Verwendung des Begriffs «polnisches KZ» für Auschwitz wehrt sich insbesondere der Verein «Patria Nostra», der schon im Titel auf seiner Webseite klarstellt: «Auschwitz war deutsch». Das ist so unbestreitbar wie die geographische Tatsache, dass Auschwitz in Polen liegt.

Genauso unbestreitbar wie die Tatsache, dass es nicht nur in Polen, sondern auch in der Ukraine und anderen von Hitler-Deutschland besetzten Gebieten im Osten eine mehr oder minder ausgeprägte Bereitschaft gab, sich an der Judenhatz zu beteiligen. Denn Antisemitismus war keine Geisteskrankheit, die erst von den Deutschen mitgebracht wurde. Sie grassierte in Ungarn, Rumänien, Bulgarien und selbst in der UdSSR.

Es ist genauso unbestreitbar, dass fast alle KZ von Deutschen errichtet und geleitet und betrieben wurden. Es gibt hier die Ausnahme des KZ Jasenovac in Kroatien, ebenfalls ein Vernichtungslager, das aber von den Kroaten in eigener Regie betrieben wurde. Daran möchte sich das heutige Kroatien nicht gerne erinnern lassen.

Es gibt den türkischen Völkermord an Armeniern, die Vernichtung der Kulakenklasse in der UdSSR. Ohne die Singularität des Holocaust damit relativieren zu wollen: in all diesen Fällen ist ein Weisswaschen im Nachhinein, gar Verbote, gewisse Begriffe zu verwenden, das Führen von Prozessen zum Beispiel in Deutschland gegen die Verwendung der Formulierung «polnisches KZ Auschwitz» sicherlich der falsche Weg einer Vergangenheitsbewältigung.

Eine Berichtigung, die eine Verfälschung ist

Dass, um zum Anlass zurückzukommen, «20 Minuten» sich zu einer «Berichtigung» veranlasst sah, die die falsche Tatsachenbehauptung enthält, dass Auschwitz Teil des Deutschen Reichs gewesen sei, zeugt von allgemeiner Geschichtsvergessenheit.

Denn das stimmt einfach nicht. Das Generalgouvernement Polen wurde eben gerade nicht dem Deutschen Reich einverleibt. Die Berichtigung, Auschwitz sei in Deutschland gelegen, ist deshalb schlichtweg falsch.

Wieso «20 Minuten» eine «Berichtigung» einrücken musste, die nicht berichtigt, sondern verfälscht, das wäre die interessante Frage, bzw. Antwort. Offenbar gibt es dort keinen Mitarbeiter, der über historische Kenntnisse verfügt.

Auschwitz war und ist ein deutsches Verbrechen, das KZ lag im deutsch besetzten Teil Polens. Das ist keine Haarspalterei, sondern der Versuch, komplexe historische Verhältnisse in ihrer Komplexität abzubilden. Denn nur so hilft das Verstehen von Vergangenem, Wiederholungen zukünftig zu vermeiden. Gesetze und Verbote sind untaugliche Mittel dafür.

Wenn man bedenkt, dass nur schon dieser Artikel in Polen Gefahr liefe, dem Autor eine Gefängnisstrafe einzubrocken …