Schlagwortarchiv für: Pascal Hollenstein

Drei Meldungen, eine Geschichte

Peter Wanner schreibt einen Brief, Jean-Martin Büttner muss gehen. SRF baut ab und um.

Er ist wohl das, was man ein Urgestein nennt. Noch länger als Rainer Stadler bei der NZZ harrte Jean-Martin Büttner beim Tagi, bei T, bei TX, bei Tamedia aus. 37 Jahre verbrachte er dort, sein ganzes Berufsleben.

Er ist Jahrgang 1959, fing 1983, nach Abschluss seines Studiums, beim Tagi an. Das heisst, dass er ein paar Jahre zu früh gefeuert wurde, um problemlos ins Rentnerdasein zu rutschen. Aber solche Kleinigkeiten spielen heutzutage keine Rolle mehr.

Wanner hat einen Brief mit Beilage geschrieben

Wie persoenlich.com exklusiv vermeldet, hat Hausherr Wanner allen Journalisten bei CH Media einen Brief geschrieben. Weihnachtsgrüsse, schwierige Bedingungen, «schätzen Ihren Einsatz sehr», Blabla.

Da dem Schreiben kein Zehnernötli beilag, obwohl sich ja auch dieser Verlag das traditionelle Weihnachtsessen sparen kann (der Zunft geschuldet mehr ein Weihnachtstrinken; welche fabulöse Alkoholrechnungen enthemmte Journalisten verursachen können, sagenhaft), schauten sich die Betroffenen eine Beilage genauer an.

«Leitlinien für den Lokaljournalismus», so der Titel des E-Mail-Anhangs. Interessant. Wird hier erklärt, wieso die Leitlinie daraus besteht, Aussenstationen zuzuklappen, Lokaljournalisten rauszuschmeissen oder zu Regional-, wenn nicht Kantonaljournalisten zu machen?

Leitlinien im luftleeren Fantasieraum

Das ist zwar die bittere Realität, aber davon will sich ein publizistischer Ausschuss doch nicht seine Illusionen nehmen lassen. Der Lokaljournalist müsse «den Stallgeruch spüren», vor allem «nahe dran bleiben», nicht zuletzt: «Man muss ihn mögen, damit er an Informationen herankommt.» So stellt sich das ein Club von überwiegend älteren Herren vor, die noch nie oder seit Jahrzehnten nicht mehr so etwas wie Lokaljournalismus gemacht haben.

Schliesslich sitzt der «Kommunikationsberater» Peter Hartmeier* dem «Publizistischen Ausschuss» von CH Media vor, unterstützt von Koryphäen wie Esther Girsberger oder Peter Wanner himself. Natürlich darf auch die publizistische Leiter nach unten nicht fehlen, Pascal Hollenstein.

Man ahnt es, da kann ja nichts Gutes herauskommen. Nachdem man das den älteren Herren erklärt hat, sind sie nun überzeugt: «Mobile first». Irgendwie. Denn dank des Internets wisse man jetzt, «welche Titel und Artikel besonders gut klicken.» Da hat’s auch beim publizistischen Ausschuss (nomen est omen) spät, aber immerhin klick gemacht. Denn wenn man schon beim digitalen «Change» ganz vorne dabei ist, weiss man auch: «Der moderne Journalist ist ein Video-Journalist.» Denn auch das klickt ungemein.

Neuigkeiten von der Fernbedienung

Wunderbar, man hat sich sagen lassen, dass man nicht mehr nur mit der Fernbedienung, sondern auch mit – wie heisst das Zeugs schon wieder – Streamen bewegte Bilder anschauen kann. Multichannel, you know, Text ist so was von gestern, heute ist Bild und Ton und Text und Illu und Link, und Blog, und Social Media, und, und, und.

Wie macht das der moderne Journalist? Na, piece of cake, wie da der Digital Native sagt: «Mit Video‐ und Audio‐Schnipseln und Fotos bastelt der Journalist eine multimediale Story.» Manchmal gelingen selbst Pfeifen Sätze, die jeden weiteren Kommentar erübrigen. Ausser, dass noch nicht klar ist, ob das der Video-Journalist mit eigenen Mitteln und Selbststudium basteln soll oder nicht.

Bei SRF gibt es keine Bastelstunde

Entschieden weiter mit Video- und Audioschnipseln und überhaupt im Netz ist SRF. Als die Direktorin Nathalie Wappler im Livestream (nimm das, publizistischer Ausschuss) ihre Untergebenen darüber informierte, dass es ihr wirklich ernst ist mit dem digitalen Umbau, meinte man gigabyte-mässig immer noch Unglauben und «lassen uns doch nicht die Festtage völlig versauen» zu spüren.

Denn Wappler kündigte konkret an, dass im Januar die ersten 66 Vollstellen gekündigt werden. Sozialplan vorhanden. Insgesamt verabschiedet sich SRF in den nächsten zwei Jahren von 211 Stellenbesitzern. Das ist bei rund 3000 Angestellten nicht mal 10 Prozent, aber dennoch ist das üppig bezahlte Personal erschüttert, gerüttelt, gerührt und angefasst.

Gleichzeitig aber werden in einem ersten Akt 89 neue Stellen geschaffen. Was bedeutet, dass offenbar viele des Bastelns von Videos und Audios mächtige Mitarbeiter nicht in der Lage sind, ins Modern-Digitale umzusteigen. Eine Zeitenwende wie damals, als man den letzten Printjournalisten ihre Schreibmaschine wegnehmen musste und sie darauf aufmerksam machen, dass faxen nicht mehr die beste Übertragungsmethode ist.

Drei Meldungen, drei Erkenntnisse, eine Frage

Was sagen uns diese drei Ereignisse? Sie verschaffen drei Erkenntnisse. Texte von Büttner wären garantiert nicht besser geworden, wenn er sie mit Video- und Audioschnipseln verunstaltet hätte. Schlichtweg schon deshalb, weil ein guter Schreiber kaum auch ein guter Fotograf, Radio-Reporter oder gar VJ ist.

Was CH Media hier als Blick in die Zukunft vergeigt, ist das typische Resultat eines abgehobenen Altherrenvereins, der selbst vom Millionengrab watson.ch nicht gelernt hat, dass Internet nicht einfach Flimmern statt Drucken bedeutet. Und dass ein Lokaljournalist mit Kamera normalerweise schlechter ist als ohne. Insofern es ihn überhaupt noch gibt.

SRF hingegen, gebadet in genügend Zwangsabgaben, kann es sich leisten, bei der digitalen Transformation Nägel mit Köpfen zu machen. Zuerst ein wohlüberlegter Plan, dann die Strategie zur Umsetzung, dann die personellen Konsequenzen. Muss auch nicht unbedingt funktionieren. Aber im Vergleich zu Tamedia oder CH Media liegen Welten dazwischen.

Zwei Grosskonzerne ohne Konzept, ausser nach Staatshilfe zu krähen. Und ein mehr oder minder Staats-TV, dass verblüffenderweise nicht der Letzte im Umzug ist, wenn es um Paradigmenwechsel geht, sondern den Umzug anführt. Wie absurd ist das denn?

 

*Da sieht man, wie schnell ich abschalte, wenn sein Name erscheint. So heisst er richtig, nicht Hartmann. Schon wieder. Ich schreibe hundert Mal an die Wandtafel: Ich muss meinen Namens-Check verbessern. Aber immerhin, Dürrenmatt habe ich im ersten Anlauf richtig geschrieben.

 

Pulverschnee, Skisaison, Krach, die Rettung

Erschreckt stellen die Medien fest: Corona ist ausgelutscht. Aber es gibt doch Neues.

Fallzahlen hoch, Fallzahlen runter, Entwarnung oder neuerliche Warnung. Disziplinierte Bevölkerung, undisziplinierte Bevölkerung.  Tests, Tote, Trara. In vielen Schrumpfredaktionen stellt man beunruhigt fest, dass diese Themen langsam, aber sicher einen verstärkten Gähn-, Überblätter- und Wegklickreflex auslösen.

Aber was einem Komponisten recht ist, kann doch einer Redaktion nur billig sein: Variationen über ein Thema. Denn glücklicherweise hat’s geschneit. Recht früh im Jahr, aber lassen wir einmal das Thema Klimawandel beiseite. Denn Schnee heisst: die Skisaison ist eröffnet.

