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Gesinnungs-Journalismus, Part II

Enver Robelli reitet mal wieder.

Der Tagi lässt ihm halt alles durchgehen:

Der gebürtige Kosovare leistete gegenüber Kroatien einen gewaltigen Beitrag zur Völkerverständigung: «Kroatiens Präsident als Provokateur: Er poltert gerade wie ein Betrunkener – gegen Minister und Bosniaken».

Aber er hat auch den Blick für das Grössere, dafür, dass «Putin den Vormarsch der Autokraten in Europa» unterstütze. Allerdings fängt er sofort an zu eiern. Denn die Beschreibung von Putins angeblichen Essgewohnheiten ist natürlich nichts anderes als «Heldenverehrung im Dienste Russlands». Was daran eine «Fake-News-Kampagne» sein soll? Isst der in Wirklichkeit kein Omelett mit Fruchtsaft, sondern Kaviar mit Wodka? Oder frisst er gar kleine Kinder?

Die Beschreibung der Essgewohnheiten von Donald Trump (Fast Food von McDonald’s, Hackbraten, McMuffins und Coca-Cola light) ist hingegen ein grandioses Stück Recherchierarbeit. Das gilt natürlich auch für Kamala (wer war das schon wieder) Harris (Gumbo), Joe Biden (Erdnussbutter-Marmeladen-Sandwich, Gatorade Orange)  oder Barack Obama (Salat mit Hähnchen, Tee).

Dann liefert Robelli, wäre sonst zu anstrengend geworden, einfach eine Zusammenfassung einer Studie der FDP-nahen deutschen Friedrich-Naumann-Stiftung ab. Daher weiss er:

«Der Balkan, so die Studie, sei gezielt als «Labor und Trainingsfeld russischer Propaganda» ausgewählt worden. Die vom Kreml gesteuerten Propagandainstrumente «Sputnik» sowie «RT-Balkan» (früher Russia Today) fluten von Belgrad aus die Region mit Lügen, Fake News und Verdrehungen, um die Bevölkerung gegen «den Westen» aufzurüsten

Anschliessend frühstückt Robelli das Panoptikum der östlichen «Achse der Autokraten» (analog zur «Achse des Bösen») ab: Serbiens Vucic und natürlich Ungarns Orban; «sein Agieren habe das Zeug, die EU, die Nato und das gesamte euroatlantische Sicherheitssystem ins Wanken zu bringen». Wow, der ist ja fast noch gefährlicher als Putin.

Da kommt der Heimweh-Kosovare richtig in Fahrt: «Alleinherrscher von Budapest» (wer meint, der sei gewählt worden, irrt sich), der mit «seiner kruden Mischung aus Nationalismus und Rechtspopulismus den Staat gemäss seinem antiliberalen Weltbild umgebaut hat, inspiriert auch den linkspopulistischen Premier der Slowakei, Robert Fico, sowie den FPÖ-Chef Herbert Kickl, der bald Bundeskanzler in Wien werden könnte. Fico besuchte kurz vor Weihnachten Putin in Moskau.»

Und noch die Kontaktschuld: war in Moskau, vor Weihnachten, das sagt doch alles. Und so weiter.

Nach der unbelegten Beschreibung der Misere zum Schluss unweigerlich die guten Ratschläge: «Auf die unjournalistische Propaganda müsse eine journalistische Antwort folgen

Alles in indirekter Rede, damit Robelli zur Not sagen kann, er habe ja nur abgeschrieben, und das auf quälend langen 9135 A. Allerdings: wenn die Antwort journalistisch sein soll, dann kann dieses Machwerk ja nicht dazuzählen. Es ist im Grunde genauso propagandistisch-primitiv wie vieles, das aus Russland kommt. Einfach andersrum.

 

Hello, Mr. President

Christof Münger hat nicht mal ein Proseminar besucht …

«Im Proseminar fürs Politologiestudium spricht man nicht von Bullys, sondern etwas vornehmer von revisionistischen Grossmächten, die den territorialen Status quo ändern möchten. China verfolgt im Südchinesischen Meer und gegenüber Taiwan eine solche Aussenpolitik. In Hongkong wurde sie umgesetzt, sie ist aggressiv und expansiv. Russland ist die zweite revisionistische Atommacht, siehe Ukraine. Am 20. Januar kommt eine dritte revisionistische Grossmacht hinzu, die USA von Donald Trump.»

