Schlagwortarchiv für: Pierre Heumann

Die WeWo treppab ins Absurde

Wenn das Dagegen krampfhaft wird.

Es sind einzelne Sätze, die mehr entlarven als ganze Abhandlungen über geistige Befindlichkeiten. So schreibt ein Redaktor von «Tichys Einblick», wo man auch in seiner Gesinnungsblase gefangen ist, in der aktuellen «Weltwoche»:

«Berlusconi war damit der letzte demokratisch legitimierte Ministerpräsident.»

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Alle seine Nachfolger, inklusive Mario Draghi, waren also laut diesem Irrwisch von Autor Usurpatoren, durch einen Staatsstreich, durch krumme Touren an die Macht gekommen. Wie verbohrt muss man sein, wenn man die Absurdität einer solchen Behauptung nicht selber bemerkt? Wie betriebsblind muss man sein, wenn man die Unsinnigkeit dieser entlarvenden Bemerkung nicht beim Redigieren sieht – und sie entfernt?

Roger Köppel, im leichten Cäsarenwahn, schreibt eine Rede, die Bundespräsident Ignazio Cassis vor der UNO hätte halten sollen. Von der Perspektive des Rednerpults im Vollversammlungssaal lässt sich der Besitzer, Verleger, Herausgeber, Chefredaktor und SVP-Nationalrat hinwegtragen. Ginge es nach Köppel, hätte sich Cassis mit Sätzen wie diesem lächerlich gemacht: «Wenn alle Staaten auf dieser Welt neutral wären wie die Schweiz, gäbe es keine Kriege mehr.» Diese Sottise müsste eigentlich von Nena99 Luftballons») oder von NicoleEin bisschen Frieden») gesungen werden.

Dass Marco Gallina seinen Artikel mit dem Brüller betitelt «Italien ist der Fels im instabilen Europa», dass er prognostiziert, dass «eine realistische Möglichkeit besteht, dass diese Regierung eine ganze Legislaturperiode lang existiert», das kann nur bedeuten, dass Italien wohl einen Rettungsschirm benötigt und diese Regierung vielleicht nicht einmal die ersten 100 Tage überlebt. Denn so ist das meistens bei Behauptungen und Ankündigungen der WeWo.

Italien als Fels? Turmhohe Staatsschulden, turmhohe Target-2-Schulden, Graben zwischen Norden und Süden, Mafia, Korruption und magere Wirtschaftsleistung – was für ein bröckelnder Fels. Der nur nicht untergeht, was die Wahlsiegerin genau weiss, weil sie nochmals turmhohe Schulden auf die existierenden schaufeln wird. Nach der erpresserischen Devise, der sich auch Orbán verschrieben hat: Ihr könnt es euch gar nicht leisten, dass wir untergehen.

So viel zu einer realistischen Beschreibung Italiens und seiner neuen Regierung. In bester Tradition der WeWo. Man denke dabei nur an die sauber aus der Krise gekommene UBS, an liebedienerische Interviews mit dem Versagerrat Rohner von der CS, an Putin, den Missverstandenen.

Dann bezeichnet Autor Pierre Heumann den Friedensnobelpreisträger, Intriganten, Machtmenschen und mutmasslichen Kriegsverbrecher Henry Kissinger als «Zauberkünstler der Diplomatie». In Wirklichkeit ist er ein Zauberkünstler, der alle zahlreichen schwarzen und roten Flecke auf seiner Weste ignoriert. Der Putsch in Chile, die Verlängerung des Vietnamkriegs (sein vietnamesischer Kollege verweigerte aus Protest gegen ihn die Annahme seines Nobelpreises), der Journalist Christopher Hitchens halt mit aller Kraft – aber leider vergeblich – versucht, dass man Kissinger vor ein Tribunal stellt. Indem er ihm unzählige Untaten nachwies, die nicht nur den Politikwissenschaftler Alfred Grosser dazu brachten, Kissinger als Kriegsverbrecher zu bezeichnen.

Kissinger tat das einzig Clevere: er reagierte einfach nicht auf die zahlreichen Anschuldigungen, strengte keinen Ehrverletzungsprozess an. Sass es einfach aus.

Sodann fantasiert der Flugmeilenweltmeister, ewige Wahlbeobachter und früherer GSoA-Aktivist (man wollte ernsthaft die Schweizer Armee abschaffen) Andreas Gross davon, dass man einen neuen Krimkrieg vermeiden könne, indem man in «einem sorgfältig ausgestalteten Referendumszyklus» die Bürger der Krim selbst entscheiden lassen sollte, zu wem sie gehören wollen. Schon wieder eine Chance für Nena oder Nicole, in die Harfe zu greifen.

Dann darf der real existierende Verschwörungstheoretiker Oliver StoneJFK») seine Erlebnisse mit Wladimir Putin zum Besten geben. Allerdings ist der Text von Urs Gehriger, der bekanntlich schon mit Leuten gesprochen hat, mit denen er gar nicht gesprochen hat.