Das könnte nun natürlich Anlass zu Jauchzern und Jubelschreien sein. Wenn nicht Corona wäre. Und so meint man, das Aufatmen in den Redaktionen zu hören. Das war knapp, aber nun kann’s fröhlich weitergehen. «Ski-Zoff mit Frankreich: Macron will Schweiz-Rückkehrer auf Corona testen», empört sich der «Blick». Aber nicht nur vom Ausland naht die Gefahr: «Kritik an Bersets Ski-Konzept: Aufstand der Skigebiete».

Kein Thema zu klein, Beispiel für Tipps zu sein

Es ist zu befürchten, dass sich diese Probleme nicht mit einer Schneeballschlacht lösen lassen. Geradezu aus dem Stehsatz von alle Jahre wieder ergänzt «Blick» noch den Blick auf die Kampfzone Schnee: «Wenn uns der Winter eiskalt erwischt». Mit 10 Tipps wildert das Blatt in der Kernkompetenz von watson.ch.

Aber das lässt watson.ch natürlich kalt: «Bald wird’s rutschig. Pass auf, dass es dir nicht gleich ergeht wie diesen 17 Leuten». Dann die übliche Aufreihung von 17 gewaltskomischen Kurzvideos, bei denen man den Betrachter zusätzlich noch kitzeln müsste, um ihn zum Lachen zu zwingen.

Aber verlassen wir dieses Fass ohne Boden schnell wieder und schauen hinauf zum «Tages-Anzeiger». Der widmet sich endlich mal dem Lokalen und berichtet: «Zürcher Skigebiete hoffen auf Corona-Effekt». Diese Schlingel, statt Mitgefühl mit den Betroffenen zu heucheln. Aber auch der Tagi stellt kritische Fragen: «Wird die Gondelbahn zur Virenschleuder»? Sowohl Hoffnungen wie Bedenken sind hinter der Bezahlschranke verstaut.

Immer wieder die gleichen Leserbindungen

Die kennt «20Minuten» nicht, also ruft es seine Leser zur «Foto-Challenge»: «Wie hast du den ersten Schnee erlebt?» Auch hier wird mit allen Mitteln versucht, Schnee und Corona zu verknüpfen: «St. Gallen verbietet Skilager bis Frühling 2021». Zur Beruhigung: die drei meistkommentierten Beiträge haben alle das gleiche Thema. Nein, nicht die Pläne zur Rettung der AHV.

Und was tut die NZZ? Natürlich, sie kümmert sich um die Verbindung von Geld, Geist und Gesundheit. Eine einsame, traurige Rose im Halbschatten leitet den Bericht ein: «Das Paracelsus-Spital muss schliessen, weitere Zürcher Kliniken stecken in schweren Turbulenzen – und das mitten in der Corona-Krise. Was ist da los?»

Nun, das könnte vielleicht daran liegen, dass die Spitäler diverse Male Notfall-Betten bereithalten und aufstocken mussten, Operationen verschieben und damit Millionenverluste einfuhren. Obwohl niemand auf der Welt im Vergleich zum BIP so viel Geld fürs Gesundheitssystem ausgibt wie die Schweiz.

Die publizistische Leiter nach unten

Fehlt noch CH Media. Da schwimmt man im Mainstream: «Macron gegen die Schweiz: Der Skistreit mit Frankreich spitzt sich zu.» Das kommt halt davon, wenn man nicht in der EU ist, die EU aber der festen Überzeugung, dass sich die Schweiz doch gefälligst so wie die EU-Staaten verhalten soll und die Wintersaison abblasen.

Allerdings ist CH Media immer wieder zu Tiefstleistungen fähig. Dafür muss man nur das Wirken des publizistischen Leiters Pascal Hollenstein verfolgen. Er ist immer zur Stelle, wenn es gilt, ein abschreckendes Vorbild zu sein. Zurzeit hat er als Lautsprecher für Jolanda Spiess-Hegglin gerade Pause, die nützt er unter anderem zu einem launigen Kommentar im St. Galler «Tagblatt». Eine Glosse unter dem Titel «Das Leben als Zürcher». Natürlich, die halten sich für den Nabel der Welt, wenn bei denen ein Zürisack umfällt, muss das sofort die ganze Schweiz, ja die Welt wissen.

So weit, so gähn. Aber Hollenstein will ja weitere Beispiele anführen. Und fällt dabei leider auf die Schnauze, Glättegefahr. Nur dadurch, dass der Zürcher noch nie etwas davon gehört habe, dass es Jahreszeiten gebe, sei zu erklären, «dass beim minimsten Schneefall der öffentliche Verkehr an den steilen Flanken des Üetlibergs umgehend zum Erliegen kommt.»

Was kann die redaktionelle Leiter eigentlich?

Auch auf die Gefahr hin, von der Ostschweizer Dumpfbacke als arroganter Zürcher wahrgenommen zu werden: Im Gegensatz zum Zürichberg, den er wohl meint, gibt es auf den «Üetliberg» haargenau eine S-Bahn als öffentliches Transportmittel. Es könnte natürlich auch sein, dass er irgendeinen «Üetliberg» meint, und nicht den Zürcher Uetliberg. Man muss also festhalten: Glosse kann er auch nicht. Was kann der «redaktionelle Leiter» eigentlich?

 

 

Die Sache mit den Sperrfristen

Prozesse sollten klaren Regeln folgen. Theoretisch.

Vorbei die Zeiten, als staatliche Untersuchungsorgane still und leise ihrer Arbeit nachgingen. Als Staatsanwälte ihre Anklageschriften nur bei nachweislich grossem öffentlichen Interesse mit einer Pressemitteilung ergänzten.

Oder Verfahrensparteien sich an gerichtlich festgelegte Sperrfristen für die Bekanntgabe eines Urteils hielten. Inzwischen haben alle Beteiligten an rechtlichen Auseinandersetzungen gelernt, dass Recht und Gericht eine Sache sind, der öffentliche Teil eines Prozesses die andere, nicht unwichtige.

Niemand will einem Richter unterstellen, dass er sich von der öffentlichen Meinung, von einer medialen Vorverurteilung beeinflussen liesse. Niemand kann ausschliessen, dass das nicht doch ab und an eine Rolle spielt.

Angefütterte Journalisten

Damit die Öffentlichkeit etwas erfährt, braucht es einen Multiplikator, normalerweise ein Journalist. Der lässt sich von einer Partei anfüttern und schluckt willig, weil er das als Ergebnis seiner überlegenen Recherchierkünste und als Primeur verkaufen kann.

Der redaktionelle Leiter von CH Media ist so ein Fall. Eigentlich hat Pascal Hollenstein einen Zweitjob als Sprachrohr für Jolanda Spiess-Hegglin gefunden. Er bekommt Vorabinformationen zugesteckt, weil er dann in ihrem Sinn versucht, die Meinung der Öffentlichkeit zu steuern.

Um genau das zu vermeiden, setzen Justizorgane Sperrfristen bei ihren Verlautbarungen. Damit alle Medien sozusagen gleichlange Spiesse haben in ihrer Berichterstattung. Aber leider sind solche Sperrfristen nicht mit Sanktionen bewehrt. Es ist zwar unanständig, unfein und unprofessionell, sie zu brechen, aber: so what?

So gelang es, die krachende und völlige Niederlage von Spiess-Hegglin vor dem Obergericht Zug in einen Sieg umzulügen, ein Meisterstück von Fake News.

Neuer Tiefpunkt der Unkultur

Noch verwerflicher ist es, wenn Untersuchungsbehörden immer wieder häppchenweise die Medien mit strikt vertraulichen internen Unterlagen und Dokumenten versorgen. Auch das greift leider immer mehr um sich.

Einen Tiefpunkt hat diese Unkultur im Fall Vincenz erreicht. Nachdem sich hier der ermittelnde Staatsanwalt mit Getöse, drakonischer U-Haft und grossmäuligen Ankündigungen selber unter Zugszwang gesetzt hatte, musste er nach der endlich erfolgten Haftentlassung der beiden Hauptbeschuldigten Gründe finden, wieso seine eigentlich schon als fast abgeschlossen bezeichnete Untersuchung sich in die Länge zog und zog und zog.