Geschichte für Anfänger und den Auslandchef ohne Ausland und Verstand von Tamedia: Taiwan war jahrhundertelang unter chinesischer Herrschaft, dann von 1895 bis 1945 Teil des japanischen Kaiserreichs, 1949 zog sich Chiang Kai-shek nach seiner Niederlage gegen Mao hierher zurück. Anschliessend war Formosa oder Taiwan Bestandteil des Kalten Krieges und wurde lange Zeit bis 1971 vom Westen als einzige legitime Vertretung ganz Chinas anerkannt.

Welcher Status quo von wann hier geändert werden soll, das ist wohl die Frage. Und Hongkong? Wurde 1841 von England besetzt und 1843 zur Kronkolonie erklärt. 1997 wurde dieses Überbleibsel des Kolonialismus an China zurückgegeben.

Würde Christof Münger in einem Proseminar so einen Quatsch erzählen, die Fortsetzung seines Studiums wäre gefährdet. Hiermit wäre sie dann wohl beendet: «Europa muss nun schnell erwachsen werden und an Unabhängigkeit gewinnen, vor allem was die eigene Sicherheit betrifft. » Erwachsen werden, mehr Unabhängigkeit? Von der mit Abstand grössten Militärmacht der Welt? Die übrigen Teilnehmer des Proseminars schütteln verzweifelt die Köpfe ob eines solchen Stusses.

Aber da geht noch mehr. Der israelische Ministerpräsident Netanyahu habe erst jetzt einer Waffenruhe zugestimmt, das sei «ein Geschenk zum Amtsantritt seines alten Verbündeten: Der Deal liegt schon ein halbes Jahr lang unterschriftsbereit vor. Mehrere israelische Geiseln, zahlreiche israelische Soldaten und viele palästinensische Zivilisten würden noch leben, hätte der israelische Premier früher eingewilligt. Doch Netanyahu wollte verhindern, dass US-Präsident Joe Biden diesen Erfolg verbuchen konnte».

Diesen Geheimplan hat Netanyahu mitsamt des unterschriftsreifen Vertrags aber wirklich sauber im Giftschrank eingeschlossen und keinen rangelassen. Bei solchem Gefasel würde manch Verschwörungstheoretiker vor Neid erblassen.

Und Musk? Dem gehe es nicht um die Redefreiheit, sondern «um die Freiheit, lügen zu dürfen». Das ist nun aber auch Bestandteil der Meinungsfreiheit, schliesslich darf doch auch Münger so viel Unsinn erzählen, wie es ihm drum ist.

Dann kommt ansatzlos ein Salto mortale ins Zusammenhangslose: «Wer hingegen in Moskau den Angriffskrieg gegen die Ukraine öffentlich kritisiert, bekommt Besuch von der Polizei. Und Chinesen, die das Massaker auf dem Tiananmen-Platz nur schon erwähnen, verschwinden im Gefängnis. Dort geht es um die Redefreiheit – für Europas Populisten kein Thema.»

Trump, Musk, Redefreiheit im Westen. Dagegen die Zensur im Osten, wobei Münger die genauso strikte Unterdrückung jeder freien Meinungsäusserung in der Ukraine zu erwähnen vergisst. Und wieso sollten sich «Europas Populisten» darum kümmern?

Aber verflixt, dachte Münger mal wieder, jeder Kommentar hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Also woher eine Schlusspointe nehmen und nicht stehlen? Ach, lieber was zusammennageln als gar nicht schreiben:

«Die Wahl von Trump und die Wucht von Elon Musk haben Leuten wie Alice Weidel, Herbert Kickl, Viktor Orbán und Marine Le Pen einen Boost verliehen. Angesichts des anstehenden Comebacks ihres Paten in Washington scheinen sie vor Vorfreude fast zu platzen – Trump kann auf eine politische Fangemeinde in Europa zählen.»

Das könnte Münger nun, dank der Meinungsfreiheit, auch auf X oder Facebook posten. Inklusive der Verbalinjurie «Pate» für Trump, also Mafiosi, also sind auch die erwähnten europäischen Politiker Mitglieder der Mafia.

Allerdings hört für Münger Meinungsfreiheit dort auf, wo ein anderer eine andere Meinung hat. Und freie Wahlen kommen irgendwie an ihre Grenzen, wenn die Falschen gewählt werden. Da wird Tamedia endgültig zum Witzblatt, ohne komisch zu sein.

