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Darf man das?

Korrekt ist, wenn’s gegen die Unkorrekten geht. Auch unkorrekt.

Darf man Andrea Stauffacher (71), lebenslängliche Revolutionärin, «Krawall-Grosi» nennen? Das Blatt mit dem Regenrohr im Titel meint: ja.

«Es ist zwar überzogen, wenn die FPÖ zetert: «Österreich ist ab heute eine Diktatur!», aber immerhin weniger absurd, als wenn die SVP in der Schweiz davon schwafelt.» Patrik Müller von CH Media im Einsatz gegen Schwafler. Nur: schwafelt die SVP von Diktatur? Mit Ueli Maurer als Mitdiktator?

Ist die Weste des Knaben blutrot?

Die Leihgabe der Bührle Stiftung habe «sich nicht nur zum grössten PR-Desaster des Kunsthauses entwickelt, sondern erweist sich in Anbetracht der heftigen Gegenwehr von Historikerinnen und Kunsthistorikern auch als kolossaler strategischer Fehler. Die Verantwortung dafür tragen sowohl die Stadt- und Kantonsregierung, also Corine Mauch und Jacqueline Fehr, als auch der Direktor des Kunsthauses Christoph Becker und der inzwischen zurückgetretene Präsident der Kunstgesellschaft Walter Kielholz».

Darf man so auf die mitgefeierte Eröffnung des Neubaus eindreschen, wobei gleich noch das hier nachgeschoben werden musste: «Korrektur: Im obigen Beitrag wurde ausgeführt …» Will Tamedia, dass die wohl bedeutendste Sammlung impressionistischer Kunst den gleichen Weg geht wie diejenige des Schweizers Thyssen-Bornemiza, an der sich Madrid erfreut?

Darf man ausserhalb einer Skipiste dermassen Slalom fahren, wie es die NZZ tut? «Die Leihgabe der Stiftung Bührle ans Kunsthaus ist eben nicht nur ein Geschenk, sondern auch eine Verpflichtung. Für beide Seiten.» Das ist wohl wahr, aber kann man gleichzeitig bestätigen, dass Leihverträge vertraulich sind, hier aber Transparenz fordern? Nur dem Glauben schenken, was man schwarz auf weiss sehe, aber Behauptungen der «Republik» kolportieren, die noch nie selbstrecherchierte Vorwürfe erhob, die auch Bestand hatten?

Kann es sein, dass CH Media einen Artikel von Florian Schmidt-Gabain veröffentlicht und immerhin erklärt, dass der Anwalt mit seiner Kandidatur für das Präsidium des Kunsthauses scheiterte. Aber der darf unwidersprochen die alte Story eines Bildverkaufs von Max Emden an Bührle aufwärmen. Obwohl der Anwalt die Position der Bührle Stiftung kennen muss:

«Die Stiftung hat der Familie Emden 2012 die Ergebnisse ihrer Nachforschungen bei einem Gespräch in Zürich präsentiert und sie um eine Stellungnahme ersucht. Die ist bis heute nicht eingetroffen

Darf man das dem Leser vorenthalten?

Bibber, schlotter

Könnte das Undenkbare passieren? Ein Referendum angenommen werden? Jaul.

Zuerst war Geschimpfe gegen Covid-Leugner, Massnahmen-Skeptiker und andere Idioten. Antidemokraten wie der SoZ-Politchef Denis von Burg forderten beherztes Durchgreifen und Zwangsmassnahmen gegen Impfverweigerer, diese fahrlässigen Gesellen.

Dann gab’s Geheul, als ein Harvard-Professor mit grösserem wissenschaftlichen Aufwand belegte, dass es keine signifikante Korrelation zwischen Anzahl Geimpfter und Neuinfektionen gibt. Also viele Geimpfte bedeutet überhaupt nicht wenig Neuansteckungen.

Aber inzwischen werden die Kommentatoren etwas bleich um die Nasenspitze. Könnte es denn etwa sein, dass das Referendum gegen das Covid-Gesetz am 28. November angenommen wird?

Patrik Müller, Oberchefredaktor bei CH Media, macht sich ernsthaft Sorgen:

«Zertifikats-Befürworter unterschätzen den Widerstand: Wenn sie nicht aufwachen, droht ein Volks-Nein»

«Weckruf, in Sicherheit wiegen, Wirtschaftsverbände schlafen weiter», Müllers Blick ist düster umwölkt. Denn: «Die Demonstration am Samstag in Bern war grösser als vermutet, und es marschierten nicht nur Trychler und die erwartbaren Skeptikergruppen mit, sondern auch Linke.»

«Erwartbare Skeptikergruppen», was für eine gewundene Umschreibung von «übliche Idioten». Sollten sich hier wohl wieder rechte und linke Fäuste vereinen und die von der SRG gemessene Zustimmung von über 60 Prozent zum Gesetz kurz und klein schlagen?

Über diese Seufzerbrücke musst du gehen.

Mit liberaler Gelassenheits sieht’s (noch) die NZZ: «Pflegeinitiative und Covid-19-Gesetz sind auf Ja-Kurs». Allerdings erteilt das Forumsblatt auch einem Professor für öffentliches Recht an der Uni Zürich als Gastkommentator das Wort:

Verfassungswidriges Vorhaben: starker Tobak vom Professor.

Aber eigentlich schlottert die Medienbranche aus einem ganz anderen Grund. Es gibt da noch ein zweites Referendum, das ihr viel mehr Kopfschmerzen verursacht als die Möglichkeit, dass das Covid-Gesetz bachab geschickt wird. Ausser für ein paar Corona-Kreischen ist das eigentlich nicht so das Thema. Denn auch die Medien verfolgen hier das Geschehen eher schlapp. Hoffen natürlich auf einen Inserateschub durch zahlungskräftige Befürworter des Gesetzes. Das ist der tiefere Grund fürs Gejammer.

Zur Sache geht es beim Referendum gegen die Steuermilliarde für Medienclans

Aber das Halszäpfchen beim Jammern sieht man, wenn’s um das Referendum gegen die zusätzliche Steuermilliarde für reiche Verlegerclans geht. Auch da sieht Müller inzwischen dunkelgrau:

««Jetzt haben wir den Salat»: Alle bürgerlichen Parteichefs bekämpfen das Mediengesetz»

Hoppla. Auch hier ist die Lage parteipolitisch unübersichtlich: «Ausgerechnet SP-Co-Präsident Cédric Wermuth, der die privaten Verlage gern kritisiert, weibelt für ein Ja. Kann das gutgehen?»