Zum einen wurden die Medien, in erster Linie Arthur Rutishauser von Tamedia, immer wieder mit Informationen aus «mit dem Fall befassten Quellen» angefüttert, dass die Anklageerhebung nun wirklich demnächst bevorstünde. Noch diesen Herbst, spätestens nächsten Frühling. Oder doch im kommenden Herbst.

Sperrfrist, na und?

Nach Wiederholungen bis zur Lächerlichkeit wurden zum anderen neue Begründungen gestreut. Es seien neue Straftatbestände aufgetaucht. Die Angeschuldigten verzögerten mit unstatthaften Anträgen die Untersuchung. Und immer wieder durfte ein «Recherchierjournalist» ein besonders abstossendes Dokument «finden». Eine Spesenabrechnung, nur mit einem Betrag und einer Unterschrift. Informationen über strikt vertrauliche Geschäftsbeziehungen, sogar über Kontobewegungen.

All das muss aus dem Kochtopf der Untersuchungsbehörde stammen, denn die Angeschuldigten haben sicherlich kein Interesse, das an die Medien durchzustechen. In letzter Not wurde dann noch erfunden, dass nun Verhandlungen über ein abgekürztes Verfahren mit Schuldeingeständnis und niedrigerer Strafe stattfänden.

Und als dann nach jahrelangem Bebrüten und Gegacker die Staatsanwaltschaft endlich zu Potte kam und die Anklageschrift einreichte, setzte sie natürlich genügend öffentliches Interesse voraus, um diese Tat mit einer Pressemitteilung zu veredeln. Selbstverständlich mit Sperrfrist.

Die Medien schlagen zu, bevor die Betroffenen informiert sind

Denn die Idee ist hier, dass es vielleicht nicht so toll wäre, wenn die Beschuldigten davon zuerst aus den Medien erfahren, bevor sie selbst die Anklage in den Händen halten. Diese Sperrfrist war auf vergangenen Dienstag, 11.30 Uhr, festgelegt. In roten Buchstaben, gelb unterlegt.

Am Montagnachmittag veröffentlichte der Finanzblog «Inside Paradeplatz» als Erster die Meldung über die Einreichung und über die neu aufgetauchten Straftatbestände, die angeklagt würden. Kurze Zeit später zog Arthur Rutishauser nach, er wollte wenigstens als Zweiter ins Ziel einlaufen, natürlich weit vor der Sperrfrist.

Danach war dann kein Halten mehr; es dürfte kein einziges Medium geben, dass wirklich bis 11.30 Uhr am Dienstag gewartet hat. Aber das war noch nicht alles. Nachdem die News der Anklageerhebung und der neuen Anschuldigungen verraucht war, musste nachgeladen werden.

Natürlich gilt immer die Unschuldsvermutung

Natürlich mit etwas, das nicht in der Pressemitteilung stand. Sonst wäre es ja kein Primeur. Den angelte sich dann der «Blick» und veröffentlichte als Erster das geforderte Strafmass von drakonischen sechs Jahren. Wobei natürlich alle sich seriös gebenden Medien nie vergessen, auf ein wichtiges Prinzip der Strafgerichtsbarkeit hinzuweisen: es gilt die Unschuldsvermutung.

Nach der Devise: Du bist ein ganz schlimmer Finger, aber die Staatsanwaltschaft ist Dir auf die Schliche gekommen. Für Deine Untaten wirst Du im Gefängnis schmoren, so schrecklich sind die. Aber es gilt die Unschuldsvermutung.

Mit dieser Verluderung der journalistischen Sitten zeigen die Medien einmal mehr, dass ihre gravierenden Probleme nicht nur auf äussere Faktoren zurückzuführen sind. Sondern auch auf einen rasanten und selbstverschuldeten Vertrauensverlust. Das ist im Journalismus ein wirklich tödliches Virus, das kein Organ lange überlebt.

Ex-Press VIII

Blasen aus dem Mediensumpf

Früher, als alles noch besser war, gab es – neben der Druckvorstufe – noch drei Berufsgattungen, die heutzutage fast ausgestorben sind. Textchefs, Produzenten und Korrektoren. Deren gemeinsame Aufgabe war, einen Artikel richtig einzuschenken. Also mit einem knackigen Titel zu versehen, einem appetitanregenden Lead und danach ein Lauftext, bei dem sich der Leser nicht in einem Schüttelbecher fühlt.

Natürlich kann man bei den grossen Buchstaben genauso Fehler machen wie bei den kleinen, aber das ist hier schon ein starkes Stück:

 

«Der Kemel wehrt sich» (Tages-Anzeiger).

 

Das Kamel wehrt sich? Ein was wehrt sich? Ach so, schliesslich hat Kreml fünf Buchstaben, da kann man doch zwei Fehler machen, und die Mehrheit der Buchstaben ist immer noch richtig.

Auch von Tamedia, auch nicht schlecht: «Der Wunderschuh läutet ein neues Zeitalter ein». Indem er kräftig gegen die Glocke tritt, oder so. Aber immerhin, daran erkennt man, dass es kein bezahlter Text von Nike ist; so einen bescheuerten Titel hätten die sicher nicht gemacht.

«Single, weil die Auswahl scheisse ist», an diesem Titel in «20 Minuten» gibt es nichts zu mäkeln, höchstens, dass so immer mehr Artikel von Tamedia hierhin weitergereicht werden; könnte ja sein, dass ein Leser sie noch nicht kennt.

Nur um Nuancen liegen hier «20 Minuten» und der «Blick» auseinander, abgesehen von der Buchstabengrösse natürlich: «Werde ich sterben?», soll Donald Trump gefragt haben» versus «Donald Trump soll gefragt haben: «Werde ich sterben?» Sollen wir uns das im Rahmen der Feldereinteilung in der Syntaxtheorie mal genauer anschauen? Dachte ich mir doch; was Syntax ist, erklären wir dann im Kurs für Fortgeschrittene.

Auf der völlig sicheren Seite ist für ein Mal sowohl der «Blick» wie auch ein Wetterfrosch:

«Meteorologe warnt: «Es wird noch viel mehr Regen fallen.»

Nun kommen wir schon zum kleinen Intelligenztest; woher stammt dieser Titel: «37 herrliche verrückte Dinge aus Japan»? Gut, eine zweite Chance gebe ich noch: «7 romantische Komödien, die nicht völliger Quatsch sind». Nun hat wohl der Letzte gemerkt, dass es natürlich die Weltzentrale der Listicles ist: «watson». Darauf sollte sich das Online-Organ auch konzentrieren, denn wenn es schwieriger wird, kommt nur noch Blödsinn:

«Die Blockade bei den Bilateralen ist wie ein Smartphone ohne Update».

Geht noch einer drüber? Aber sicher, wozu hat CH Media auch die  Brachial-Kolumnistin, die Fettnäpfchen-Fee, die Gähn-Kalauer-Queen Simone Meier: «Er war da: Vieles, was wir über Johnny Depp geschrieben haben, war wahrscheinlich deppert». Fast richtig; nicht vieles, sondern alles. Und nicht nur über Johnny Depp.

Nun ein Aufschwung in die höheren Gefilde des Journalismus; in das Blatt, das sich seit diesem Wochenende auf das Wesentliche konzentriert: «Trump geht es schlechter als von seinem Leibarzt behauptet», weiss Dr. NZZ es besser als die anderen.

Etwas ungenau hingegen das St. Galler Tagblatt: «Velofahrer im Kanton St. Gallen tot aufgefunden». Dafür aber stellt Pascal Hollenstein mal wieder die grossen Zusammenhänge her und gleichzeitig die Schweiz in den Senkel:

«Deutsche Einheit: Die Schweiz im Schmollwinkel der Geschichte».

Wer noch nicht wusste, dass es den gibt und die Schweiz dort stand: macht nix, ist sowieso nur Unsinn.

CH Media, dessen Vorläufer doch enthüllte, dass ein Badener Stapi Fotos seines unverhüllten Gemächts aus seinen Amtsräumen seinem Schnuckiputzi schickte, ist inzwischen natürlich geläutert und gereinigt:

«Irritierend, wie die Chefetage mit den Mobbing- und Sexismusvorwürfen umgeht», verwundert sich CH Media.