Wumms: Roger Köppel

Der Chef schreibt über sich selbst. Nur merkt er es nicht.

Der religiös gefestigte Chefredaktor, Verleger, Besitzer und Herausgeber der «Weltwoche» hat mal wieder sein Privileg ausgenützt, dass er in seinem Blatt über alles so wie er will, so langfädig er will und so inkohärent wie er will schreiben kann. Denn wer sollte ihm das verbieten wollen?

Also hebt er in seinem neusten Editorial, das man besser «da geht’s lang» nennen sollte, an:

Das ist Latein und stammt ursprünglich von Cicero, der vor dem Machtanspruch von Marcus Antonius warnte. Eigentlich sagte Cicero «Hannibal ad portas». Aber Roger Köppel hat leider weder das grosse, noch das kleine Latinum, und sein Bildungsrucksack ist trotz immenser Belesenheit aktueller Bücher nicht wohlgefüllt.

Aber macht ja nichts; Trump kennt auch nur Hannibal Lecter, von dem er manchmal zusammenhangslos faselt, und Köppel will ja wohl nicht vor Trump (alias Hannibal, alias Marcus Antonius) warnen.

Zur weiteren Verwirrung trägt Köppel bei, indem er nach diesem schrägen Titel die Rückkehr Napoleons aus dem Exil auf der Insel Elba im Jahr 1815 nacherzählt.

Würde sich das jemand in der WeWo trauen, müsste er also dem Vorschreiber spätestens hier sagen: setzen, ungenügend, nochmal, aber bitte mit Logik und Sinn.

Nun dienen diese historischen Verrenkungen Köppel dazu, die Wetterwendigkeit der Medien zu beklagen, die schon beim Triumphzug Napoleons auf Paris zuerst vor Napoleon warnten, ihn dann aber warmherzig begrüssten.

Schlussfolgerung: «Ähnlich scheint es sich nun mit der Wiedergeburt des amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump vom absoluten Paria zur Gestalt eines Märtyrers zu verhalten.»

Um die schrägen historischen Vergleiche zu Ende zu erzählen: die triumphale Rückkehr Napoleons zur Macht endete mit einer krachenden militärischen Niederlage bereits nach 100 Tagen. Und das war dann wirklich das Ende.

Aber Köppel wollte ja nur gelahrte historische Schnipsel verstreuen. Ist immer gut – wenn man’s kann. Wenn man’s nicht kann, ist’s blöd.

Dann konstatiert Köppel, dass nach dem Attentat auf Trump in den Medien ein gewisser Wandel in der Berichterstattung stattgefunden habe. Und fragt keck: «Haben wir es auch hier, wie bei Napoleon, mit einer dramatischen Ent-Monsterung zu tun

Schräge Wörter verraten häufig schräge Gedanken, dafür ist «Ent-Monsterung» ein gutes Beispiel. Das benützt Köppel als Sprungbrett, um in den vom ihm geliebten Gestus des Elder Statesman zu verfallen, der über dem Geschrei und Gemenge thront und weise einordnet:

«Trump war wohl nie so schrecklich und schlimm, wie ihn seine Kritiker aus dem Stegreif pinselten. Handkehrum dürfte auch die Erkenntnis stark übertrieben sein, die Schüsse seines Attentäters hätten Trump zum Märtyrer, zur säkularen Heilsfigur geläutert.»

Hier wird’s nun wirklich lustig. Köppel pinselte Trump tatsächlich nie als schlimm, aber sein letztes frömmlerisches Editorial unter dem Titel «Der Auferstandene» mit deutlichem historischem Bezug auf einen anderen angeblich Auferstandenen roch streng nach Verklärung. Ein typischer Fall von: was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an.

Das lautete so: «staatsmännische Würde … eine Art Wiedergeburt. Zum Guten? … bewährte sich als Held … reckte er, nicht zu bändigen, in unbesiegter Kämpferpose seine kraftvoll geballte Faust empor … eigenes Heldengemälde in Echtzeit … eine Schicksalsfügung Gottes … Das gottlose, heuchlerische Frömmlertum sah in Trump den Teufel …»

Daraus schliesst der scharfe Denker dann: «Als Zuschauer lernen wir: Glaube nichts, bezweifle alles.» Auch das ist wieder richtig lustig. Denn Köppel sieht sich überhaupt nicht als Zuschauer, sondern sass mit stolzgeschwellter Brust auf dem Schoss Orbáns, als der seine Friedensmissionshow abzog. Da ihn Orbán dann nicht nach Peking mitnahm, benützte Köppel die Gelegenheit für ein paar Jubelartikel über das blitzsaubere Moskau mit seinen wohlgefüllten Regalen in den Kaufhäusern.