Nun, wenn Wermuth weibelt, geht’s meistens nicht gut, das weiss auch Müller. Er setzt mal auf Pfeifen im Wald, gegen die Angst: «Die Verleger sagen, sie würden an ein Volks-Ja glauben.»

Das Problem der Befürworter, muss Müller einräumen, ist ein gravierendes: «In der Sendung «Medientalk» von Radio SRF warben Andrea Fopp von Bajour.ch, Urs P. Gasche von Infosperber.ch und Beat Glogger von Higgs.ch für das Medienpaket, nicht ohne wiederholt zu betonen, dass sie sich daran stören, dass die grossen Verlage am meisten Geld erhalten würden, «die dann wie Supino auch noch Dividenden ausschüttet», wie Fopp sagte. Auch sie sprach von Wesen eines Kompromisses und «vielen Nachteilen»».

Publizisten im Sold von Multimillionären wäffeln gegen Multimillionäre

Damit aber nicht genug. Tiefflieger wie Hansi Voigt sind auch für die Medienmilliarde; er beschimpfte die Gegner schon mal als «Freund:innen des Faschismus». Um dann zurückzurudern, er sei absichtlich missverstanden worden, er habe nicht alle gemeint, dann löschte er vorsichtshalber seine Rüpelei. Wer solche Kampfgefährten hat, braucht eigentlich keine Feinde.

In der gleichen Flughöhe bewegt sich Andrea Fopp von «bajour.ch»: «Wenn wir aus diesen Gründen Nein sagen, dann haben wir am Ende gar keine Lokalmedien mehr. Oder nur noch solche, die von irgendwelchen Milliardären bezahlt werden.»

Genau wie bei den 50 Nasen der «Republik» ist das Problem, dass sich Fopp selbst von einer Milliardärin aushalten lässt. Beim Rettungsblatt der Demokratie handelt es sich immerhin nur um Mulitmillionäre, das ist dann was anderes.

Schwache Befürworter, starke Gegner

Das Mediengesetz hat also eine ganze Phalanx von Gegnern. Einen bedeutenden Teil der Bevölkerung, der nicht einsieht, wieso man Versäumnisse der Medienhäuser, die lieber ihre Eigentümer mit Geld zuschütteten, als dringend nötige Investitionen in Digitalisierung und Content zu machen, nun mit Steuergeldern diese «Transformation» schenken soll.

Alle, die das Todeslied über Lokalmedien singen, sollten die nicht Staatsknete kriegen, singen dran vorbei, dass – genau deshalb nicht genau ausgewiesen – wohl über 70 Prozent in den Taschen der grossen Drei landen würden; für Lokalblättchen blieben dann nur noch Krumen übrig.

Inzwischen sind sämtliche bürgerlichen Parteien – aus durchaus unterschiedlichen Gründen – gegen das Gesetz, dem sie zuvor zustimmten.

Schliesslich hat die Medienmilliarde eine ganze Reihe von Befürwortern, die sich die Gegner nicht schöner schnitzen oder wünschen könnten. Vehemente Kritiker von Monopolmedien wie Wermuth werden plötzlich zu deren besten Freunden; Vollpfosten krähen gegen die angebliche Finanzierung von Lokalblättern durch – natürlich rechte –Milliardäre. Damit meinen sie immer nur einen, den Gottseibeiuns aus Herrliberg.

Richtig putzig wird das, wenn diese Schreihälse selber vom Portemonnaie von reichen Mäzenen leben. Der Gipfel an Blödheit ist wohl hier erreicht:

«Rechtspopulisten und ihre Financiers greifen nach der politischen Macht. Nicht nur in den USA, wo Trump und Foxnews die Demokratie fast zum Einsturz gebracht haben. Auch in der Schweiz geben vermögende Freunde des Populismus inzwischen verschiedentlich Medien heraus, die aber grösstenteils gar nicht erst versuchen, nach journalistischen Kriterien zu berichten.»

Das ist allerdings sehr wahr, wenn man sich «bajour», «Republik», «Saiten», «Megafon» und Konsorten anschaut, die – gesponsort von Multimillionären oder nicht – nur gelegentlich versuchen, journalistischen Kriterien zu genügen – wie beispielsweise einem Angepinkelten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Der Stimmbürger ist vielleicht nicht der Hellste, aber …

Was all diese Tiefflieger übersehen: Die Bevölkerung ist vielleicht nicht die Hellste und auch nicht bis ins Detail über Medienförderung informiert. Aber solche Dummheiten lösen immer den gleichen Reflex aus: die Antwort ist nein. Was war schon wieder die Frage?

Voigt läuft ausser Konkurrenz, aber wie SP-Co-Chef Wermuth seinen Genossen erklären will, dass er plötzlich für milde Gaben Richtung Coninx-Supino, Wanner und Ringier ist, damit die genügend Sprit für Privatjets, Yachten und Wagenflotten haben, wir sind gespannt.

Wieso Steuergelder in Konzerne geschüttet werden sollen, die trotz Riesengejammer auch in Coronazeiten nette operative Gewinne machten? Wieso die schon gesprochenen Sondersubventionen nicht ausreichen? Wieso staatsabhängige Medien staatskritisch bleiben könnten? Alles Fragen ohne gute Anworten.

Keiner zu klein, Kommentator zu sein

Inhalt war gestern. Einordnende Analyse, fakenbasiert, war vorgestern. Heute ist Meinung.

Freier Journalist? Die wenigen noch frei herumlaufenden Exemplare sollte man unter Artenschutz stellen. Festangestellter Journalist? Selbst beim Zwangsgebührenbetrieb SRG ist das keine feste Sicherheit bis zur Pensionierung mehr.

Ganz zu schweigen von den privaten Medienkonzernen. Als Manager ist man (noch) sicher, unabhängig davon, wie viele Fehlentscheide man trifft oder wie viel Geld man verröstet. Unabhängig davon, dass einem seit vielen Jahren nichts einfällt, wie man mit dem Internet umgehen könnte, ohne sich von Google, Facebook & Co. die Butter vom Brot nehmen zu lassen und nur ein paar Krümel aufzusaugen.