Zur Erklärung: Das ewig in Geldnot steckende Organ «Republik» hat mal wieder einen Artikel eingekauft und versucht, ihn zum Skandal aufzupumpen. Was aber wie meist bei der «Republik» schwierig ist, weil es als «Beweis» für schreckliche Zustände bei der Schweizerischen Nationalbank nur eine Handvoll nicht sehr aussagekräfige Fälle gibt. Und zudem die Chefetage sicherlich bezüglich Frauenquote noch etwas Luft nach oben hat. Aber die Verwaltung von bald einmal einer Billion – das sind 1000 Milliarden – Franken, ist ausserhalb von streng feministischen Kreisen vielleicht ein Mü wichtiger.

Uns wird gelegentlich vorgeworfen, wir seien immer so negativ, was wir gar nicht sind. Aber wie auch immer, dieser Titel aus der NZZ am Sonntag ist schlicht und einfach ganz grosses Kino, sollte applaudiert und bewundert werden:

«Krieg in Karabach: Wo man Kalaschnikows auf Wickeltischen ölt»

Viel besser wird’s nicht in Sachen Titel.

 

René Rhinow lebt

Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Er ist Ombudsmann von CH Media.

Der «Träger des Grossen Goldenen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich», der ehemalige Präsident des Roten Kreuzes, der Alt-Ständerat zählt auch schon 77 Jahre. Also voll in der Hochrisikogruppe der Pandemie.

Das hindert ihn natürlich nicht, seinem Amt als Ombudsmann von CH Media nachzugehen. Eines der vielen Abklingbecken für Ehemalige, die immer noch gerne mal wieder mit «Prof. René Rhinow» unterschreiben wollen.

In diesem Fall tat er das nach rund einem Monat auf eine Beschwerde von mir. Ich hatte zwei Dinge zu meckern gehabt:

 

«1. Der «publizistische Leiter» von CH Media hat eingestandenermassen die Sperrfrist des Zuger Obergerichts zur Bekanntgabe seines Urteils in Sachen Spiess-Hegglin gegen Ringier nicht eingehalten. Wie lässt sich dieses Verhalten Ihrer Meinung nach mit dieser Position vereinbaren? Welche Sanktionen sind im Hause CH Media für einen solchen groben Verstoss gegen fundamentale Anstandsregeln vorgesehen?

2. Die Hauskolumnistin Simone Meier schreibt in einer ihrer letzten Kolumnen: «Unter Hitler wurden Juden, Menschen mit einer Behinderung, Fahrende, Kommunisten und Homosexuelle gecancelt.»

Halten Sie es nicht für angemessen, dass sich Frau Meier für diese unglaubliche Geschmacklosigkeit öffentlich entschuldigen sollte? Welche Sanktionen sind im Hause CH Media für solche haarsträubenden Verniedlichungen eines millionenfachen Massenmords vorgesehen?»

 

Soll ich behaupten, dass ich von Rhinows Antwort überrascht war? Nein, denn das wäre gelogen. Und das tut man nicht. Oder doch?

Gar kein Fall für den Ombudsmann?

Nun, der publizistische Leiter Pascal Hollenstein hat sich vernehmen lassen. Zunächst behauptet er im pluralis majestatis, «wir stellen uns auf den Standpunkt», dass das gar kein Fall für den Ombudsmann sei.

Dann lässt Hollenstein aufblitzen, dass er sich für seine Antwort auch rechtliche Unterstützung besorgt hat: «Eventualiter» äussert er sich «materiell» zum Vorfall. Der Artikel sei aufgrund einer «Fehlmanipulation» zu früh publiziert worden. Sobald man das bemerkt habe, sei er sofort wieder gelöscht worden. Aber, dumm gelaufen, dann sei er schon vom Medienarchiv SMD «abgegriffen» worden, und das habe man ja auch nicht ahnen können.

Auf jeden Fall: keine Absicht, und Hollenstein war’s nicht, wusste nichts. Das mag ja alles so sein, aber: Ist es nicht eine Verkettung merkwürdiger Umstände, dass ich rund 4 Tage vor Ablauf der Sperrfrist am Montag, also an einem Donnerstag, bezüglich Urteilsverkündung in Sachen Spiess-Hegglin – wie es sich im seriösen Journalismus gehört – ihr und ihrem Mediensprecher ein paar Fragen zur Stellungnahme schickte?

Bei Anfrage Publikation

Ich gab bis Freitag Frist für eine Antwort. Stattdessen erschien dann am Donnerstagnachmittag holterdipolter sein Artikel, indem er das Urteil als Erster publizierte, mitsamt Stellungnahme von Spiess-Hegglin. Auf meine Anfrage reagierten weder er noch sie. Könnte es unter Umständen, allenfalls, man denkt sich nur so, etwa sein, dass Hollenstein aufgrund meiner Anfrage plötzlich Schiss kriegte, dass er nicht der Erste sein könnte, der das Urteil publiziert? Aber nein, das könnte nicht sein, denn wenn es so wäre, hätte er das sicher eingeräumt.

Aber gut, im Zweifel für den Angeschuldigten. Wie windet sich Rhinow nun aus dieser Lage? Na, wozu hat man Juristerei studiert. Geht ganz einfach:

«Im vorliegenden Fall rügen Sie die (offenbar unbeabsichtigte und kurzfristige) Nicht-Einhaltung einer Sperrfrist des Zuger Obergerichts sowie die „Geschmacklosigkeit» einer Kolumne von Frau Meier. Aus Ihrer Beanstandung geht nicht hervor, ob und inwiefern Sie durch diesen Umstand resp. die Publikation unmittelbar negativ betroffen sind. So ehrenwert das Engagement für medienethische Grundsätze in der Praxis auch erscheint, so dient das Verfahren vor der Ombudsstelle dazu, persönlich berührten Lesern und Leserinnen unkomplizierte und informelle Beanstandungsmöglichkeiten zu verschaffen.»

Da ich in beiden Fällen keine persönliche Betroffenheit geltend machen könne, kann Rhinow deshalb «auf Ihre Beanstandung nicht eintreten».

Wer ist denn dann persönlich berührt?

Dazu möchte ich im Rahmen meines Engagements für medienethische Grundsätze bemerken: Nach dieser Logik hätte sich nur das Gericht oder Spiess-Hegglin bei Hollenstein beschweren dürfen. Alle Journalisten, die sich – wie ich – an die Sperrfrist gehalten haben, sind von diesem Praecox-Artikel nicht betroffen? Selten so gelacht.

Ich gebe zu, ich kein Jude, auch nicht behindert, kein Fahrender und ebenso wenig homosexuell. Müsste ich eines davon wirklich sein, um «persönliche Betroffenheit» geltend machen zu können, wenn eine geschichtsvergessene, geschmacklose, uneinsichtige Kolumnistin den industriellen Massenmord des Nazi-Regimes so bezeichnet, dass die unter Hitler «gecancelt» wurden? So wie man einen Flug, eine Reservierung, eine Reise cancelt?

Mit Verlaub, offenbar sind davon weder der publizistische Leiter, noch der Ombudsmann, noch die dumme Autorin betroffen. Ich hingegen schon; ich finde das etwas vom Übelsten, was ich letzthin zum Thema Massenmord durch die Nazis gelesen habe.

Es ist nie an der Zeit für persönliche Rachefeldzüge

Und schon gibt’s Zoff bei ZACKBUM.CH.  Jenny Furer kritisiert René Zeyer ganz schön hart.

Als Zackbum gestartet ist, habe ich mich gefreut. Ehrlich und aufrichtig. Ein Online-Medium, hinter dem keine Geldgeber stecken und das unverblümt die Schweizer Medienbranche ins Fadenkreuz nimmt. So etwas braucht die Schweiz. Schliesslich sollen Verlegerinnen und Verleger sowie Journalistinnen und Journalisten nicht schalten und walten, wie sie wollen.

Als meinungsbildende und demokratierelevante Institutionen gehören sie konstruktiver Kritik ausgesetzt. Wo wir beim Punkt wären. Konstruktiv bedeutet eben nicht, dass persönliche Empfindungen und Sympathien die Basis bilden, um zu Frontalangriffen auszuholen. Womit wir bei unserem Autor René Zeyer sind.

