Kann man peinlich steigern? Simon Bärtschi versucht’s.
Die ehemalige kommunistische Parteizeitung «Prawda» machte im Verlauf der Jahre ihrem Namen («Wahrheit») immer weniger Ehre. Schönschreiben, hochschreiben, lügen, Triumphe vermelden, wo es Niederlagen gab. So begleitete sie die Sowjetunion in den Untergang.
Der «Leiter Publizistik Tamedia, Mitglied der Geschäftsleitung» Simon Bärtschi hat die zweifelhafte Ehre, das neuerliche grosse Rausschmeissen und Einsparen zu erklären. «Liebe Leserin, lieber Leser», beginnt er schleimig, was ich Ihnen hier erzähle, ist die reine Verarsche, peinliches Gedöns, unerträgliches Schönfärben, zum Fremdschämen, macht ein Gefühl wie kreischende Kreide auf der Wandtafel, wie das Beissen in ein nasses Handtuch.
Das wäre wenigstens eine ehrliche Einleitung gewesen, aber natürlich schreibt Bärtschi das nicht. Sondern fabuliert schon im Titel:

Hier stimmt nun schlichtweg kein einziges Wort. «In eigener Sache», nein, in der Sache der geldgierigen Aktionäre von TX müsste er hier schreiben. Das ist keine Weichenstellung, sondern das Wüten mit der Abrissbirne. Unabhängig ist der Journalismus schon lange nicht mehr, und wo versteckt sich denn bei den Erzeugnissen aus der Werdstrasse die Qualität? Wer hat sie rennen gesehen? Bitte sofort bei ZACKBUM melden.
Auch die Unterzeile stimmt mit keinem Wort. Es gibt keinen «grundlegenden Umbruch in der Medienbranche». Es gibt, wie von der Droschke zum Automobil, von der Dampflock zur Elektrolok, eine seit vielen Jahren bekannte Veränderung. Oder will jemand das Internet im Jahr 2024 als «grundlegenden Umbruch» verkaufen? Und was heisst «Bündelung seiner Kräfte»? Was ist an einer Massenentlassung bündeln?
23 Wörter insgesamt, immerhin orthografisch und syntaktisch alle richtig gesetzt. Aber inhaltlich (abgesehen von ein paar Artikeln, Präpositionen und Pronomen) allesamt falsch. Hohl. Dazu noch offenkundig unwahr. Wie wenn die «Prawda» eine neue Planerfüllung und Überproduktion an Schuhen verkündete, während jeder Leser wusste, dass die Schuhregale leer sind.
Im Lauftext wird es nicht besser. «Tamedia, die auch diese Publikation herausgibt, hat unter der Führung von CEO Jessica Peppel-Schulz eine neue Strategie entwickelt.» Eine neue Strategie? Was war denn die alte? Und wo sieht man eine Führung des CEO?
Wie sieht denn die neue Strategie aus? «Das Medienunternehmen fokussiert künftig auf starke digitale Marken, das bestehende Print-Portfolio wird weitergeführt.» War das nicht schon die alte Strategie unter Chefstratege Mathias Müller von Blumencron? Hat man beim alten Dampfplauderer einfach ein paar PPP-Folien abgestaubt, rezykliert und mit neuem Datum versehen? Dieses dumme Gequatsche hörte man doch auch schon von ihm.
Man muss nur eine kleine Zeitreise in den März 2023 unternehmen, und schon hat mein ein Déjà-vu vom Feinsten.
Da hat sich Bärtschi offenbar kräftig bedient: «Der Qualitätsjournalismus ist und bleibt unser Kerngeschäft. Er ist für unsere direkte Demokratie von zentraler Bedeutung und trägt wesentlich zu einer freiheitlichen Gesellschaft in unserem Land bei.» Bullshit ist eigentlich zu schwach dafür. Dabei kann er sich noch steigern:
«Die Qualität steht für uns zuoberst. Umfassende Recherchen, Porträts und Reportagen, interaktive Karten, Ticker zu relevanten Ereignissen, präzise Einordnungen der politischen Aktualität auf allen Ebenen sowie praktischer Service machen unsere Angebote einzigartig. Diese wollen wir laufend ausbauen.»
Ausbauen mit Abbauen? Da lachen ja die Hühner, und der Hahn kriegt einen Schluckauf. Aber Bärtschi kennt keine Gnade und legt noch eine Münchhausen-Nummer drauf:
«Dabei werden wir unsere journalistische Kraft noch besser zusammenführen und uns in den Redaktionen auch noch mehr Gedanken dazu machen, welche Art von Journalismus Sie von uns eigentlich erwarten. Alle Titel und Redaktionen bleiben dem Journalismus mit hohen Standards verpflichtet. Glaubwürdigkeit, Relevanz, Wahrhaftigkeit und Fairness sind die Pfeiler unserer Publizistik.»
Noch besser, noch mehr, Grundpfeiler. Und erst noch mit viel weniger Personal. Dass Jesus übers Wasser lief, das ist ein Dreck gegen dieses Wunder an der Werdstrasse.
Aber wodurch wurde denn dieses Wunder nötig? Nun, es ist unerwartet, aus heiterem Himmel, eigentlich erst vorgestern was Fundamentales passiert: «Sie fragen sich vielleicht, wieso es diese neue Strategie braucht. Der Grund ist der Umbruch in der Medienbranche. Die Nutzung hat sich durch Smartphones und Social Media rapide verändert.»
Nein, das fragt sich niemand. Aber jeder fragt sich, wieso Tamedia bis heute noch nichts eingefallen ist, wie man der Digitalisierung und dem Internet begegnen könnte – so nach 3o Jahren Existenz. Vielleicht hat sich das noch nicht bis in die Geschäftsleitung von Tamedia rumgesprochen, aber das Internet gibt es seit 1993. Echt wahr.
Wenn schon, ist bei Tamedia Fundamentales passiert. Die Werbeeinnahmen aus dem Stellen-Anzeiger, aus dem Automarkt, dem Wohnungsmarkt, aus Verkaufsinseraten sind dem Tagi weggenommen worden, der sie grossmachte. Und als eigenes Profitcenter ausgelagert, während Tamedia jetzt ohne diese Einnahmen 8 Prozent Profit machen soll. Mission impossible.
Zum Schluss wagt Bärtschi noch einen Knaller, über den schallend gelacht werden kann. Bloss die Abonnenten überläuft dabei ein Schauer kalter Wut, dass sie dermassen unverfroren verarscht werden: «Unser Anspruch bleibt hoch: Wir wollen Sie täglich mit unabhängigem, neugierigem und inspirierendem Journalismus versorgen.»
Ob da die Umfrage dazugehört «Wie oft haben Sie Sex, und wie zufrieden sind Sie damit?»? Von den Qualitätsjournalisten Marc «Corona-Kreische» Brupbacher und Sebastian Broschinski. Oder «Märtha Louises Zukünftiger sieht sich als Reptiloid und Wiedergeburt des Pharao» von der Qualitätsjournalistin Alexandra Kedves?
Allerdings, ein Körnchen Wahrheit steckt hier drin. Der Anspruch mag vielleicht vorhanden sein …