Blick auf die Teppichetage eines Medienkonzerns.

Ausser gelegentlich mit staatstragenden Kommentaren um Staatshilfe zu betteln. Denn die exorbitanten Gehälter wollen ja finanziert sein. Aber das ist ja das Fettauge auf der faden Suppe des modernen Journalimus. Steigen wir ein paar Etagen hinunter. Dort, wo die überlebenden Journalisten mit angezogenen Ellenbogen (sonst hat ihn der Nachbar im Auge) ihr Tagewerk verrichten.

Meistens eher freudlos. Denn das meiste, was den Beruf früher attraktiv und spannend machte, ist im Früher zurückgeblieben. Rausgehen, Feldforschung? Ach ja, schön wär’s. Zeit für vertiefte Recherche haben? Ja, ja, das waren noch Zeiten. Beim Widerstreit der Meinungen mitboxen? Tja, als noch gestritten wurde, weil es am Platz mehr als eine Monopolzeitung gab.

Das Karussell hat nur noch wenige Pferdchen im Journalismus

Ab einem gewissen Punkt sagen: das trage ich nicht mehr mit, ich gehe zur Konkurrenz? Tja, von Ringier zu Tamedia, zu CH Media – und wieder zurück. Da ist nicht mehr wirklich Auswahl. Von NZZ und «Weltwoche» träumen viele, dorthin schaffen es aber nur wenige. Schliesslich bliebe noch SRF, aber seit Nathalie Wappler dort wappelt, auch keine wirkliche Alternative mehr.

Gibt es denn keinen Lichtblick, keinen Trost, versüsst nichts den bitteren Alltag, hilft nur schönsaufen, bis die Leber den Regenschirm aufspannt?

Fast. Ein Ventil gibt es: den Kommentar. Der Redaktor zeigt’s allen. Sagt, wo’s langgehen sollte. Kritisiert, lobt, jammert, gibt seinen Senf zum Weltgeschehen. Sonnt sich im Gefühl, dass er dadurch ganz bedeutend wird. Biden, Putin, China, Venezuela, ganz Afrika; ein strenger Verweis, und schon geht man dort in sich, bereut, ändert den Kurs. Die Welt ist wieder ein Stückchen besser geworden.

So stellt’s sich der Redaktor gerne vor, der Traumtänzer. Nehmen wir als konkretes Beispiel das St. Galler «Tagblatt». Einstmals nicht der journalistische Nabel der Schweiz, aber doch eine anerkannte Stimme aus der zweiten Liga. Wie schaut’s denn dort heute mit den Kommentaren aus?

Wir profitieren zudem davon, dass Pascal Hollenstein, die publizistische Leiter nach unten bei CH Media, gerade mal wieder Pause macht. Wir hoffen, bis mindestens im Spätherbst. Aber seine Lücke füllen andere. Fokussieren wir einen zufällig gewählten Zustand der Kommentare beim «Tagblatt».

Das sind längst nicht alle, aber ZACKBUM will unsere Leser nicht strapazieren.

Nehmen wir noch diese Latte dazu:

Genügend Stoff beisammen. Sven Altermatt will erklären, «warum SP-Mann Fabian Molina reif fürs Museum» sei. Hat irgendwas mit Jean Ziegler zu tun, scheint’s. Aber interessiert einen ein solchen Lockendreher auf der Glatze wirklich? Wirklich nicht. Der Oberchefredaktor Patrik Müller himself widmet sich der Frage:

«Der Schweiz wurde der Abstieg zum Armenhaus Europas prophezeit. Nun ist sie die weltweite Nummer 1. Was ist passiert?»

Die einfache Antwort: Fehlprognose. Aber damit füllt man natürlich nicht den «Wochenkommentar». Also sagt Müller «Fehlprognose». Nur mit ziemlich viel Wörtern mehr. Der nächste Kommentar muss einen als Mann natürlich interessieren:

«Meine Frau ist unzufrieden, was soll ich tun

Maria Brehmer schreibt angeblich «über alles, was das Leben schöner macht – und manchmal auch schwieriger». Unbestreitbar: nörgelnde Frauen machen das Leben nicht schöner.

Wie kann man das ändern? Hilft vielleicht der Satz «kauf dir was Schönes»? Oder: «nein, meine Assistentin ist lesbisch»? Nein, so einfach macht es Brehmer uns Männern nicht. Gleich vier Tipps hat sie auf Lager, der Höhepunkt ist: «Warten Sie nicht, bis Sie etwas tun «müssen». Wenn Ihre Frau Kritik übt, haben Sie den Moment verpasst, wo Sie es hätten tun «können». Wenn Sie etwas freiwillig tun – oder sogar mehr tun, als Sie «müssen» – werden Sie Ihre Frau augenblicklich zufriedener sehen. Versprochen.»

Könnte natürlich auch sein, dass man gar nichts tun müsste, weil Frau einfach klimakterisch oder sonstwie kratzig gelaunt ist. Aber das wäre natürlich schon fast Sexismus. Der «Tagblatt»-Chefredaktor Stefan Schmid muss sich natürlich auch etwas mit Bedeutung aufpumpen und erklärt der Landesregierung:

«Der Bundesrat auf Instagram? Diese Inszenierung geht zu weit»

Stimmt eigentlich, es gibt schon mehr als genug Journalisten, die sich auf Instagram inszenieren. «Lockerungen des Bundesrates sind mutig und richtig», kommentiert Jérôme Martinu. Da ist der Bundesrat aber froh. Schliesslich überrascht Annika Bangerter die Welt mit der Erkenntnis: «Frauen sind nicht dauerschwanger». Muss nun irgend eine Geschichte umgeschrieben werden? Die der Frauenbewegung? Oder muss das Thema Menstruation ganz anders gesehen werden? Keine Ahnung, interessiert auch überhaupt nicht.

Zufall oder Absicht neben dem Kommentar von Bangerter?

Das wären nun insgesamt 15 Kommentare, mit denen das «Tagblatt», teilweise gleich Gesamt-CH-Media, seine Leser in den vergangenen 7 Tagen erfreut hat. Auf jeden Fall ein guter Tipp vom Master of Wine Philipp Schwander. Man braucht mindestens 4 trinkreife Bordeaux, um sich von diesen Kommentaren wieder zu erholen. Also her damit!