Aber zurück zu seiner Medienschelte: «Je schriller, je giftiger – oder jubelnder –, je emotionaler jedenfalls der Ton, desto härter erfolgt irgendwann der Aufprall auf die Wirklichkeit. Auch die Konjunktur der Kommentare kennt den «irrationalen Überschwang». Recht oft sogar kommt er vor.»

Diese Watsche reicht ihm noch nicht. Denn wer mit schrägen historischen Vergleichen anfängt, muss auch mit solchen aufhören: «So gesehen, haben wir dieser Tage tatsächlich eine biblisch anmutende Transformation erlebt, ein kollektives Damaskus-Erlebnis der Kollegen. Mit den Schüssen von Butler zerstoben ihre Fiktionen.»

Ähm. Als Damaskuserlebnis bezeichnet man die angebliche Begegnung von Paulus mit dem wiederauferstandenen Jesus, der ihn vom Verfolger der Christen zum Apostel des Christentums veränderte. Haben also die «Kollegen» in Trump – vielleicht wie Köppel – den Wiederauferstandenen erblickt? Und welche Fiktionen über den Mann mit der merkwürdigen Frisur sollen dabei «zerstoben» sein?

So holperig der historische Einstieg, so verstolpert der Ausstieg.

Aber der wirkliche Brüller bei diesem Text von Köppel ist: eigentlich schreibt er über sich selbst. Aber ohne das zu merken.

NZZ, quo vadis?

ZACKBUM wiederholt sich. Die NZZ leider auch.

Wenn ein Klugschwätzer wie Christoph Koopmann im fernen München via Tamedia UnausgegorenesPutin, der Pate») absondert, dann ist das halt eines der vielen Anzeichen des unaufhaltsamen Niedergangs.

Aber Peter Rásonyi ist immerhin Auslandchef der NZZ. Deren Auslandberichterstattung ist (meistens) ein Leuchtturm in der Tiefebene der deutschen Medienlandschaft. Ausser, wenn sich Rásonyi zu den USA äussert. Oder zum Krieg im Nahen Osten. Oder zum Ukrainekrieg.

Da nimmt auch Rásonyi ein von westlichen Geheimdiensten in die Welt gesetztes Gerücht für bare Münze: «Der russische Geheimdienst hat einen Mordanschlag auf den CEO des grössten deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall geplant.»

Hier erhebt sich langsam die Frage, ob der Sohn von Ungarn-Flüchtlingen unbedingt öffentlich ein Familientrauma abarbeiten muss. Dieses Propagandagetöse westlicher Geheimdienste, die notorisch falsch liegen, müsste dringlich auf seine Substanz abgeklopft werden. Sonst ist es nicht mehr als ähnliche unsinnige Behauptungen der russischen Propaganda. Aber für Rásonyi ist alles Anlass, seine ewig gleiche Schallplatte zu spielen: «Der Fall zeigt, dass der Krieg, den Präsident Putin seit mehr als zwei Jahren gegen die Ukraine führt, sich längst auch gegen den ganzen Westen richtet.» Kleines Problem: es gibt keinen Fall.

Aber wenn die Schallplatte sich mal dreht, dann kommt er nicht aus der Rille: «Derzeit stecken Putins Panzer in der östlichen Ukraine fest, aber niemand weiss, wie weit sie fahren würden, wenn sie könnten. Deshalb liegen all die angeblichen Friedensvermittler in Deutschland und ganz Europa falsch.»

Falscher als falsch liegt natürlich einer, der Rásonyi nahe und fern liegt: «Die Nato verhalte sich mit ihrer Unterstützung der Ukraine zunehmend wie eine kriegerischen Organisation, warnte der ungarische Ministerpräsident Orban diese Woche am Nato-Gipfel in Washington.»