René Zeyer ist zweifelsohne ein begnadeter Schreiberling mit langjähriger Erfahrung in der Medienbranche. Seine Talente lässt er aber missen, wenn er alleine bis Anfang September zehn Mal gegen Pascal Hollenstein, Leiter Publizistik bei «CH Media», ausholt oder wieder einmal im Stil einer persönlichen Abrechnung gegen Andreas Tobler von Tamedia oder Simone Meier von «Watson» wettert. Oder die «Weltwoche», in der er selber schreibt, unkritisch bejubelt.

Es geht in keinster Weise darum, dass Zeyer sich nicht das Recht herausnehmen darf und soll, seine Ansichten zu verbreiten. Meinungen beleben die Debatte. Aber wie heisst es so schön: der Ton macht die Musik. Und in Zeyers Fall eben auch die richtige Dosis.

Wer so häufig auf die gleichen Zielscheiben schiesst, verliert seine Glaubwürdigkeit. Durchaus berechtigte Kritik kann so schnell einmal dem Gefühl weichen, es handle sich um einen persönlichen Rachefeldzug alleine aufgrund nicht vorhandener Sympathien.

Kritik an Journalistinnen und Journalisten verliert so an Glaubwürdigkeit. Sie wird nicht mehr als wichtiges Instrument zur Überwachung der vierten Gewalt angesehen, sondern als Streiterei und Stichelei unter der schreibenden Zunft.

Glaubwürdig ist, wer konstruktiv austeilt – und zwar dort, wo ausgeteilt werden muss und dann, wenn ein Schlag in die Magengrube des Kontrahenten angezeigt ist. Es ist nur fair, um bei der Metapher des Boxkampfes zu bleiben, wenn nicht nur und durchgehend auf den gleichen Gegner eingehämmert wird. Das verstösst nicht nur gegen die Regeln, sondern disqualifiziert den Austeilenden beim Publikum selbst. Er ist es dann, der als unkontrollierbarer Aggressor wahrgenommen wird.

Ein konstruktiver Kritiker darf durchaus seine politische Gesinnung zum Ausdruck bringen, muss es aber nicht und vor allem nicht permanent. Wer nämlich letzteres tut, läuft Gefahr, jegliche Kritik auf Basis politischer Sympathien vorzunehmen. Das raubt dem berechtigten Anliegen seine Legitimation.

Natürlich könnte man mir vorwerfen, dass es auch von mir unfair ist, mit meiner Kritik auf René Zeyer zu spielen. Doch das Versprechen von ZACKBUM.ch ist es schliesslich, «hart auszuteilen und problemlos einzustecken». Dass dieser Text auf dieser Plattform erscheinen darf, beweist immerhin: Die Macher rund um Zeyer haben auch Nehmerqualitäten.

Jenny Furer schreibt unregelmässig für ZACKBUM.CH. Die 25-Jährige arbeitet seit März 2020 als Reporterin beim News-Team von «Bluewin». Sie ist als Berichterstatterin an den Zürcher Gerichten, am Bundesstrafgericht, am Bundesgerichten, sowie an den Gerichten Luzern, Bern, Thurgau und St. Gallen akkreditiert. Vor Bluewin arbeitete sie unter anderem bei «20 Minuten» und den Zürcher Oberländer Medien.

Packungsbeilage: Die ZACKBUM-Redaktion hat diesen Meinungstext eine Weinflasche lang diskutiert. Und im Sinne von «Wer austeilt, muss auch einstecken»,  einstimmig freigegeben. René Zeyer zeigt damit eine seiner weiteren Stärken – nämlich Gelassenheit. Trotzdem und nach Richtlinie 3.8 des Journalistenkodex (Anhörung bei schweren Vorwürfen) hier die (verkürzte) Stellungname des Kritisierten. René Zeyer legt Wert darauf, dass er Hollenstein bisher lediglich 7 mal erwähnt habe. «Jeweils begründet durch ein klar argumentiertes Fehlverhalten».  Und dass an der Abrechnung mit Andreas Tobler etwas persönlich sein soll, stellt Zeyer ebenfalls in Frage. «Stimmt ein einziger meiner Vorwürfe nicht? Hatte er keine Gelegenheit, etwas darauf zu erwidern?», so Zeyer. Und wenn Simone Meier schreibe, Hitler hätte die Juden gecancelt? Das ist für Zeyer definitiv keine persönliche Abrechnung, sie aufs schärfste dafür zu kritisieren.  Und schliesslich «Weltwoche» unkritisch bejubelt. «Das ist reiner Schwachsinn, in meiner dreiteiligen Serie über die Berichterstatttung zum Skandal an der Herzklinik Zürich habe ich Christoph Mörgeli (und mit ihm die WeWo) kräftig abgewatscht. Und wenn das Blatt in diesen Zeiten einen 12-seitigen Kulturteil unter fachkundiger Leitung aus dem Boden stampft, dann verdient das höchstes Lob.»  Ende der Durchsage.

Mit zugehaltener Nase zu lesen

Mir wurde geraten, die Tweets von Jolanda Spiess-Hegglin anzuschauen. Das hätte ich nicht tun sollen.

Nach den ersten drei, vier Duftmarken wollte ich eigentlich einen resümierenden Kommentar schreiben. Aber dann wurde es mir übel; daher lasse ich es bei einer kommentarlosen, repräsentativen Zusammenstellung bewenden. Mitsamt den «usual suspects», die Spiess-Hegglin gerne retweetet.

So sieht also die Respektierung von Menschenwürde und Privatsphäre aus. Diese selbstgerechte Heuchelei verfault in der Gesinnungsblase unter Luftabschluss:

Anschlag auf die Pressefreiheit

Will Spiess-Hegglin eine Fanfare erschallen lassen, ist Pascal Hollenstein immer zur Stelle.

Man sollte natürlich die dritte und vierte Gewalt im Staate respektieren. Ausser, die Justiz greift die Pressefreiheit an, und ein publizistischer Leiter findet das toll.

Worum geht’s? Wie am Freitag bekannt gemacht wurde, hat das Zuger Kantonsgericht den Inhalt einer superprovisorischen Verfügung gegen die Tamedia-Journalistin Michèle Binswanger bestätigt.

In dieser Verfügung wurde Binswanger untersagt, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, daher im Wortlaut:

«Ein Buch, einen Artikel oder eine andersartige Veröffentlichung zu publizieren, zu verkaufen oder zu vertreiben (lassen), in dem bzw. in der Handlungen der Gesuchstellerin anlässlich der Zuger Landammann-Feier vom 20. Dezember 2014

a) in Bezug auf M. H. (in der Verfügung ist sein voller Name erwähnt, Anm. R.Z.),

b) in Bezug auf andere an der Feier anwesenden Männer,

c) in Bezug auf das Mass des Alkoholkonsums der Gesuchstellerin und

d) in Bezug auf das Sexualverhalten der Gesuchstellerin thematisiert werden oder Spekulationen diesbezüglich geäussert werden.»

Aber hallo, da gibt es doch sicher schon einen Raubdruck dieses Werks? Und was stehen da für saftige Details in Bezug auf M. H., andere Männer, den Alkoholspiegel von Spiess-Hegglin oder ihr Sexualverhalten drin? Lechz, hechel.

Ein Geisterurteil gegen Nicht-Existentes

Aber nein, Entwarnung, es handelt sich hierbei um ein Projekt. Also etwas, das noch gar nicht geschrieben ist, weder dem Gericht noch sonst jemandem vorliegt. Eine superprovisorische Verfügung wird ohne Anhörung der Gegenseite erlassen. Wenn nur so ein unmittelbar drohender, schwerer Nachteil abgewendet werden kann.

Das war schon ein kühner Schritt in juristisches Neuland. Nun aber erhebt das Kantonsgericht diesen Schlag mitten in die Fresse der Pressefreiheit zum Urteil. Eigentlich unvorstellbar. Ein «Geisterurteil» nannte Kurt. W. Zimmermann schon die Superprovisorische. Nun wurde sie vom Kantonsgericht bestätigt.

Eine weitere Perversion des Rechts. Die Wiedereinführung der inquisitorischen Gedankenpolizei, die bereits mögliche zukünftige Rechtsbrüche ahndet, bevor sie geschehen. Als wäre der Science-Fiction-Knaller «Minority Report» Wirklichkeit geworden.