Neuer Monat, gleicher Depp

CH Media versucht sich in Krisenbewältigung. Dilettantisch, viel zu spät, viel zu wenig. Mit katastrophalen Folgen.

Man sollte meinen, einer der beiden Konzerne, der ungefähr die Hälfte aller Deutschschweizer Tageszeitungen als Kopfblätter herausgibt, sollte in eigener Sache genügend Könner und Kenntnisse auffahren können.

In der Zentralredaktion in Aarau stehen sich weiterhin zu viele Redaktoren auf den Füssen, die jeweiligen Lokalredaktionen der Kopfblätter werden krankgeschrumpft. Es ist eher selten, dass CH Media internationale Schlagzeilen macht oder sich der Aufmerksamkeit von über 100 Botschaftern und Leitern internationaler Organisationen in Genf erfreut.

Die reine Freude ist es allerdings nicht. Am 9. Februar veröffentlichte CH Media einen Artikel über die neue Chefin der Welthandelsorganisation (WTO) mit Sitz in Genf. Durch das Kopfblatt-System erschien der online und im Print, von der «Aargauer Zeitung» bis zum St. Galler «Tagblatt» über die gesamte Deutschschweiz verstreut.

Der launige Titel störte im ganzen Produktionsprozess keinen:

Das rauschte durch alle Kontrollinstanzen.

Einige Leser allerdings schon; auch normalerweise nicht vom Genderwahn befallene Konsumenten fragten sich, ob «Grossmutter» wirklich die passende Qualifikation für die erste schwarze Frau an der Spitze der WTO sei. Vor allem, weil die eine beeindruckende Ausbildung – unter anderem am MIT – und eine langjährige Karriere als Ministerin hinter sich hatte.

Eigentlich ist die Verantwortlichkeit klar geregelt

Hierarchisch sieht die Verantwortlichkeit dafür ganz einfach aus. Es gibt den Autor Jan Dirk Herbermann, den hier zuständigen Ausland-Chef Samuel Schumacher, darüber den Oberchefredaktor Patrik Müller und schliesslich den «publizistischen Leiter» Pascal Hollenstein.

Dazu muss man wissen, dass das gesamte Auslandressort im Wanner-Imperium aus haargenau zwei Redaktoren besteht. Was natürlich für einen Häuptling und einen Indianer reicht. Der Autor schickte seinen Artikel aus Genf nach Aarau. Wie es sich heutzutage gehört mit Titel. Der lautete: «Zum ersten Mal gelangt eine Afrikanerin an die Spitze der WTO». Denn Herbermann ist seit einigen Jahren für diverse Abnehmer Berichterstatter über internationale Organisationen in Genf und weiss, was er schreibt.

Das erschien den Blattmachern offensichtlich etwas zu schlapp; wahrscheinlich hatten sie zuvor zu viel «watson» angeglotzt. Also machten sie aus der Afrikanerin eine «Grossmutter». Da die gleiche Sauce überall erscheint, kann man davon ausgehen, dass der Blattmacher, der Ressortleiter, der Chefredaktor (bzw. wenn ferienabwesend sein Stellvertreter) und wohl auch der «publizistische Leiter» Inhalt und Titel zur Kenntnis nimmt.

In diesem Fall offensichtlich auch abnickt. Kleines Sahnehäubchen nebenbei: «Wir informierten den Autor des Artikels nicht über die neue Schlagzeile.» Der arme Herbermann dürfte sich kräftig geärgert haben, dass er bis zu diesem Eingeständnis 18 Tage nach Publikation kräftig für diese Schweinerei geprügelt wurde. Nun können Fehler überall und immer passieren, vor allem im Tagesjournalismus gibt es keine Perfektion.

Fehler passieren, aber wie geht man damit um?

Dann wird aber wichtig, wie man mit Fehlern umgeht. Als sich unter den Lesern ein kleiner Shitstorm zusammenbraute, quetschte Hollenstein gegenüber der Branchenplattform persoenlich.com ein «es tut uns Leid» raus und beschwichtigte, dass man den Titel online inzwischen korrigiert habe, sei keine Absicht gewesen.

Damit meinte CH Media offenbar, die Sache erledigt zu haben. Man liess den Leserbriefschreiber etwas fäusteln und rang sich zudem am 11. Februar ein «Unglücklicher Titel beim Porträt über WTO-Chefin» ab. Der sei «ungeschickt» gewählt worden, wofür «wir uns entschuldigen möchten». Gezeichnet war die knappe Mitteilung von «sas», also dem Auslandchef Samuel Schumacher. Aber weiterhin wurde nicht klargestellt, dass der Autor den Titel nicht zu verantworten hatte.

Fall erledigt, meinte man offenbar, Hollenstein und Müller duellierten sich über Für und Wider beim Burka-Verbot, man kommentierte, forderte, erteilte Betragensnoten und rückte dies und das zurecht, business as usual.

Wenn nochmals der Blitz einschlägt

Dann schlug aber nochmal der Blitz ein; angeführt von der österreichischen Uno-Botschafterin und letztjährigen Präsidentin des Uno-Menschenrechtsrats beschwerten sich 124 Botschafter und Leiter internationaler Organisationen über die «abwertende und herabsetzende» Beschreibung. Natürlich wurde dieses Schreiben auf Twitter veröffentlicht und dafür gesorgt, dass es die SDA in die Runde warf.

Neue Runde Arschtreten bei CH Media, wieder traf es den Auslandchef, der am 26. Februar, also über zwei Wochen nach Erscheinen des Artikels, mit einem «Communiqué»  erneut zu Kreuze kriechen musste. Auf Englisch, um das Internationale zu betonen. Nach den ersten verkniffenen, knappen und ungenügenden Erklärungen musste er nun richtig in die Harfe greifen:

Neuer Versuch, offensichtlich hatte der Autor kräftig interveniert.

Der Titel sei «unangemessen und ungeeignet» gewesen, «wir entschuldigen uns». Zudem wird klargestellt, dass der Autor einen anderen Titel vorgeschlagen hatte und nicht über diesen Ausrutscher informiert wurde.

