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Ist Muschg Dialektiker?

Oder kennt er die Strategeme von General Tan Daoji? Wenn ja, ist seine Verwendung des Worts Auschwitz genial.

Die SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» strahlt normalerweise eine Ruhe aus, die ebenfalls entsteht, wenn man der Farbe an der Wand beim Trocknen zuschaut. Da wird bedeutungsschwanger Schwulst geschwätzt, der Dialog schleppt sich dahin, bis das Ende den verbliebenen Zuschauern die Augendeckel lupft und sie mit letzter Kraft die Fernbedienung betätigen.

Ganz anders in der letzten Sendung. Da war der letzte lebende Schweizer Grossschriftsteller Adolf Muschg zu Gast. Der entwickelte einen interessanten Gedankengang.

Er dachte laut darüber nach, wohin das Ausschliessen von Menschen aus dem allgemeinen Diskurs führe. Was eine radikale Stigmatisierung von Anderen bedeute. Er dachte dabei über die Cancel Culture nach:

«Dass man abgeschrieben wird, wenn man bestimmte Zeichen von sich gibt. Das sehen wir bei feministischen Diskursen ebenso wie bei anti-rassistischen.»

Er geht noch weiter; nicht das Inhumane daran sei schrecklich: «Es ist das Interessenlose an den eigenen Widersprüchen.» Also an der Tatsache, dass unvereinbare Dinge zusammengehen. Dem wird mit «schrecklichen Vereinfachungen» begegnet. Dann kommt Muschg zu seiner vorläufigen Synthese: «Man will Leute disqualifizieren, die Schwarze disqualifizieren. Das ist sehr ehrenwert. Aber diese Disqualifikation gerät ins genau gleiche faschistoide Fahrwasser des Ausschliessens der Anderen. Nur sind es jetzt andere Andere.»

Ein bestechender, richtiger und nicht einmal sonderlich neuer Gedankengang. Das hätte höchstens an abgelegenen Lagerfeuern intellektueller Abschmecker und Abwäger für ein paar Kriegstänze gesorgt, nach denen man sich aber wieder abgeregt hätte. Nun stellte Muschg aber auch diesen Satz in den Raum:

«Die Canceling Culture, die wir heute haben (…) das ist im Grunde eine Form von Auschwitz.»

Nun kann der inzwischen 86-jährige Literaturprofessor, der sich mit dem Thema Auschwitz ausgiebig beschäftigte, sicher nicht behaupten, dass ihm die Verwendung dieses Wortes einfach so rausgerutscht sei.

Auschwitz ist immer ein Trigger für Aufmerksamkeit und Entrüstung

Natürlich wusste er, was dann passieren wird. Nämlich das übliche absurde Theater genau dieser Canceling Culture. Zunächst bedauerten SRF und der Moderator der Sendung «sehr». Was denn? Er hätte «einhaken müssen», den «problematischen Vergleich kritisieren».  Doppelt genäht hält besser, dachte sich der Moderator, und entschuldigte sich gleich nochmal persönlich dafür, dass er es «verpasst» habe, «den absurden Vergleich zu thematisieren».

Man weiss eigentlich sofort, welches die richtige und welches die falsche Seite in einer Debatte ist, wenn sich der Westentaschen-Geschichtsprofessor Philipp Sarasin ungefragt zu Wort meldet. Seine Tonlage ist nicht professorale Gelassenheit: «Das ist ja echt nicht zu fassen. Was für eine Schande.» So keifte er aus Anlass einer Karikatur im neuen «Nebelspalter». Und auch hier ist er sofort zur Stelle, macht Männchen und kläfft los:

«Herr Muschg sollte sich in Grund und Boden schämen – und es ist absolut unverständlich, warum der Moderator das unwidersprochen einfach stehenlässt

Nein, Herr Professor, einzig unverständlich ist hier, wieso man Sie üppig bezahlt auf arme Studenten loslässt, die eigentlich einen reflektierten und auf wissenschaftlichen Methoden beruhenden Umgang mit der Geschichte lernen sollten. Das können Sie ihnen offensichtlich nicht beibringen.

Aber das waren natürlich nur die ersten Schaumkronen auf der üblichen Gischt der Verurteilung, der Entrüstung, der Indignation, der Erschütterung. Die sich natürlich noch steigerte, als Muschg keinen Grund sah, sich seinerseits zu entschuldigen. Wofür auch?

Eine Übertragung eines Gedankens von Raul Hilberg

Er hat ja lediglich den Gedanken von Raul Hilberg anders formuliert. Hilberg? Alle Frettchen von Sarasin abwärts sollten sich vielleicht kundig machen, wer das war und welches Werk Hilberg hinterlassen hat. Der fasste die Vernichtungslogik der Nazis gegen die Juden so zusammen: Zuerst war: «Ihr dürft nicht so sein, wie ihr seid.» Dann war: «Ihr dürft nicht unter uns sein.» Und schliesslich: «Ihr dürft nicht sein.»