Hört man allenthalben Protestgeschrei?

Dagegen erhebt sich sicherlich lauter Protest in allen Medien, die unabhängig von ihrer Einstellung gegenüber Binswanger oder Spiess-Hegglin im Kampf gegen diesen präventiven Übergriff auf die Pressefreiheit eine Einheitsfront bilden?

Weil dieses Urteil im Klartext bedeutet: Wir buchten Sie mal für fünf Jahre ein. Denn wir haben Anlass zur Befürchtung, dass Sie einen Banküberfall planen könnten. Darüber haben Sie ja schon mal nachgedacht. Wer würde da nicht auf die Barrikaden gehen?

Nun, schon mal alle Medien nicht, die nicht einmal das letzte Urteil im Fall Spiess-Hegglin richtig lesen konnten. Und von einem «Sieg» für die Dame schwafelten, obwohl das Zuger Obergericht auch für Laien verständlich urteilte: «Das Obergericht weist die Berufung von Jolanda Spiess-Hegglin vollumfänglich ab.» Das ist eine vollumfängliche Niederlage, kein Sieg. Aber eben, lesen sollte man können.

Was sagt denn Tamedia dazu?

«Das Urteil des Zuger Kantonsgerichts verbietet einer Journalistin von Vornherein über ein Thema zu schreiben, das breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde und zu dem weit über 1’000 Artikel veröffentlicht wurden. Eine derart weitgehende Einschränkung der Medienfreiheit ist höchst bedenklich. Tamedia wird das Urteil anfechten.»

Pascal Hollenstein reitet mal wieder

Überraschungsfrei reagiert der publizistische Leiter in der Akklamationsberichterstattung, Spiess-Hegglins Büttel Pascal Hollenstein. Er begrüsst das Urteil, das ihm – von wem wohl – zugesteckt wurde: «Es sei, so das Gericht, «glaubhaft erstellt, dass Spiess-Hegglin eine ungerechtfertigte, potenziell besonders schwere Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte fürchtet und ihr aus dieser drohenden Verletzung ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht.»»

Seinen Bericht schmückt Hollenstein mit einer für Binswanger unvorteilhaften Illustration als «Tagi-Postergirl» aus, während Spiess-Hegglin exklusiv flöten darf: «Die Verteidigung meiner Rechte in dieser Sache hat mich die letzten Monate enorm absorbiert. Nun bin ich erleichtert.» Hollenstein zeigt schon im Titel wieder mal, dass er von Juristerei schlichtweg keine Ahnung hat: «Gericht verbietet «Tages-Anzeiger»-Journalistin Buch-Publikation», behauptet er forsch.

Werden schon ungeschriebene Bücher verboten?

Das hätten seine Quelle und er wohl gerne, aber das ist natürlich Quatsch. Es sind Binswanger vorläufig die vier Themenbereiche verboten, die in der superprovisorischen Verfügung eingefordert wurden. Was nun passiert: Die Anwältin von Spiess-Hegglin darf eine neue Honorarnote schreiben und muss für die Hauptverhandlung begründen, wieso diese Massnahme richtig sei. Tut sie das in einer engen Frist nicht, entfällt nämlich die Superprovisorische. Aber was interessieren solche Details einen einäugigen und parteiischen publizistischen Leiter.

Dann wird noch lobend erwähnt, dass im Verein «#NetzCourage» diverse wichtige Projekte anstünden, «mit denen wir nachhaltig sehr Gutes für die Gesellschaft tun werden», schaut Spiess-Hegglin in Zukunft. Während Binswanger, die sich als «Jeanne d’Arc der Pressefreiheit» bezeichne, das Urteil anfechten werde.

Die eine tut nachhaltig Gutes, die andere will weiter streiten. So die Message von Hollenstein. Dabei ist es so: Wenn dieses Geisterurteil Bestand haben sollte, ist einer Vermutungsjustiz Tür und Tor geöffnet, kann jedes Medienorgan, jeder Journalist damit eingeschüchtert werden, dass durch einen auch nur geplanten oder angedachten Artikel ganz sicher ein schwerer Nachteil für jemanden entstehen könne und der daher präventiv zu verbieten sei.

Hält das Urteil, ist das nichts weniger als das Ende der Pressefreiheit

Für ein solches Verbot würde schon ausreichen, dass der Journalist sich mit Fragen an das potenzielle Objekt oder dessen Umfeld seiner Berichterstattung wendet, dabei eine Recherche erwähnt und sich vielleicht schon früher mal kritisch über diese Person oder Firma geäussert hat.

Das wäre das Ende der Pressefreiheit, wie wir sie bislang in der Schweiz kennen. Dass Spiess-Hegglin das egal ist, sei dahingestellt. Dass ein publizistischer Leiter des wichtigsten Konzerns im Bereich Tageszeitungen das toll findet, ist so ungeheuerlich wie das Urteil selbst.

Wie lange duldet Verleger Wanner das noch?

Sein publizistischer Leiter ist schwer neben der Spur.

«Es gehört zu einem der wichtigsten Gebote des Journalismus, dass sich Medienschaffende von ihren Quellen nicht instrumentalisieren lassen dürfen, weil sie ansonsten Gefahr laufen, manipuliert zu werden.»

Das schreibt die Anwältin von Jolanda Spiess-Hegglin in ihrem 63-seitigen Wälzer, mit dem sie die Forderung nach Gewinnherausgabe begründet. Dieser Aussage kann man nur zustimmen. Allerdings: Pascal Hollenstein sieht das offenbar anders.

Seit er sich selbst bei Spiess-Hegglin für allfällige Fehlleistungen entschuldigte, lässt er sich als Sprachrohr missbrauchen. So ignorierte er sogar eine gerichtlich angeordnete Sperrfrist, um als Erster die Kommentare von Spiess-Hegglin zum jüngsten Urteil in ihrem Feldzug gegen Ringier publizieren zu können.

Nun geht’s ums Geld

Inzwischen ist bekannt geworden, dass Spiess-Hegglin schon vor dem Urteil des Zuger Obergerichts eine weitere Klage gegen Ringier eingereicht hatte. Diesmal geht es um Gewinnherausgabe. Hier ist die Reaktion von Spiess-Hegglin und Hollenstein auf meine diesbezügliche Anfrage am Donnerstag sehr befremdlich.

Wie es sich im seriösen Journalismus gehört, wurde ihnen genügend Zeit für Antworten eingeräumt. Aber von meinen Fragen aufgeschreckt, veröffentlichte Hollenstein noch am Donnerstagabend einen Artikel, der offenbar bereits abschussfertig vorlag.

Schon wieder liess er sich instrumentalisieren, um exklusiv und als Erster über die weitere Klage von Spiess-Hegglin zu berichten: «Jolanda Spiess-Hegglin fordert von Ringier Herausgabe des Gewinns.»

Beziehungskorruption vom Feinsten

«Wie jetzt bekannt wird», flunkert Hollenstein, habe sie «gegen Ringier bereits Mitte August eine weitere, umfassende Klage beim Zuger Kantonsgericht eingereicht.» Das «wird» nicht bekannt; er macht’s bekannt. Dann übernimmt er die Begründung seiner Quelle; es dürfe «sich schlicht nicht lohnen, auf dem Buckel von Medienopfern mit Klicks Geld zu verdienen», habe ihm Spiess-Hegglin anvertraut.

Das sieht Jeremias Schulthess, Geschäftsführer der medienkritischen Organisation Fairmedia, auch so: «Wenn die Klage erfolgreich ist, verbessert das Situation der Betroffenen von Medienberichten in der Zukunft massiv», zitiert ihn Hollenstein; in der Eile der vorgezogenen Publikation nicht ganz frei von Rumplern. Fairmedia twitterte bereits 2019 erwartungsfroh: «Hansi Voigt kommt auf weit mehr als eine Million Franken, die Ringier mit der publizistischen Ausbeutung von Spiess-Hegglin verdient habe.»