Zu wenig, zu spät, nur scheibchenweise

Konsequent dem nachgelebt, was man in einer Krise auf keinen Fall machen sollte:

zu wenig, zu langsam, zu spät reagieren. Rumeiern. Die Verantwortung nach unten durchreichen.

Möglichst die Sache kleinhalten, reagieren statt agieren, nur unter Druck scheibchenweise einräumen, eingestehen, sich entschuldigen.

Aber der Fisch stinkt vom Kopf. So etwas – was denn sonst – müsste von einem publizistischen Leiter geregelt werden. Dafür steht er schliesslich direkt unter dem Verleger und oberhalb der Chefredaktion im Impressum. Insbesondere, wenn man wie Hollenstein so gerne Betragensnoten vom hohen moralischen Ross verteilt, mit dem Zeigefinger fuchtelnd – natürlich bei anderen – kritisiert, zensiert, falsch und richtig, gut und böse sauber unterscheidet. Schon alleine deswegen, weil ein publizistischer Leiter Vorbild sein sollte. Den anderen zeigen, wie man das macht. Vorbild ist Hollenstein allerdings. Aber dafür, wie man’s ganz sicher nicht machen sollte.

Die grosse Hoffnung der Journalisten

Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Und schneller vergessen. Gut für Journis.

Arthur Rutishauser, Oberchefredaktor bei Tamedia, servierte der staunenden Leserschaft unermüdlich und Jahr für Jahr die gleiche News: Die Strafuntersuchung im Fall Vincenz stehe kurz vor dem Abschluss, demnächst werde die Anklageschrift eingereicht.

Das tat er im Frühling, im Herbst, wenig variantenreich und unbekümmert darum, dass es nie eintraf. Aber wie eine stehengebliebene Uhr, die auch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt: Endlich hat’s dann, nach drei Jahren, doch mal geklappt.

Es war zwar nicht demnächst, auch nicht im August, aber Ende Oktober 2020. Uff. Wieso kam er damit durch? Ganz einfach: Er setzte auf das Kurzeitgedächtnis der Öffentlichkeit. Auf ihre Fähigkeit zum schnellen Vergessen. Darauf, dass sich doch niemand mehr daran erinnert, was Rutishauser vor einem halben Jahr angekündigt hat. Wohl nicht mal er selbst.

Keiner zu klein, Rutishauser zu sein

Wie der Herr, so’s Gescherr. Seitdem Mario Stäuble zum Co-Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» aufgestiegen ist, erblüht er als Kommentator. Innert kürzester Zeit hat er sich dabei das Rüstzeug angeeignet, um im Chor mit vielen anderen Ratschläge zu geben, Kritiken anzubringen und zu zeigen, wo’s langgeht:

«So funktioniert das mit der Quarantäne nicht»,

«wir müssen verschärfen», selten sieht er Anlass zu Lob: «Endlich klemmt der Bundesrat das «Gstürm» ab».

Trost zu spenden ist seine Sache nicht: «Was für die betroffenen Branchen brutal klingt, ist in Wirklichkeit ein Schritt vorwärts», behauptet der Angestellte Stäuble. In Wirklichkeit ein brutaler Schritt über die Klippe für Tausende von KMU, aber was soll’s. Auch Stäuble profitiert davon, dass sich doch einen Tag später keiner mehr an sein dummes Geschwätz erinnert.

Das gilt auch für seine Kollegin Priska Amstutz. «I am speaking», dieser kleine Satz der zukünftigen Vizepräsidentin der USA hat für Amstutz «globale Strahlkraft», wie sie backfischartig schwärmte. Aber auch das, zusammen mit ihrem Betty-Bossi-Rezept, das sie als von «Grossmüetti Amstutz» ausgab, ist längst vergessen.

Auch das Fussvolk spielt mit

Wie das Gescherr, so das Fussvolk. Im Newsletter wird der männerdominierten Sprache Saures gegeben, bis sie nur noch Sternchen sieht. Ein anderer Amok twittert, dass die Uni Luzern ein Interview mit zwei renommierten Wissenschaftler von ihrer Webseite nehmen sollte. Oder wie er zu formulieren beliebt: «Hey, Uni Luzern, nehmt den Dreck runter, entschuldigt euch bei C. Althaus und publiziert eine Richtigstellung.»

Aber was ist vom einem «Leiter digitales Storytelling» zu erwarten, der auch schon mal dem gesamten Bundesrat attestiert:

«Jetzt sind sie komplett übergeschnappt.»

Auch er rüpelt so vor sich hin, weil er auf das schnelle Vergessen hofft. Und auf die eigene Belanglosigkeit, obwohl er das natürlich nie zugeben würde.

Auch die übrigen Chefkommentatoren zählen auf Vergesslichkeit

Selbstverständlich ist Tamedia nicht alleine. Auch Christian Dorer, der Amtskollege von Rutishauser bei Ringier, hofft auf schnelles Vergessen: «Ski fahren, snowboarden, langlaufen, Schneeschuhtouren machen oder ausgedehnte Winterspaziergänge – es wäre falsch, ausgerechnet das zu verbieten, was Geist und Körper in dieser Jahreszeit am besten stärkt.»

So jauchzte er noch Ende November letzten Jahres. Schon Ende Februar 2020 wusste Dorer: «Klarmachen sollten wir uns aber auch:

In ein paar Monaten ist der Spuk vorbei.»

Nein, damit meinte er nicht die Amtszeit von Präsident Trump, dem er mit seinem Schwiergmutterschwarm-Charme eine Unterschrift auf sein Blatt abgenötigt hatte. Er meinte Corona.

Im April sah Dorer dann eine originelle Chance, dem drohenden Wirtschaftsabschwung zu begegnen: «Feiern Sie das Ende des Lockdowns im Restaurant! Decken Sie sich mit der aktuellen Frühlingsmode ein! Richten Sie Ihr Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer neu ein! Holen Sie sich den neuen Computer! Kaufen Sie das Auto, von dem Sie schon lange träumen!» Aber schon im September tönte er fast resigniert: «Lernen wir, mit dem Virus zu leben.»

