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Peinlich oberhalb jeder Schmerzgrenze

Der Herr links hat endlich den Titel für all seine Ergüsse gefunden. Die Dame rechts, au weia.

Der Herr links hat das wohlerarbeitete Privileg, dass ZACKBUM ihn ignoriert. Dabei ist er – trotz allen Anstrengungen – nie so peinlich geworden wie Katja Früh.

Tochter eines berühmten Vaters zu sein, das ist für das «Magazin» eine ausreichende Qualifikation für eine Kolumne. Hatten wir schon mal, aber Früh schlägt alles und alle.

Dass Autoren die Welt durch ihren Bauchnabel betrachten, Ergebnisse ihrer Darmperistaltik gerne mit allen teilen, das ist nichts Neues. Dass Ereignisse für sie nur eine Bedeutung bekommen, wenn sie an ihren dürren intellektuellen und schreiberischen Fähigkeiten gespiegelt werden – auch nichts Neues.

Also ist es eigentlich nicht überraschend, dass Früh zwar spät, aber immerhin noch den Tod von Peter Bichsel dafür missbraucht, über sich selbst zu schreiben.

Ihre geheuchelte Trauerarbeit beginnt sie so: «Ich habe einmal, vor langer, langer Zeit, einen Brief von Peter Bichsel bekommen. Ich von ihm!» Unglaublich, was dieser Bichsel alles gemacht hat. Ähm, was genau? «Er lobte mich darin.» Das hätte er wohl nicht getan, wenn er gewusst hätte, dass Früh das für eine Leichenfledderei verwendet.

Lieber spät als nie, also nimmt Früh am 12. April zur Kenntnis, dass Bichsel am 15. März gestorben ist: «Und jetzt ist Peter Bichsel tot. Das hat mich aufgewühlt und beschäftigt.» Aber, viel wichtiger als sein Tod: nun sucht Früh nach diesem Brief.

Da dürfen wir ganz genau hinschauen: «ich mache sorgfältig Häufchen, einige Briefe, sogar aus der Kindheit, fesseln mich und ich vergesse fast, was ich eigentlich suche.» Hallo, Sie suchen den Brief von Bichsel …

Aber dieser Hinweis ist ganz falsch, denn:

«Ich fühle mich unter Druck. Ich muss diesen Brief finden. Ich muss noch einmal Bichsels Handschrift sehen, seine Wörter, die an mich gerichtet sind, fühlen.»

Etwas viel fühlen hintereinander, aber niemand ist zum Schriftsteller geboren, nicht wahr.

Schon wieder geht Bichsel vergessen, denn Früh möchte alle ihre Fundstücke vor dem armen Leser ausbreiten: «Finde verrücktes Zeug, wie diesen ein Jahr lang dauernden täglichen Briefwechsel zwischen einem alten Schauspieler und meinem jungen Ich, wunderschöne Zeichnungen von meiner Grossmutter, Gedichte von meinem Vater, Liebesbriefe von ihm an meine Mutter, Kinderzeichnungen, eigene Tagebücher, die ich längst hätte entsorgen sollen, weil sie wahrscheinlich an Peinlichkeit nicht zu überbieten sind. Ich schaue jedenfalls lieber nicht rein.»

Der Leser atmet auf, wenigstens das bleibt ihm erspart.

Aber, oh je, der Platz ist dann mal alle, eine Schlusspointe muss her: «Irgendwann gebe ich weinend auf, beende die Suche, sage mir aber: Wir alle haben Peter Bichsel verloren, ich nur diesen Brief.» Ach, also ist ihr der Verlust Bichsels weniger wichtig als der verlorengegangene Brief. Nebenbei: gab es den überhaupt?

Sehr verehrte Frau Früh, wir glauben Ihnen nicht, dass Sie geweint haben. Wir sind aber sicher, dass viele Leser vor Schmerz und Qual geweint haben, weil sie diese unwürdige Selbstentblössung lesen mussten, hereingelegt durch den Titel, dass es hier um Bichsel gehe. Dabei geht es nur um Früh, Früh, und Früh. Aber so, dass man peinlich berührt vor so viel Egoshooter sich fragt, wieso denn niemand die Dame vor sich selbst schützt.

Oder die Leser vor ihr.

Peter Bichsel †

De mortuis nihil nisi bene.