Beziehungskorruption vom Feinsten. Im Vorstand von Fairmedia sitzt Guy Krneta als Vizepräsident. Krneta machte von sich reden als Initiator der Aktion «Rettet Basel». Die Stadt sollte vor Christoph Blocher gerettet werden; genauer vor dessen Übernahme der «Basler Zeitung». Dagegen wurde mit den Millionen einer Pharma-Erbin das Projekt «TagesWoche» in Stellung gebracht.

Weitere Millionen sind abrufbereit

Der Zwitter zwischen Online-Magazin und Printausgabe verröchelte trotz vielen Millionen sang- und klanglos. Aber wo das Geld herkam, gibt es noch mehr. Jährlich eine Million Franken will die «Stiftung für Medienvielfalt» für ein Nachfolgeprojekt der gescheiterten «TagesWoche» aufwerfen. Da ist Krneta natürlich zur Stelle. Genauso wie Hansi Voigt, der mal wieder ein Konzept erstellte. Damit ist eigentlich nur eins sicher: Auch dieses Projekt wird die jährliche Million locker ausgeben – und irgendwann verröcheln.

Daher hat Voigt offenbar vorausschauend im Dienste von Spiess-Hegglin auf abenteuerliche Weise einen Gewinn von über einer Million Franken durch Artikel über sie bei Ringier herbeifantasiert. Was überraschungsfrei Fairmedia toll findet. Und was Hollenstein seinen Lesern serviert, ohne natürlich auf diese Verbandelungen aufmerksam zu machen.

Auch von Juristerei versteht Hollenstein wenig

Fairmedia will nun die verfolgende Unschuld Spiess-Hegglin «bei ihrem Kampf für Gerechtigkeit weiterhin tatkräftig unterstützen». Krneta, Voigt und Hollenstein: Da bekommt man fast Mitleid mit Spiess-Hegglin. Denn wie schreibt Ringier in seiner ersten Stellungnahme nach der Entschuldigung seines CEO: Es sei zu befürchten, dass «die Vorstellung der Klägerseite über den erzielten Gewinn und die ökonomische Realität des Mediengeschäfts enorm weit auseinander liegen.»

Nicht nur das, in seiner Eile, seinen Primeur so schnell wie möglich herauszuhauen, zeigt Hollenstein, dass er von Juristerei wenig versteht. «Im Juristendeutsch handelt es sich um eine sogenannte Stufenklage», schreibt er mit Kennermiene. Die erste Stufe habe Spiess-Hegglin mit der Verurteilung des Ringier-Verlags wegen Persönlichkeitsverletzung erklommen, «jetzt zündet sie die nächste».

Auf Journalistendeutsch ist das Quatsch. Unsinn. Hollenstein wäre gut beraten, sich von der Anwältin von Spiess-Hegglin mal einen Grundkurs «wie verstehe ich Juristendeutsch» geben zu lassen. Wenn man ins Jufeln gerät, weil man unbedingt die Nase bei der Publikation einer weiteren Stufenklage vorn haben will, passieren natürlich solche Flops.

Alle unterwegs im Neuland

Spiess-Hegglin betrete hier Neuland, schreibt Hollenstein bewundernd. Es ist allerdings zu befürchten, dass dieses Neuland nicht tragfähig ist; zumindest nicht in der Grössenordnung von Hunderttausenden von Franken, die sich offenbar das Opfer, ihre Anwältin, Fairmedia und wohl auch Hollenstein erträumen.

Allerdings, wenn Spiess-Hegglin mehrstufig auf Gewinnherausgabe klagt: Hollenstein hat sich bekanntlich auch schon für fehlerhafte Berichterstattung in seinen Blättern entschuldigt. Auf Juristendeutsch wäre das doch ein Schuldeingeständnis. Hansi Voigt, übernehmen Sie! Was CH Media, also die früheren Lokalzeitungen der NZZ, an Spiess-Hegglin verdient haben, das muss doch auch zurückgefordert werden.

Wenn wir schon dabei sind, weitere Einnahmequellen aufzutun: Hansi Voigt selbst hat sich ebenfalls schon entschuldigt. Für die Berichterstattung in «20Minuten». Da könnte er doch in eigener Sache sozusagen ausrechnen, welche Gewinnherausgabe Spiess-Hegglin zusteht. Schliesslich ist «20Minuten» mindestens so klickstark wie der «Blick». Auch hier kann Voigt locker auf eine weitere Million kommen.

Haltet den Dieb!

Schliesslich schimpft Voigt auf Twitter, in der Hoffnung auf das mangelhafte Kurzzeitgedächtnis der Journalisten: «Blick soll die Beute aus der illegalen «Journalismus»-Orgie herausrücken. Was bei jedem Kaufhausdieb selbstverständlich ist, wird dank Jolanda Spiess bald auch in der Medienbranche gelten.» Allerdings neigen Kaufhausdiebe auch dazu, «haltet den Dieb» zu rufen, um vom eigenen Diebstahl oder der eigenen Orgie abzulenken. Zum Lernen: An dieser «Orgie» war nichts illegal, lieber Herr Dummschwätzer.  Weder in «20 Minuten», noch im «Blick». Vielleicht erklärt Ihnen mal ein geduldiger Mensch, was der Unterschied zwischen einem Zivil- und einem Strafprozess ist.

Oder aber, das Beispiel von Carmen Epp macht Schule. Die entschuldigte sich im Juni 2019 nicht nur öffentlich, sondern kündigte an, dass sie das Honorar, das sie für Ihre Kolumne in der «Medienwoche» gekriegt habe, spende. Davon könnten sich doch Hollenstein, Voigt und alle Entschuldiger eine dicke Scheibe abschneiden! Wir sammeln gerne die Spendenbelege und veröffentlichen sie dann unzensiert.

Geld oder Entschuldigung? Beides!

Seit Jahren verfolgt Jolanda Spiess-Hegglin Medien, die sich ihrer Meinung nach auf Kosten von Opfern bereichern.

Um sich an ihnen zu bereichern?

Schon längst ist sie zur verfolgenden Unschuld geworden. Mit dem Verein «Netzcourage» setzt sie sich nicht nur in eigener Sache ein. Droht nicht nur mit Anzeigen, sondern tut es auch.

Eines ihrer Opfer bittet um Verzeihung und darum, die Klage wegen Ehrverletzung gegen ihn fallenzulassen. Da bleibt Spiess-Hegglin unerbittlich: «Ihre Entschuldigung kann ich leider nicht so ernst nehmen», erwidert sie kühl. Allerdings, vielleicht gebe es doch eine Möglichkeit, nicht bis zu 1500 Franken an den Staat abdrücken zu müssen, «den Strafbefehl und den Registereintrag zu umgehen.» Nämlich mit einer Spende von 1000 Franken an den Verein «The Voice of Thousands».

Rücknahme einer Strafanzeige gegen Spende?

Das war 2016, und Spiess-Hegglin betrat damit mindestens eine Grauzone, um es höflich zu formulieren. Der Verein, der sich der Flüchtlingshilfe widmete, hat Ende Juli dieses Jahres übrigens seine Auflösung bekannt gegeben.

Aber in erster Linie kümmert sich Spiess-Hegglin um ihren eigenen Fall: «Ich möchte einfach, dass meine Ehre und mein Ruf wiederhergestellt werden, die durch Lügen stigmatisiert worden sind. Meine Absicht ist, dass ein weiterer Schreibtischtäter zur Verantwortung gezogen wird.» So begründete sie in «zentralplus» 2017 ihre Klage gegen den damaligen stellvertretenden Chefredaktor der «Weltwoche».

Hollenstein entschuldigt sich

Besonderen Wert legt Spiess-Hegglin darauf, dass sich Medienorgane bei ihr entschuldigen. Das tat schon damals der Publizistische Leiter der «Luzerner Zeitung» Pascal Hollenstein ausführlich: «Jenseits dieser juristischen Auseinandersetzungen kann man festhalten, dass sich einige Medien zu Vorverurteilungen, Ungenauigkeiten und zur Verbreitung zum Teil ungenügend verifizierter Informationen zu Ungunsten von Jolanda Spiess-Hegglin hinreissen lassen haben. Auch dieser Zeitung sind Fehler unterlaufen. Dafür möchten wir uns entschuldigen.»