«Historisch einmalig, nie dagewesen»

Auch CH Media ist auf das schnelle Vergessen angewiesen. So positionierte sich der dortige Überchefredaktor Patrik Müller bereits am Anfang von 2020 leicht gereizt: «Jeden Tag Weltuntergang – es nervt». Denn nun sei neben dem Klimawandel auch noch im fernen China ein Virus ausgebrochen. Mitte April 2020 verfällt er dann in einen tiefen Pessimismus:  «Um Massenarbeitslosigkeit abzuwenden, muss die Wirtschaft behutsam, schrittweise wieder geöffnet werden. Sonst drohen wirtschaftliche und auch gesundheitliche Schäden, die beispiellos, historisch einmalig, nie da gewesen sind.»

Ende Juli redete er den Eidgenossen ins Gewissen:

«Ferien im eigenen Land! Die Schweiz bietet fast alles.»

Gegen Ende Jahr können dann die Politiker aufatmen: Der Präsenzunterricht beginnt in der Regel am Montag wieder. Das ist richtig.» Genauso richtig wie, dass von seinen immerhin über 200 Kommentaren wohl die meisten überflüssig waren.

Selbst, um nichts auszulassen, selbst der NZZ passieren manchmal kleinere Flops, die man dann gerne ebenfalls im Archiv von «schnell vergessen» versorgt. So wollte sie, nach einigen Erfolgen bei der Credit Suisse, auch im Fall Vincenz mal vorne mitspielen. Also setzte sie, natürlich wie immer «von informierten Kreisen nahe am Verfahren» angefüttert, das Gerücht in Umlauf, dass es noch vor der Einreichung der Anklageschrift zu einem Deal kommen werde. Strafbefehl gegen Schuldeingeständnis. War dann nix.

 

AZ Nordwestschweiz halbiert Digitalabo-Preise

Die Zeitungen der AZ Nordwestschweiz kosten digital bald viel weniger.

15 statt gut 30 Franken soll das Digitalabo der AZ Nordwestschweiz-Zeitungen künftig kosten. Dies stellte Chefredaktor Patrik Müller im Doppelpunkt-Interview mit Roger Schawinski vom Sonntag in Aussicht. Aufs Jahr umgerechnet könne man von einer Preissenkung von jetzt gegen 500 auf 200 Franken ausgehen, sagte Müller. Die Werbe-Kampagne solle noch im November starten. Zum erwähnten Zeitungsverbund gehören die Aargauer Zeitung, die Limmattaler Zeitung, die Solothurner Zeitung, das Grenchner Tagblatt und die Basellandschaftliche Zeitung sowie die Partnertitel Oltner Tagblatt und Zofinger Tagblatt.

Leser- statt werbefinanziert

Sonst brachte das Interview auf Radio 1 wenig Neues. Beim Inseratevolumen sei der Rückgang ausser bei der Reisebranche nicht so dramatisch wie befürchtet. Trotzdem kippe der Verteilschlüssel der Einnahmen von 2 Franken von der Werbung und 1 Franken von den Abonnenten ins Gegenteil. Sprich: «Wir werden je länger je mehr leserfinanziert», so Müller. Zur 2018 erfolgten Fusion AZ Medien und NZZ-Landzeitungen konnte Schawinski nicht viel aus Müller herausquetschen. «Da musst Du den CEO oder Herrn Wanner fragen», blieb Müller merkwürdig einsilbig. Oft aber auch erfrischend cool. Etwa, als Schawinski sich sehr herablassend über den für Schawinski unerklärlichen Standort der Zentralredaktion von CH Media im Telliquartier in Aarau äusserte.Unklar bleibt also, warum die NZZ nicht mehr auf eigene Rechte pochte bei der Standortfrage.

Speziell erwähnenswert noch Müllers Einschätzung der eigenen TV-Sender als «Unterhaltung». Ob das die Verantwortlichen von Tele Züri, Tele Bärn und Tele M1 gerne hören? Die Berichte aus Bundesbern sind jedenfalls von erstaunlich hoher Qualität.

Die ganze Sendung vom 1. November 2020 gibt’s hier zu hören.

In einer ersten Version schrieb der Autor von Tele 24. Das ist natürlich falsch. Er meinte Tele Züri.

Der Corona-Journalist, Teil I

Neue Lage, neue Gattung: keiner zu klein, Fachmann zu sein.

Wie wusste Hölderlin schon so richtig: «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.» Bevor nun gegoogelt wird: nein, das war kein Corona-Fachmann; nur so ein deutscher Dichter.

Allerdings hätte er sich unter dem Rettenden wohl nicht die aktuelle Entwicklung in den Medien vorgestellt. Denn während noch im Januar dieses Jahres wohl 99 Prozent aller Journalisten auf das Stichwort Corona geantwortet hätten: «ah, das Bier mit dem Zitronenschnitz», ist das heute anders. Ganz anders.

Jeder, der sich berufen fühlt, ist inzwischen zum Epidemiologen, Virologen, Corona-Virus-Kenner, Testspezialisten und vor allem zum Warner, Mahner und wackelndem Zeigefinger herangereift. Unabhängig von Alter, Geschlecht und Vorbildung.

Wenn alle davon reden, müssen alle Journalisten mitreden

Ob gelernter Taxifahrer, abgebrochener Germanist, promovierter Soziologe, Maturand auf dem zweiten Bildungsweg, Kursbesucher des MAZ: spielt überhaupt keine Rolle. Wenn alle von Corona reden, müssen alle Journalisten mitreden.

Wenn der Oberchefredaktor, also Patrik Müller (Betriebswirtschaftslehre, Handelsschuldiplom), Arthur Rutishauser (Doktor der Volkswirtschaft), Eric Gujer (Geschichte, Politikwissenschaft und Slawistik) oder Christian Dorer (B-Matur, Grundstudium Wirtschaft) das Wort ergreifen, schweigt natürlich der Plebs* und studiert fleissig die geäusserten Positionen.

Sobald das klar ist, kann losgelegt werden. Zum Beispiel, wenn der Bundesrat neue Massnahmen verkündet, aber keinen Lockdown. «Nicht fünf vor zwölf, sondern High Noon», lässt die NZZ Filmbildung erkennen, überhaupt sei der Bundesrat viel zu zögerlich unterwegs. Riskante Strategie, der BR folge der Wirtschaft, das Risiko trügen die Schwächsten, barmt sich der «Tages-Anzeiger».