Für alle, die am grossen oder kleinen Latinum gescheitert sind: über Tote nichts sagen oder nur Gutes. Das geht bei ZACKBUM natürlich nicht.

Peter Bichsel (1935 – 2025) ist kurz vor seinem 90. Geburtstag gestorben. Das Feuilleton überschlägt sich mit ergriffenen Nachrufen auf den angeblich so grossen, genauen, immer das Einfache suchenden Schriftsteller. Der konnte so präzise dem Alltag auf die Spur kommen, verdichtete zum Gültigen, Blabla.

Mein Freund Hugo Loetscher nannte das, was Bichsel schrieb, Literatur in kurzen Hosen. Das trifft es haargenau. Wenn ein Primarlehrer zu schriftstellern beginnt und versucht, das Aufsatzniveau seiner Schüler zu treffen, dann kommt Bichsel raus. Frau Blum und der Milchmann und 100 Gramm Butter und der Austausch per Zettel. Schon damals geriet das Feuilleton gleich in Wallungen, selbst Marcel Reich-Ranicki bewies, dass auch er nicht unfehlbar ist, und lobte über den grünen Klee.

Einfache Begrifflichkeit löst Ergriffenheit aus. Wenn dann noch die Gesinnung stimmt (eher links, kritisch, aber nicht radikal), dann übersieht das Feuilleton gerne, dass Banales, banal formuliert, überraschenderweise banal bleibt. Solche Irrtümer gibt es immer wieder; aktuelles Beispiel ist der Sprachmalträtierer Lukas Bärfuss, der keinen geraden Satz hinkriegt, aber dank richtiger Gesinnung sogar den Büchner-Preis kriegte. Das hat der geniale Revolutionär und Dichter wirklich nicht verdient, das ist reiner Missbrauch.

Zudem sei Bichsel so bescheiden und zurückhaltend gewesen, wird gelobt. Dabei wusste er als einer der Ersten, wie man aus sich eine Marke macht. Die ewig gleiche übergrosse runde Brille, das blau gestreifte Hemd, das Gilet. In der Beiz am Tisch, vor sich ein Glas Roter. Später dann der Gag, dass Wasser im Glas war. Das nennt man Inszenierung, das nennt man Wiedererkennungswert.

Davon haben dann Gebrauchsschriftsteller wie Martin Suter einiges abgeguckt. Immer Anzug und Krawatte, immer die nach hinten gegelten Haare, der bekümmerte Blick. Natürlich auch Bärfuss, immer der grimmige Blick, die unter allem Unrecht der Welt leidende Miene, niemals lächeln. Die Form ist alles, der Inhalt nebensächlich.

So war es auch bei Bichsel. Hand aufs Herz, wer kann den Inhalt irgend einer seiner vielen Kurzgeschichten aus dem Stegreif wiedergeben? Wer erinnert sich noch, was in «Des Schweizer Schweiz» steht? «Für Schweizer gibt es zwei Welten. Das Inland und das Ausland.» Welch angestaubte Banalität, die sich als einfache Tiefe ausgibt. Wer das zitiert, würgt damit jedes muntere Tischgespräch ab.

Eins muss man Bichsel lassen: schon vor Harald Schmidt erhob er das Interview zur Kunstform. Gab verblüffende Antworten auf Fragen, die nicht gestellt wurden. «Ich weiss, dass es keinen Gott gibt, aber ich glaube an ihn.» Wow. Inzwischen dürfte er herausgefunden haben, ob sein Wissen oder sein Glauben zutrifft.

Brachial-Scherze mit Donghi

Nein, Brachial-Scherze über Donghi und unter jeder Sau.

Ich weiss nicht, was ein Freund von mir plötzlich gegen mich hat. Er empfahl mir, bei «Deville Late Night» reinzuschauen. Seither sinne ich auf Rache.

Es gab eine Spezialsendung über Olten, von der ich mir aber nur eine Stunde antat. Oh, es waren nur 10 Minuten über Literatur in Olten? Das kam mir aber wie ein ganzer TV-Abend vor, nur kann man nicht einschlafen, weil es einem ständig die Fussnägel hochrollt. So schmerzhaft sind die angetäuschten Scherz-Versuche.

Also wenn SRF irgendwo Sparpotenzial hat, dann bei dieser Sendung, bei der sich alle Late-Night-Talker höchstpersönlich darüber beschweren müssten, dass man mit diesem Namen Schindluder treibt.