Allerdings ist Spiess-Hegglin wählerisch, wessen Entschuldigung sie annimmt und von wem nicht. Hollenstein ist inzwischen zu ihrem Sprachrohr denaturiert, das exklusive Meinungshäppchen von Spiess-Hegglin veröffentlicht. Damit das auch richtig klappt, sogar unter Brechung einer gerichtlich angeordneten Sperrfrist für die Berichterstattung über ein neues Urteil in Sachen Spiess-Hegglin.

Spiess-Hegglin hat laut eigenen Aussagen schon mehrere Dutzend Anzeigen eingereicht; in eigener und in fremder Sache. Oftmals würden die dann mit einem Vergleich erledigt; gerne auch mit Spende an ihren oder an andere Vereine ihrer Wahl.

Persönlichkeitsverletzung durch den «Blick»

Besonderer Verfolgung durch Spiess-Hegglin ist der «Blick» ausgesetzt. Der nahm eine Meldung der «zentralschweiz» auf und brachte zur Weihnachtszeit 2014 das sexuelle Rencontre bei einer weinseligen Feier mit den Namen und Fotos der Beteiligten an die Öffentlichkeit. Mit der Frage: Wurde sie geschändet? Denn bei der Fortsetzung des Techtelmechtels in einem Separée könnten k.o.-Tropfen im Spiel gewesen sein.

Daran schlossen sich eine längere Reihe von weiteren Artikeln an, nicht nur im «Blick». Gegen diesen ersten Artikel im «Blick» strengte Spiess-Hegglin eine Klage an. Es handle sich um eine Persönlichkeitsverletzung. Dafür sei ihr eine Genugtuung in der Höhe von 25’000 Franken zu zahlen, zudem solle sich das Boulevardblatt in Form eines vorformulierten Textes auf der Frontseite bei ihr entschuldigen.

Weitere Forderungen auf Gewinnherausgabe behielt sich Spiess-Hegglin vor. Kürzlich entschied das Zuger Obergericht in zweiter Instanz in diesem Zivilprozess. Es bestätigte eine Persönlichkeitsverletzung. Unabhängig von der Richtigkeit der Darstellung im «Blick» gehörten die Ereignisse zur Privatsphäre der Klägerin, zudem habe es kein öffentliches Interesse an der Beschreibung dieses Vorfalls gegeben.

Keine Entschuldigung und gekürzte Genugtuung

Mit der Forderung nach einer Entschuldigung scheiterte die Klägerin allerdings; auch die Genugtuungssumme wurde nochmals gekürzt, auf noch 10’000 Franken. Zudem wurde die Klägerin an den Gerichtskosten beteiligt.

Als dieses Urteil vom Büttel von Spiess-Hegglin bereits 24 Stunden vor Ablauf der Sperrfrist verkündet wurde, liess sie sich so zitieren: «Wir haben nun eine perfekte Grundlage für alles, was noch kommen wird.»

Zunächst kam aber, nach Ablauf der Sperrfrist, eine «aufrichtige Entschuldigung» vom Ringier-CEO Marc Walder. Spiess-Hegglin sei durch die Berichterstattung verletzt worden, und das tue ihm leid. Zuvor hatte sich Spiess-Hegglin noch darüber beschwert, dass es nicht mal eine freiwillige Entschuldigung gebe.

Nun also Gewinnherausgabe

Was wird denn noch kommen? Spiess-Hegglin liess sich vom mehrfach gescheiterten Internet-Guru Hansi Voigt ausrechnen, wie viel Ringier angeblich an seiner Berichterstattung über sie verdient habe. Mit komplizierten Berechnungen, mit denen Voigt absolutes Neuland betrat, kam er auf die beeindruckende Summe von rund einer Million Franken. Zuvor hatte auch er sich bei Spiess-Hegglin entschuldigt, weil Voigt damals bei «20Minuten» natürlich auch an der Erregungsbewirtschaftung dieses Falls mitgemacht hatte. Aber inzwischen ist er offenbar vom Saulus zum Paulus und Frauenversteher gereift.

Das würde also bedeuten, dass Spiess-Hegglin eine Gewinnherausgabe in sechs- oder gar siebenstelliger Höhe fordern könnte. Walder schrieb in seiner freiwilligen Entschuldigung hellsichtig: «Jolanda Spiess-Hegglin wird die Klagen gegen Ringier weiterführen und aufgrund dieser Zeilen nicht fallen lassen.»

Zunächst macht sie sich über die Entschuldigung von Ringier lustig

Was meint Spiess-Hegglin denn zu seiner Entschuldigung, die sie von Anfang an gefordert hatte? Auf Twitter widmet sie Walder einen alten Song der «Toten Hosen». Darin macht sich die deutsche Politband über falsche Entschuldigungen lustig. Persifliert angebliche Entschuldigungen der Polizei und singt selber eine Entschuldigungsarie. Die Botschaft ist klar: Wie schon in der Vergangenheit in anderen Fällen nimmt Spiess-Hegglin dem Ringier-Verlag seine Entschuldigung nicht ab, macht sich sogar lustig darüber.

Während es bei ihren anderen Anzeigen jeweils nur um Kleckerbeträge geht, würde die Gewinnherausgabe im Fall Ringier hoffnungsfroh gewaltig einschenken. Deshalb hat Spiess-Hegglin bereits präventiv, bevor das Urteil des Zuger Obergerichts bekannt war, eine entsprechende Klage eingereicht.

Schon vor dem Urteil des Zuger Obergerichts weitere Klage eingereicht

Um welche Summen geht es da? Nun, um einen Streitwert von «mehreren CHF 100’000». Dabei wird nur die Gewinnherausgabe von 5 «Blick»-Artikeln gefordert, allerdings weitere «Schadenersatz- und Genugtuungssummen» ausdrücklich vorbehalten.

Auf entsprechende Anfragen reagiert ihr Büttel Hollenstein öffentlich. Statt dass Spiess-Hegglin oder er meine Fragen beantworten, publizierte er am Donnerstagabend einen sicherlich schon längst geschriebenen Artikel: Seine Schutzbefohlene «fordert von Ringier die Herausgabe des Gewinns». Angesichts dieser Klage wird auch klar, wieso Spiess-Hegglin versuchen will, die von ihr immer eingeforderte und inzwischen erfolgte Entschuldigung ins Lächerliche zu ziehen. Denn damit fällt eine Flanke ihres Feldzugs gegen Ringier in sich zusammen. Es bleibt nur noch das Finanzielle.

Wie soll die Ebbe in der Kasse behoben werden?

Nun ist durch dieses Urteil zur Persönlichkeitsverletzung, «das nicht eindeutiger sein könnte», wie es sich Spiess-Hegglin schönredet, ein Problem sogar verschärft worden. Spiess-Hegglin bekommt viel weniger Genugtuung als gefordert, auch die Entschädigung für ihre Anwältin fällt magerer aus, und die von ihr per Crowdfunding gesammelten 70’000 Franken sind auch schon längst aufgebraucht.

Selbst wenn Spiess-Hegglin da alles zusammenkratzt, dürfte sie weiterhin auf unbezahlten Rechnungen ihrer für eine forsche Honorarpolitik bekannten Anwältin in der Höhe von sicherlich mindestens 100’000 Franken sitzen.

Also sind sowohl Anwältin wie Mandantin sehr daran interessiert, mittels Gewinnherausgabe die Ebbe in der Kasse zu beheben. Aber auch das ist tricky. Um eine solche Summe wurde in der Schweiz noch nie gestritten. Und ob ein Gericht die abenteuerlichen Berechnungen von Voigt akzeptiert, ist eine weitere Frage.

Geht es ihr einfach nur um Geld?

Die verfolgende Unschuld Spiess-Hegglin ist in einer rechten Bredouille. Die Öffentlichkeit reagiert immer matter auf Neuigkeiten in dieser Affäre ohne Ende. Die Feststellung einer Persönlichkeitsverletzung hat finanziell nicht eingeschenkt. Die verlangte und freiwillig gemachte Entschuldigung von Ringier muss zuerst desavouiert und als unglaubwürdig ins Lächerliche gezogen werden.

Fordert Spiess-Hegglin nun eine enorme Geldsumme, läuft sie Gefahr, dass auch in ihrer Unterstützer-Filterblase der naheliegende Verdacht geäussert wird: Geht es ihr letztlich nicht doch einfach um Geld?