Schlagwortarchiv für: Pakistan

Wir sind schuld

Flutkatastrophe in Pakistan: Die Deutschen sind schuld. Aber auch Tamedia.

David Pfeifer, der Südostasien-Korrespondent der «Süddeutsche Zeitung», hat eine steile These:

Die Deutschen seien nämlich beteiligt an dieser Flutkatastrophe in Pakistan, daher gelte, dass das die Deutschen «sehr viel» angehe, «denn der Lebensstil hier ist mit schuld daran. Und wer 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr hat, kann sich auch am Wiederaufbau am Indus beteiligen.»

Oder in der Print-Version in der SZ:

Pfeifer vergleicht diese Überschwemmung mit der Katastrophe in Deutschland und geht der Frage nach, «warum mehr als 1000 Tote bei Überschwemmungen in Pakistan deutlich weniger Entsetzen auslösen als 134 Tote im Ahrtal. Das ist normal und geht den meisten Menschen auf der Welt nicht anders: Man macht Probleme zu Problemen anderer Leute.»

Soweit scheint das nun doch eine ziemlich innerdeutsche Angelegenheit zu sein. So auch die Schlussfolgerung von Pfeifer in seinem Originalkommentar: «100 Milliarden Euro bekommt in Deutschland die Bundeswehr, um wieder wehrhaft zu werden; und auch, um die militärische Präsenz Deutschlands im Indo-Pazifik zu erhöhen. Um also international Verantwortung zu übernehmen. Da kann man sich schon mal an zehn Milliarden Dollar für den Wiederaufbau in Pakistan beteiligen.»

Nun ist es aber so, dass der Riesenkonzern Tamedia nur noch theoretisch eine Auslandsredaktion hat. Deren Chef kommentiert zwar, wenn er nicht gerade in den Ferien ist, fleissig das Weltgeschehen. Aber da bleibt noch Luft nach oben und unten. Und wenn das Stichwort «Schuld» fällt, wenn es um westliche Schuld an irgend etwas auf der Welt geht, dann reagiert Tamedia wie der pawlovsche Hund: man fängt spontan an zu sabbern. Denn wenn die Deutschen an was schuld sind, dann muss das doch auch für die Schweizer gelten. Also macht Tamedia flugs das aus dem Kommentar:

Denn keiner zu klein, mitschuldig zu sein. Also wird aus der deutschen Schuld eine allgemeine Schuld. Nicht nur die Deutschen geht die Flutkatastrophe in Pakistan etwas an, sondern auch die Schweizer. Nun hat die Schweiz allerdings keine Flutkatastrophe wie im Ahrtal erlitten, und es sind auch nicht 100 Milliarden für die Schweizer Armee neu eingeplant. Aber kein Auslandredaktor zu klein, um ingeniös zu sein. Also werden einfach diese teutonischen Aspekte aus dem Kommentar rausoperiert.

Kein Ahrtal mehr, keine 100 Milliarden für die Bundeswehr mehr, schon passt der Kommentar doch auch in die Schweiz. Nach der Devise: was nicht passt, wird passend gemacht. Also schnipselt die Auslandredaktion von Tamedia einfach die Schlusspointe des Kommentars weg und lässt ihn mit dem vorletzten Absatz enden: «Kann man Menschen Asyl verweigern, nachdem man ihren Lebensraum zugunsten des eigenen Wohlstands ruiniert hat? Und wenn man sie nicht aufnehmen will, muss man dann nicht zumindest einen Lastenausgleich schaffen?»

Einen auf Deutschland bezogenen Kommentar eines deutschen Auslandkorrespondenten einschweizern? Kein Problem. Sonst hätte man sich doch tatsächlich zu einer Eigenleistung aufraffen müssen, und das kann doch der zahlende Schweizer Leser nicht verlangen. Also lieber ihm diesen Verschnitt vorsetzen, dafür soll der dumme Leidgenosse doch gefälligst blechen, denn der eingeschweizerte deutsche Kommentar ist hinter der Bezahlschranke versteckt. Was man davon halten soll?