Lacher aus der Konserve oder aus dem Grab?

Was ist von einer Sendung zu halten, bei der gelegentlich lachende Zuschauer ohne Distanz oder Mundschutz eingespielt werden? Abgesehen davon, dass sie entweder unter Lachgas gesetzt oder mit üblen Drohungen zum Lachen gezwungen wurden: Es ist offensichtlich eine Konserve. Was die Frage aufkommen lässt: Leben alle diese Zwangsverpflichteten noch?

Deville beginnt sein einstündiges, Pardon, zehnminütiges Stück über Oltener Literatur mit einer obligaten Fotografie von Peter Bichsel. Weil ihm zu dem nichts einfällt, schwenkt er gleich zu Pedro Lenz. Aber «das ist nicht wirklich ein Autor», mokiert sich Deville, «also er schreibt Bücher, ja.»

Näher kommt der Leid-Nacht-Quäler einer Selbstcharakterisierung nie mehr. Er sendet, aber er ist weder ein Comedian, noch ist er lustig. Was ein zweites Indiz dafür ist, dass die eingespielten Lacher und Klatscher aus der Konserve kommen.

Witze im Sauerstoffzelt

Mit einem Geschick, von dem sich Harald Schmidt noch eine Scheibe abschneiden könnte, legt Deville bereits die Schlusspointe an. Denn in Olten gibt es einen Dichterpfad mit vielen Stationen. Auch dazu fällt ihm eigentlich nicht wirklich was ein, also nähert er sich dem Höhepunkt des Flachsinns.

Er kündigt den meistgelesenen Oltener Autor an. Trommelwirbel: Das sei nämlich der «Blick»-Reporter Ralph Donghi. Der grösste «Witwenschüttler» der Schweiz. Der Begriff ist schon so alt, dass er im Sauerstoffzelt auf die Bühne getragen werden muss.

Dann zündet Deville, hat er wohl der «heute show» abgeguckt, ein Feuerwerk der Wortscherze über Donghi. Der sei nicht der Batman, sondern der Bad Man von Ringier. Oder eher, Vorsicht, an die Plomben denken und nicht mit den Zähnen knirschen, er sei der Donghi-Kong. Damit Deville nicht rufen muss: «Scherz, komm heraus, du bist umzingelt», haben ihm ein paar arme SRF-Illustratoren launige Fotomontagen dafür gebastelt.

Müllentsorgung vor laufender Kamera

Die sind allerdings so künstlerisch wertvoll wie Devilles Scherze, die schon längst ihr Haltbarkeitsdatum überschritten haben. Das meint man durch den Bildschirm hindurch zu riechen.

Apropos unappetitlich, irgendeiner muss Deville mal erzählt haben, dass einige Nacht-Talker auch ihr Personal einbeziehen. Also fragt Deville eine Mitarbeiterin, für die wir nur hoffen können, dass das Schmerzensgeld astronomisch ist, wo sie denn auf diesem Dichterpfad mit Stationen den richtigen Platz für Donghi sähe.

Sie überlegt einen Moment, allerdings wohl, ob sie wirklich diese schale Pointe raushauen muss, und sagt dann tapfer: irgendwo bei einer Station für Müllentsorgung. Und ein Monstergag zum Schluss, da fährt die Kamera doch tatsächlich auf ein Oltener Stationsschildchen an einem Altglascontainer mit dem Namen Ralph Donghi drauf.

Dagegen ist knisterndes Kaminfeuer im TV lustiger

Wenn man sich fassungslos fragt, wie Deville denn ausgerechnet auf diesen Donghi gekommen ist; einfache Antwort: Der Schweiz-Teil der deutschen «Zeit» hatte sich vor Kurzem kritisch über die Recherchiermethoden des Boulevard-Journalisten geäussert.

Glücklicherweise sind Venezuela und Kuba gerade in die Uno-Menschenrechtskommission gewählt worden. Diese beiden Länder werden Verständnis dafür haben, wenn ich mich vor diesem Gremium beschwere; das war eine Stunde Folter am Stück.

Anschliessend suchte ich ein Programm, das zu später Stunde mit dem Abfilmen eines knisternden Kaminfeuers unterhält. Ich habe mich ertappt, wie ich mehrfach schenkelklopfend laut lachte, so erholsam und lustig war das im Vergleich zur Debil Horror Show von Deville.