«Totales Versagen» wird gerne genommen

Wie es sich gehört, poltert «Blick»-Oberchef Christian Dorer kräftiger, er konstatiert ein «totales Versagen» von BR und Kantonsregierungen, aber immerhin, jetzt sei das Minimum beschlossen worden. Patrik Müller räumt ein, dass es noch nicht zu spät sei, also der Schweizuntergang noch aufgeschoben sei, allerdings sei die Verkümmerung des kulturellen und sozialen Lebens beklagenswert.

Ich fasse zusammen: Versager, Zauderer, Minimalisten, wirtschaftshörig, Zeichen der Zeit nicht erkannt, riskieren für die Wirtschaft das Leiden der Schwächsten.

Wenn das so wäre, müssten wir uns wieder einmal schämen. Schämen, dass wir eine solche Versagertruppe als Bundesrat haben. Dass wir solche Versager in die Kantonsregierungen gewählt haben. Wir könnten sicherlich ruhiger schlafen und der Pandemie viel gelassener entgegenblicken, wenn wir eine Notregierung aus diesen vier Chefredaktoren bilden würden, unterstützt von ihrer Bodenmannschaft, die auch alles über Corona weiss.

Beschädigtes Vertrauen allenthalben

Die Kakophonie der Wissenschaftler mitsamt Kassandra-Rufen beschädigt die Glaubwürdigkeit und die Reputation. Die Rechthaberei und Zurechtweisung der Medien, völlig verantwortungs- und haftungsfrei, beschädigt die Glaubwürdigkeit und Reputation.

Wenn sich jeder Journalist als wissenschaftlicher Scheinriese fühlt, der genau weiss, welche Massnahmen wann und wie ergriffen werden müssten, aber eben, leider hört man nicht auf ihn, dann versagt die Vierte Gewalt wieder einmal krachend in ihrer Kernaufgabe: informieren, analysieren, einordnen, Auslegeordnung machen, die Entscheidungsfindung des Lesers befördern.

Ich (promovierter Germanist und Historiker) kenne mich nur mit vier Dingen aus: Worten, Zahlen, logischen Zusammenhängen und Deduktionen. Dazu äussere ich mich, zu Dingen, für die ich nicht die nötige Qualifikation habe, schweige ich. Damit minimiere ich zumindest die Gefahr, die von mir ausgeht. Wachsendes Rettendes sehe ich allerdings nicht.

* In einer ersten Version war Plebs falsch geschrieben.

Wie Infantino zweimal sein Schweigen brach

Gleicher Titel, gleicher Interviewpartner, gleiche dämliche Fragen – aber keine Absprache.

Der 19. Oktober war ein historischer Tag. Für die Schweiz, für die Welt, für den Fussball. Der «Blick» konnte am Montagabend endlich Gianni Infantino knacken: «Fifa-Präsident Gianni Infantino bricht sein Schweigen» Wenn so ein hohes Tier in die Redaktionsräume kommt, wird natürlich nicht Praktikantin Melanie (19) vorgeschickt. Das ist dann Chefsache. Also etwas für Chefredaktor Christian Dorer (45).

Dorer will von Infantino wissen: «Sie treffen regelmässig Donald Trump im Oval Office. Sind Sie vor solchen Treffen nervös?» Eine herzige Frage. Dazu muss man wissen, dass Dorer einmal eine Blick-Ausgabe von Trump unterschreiben lassen durfte. Zwei Jahre später ignorierte ihn aber Trump. Dorer war dann ziemlich sauer.

Die anderen Fragen, die Infantino beantworten durfte, waren auch eher leichte Kost: «Was wollen Sie noch erreichen?» Schwerpunkt der Fragestunde war sein Treffen mit dem damaligen Bundesanwalt Michael Lauber. Für Infantino ein harmloses Spielchen. Die Fragen standen schon so lange im Raum, dass er sich monatelang darauf vorbereiten konnte. Überraschendes wurde ihm nicht vorgelegt, zumindest wissen wir das nicht, denn das Interview wurden von Infantino gegengelesen.  Das schreibt die Medienstelle und fügt an:«Inhaltlich hat er kaum etwas verändert.» Wir wollen es glauben.

Am Dienstag, den 20. Oktober, geschah wieder etwas Historisches. «Fifa-Chef bricht sein Schweigen». Die CH-Medien hatten ebenfalls das Glück, mit Gianni Infantino zu sprechen. Schon wieder? War das abgesprochen mit dem Blick? «Nein», sagt die Medienstelle. Wir wollen es glauben.

Auch bei CH-Media wird beim Fifa-Boss nicht der Anzeigenverkäufer mit dem Fragekatalog beladen. Das ist auch in Aarau Chefsache. Patrik Müller heisst der Mann. Wenn man seine Fragen liest, erfährt man ein Déjà-vu-Erlebnis. Viele Fragen standen auch im Blick:

«Wittern Sie eine Verschwörung?» (CH Media)
«Vermuten Sie eine linke Verschwörung?» (Blick)

«Warum haben Sie den Walliser Staatsanwalt Rinaldo Arnold zu den Treffen mit Lauber mitgenommen?» (CH Media)
«Ein Fehler war, dass Sie Ihren Kumpel, den Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold, zu den Treffen mit dem Bundesanwalt mitgenommen haben.» (Blick)

«Haben Sie nichts protokolliert?» (CH Media)
«Warum wurden die Gespräche nicht protokolliert?» (Blick)

Gab es zwischen Blick und CH Media vielleicht doch eine Absprache bezüglich Fragen oder Erscheinungsdatum (beide Interviews erschienen am gleichen Tag)? «Nein», sagt Ringier, «Nein», sagt CH Media. Wir wollen es, nun ja, wieder glauben.

Die Sparmassnahme auf Papier

Vor einer Woche fehlte die «Schweiz am Wochenende» in der Blattkritik. Jetzt folgt sie.

19,7 Gramm. So viel bringt die «Schweiz am Wochenende» auf die Küchenwaage. Nimmt man den Werbeflyer raus, verringert sich das auf 17,7 Gramm. 56 Seiten umfasst die Wochenend-Ausgabe, die den «Sonntag» abgelöst hat. Online ist das Meiste hinter einer Bezahlschranke.

Mit der «Schweiz am Sonntag» wollte das Wanner-Imperium dem alteingesessenen Trio «SonntagsZeitung», «NZZamSonntag» und «SonntagsBlick» das Fürchten lehren. Was auch längere Zeit gelang; nicht zuletzt deswegen, weil der Wirtschaftsredaktor Arthur Rutishauser ausgezeichnete Quellen in der Swissair und dann der Swiss hatte. Und weil Chefredaktor Patrik Müller einen flotten Kurs fuhr.