Schliesslich gibt Christoph Mörgeli den philosophischen Überflieger und lobhudelt «sechs Helden der Neutralität». Darunter zählt er Niklaus von Flüe, Huldrych Zwingli, Carl Spitteler – und Christoph Blocher. Amen.

«Wenn das Gehirn überhitzt». Dieser Titel ist vielversprechend, darunter steht aber kein Text über die WeWo-Redaktion, sondern über Migräne. Dann behauptet ein ansonsten verhaltensunauffälliger Republikaner in seinem Blog «Stockman’s Contra Corner»: «Eine diplomatische Lösung des Ukraine-Krieges wäre jederzeit möglich gewesen. Stattdessen riskieren die USA die Weltkatastrophe.» Interessant, und wir Dummys dachten, dass Russland unter Bruch aller internationalen Verträge in die Ukraine einmarschiert sei und nun mit Atomschlägen droht.

Dann sind wir aber wieder beruhigt, wer wohl den Kontakt zur Realität weitgehend verloren hat, wenn wir von Stockmann solche Sätze lesen, zur schnellen Rückeroberung ukrainischer Gebiete durch Regierungstruppen: «Das betreffende Gebiet war nämlich grösstenteils von den nur leicht ausgebildeten freiwilligen Kämpfern der Republik Luhansk besetzt und verteidigt worden, nicht von den geschulten Profis der russischen Streitkräfte.» Geschulte Profis der russischen Streitkräfte? Der Mann will wohl, dass sich deren Gegner totlachen.

Damit wollen wir den Mantel des Schweigens über den Restinhalt breiten.

 

Was hat fauler Journalismus mit Genozid zu tun?

Wenn ein Nahost-Korrespondent im Fernen Osten falsch liegt.

Von Felix Abt

«Die arabische Welt schweigt zu den Genozid-Vorwürfen. Warum?», fragt Nahost-Korrespondent Pierre Heumann in der Weltwoche. Nun, hätte er sich zwei Minuten Zeit genommen und gegoogelt, hätte er herausgefunden, dass die seit 2021 von der amerikanischen Regierung aufgestellte und von anderen Politikern und Medien im Westen nachgeplapperte Behauptung, die chinesische Regierung begehe einen Völkermord an der muslimischen Bevölkerung in der Provinz Xinjiang, von den eigenen Anwälten als unbewiesen widerlegt wurde.

Hätte er ein paar Minuten länger gegoogelt, hätte er herausgefunden, dass der Begriff Genozid 1944 von Raphael Lemkin, einem polnischen Anwalt jüdischer Abstammung, geprägt und beim Nürnberger Tribunal für die Ermordung von Millionen von Juden durch die Nazis verwendet wurde.

Das Büro der Vereinten Nationen für die Verhütung von Völkermord stellt klar, dass «Genozid nur dann vorliegt, wenn es Beweise dafür gibt, dass die Täter die Absicht hatten, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe physisch zu zerstören. Kulturelle Zerstörung ist nicht ausreichend, ebenso wenig wie die Absicht, eine Gruppe einfach zu zerstreuen».

In Xinjiang gibt es mehr als 20.000 Moscheen. [Quelle: worldaffairs.blog]

Natürlich ist auch Chinas «Krieg gegen den Terrorismus» sehr problematisch und nicht gewaltfrei. Die gnadenlosen Kampagnen Amerikas und Israels, in denen sie seit Jahrzehnten echte und mutmassliche Terroristen bombardierten und dabei ganze Wohngebiete mit unschuldigen Zivilisten, Krankenhäuser und Schulen auslöschten, haben den Chinesen gezeigt, wie man es eben nicht machen sollte. Obwohl es auch in Xinjiang zu Polizeigewalt kommt, hat sich Beijing im Allgemeinen dafür entschieden, die Ursachen des Terrorismus durch Armutsbekämpfung und Bildung anzugehen und nicht durch Gewaltexzesse, einschließlich solcher kriegerischer Mittel.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese chinesische Provinz, die noch vor drei Jahrzehnten mausarm war und von der außerhalb Chinas kaum jemand je etwas gehört hatte, heute ganz anders aussieht, nachdem eine erfolgreiche Kampagne zur Modernisierung ihrer Städte, zur Errichtung neuer Krankenhäuser und Schulen, zum Bau von mehr als 20 Flughäfen, zur Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze in modernen Fabriken, zur Mechanisierung der Landwirtschaft und zur Anbindung der Region durch Hochgeschwindigkeitszüge durchgeführt wurde. Ich kann Herrn Heumann den Vorwurf nicht machen, nicht zu wissen, dass es den Muslimen in Xinjiang heute besser geht als vielen Muslimen in muslimischen Ländern, weil er, im Unterschied zu mir, nie dort war.

Ich erlaube mir aber die Gegenfrage: Warum hat Herr Heumann seine Hausaufgaben nicht gemacht und betreibt mit seinem opportunistischen China- und Arabien-Bashing wüsten Geschichtsrevisionismus, der den Opfern von wirklichen Genoziden ins Gesicht schlägt?