Auf genau diese Ähnlichkeit bei den Vertretern der fanatischen Rechthaberei und der inquistorischen Anmassung, zwischen Gut und Böse, richtig und falsch unterscheiden zu können, hat Muschg hingewiesen. Dass viele dieser Kämpfer für das Gute und gegen das Böse genau die gleichen Methoden verwenden, die sie den «Unmenschen» vorwerfen.

Selbst der Ausdruck «Unmensch» verbreitet schon einen leicht angebräunten Geruch. Aber zu solchen Differenzierungen sind weder ein Professor Unrat, noch andere Tiefflieger fähig. Sie machen also genau das, was Muschg ihnen vorwirft. Anstatt sich mit ihm auseinanderzusetzen, besser noch: mit seinen Überlegungen, verwechseln sie Mensch und Meinung.

Eine Meinungsdebatte wäre: Muschg hat das gesagt; das ist falsch, weil. Muschg hat einen Vergleich mit Auschwitz gezogen. Das geht nicht, weil. So würde, theoretisch, eine intellektuell anspruchsvolle Debatte laufen.

Bereue, Mensch, schäm dich, fordern die modernen Inquisitoren

Aber stattdessen soll sich Muschg in Grund und Boden schämen, hat der Moderator versagt, weil er dem Denker nicht sofort übers Maul gefahren ist, müssen alle sofort das Haupt senken und um Verzeihung bitten. So wie der arme Sünder, wenn ihm die Instrumente gezeigt wurden, sofort alles einräumte. Und bereute.

Nun ist – zum grossen Ingrimm all dieser Kläffer – Muschg nicht irgendwer. Sarasin ist nicht mal ein Irgendwer, er ist einfach ein Titelträger, so wie der Kleiderbügel einen Anzug trägt, aber deswegen nicht zum Herrn wird. Also was tun? Im Gegensatz zu sonstigen Pfeiforgien wird in diesem Fall sehr schnell Ruhe einkehren.

Und wenn es, was ich doch sehr vermute, Muschgs Absicht war, seinen in der kurzatmigen Presse nicht vermittelbaren längeren Gedankengang mit einem Reizwort in die aufgeregte Stratosphäre der sozialen Medien zu schiessen, dann kann man nur gratulieren. So macht man das. Anstatt schon während des Lichterlöschens in der «Sternstunde Philosophie» selbst zu erlöschen – und kein Mensch erinnert sich an irgendwas –, hat der Dichter etwas Bleibendes geschaffen. Gut, nicht für die Ewigkeit, aber bei einer durchschnittlichen Aufmerksamkeitsspanne von 12 bis 30 Sekunden sind 24, eventuell sogar 48 Stunden Präsenz eine grosse Leistung.

Wahnvorstellungen im Nebel

Eines hat der neue «Nebelspalter» schnell geschafft: dass seine Gegner sich lächerlich machen.

Über die Humorfähigkeit von Markus Somm und seiner Internetversion des «Nebelspalter» kann man geteilter Meinung sein. Der bisher einzig richtige Brüller passierte unbeabsichtigt, als der hochwohllöbliche VR-Präsident, grosse Bach-Liebhaber und ganz allgemein kultivierte Mensch aus Versehen in seinem Werbemail zu seinem ersten Artikel als Link auf eine Porno-Webseite verwies.

Die Gegnerschaft machte sich selbst schon zweimal lächerlich. Zum einen, als die «Republik» 55’000 Anschläge darauf verwendete, um zu zeigen, dass Constantin Seibts Sprachdurchfall immer pathologischer wird. Und die Allzweckwaffe aus dem Hause Tamedia lieferte auf Wunsch sein Spezialwerk ab: einen Verriss, völlig ohne Fakten, aber voll von Behauptungen, Unterstellungen und mieser Meinung. So kennt man Andreas Tobler oder seinen Bruder im Geist Philipp Loser. Ein Duo infernale, das das Niveau bei Tamedia noch mehr senkt, als es 78 aufgeregte Frauen können.

Aber das alles verblasst vor der neusten Schmonzette, vor dem nun restlos gelungenen Versuch, sich öffentlich zum Deppen zu machen. Zum Vollidioten. Wie hat der «Nebelspalter» das geschafft? Eigentlich, das muss Markus Somm zugeben, unabsichtlich.

Langsam aufsteigender Antirassismus

Denn, es trug sich Folgendes zu. Der Print-«Nebelspalter» veröffentlichte in seiner Februar-Ausgabe die Karikatur eines bekannten deutschen Karikaturisten. Der arbeitet unter anderem für die taz (das ist die deutsche WoZ, nur täglich), oder für «Die Zeit». An seiner linksliberalen bis linken Haltung gab es bislang nicht den geringsten Zweifel. Bis Somm auf die Idee kam, auf der verzweifelten Suche nach Satire in seiner Ausgabe, diese Karikatur vom Print-Nebelspalter zu übernehmen.