Das Gemächt von Baden

Wohl ein Höhepunkt war die Affäre um den Badener Namensvetter vom Chefredaktor, dem es gefiel, Selfies seines Gemächts aus den Amtsräumen des Stadtammanns seiner Freundin zu schicken. Daraus entwickelte sich ein ziemliches Schlamassel, aus dem niemand unbeschädigt herauskam.

Nicht nur die direkt Beteiligten bekamen etwas ab; auch der PR-Mensch Sacha Wigdorovitz machte seinem Namen als Katastrophen-Sacha alle Ehre, allerdings in eigener Sache. 2017 war dann Ende Sonntagszeitung.

Arthur Rutishauser ist schon längst als Oberchefredaktor zu Tamedia abgeschwirrt, und obwohl der Verlag tönt, dass mit der «Schweiz Am Wochenende» der Sonntag halt schon etwas früher anfange, handelt es sich um eine Sparmassnahme. Denn so ersetzt die ehemalige Sonntagszeitung alle Samstag-Kopfblätter im Hause, und das sind seit dem Joint Venture mit der NZZ immerhin zwei Dutzend.

Saubere Aufteilung in drei Bünde

Mit Fr. 3.90 ist die SaW immerhin mit Abstand die günstigste Wochenendzeitung, der Leser kann also auch sparen. Was bekommt er dafür geboten? Wir haben die Ausgabe vom 8. August gewogen – und für leicht befunden.

Die SaW ist relativ sauber in drei Bünde aufgeteilt. Der erste Bund ist der Mantelteil, hier werden Inland, Ausland, Wirtschaft, der Geldonkel und die Kommentare abgefeiert. Je nachdem können im Inland auch lokale Themen von überregionaler Bedeutung reingehebelt werden, was ganz schön Koordinationsaufwand erfordert.

Sozusagen gesetzt war an diesem Wochenende das Thema «Schulstart». Hier kommt die SaW nicht über eine Pflichtübung hinaus. Riesiges Aufmacherfoto auf Seite eins, dann eine Doppelseite mit einem weiteren Bildanteil von mindestens ein Viertel. Lauftext, Interview mit dem Fachmann, der Blick ins Ausland. Dann beteiligt sich die SaW am obligatorischen Ratespiel, welche neuen Akzente wohl der SVP-Präsident aus dem Tessin setzen könnte, sollte er gewählt werden.

Wir überblättern das Ausland – und die Wirtschaft

Wir gönnen uns einen kräftigen Schluck doppelten Ristretto und überblättern das Ausland (Weissrussland, Kommentar zu Beirut und der abgängige Ex-König von Spanien). Dann auf einer Doppelseite ein Beitrag zum Thema «Journalisten interviewen Journalisten». Sprung über den Röstigraben, hat das der Blattmacher sicher genannt; also wird der Deutschschweizer Leser mit den Ansichten eines TV-Nachrichtensprechers aus der Welschschweiz in den Schlaf gewiegt. Anlass ist die welterschütternde News, dass er zu einem französischen Privatsender wechselt.

Auch die Wirtschaft leidet sichtbar unter der Hitze, Corona und Impfstoff, Glaceketten, bei der SBB regnet es in die Züge, na ja. Auf der Kommentarseite zeigt der Chefredaktor des St. Galler «Tagblatt», dass er mühelos in der Lage ist, so inhaltsleer, dabei aber so arrogant vor sich hin zu blubbern wie der publizistische Leiter Pascal Hollenstein.

Wespen und Verschweizerung

Nach mageren drei Seiten Sport beginnt im zweiten Bund der Teil «Regionen». Hier wird schön nach Kantonen verteilt abgefüllt, was da so anfiel. Wie schlimm es um die Nachrichtenlage steht, merkt man deutlich am Titel einer mit grossen Bildanteil auf mehr als eine Seite aufgeblasenen Story: «Wespen beschäftigen die Aargauer Feuerwehren». Auch einem als «Essay» angepriesenen Text «Basel verschweizert» wäre eigentlich nach einer Seite der Schnauf ausgegangen (und das wäre gut so gewesen). Aber mit einem über die Doppelseite gezogenen, riesigen roten Balken, sauber im Falz platziert das Kreuz, wird auch hier eine Doppelseite rausgeschunden.

Ein wunderbares Bildthema ist dann auch «Der Coronaleere auf der Spur». Eine Bilderreise zu, genau, leeren Orten und Plätzen. Wahnsinn, die Doppelseite zum Meditieren, ruhen und oooohm sagen.

Schliesslich noch sozusagen das Spielbein, der letzte Bund. Man merkt, dass es hier darum geht: Muss weg, erreicht sonst das Verfallsdatum. Also überrascht uns die SaW hier mit einem Dreiseiter über den US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden. Mann und Werk, ein fabelhafter Ausflug ins SMD, in Google und in ein paar Archive von US-Medien. Leicht geschüttelt und eiskalt serviert.

Wird das Wochenende länger?

Auch wenn die Salzburger Festspiele dieses Jahr nur ein reduziertes Programm anbieten; wenn man schon den Kulturredaktor ins Ausland lässt, Eintritte und Hotelaufenthalt zahlt, dann ist es klar, dass auch daraus mindestens eine Riesenstory werden muss. Und sonst, fällt etwas auf, bleibt etwas hängen? Ehrlich gesagt: nein. Selbst die Reise-Seite mit Tipps für schöne Schweizer Wasserlandschaften, nun ja. Immerhin: Es sieht so aus, als wären hier die eigenen Kräfte bemüht worden, ohne Sponsoring.

Wird also mit der «Schweiz am Wochenende» der Sonntag wirklich länger, beginnt er schon am Samstag, ersetzt sie den Inhalt der Samstagsausgaben, plus Mehrwert für den Sonntag? Sagen wir mal so: Nicht unbedingt. Das Wochenende kommt einem einfach länger vor, wenn man sich langweilt. Auf der anderen Seite hat man auch dieses Blatt relativ schnell durchgeblättert. Ohne dass man durch herausragende Artikel dabei behindert würde.