Kein Kommentar.

Fragen eines denkenden Laien

Afghanistan, du fernes Land des Nixverstan. Wieso beantwortet niemand banalste Fragen?

Seit den vorhersehbaren Terroranschlägen am Flughafen von Kabul geht die Tragödie ihren Gang, als sei sie von Sophokles geschrieben.

Aber genauso wenig, wie die meisten Schweizer Journalisten Sophokles ohne zu googeln kennen, sind und bleiben sie völlig unbeleckt von Kenntnissen über das Land am Hindukusch. Das ist nicht weiter schlimm, denn

es zeichnet ja den Journalisten aus, dass er nichts über alles oder alles über nichts weiss.

Auf jeden Fall eine klare Meinung dazu hat und mit dem beleidigten Bedauern des Ungehörten in alle Richtungen Kritiken, Zensuren und Besserwissereien verteilt. Auch das ist zwar nervig, aber nicht schlimm.

Fachwissen kann man sich ausleihen

Fachwissen kann sich der Journalist ja hereinholen, am besten, indem er einen Fachmann interviewt. Früher durfte der Spezialist auch noch etwas schreiben, aber dafür musste man ja ein Honorar zahlen, also fällt das weg; Interviews sind immer noch gratis. Meistens.

Also interviewt im «Tages-Anzeiger» ein gewisser Ronen Steinke einen gewissen «Islamwissenschaftler Behnam Said». Nur so als Beispiel herausgegriffen. Man sollte vielleicht wissen, dass Steinke natürlich nicht für Tamedia, sondern die «Süddeutsche Zeitung» arbeitet. Steinke hatte noch nie etwas mit Afghanistan zu tun, aber auch das macht ja nichts.

Islamwissenschaftler Said wiederum arbeitet für die Justizbehörde Hamburg und ist Autor mehrerer Bücher über Salafismus, den Islamischen Staat und Al-Kaida. Auch er hat mit Afghanistan nicht wirklich was am Hut.

Greifen wir nur eine Aussage heraus:

«Die afghanischen Taliban haben in erster Linie nationale Ziele.»

Das ist blühender Unsinn. Um das zu erkennen, genügt bereits die Erkenntnis, dass rund die Hälfte der afghanischen Bevölkerung Paschtunen sind, rund 15 Millionen. In Pakistan hingegen leben 20 Millionen Paschtunen. Wie häufig in der Geschichte wurde dieses Volk durch eine willkürliche Grenzziehung, hier die sogenannte Durand-Linie, von den britischen Kolonialherren getrennt. Das war 1893, das Volk der Paschtunen existierte schon Jahrhunderte vorher.

Wer keine banalen Grundkenntnisse hat, versteht nichts

Wer das nicht versteht, versteht die Rolle Pakistans, immerhin eine Atommacht, nicht. Wer noch nie von Belutschistan gehört hat, versteht Pakistan nicht. Wer nicht weiss, dass für China Afghanistan und Pakistan nicht klar unterscheidbare Ländern sind, versteht das Handeln des wichtigsten Players in der afghanischen Tragödie nicht. Ach, und dann gibt es noch Indien und den schiitischen Iran, und eine Handvoll Ex-sowjetischer Staaten, die sich unter dem militärischen Schirm der UdSSR entschieden wohler fühlten als heute.

Nehmen wir noch Bodenschätze dazu, das Scheitern aller westlichen Interventionen, geographische Gegebenheiten wie der mögliche Zugang Chinas ans Meer, dann hätten wir doch einen interessanten Katalog von Fragen über die zukünftige Entwicklung Afghanistans.

Komplex genug: aus «Le Monde».

Dabei wollen wir sicherlich auch nicht den Steinzeit-Fundamentalismus, die Organisation als Stammesgesellschaft, radikal-religiöse Strömungen, offene oder versteckte Unterstützer jeder Form von internationalem Terrorismus und pragmatischere Machtmenschen innerhalb der Taliban vergessen.