Man muss noch hinzufügen, dass sie damals bei ihrer Veröffentlichung null kritische Reaktionen bewirkte. Null. Die Karikatur blieb die Gleiche, aber der Absender änderte:

Zum Unglück sind die Antirassisten denkscheu.

Was im Print-Nebelspalter ging, geht im Somm-Nebelspalter nicht. Denn plötzlich ist diese Karikatur «rassistisch», «menschenverachtend», «widerlich», in einem Wort, eine «Schande». Nun, schnell erregte Idioten im Internet sind eine unangenehme Begleiterscheinung der Möglichkeit, dass jeder Depp Multiplikatoren für seine Ansichten findet, und seien die noch so hirnlos.

Aber wenn es gegen rechts, gegen Rassismus, also in einem Wort gegen Somm geht, brechen alle Staudämme, die normalerweise nicht völlig verblödete Leute davon abhalten, sich selbstverschuldet in aller Öffentlichkeit so lächerlich zu machen, dass sie eigentlich in ein Sabbatical müssten, hätten sie etwas Ehre im Leib.

Den Shitstormtruppen höseln Intellektuelle hinterher

Das fehlt aber der schreibenden Schmachtlocke Daniel Binswanger ebenso wie ein Rückgrat. Also greift er in die unterste Schublade des Denunzianten und wendet sich an Operation Libero und deren Co-Präsidentin Laura Zimmermann. Die wagt es nämlich, mit Markus Somm vor laufender Kamera verbal die Klinge zu kreuzen. Früher nannte man das Debatte, heute nennt das Binswanger: «Willst Du wirklich widerlichen Rassismus legitimieren Laura?» Kommaschwach, aber meinungsstark behauptet die Fönfrisur, dass es «widerlichen Rassismus» im Nebi gäbe, was ihm aber in der Print-Ausgabe nicht aufgefallen ist.

Vielleicht war er da gerade beim Coiffeur. Und von der absurden Prämisse, einem linken «taz»-Karikaturisten «widerlichen Rassismus» vorzuwerfen, setzt er noch das Stück aus dem Tollhaus drauf, Laura Zimmermann zu unterstellen, sie legitimiere das.

Rapper Knackeboul, der auch vorher nicht durch intellektuelle Glanztaten auffiel, twittert, dass der Nebi jetzt von «Nazis geführt» werde. Wahrscheinlich spekuliert er zu Recht darauf, dass für ihn mildernde Umstände gelten und er deshalb weder für voll, noch ernst genommen wird.

Ein echter Professor Unrat wie von Heinrich Mann

Aber dann gibt es noch den Professor Ratlos Philipp Sarasin. Der hat mit Somm und überhaupt der rechten Presse noch ein persönliches Hühnchen zu rupfen, also zittert und twittert er sofort mit: «Das ist ja echt nicht zu fassen. Was für eine Schande.» Nein, lieber Professor Unrat, die Schande ist, dass ein Flachdenker wie Sie auf Kosten des Steuerzahlers harmlose Studenten mit seiner Unfähigkeit als Geschichtsprofessor quälen darf. Denn was können die von ihm lernen, wo er doch stur behauptet, dass weder die Position, noch die empörte Reaktion des Zeichners, dass das überhaupt nicht rassistisch sei, eine Rolle spiele, das als «nicht relevant» abtischt.

«Mir scheint, das ist eine komplette Schutzbehauptung des Zeichners», donnert er zu Tamedia vom Katheder. Meiner Treu, wenn er seinen Studenten den Beginn des Zweiten Weltkriegs erklären will, sagt er dann auch, «seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen» sei eine Schutzbehauptung gewesen?

Einmal ist keinmal, zweimal ist Rassismus

Ist das zu fassen? Eine Wiederholung einer Karikatur, die zuvor schon im «Nebelspalter» erschien, dessen Chefredaktor sich ebenfalls als Linker outet und keinerlei Rassismus in ihr erkannt hat (ebenso wie alle seine Leser), ist ebenfalls fassungslos über diesen Shitstorm.

Jedem Deppen ist es erlaubt, auch öffentlich zu zeigen, dass er ein Depp ist. Was ist aber davon zu halten, wenn sich gefönte Journalisten und gesalbte Professoren ebenfalls zum Deppen machen? Beim Journalisten müssen das die «Verleger» der «Republik» entscheiden. Bei Professor Sarasin ist es entschieden schwieriger, ihn davon zu überzeugen, dass das Gehalt seiner Lebensgefährtin doch auch für zwei reicht.