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«Blick» im Tal der Beliebigkeit

Wie macht man Boulevard ohne Boulevard?

10 Prozent. Minus. Die Auflage von «Blick» und «Sonntagsblick». Der «Blick» verkauft noch etwas mehr als 80’000 Exemplare. Bei Zahlen gibt es in der «Blick»-Familie nur zwei Varianten. Sie zeigen nach unten – oder bleiben geheim.

Einschaltquote bei «Blick TV»? Sendepause. Erfolg der Bezahlschranke «Blick+»? Geheim. Ein Bild sagt da mehr übers Elend als viele Worte:

Dafür soll im Ernst jemand zahlen? Wenn das «Das Beste» ist, man wagt sich nicht vorzustellen, was dann das Schlechteste von «Blick+» wäre.

Verunglücktes, aber schweineteures Redesign des Logos – eine Übung, die man immer macht, wenn einem nix einfällt; siehe Post, siehe Sunrise.

Ein erfolgreicher Oberchefredaktor: mit nebulöser Begründung in die Zwangsferien geschickt, dann ganz abgesägt. Als Nachfolge ein Duo mit Quotenfrau, die sicher etwas von Sport versteht. Der Chefredaktor des SoBli wirft das Handtuch und wird durch einen Mikrophonständer ersetzt.

Aber das alles könnte man noch zur Not als Begleiterscheinungen einer allgemeinen Medienmisere schönreden. Aber dann hätten wir noch den Inhalt, moderndeutsch Content. Die Marke «Blick» hat Jahrzehnte daran gearbeitet, für Boulevard zu stehen. Für grosse Buchstaben, bunte Bilder, Sex, Crime und Kampagnen. Für Aufreger, für Volkes Stimme, für die Artikulierung all dessen, wozu der Arbeiter, der Angestellte sagt: so ist es, endlich sagt’s mal einer.

«Blick» stand für: wir zeigen’s denen da oben. Wir sagen es einfach und klar. Wir halten im Zweifelsfall den feuchten Finger in den Wind und richten uns danach, was Volkes Stimme so murmelt, um das als Lautsprecher weiterzutransportieren.

Natürlich hatte der «Blick» schon früher, nach den gloriosen Zeiten von Peter Übersax, kleinere Schwächeanfälle. Unvergessen die Einrichtung eines «Feuilletons» für den lesenden Lastwagenfahrer. Dann gab es den Flop «Blick Basel», aber seit der Einfluss des Hausgespensts Frank A. Meyer schwindet, sind solche Merkwürdigkeiten nicht mehr vorgekommen. Der Leser muss nur noch seine wöchentliche Kolumne überblättern.

Viel gravierender ist, dass dem «Blick» der Markenkern zerstört worden ist. Die oberste Verantwortliche mit extrabreiter Visitenkarte, Ladina «Resilienz» Heimgartner, hat es in einem Interview gnadenlos auf den Punkt gebracht:

«Wir nennen es nicht mehr Boulevard. Wir verstehen uns als Newsplattform, die schnell ist und auch komplexe Themen sehr einfach erklären und erläutern kann. Dabei stellen wir immer den Menschen ins Zentrum – das macht uns aus, dafür stehen wir.»

Dazu gebe es hinter der Bezahlschranke viel Service und Ratgeber – obwohl das Internet vor Gratis-Ratgebern geradezu platzt.

Man kann versuchen, aus Twitter X zu machen. Das geht, wenn der Markenkern von Twitter erhalten bleibt. Man kann einen Namen ändern, wenn er verbrannt ist. Aber ein Geschäftsmodell, eine USP, einen Markenkern, durchaus auch ein Erfolgsmodell ohne Not ändern – das ist fatal.

Das verunsichert den Leser und den Inserenten. Ständige Wechsel in der Führungsetage – ohne Erklärungen – verunsichert die Redaktion. Als Leser statt verstanden belehrt werden, statt kritisch die Mächtigen begleiten eine Standleitung zur Regierung haben, statt die Vorteile des Boulevard auszuspielen, kastrierte woke Storys abliefern: das ist alles das Gegenteil von richtig.

Dazu kommt noch Intransparenz. Die Ergebnisse der gross angekündigten Untersuchung gegen den scheibchenweise gekillten Oberchefredaktor Christian Dorer: bleiben geheim. Wie die «Blick»-Familie mit diesem Personal und dieser obersten Verantwortlichen aus der Abwärtsspirale herausfinden will: geheim. Wie der «Blick» weiterhin erfühlen will, was in der Bevölkerung so vorgeht, nachdem fast alle lokalen Korrespondenten und altgedienten Boulevard-Journalisten entsorgt und durch Kindersoldaten im Newsroom ersetzt wurden: unbekannt.

Wie ein Ein-Man-Investigativteam mit einem Journalisten, der über seine eigenen Füsse stolpert, Skandale aufdecken und Aufreger produzieren will: nicht nachvollziehbar. Weinwissen und Tipps für Hobbygärtner, keine Sex-Beratung mehr, inzwischen berichtet selbst der Tagi boulevardesker als der «Blick»: das ist Desaster mit Ansage. Weiblich, grün und lieb – statt männlich, kantig und böse: den «Blick» so zu enteiern, das macht ihn zum Eunuchen. Zum Zombie. Zum komatösen Patienten auf der Intensivstation. Bis dann jemand die Geräte abschaltet.

Gute Vorsätze, Teil 1 «Blick»

Eine kleine Serie, wir starten mit dem Organ mit der Regenrinne im Logo.

Vielleicht ist ein Wunder geschehen, wahrscheinlicher ist aber ein Unfall in der Selbstzensur. Denn der «Blick», das einzige Boulevardblatt der Welt ohne Boulevard, scheint sich an alte Tugenden zu erinnern:

Sex sells, so ist das nunmal. Auch wenn die Themen nicht gerade taufrisch sind.

Doppelt gemoppelt hält besser:

Wenn wir den Begriff «Büsi» (wie in Busen, Blut, Büsis) weit fassen, kann man das hier gelten lassen:

Dann fehlt ja nur noch Blut, plus politisch unkorrekt. Wird geliefert:

«Jung, männlich, Migranten». Besser hätte das der Schweizer Urvater des Krachbum-Boulevards, Peter Übersax, auch nicht hingekriegt.

Will sich der «Blick» also wieder auf sein Erfolgsrezept zurückbesinnen? Mal schauen, wie lange dieser gute Vorsatz hinhält …

PS: Erste Zweifel sind erlaubt. Nachdem die Chefetage ihren Silvesterrausch ausgeschlafen hatte, griff sie schon mal leicht korrigierend in diese Titelschlagzeile ein:

Was einer aufmerksamen ZACKBUM– und «Blick»-Leserin nicht entgangen ist …

PPS: Inzwischen sind wir bei der dritten Version der Schlagzeile angelangt, endlich wieder politisch völlig korrekt: «Böller auf Polizisten geschossen, Rettungskräfte mit Feuerlöscher angegriffen. Silvester-Mob sorgte für Randale in Deutschland».

Kleine Quizfrage für Schlaumeier: welches Wort fehlt nun völlig? Nein, nicht «Eier» …