Aber wie in jeder Herrschaftsform, bei der Staat und Religion aufs engste verwoben sind, ist kein zweckrationales und verlässliches Handeln zu erwarten. Hingegen ein absehbares Desaster. Die Schalmeienklänge aus Doha, mit denen sich viele westliche Medien einlullen lassen, zeugen nur von einer beeindruckenden Lernkurve der Taliban.

In nur 25 Jahren haben sie gelernt, dass das Foltern und Aufknüpfen des afghanischen Präsidenten und seine Zurschaustellung an einem Betonpfosten nach der Machtübernahme keine so gute Idee war. Sie haben aber auch gelernt, dass ihre radikale Auslegung der Scharia und die Behandlung von Frauen schlechter als ein Stück Vieh nur leise Proteste auslöste. Das Genick brach ihnen damals die Wahnsinnstat der Al-Kaida unter Bin Laden gegen die USA.

Bin Laden wurde in Pakistan zur Strecke gebracht

Dummerweise hatten die Taliban all diesen Terroristen im Namen Allahs bereitwillig Unterschlupf gewährt. Bin Laden wurde dann allerdings in Pakistan zur Strecke gebracht, wo er unter dem Schutz des pakistanischen Militärs und Geheimdienstes jahrelang friedlich leben konnte. Gegenüber der pakistanischen Militärjunta (die wahre Macht im Land) trauen sich die USA aber nicht so aufzutreten wie in Afghanistan; die Atombombe macht den ganzen Unterschied.

Wie jede Kampftruppe, die an die Macht gekommen ist, müssen die Taliban sich nun mit ganz banalen Themen herumschlagen, wozu der Finanzhaushalt des Landes gehört. Wie werden sie das managen, bekanntlich ist ihre Haupteinnahmequelle die Herstellung von und der Handel mit Opium. Bei den hier umgesetzten Milliardenbeträgen braucht es Finanzinstitute, die die Geldströme bewältigen und Drogengelder weisswaschen.

Das wäre nun ein kleiner Strauss von laienhaften, nur aus oberflächlicher Beschäftigung mit Afghanistan gewonnenen Themenfeldern.

Das führt zur banalen Frage eines Laien: Wieso bekommen wir dazu keine Antworten? Wieso kreisen wieder einmal 99 Prozent aller Beiträge um die Begriffe Terror, Burka, Steinzeit-Regime? Wieso werden die ewigen, wenigen, überschaubaren Fragen durch die Medienmühlen gedreht, bis sie zu Staub gemahlen sind und dem Publikum im Mund knirschen?

Zentralregierung? Lachhaft.

Banale Fragen eines Laien

Wieso werden diese Themenfelder nicht wenigstens skizziert, abgesteckt, untersucht? Vieles davon ist vom Schreibtisch in Zürich, in München, in Hamburg möglich. Statt arme Korrespondenten, die tausende Kilometer von Kabul entfernt sind, mit Fragen nach der Einschätzung der Lage am Flughafen zu belästigen.

China, Pakistan, Indien. Das sind die wichtigsten Player auf dem Spielfeld. Wird es den Paschtunen diesmal gelingen, den Traum eines eigenen Staates zu verwirklichen? Wird Pakistan implodieren (oder schlimmer noch: explodieren)? Geht Chinas Rechnung auf; Rohstoffe, Korridor ans Meer, Kontrolle?

Andere Seidenstrasse: der «Korridor». Gewusst?

Sind doch faszinierende Fragen. Könnte doch jeder drauf kommen, nicht nur der Laie von ZACKBUM. Letzte banale Frage: Wieso nicht? Ketzerische Überlegung: Könnte das vielleicht daran liegen, dass im Journalismus inzwischen an allem gespart wird – ausser an arroganter Dummheit, Selbstverliebtheit und aus Unsicherheit über die eigene Zukunft geborenem Desinteresse an der Welt?