Ganz falsch, donnert Rásonyi, denn er weiss, was richtig wäre: «Der Preis für Russlands Raubzug im Westen muss durch die starke Gegenwehr und die Unterstützung der Ukraine so hoch geschraubt werden, dass Putin künftig weder Mittel noch Anreiz zu solchen Verbrechen hat. Nur dann wird Europa wieder in Ruhe und Sicherheit schlafen können. Und genau das tun die Nato-Staaten, wenn sie die Ukraine unterstützen. Wenn die europäische Geschichte etwas gezeigt hat, dann den kontraproduktiven Effekt von Appeasement gegen brutale Diktatoren

Grosse Imperien unternehmen Raubzüge und wollen ihre Flanken schützen. Niemals würden es die USA akzeptieren, wenn Mexiko russische Militärstützpunkte zulassen würde. Als die Sowjetunion selig Atomraketen auf Kuba stationierte, die nicht näher an den USA waren als US-Atomraketen in der Türkei oder der BRD, endete das beinahe im Dritten Weltkrieg.

Schliesslich der «kontraproduktive Effekt von Appeasement gegen brutale Diktatoren». Der ewige schiefe Vergleich mit der Politik Grossbritanniens gegenüber Hitler vor dem Zweiten Weltkrieg. Wie alle Verkürzungen einer komplexen historischen Situation untauglich. Putin ist nicht Hitler mit Atomwaffen. Und hätte der Naziverbrecher solche besessen, wäre die Geschichte ganz anders ausgegangen. Hitler wollte nicht weniger als die ganze Welt erobern und die jüdische Rasse vernichten. Beides will Putin nicht.

Wenn ein Krieg nicht mit Verhandlungen endet, endet er mit der völligen Niederlage einer der beiden Kriegsparteien. Was ist an dieser einfachen, klaren und richtigen Analyse zu schwer zu kapieren? Die USA haben seit dem Zweiten Weltkrieg jede Menge Kriege verloren. Korea, Vietnam, Irak, Afghanistan, dennoch wurden sie niemals für die Verheerungen die sie anrichteten, zur Verantwortung gezogen. Ganz einfach, weil es niemanden gibt, der das einer Atommacht gegenüber tun könnte. Und Russland? Was soll an diesem Vergleich zu schwer zu kapieren sein?

Selbst die Militärmacht USA, die alleine so viel für Rüstung ausgibt wie die zehn nächsten Staaten zusammen, kam an ihre militärischen Grenzen; knapp bevor sie Atomwaffen in Vietnam einsetzte, wie es der verrückt gewordene General Westmorland forderte, so wie es zuvor General McArthur in Korea gefordert hatte. Eine Atommacht aus einem Krieg herausbugsieren, das geht nur mit Fingerspitzengefühl und Verhandlungen. Wer das als «Appeasement» denunziert, der zeigt ein bedenkliches Unvermögen zur Analyse.

Kann jedem passieren. Sollte dem Auslandchef der NZZ nicht passieren. Kann ihm einmal passieren. Aber in dieser hohen Kadenz und Wiederholung? Da hat God almighty Eric Gujer – bei all seiner atlantischen Sympathie – neben Beat Balzli noch ein zweites gröberes personelles Problem. Je schneller er es löst, desto besser für die NZZ.

Orbans Schatten

Wie nahe darf ein Journalist einem Politiker kommen?

Roger Köppel ist gerne Fan. Das hat etwas Jugendliches, manchmal auch ein wenig Infantiles. Und manchmal wird es echt gefährlich für ihn und sein Blatt.

In jüngster Zeit fant Köppel für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Der sei schlichtweg «ein Held». Dafür darf Köppel ihn ausführlich interviewen. Mit ihm zu Selenskyj nach Kiew reisen. Mit ihm nach Moskau zu Putin reisen. Leider musste Köppel aber bei Orbáns Reise nach Peking und nach Washington zu Hause bleiben.

Aber das tut der Bewunderung keinen Abbruch. Auch Philipp Gut, der Mann fürs grobe Nachbearbeiten, darf nacheifern: «Orbán als Vorbild für die Schweiz und die EU».

Dass Köppel reflexartig Russland verteidigt, wohlan. «Russland dementiert Angriff auf Kinderspital», vermeldet er in seinem «Weltwoche daily». Beweis, Beleg, Begründung? Wozu auch.

Bei Orbán gerät Köppel richtig ins jugendliche Schwärmen: «Eine schwarze Wagenkolonne, zwei Dutzend schwerbewaffnete Elitesoldaten und zwanzig Stunden Fahrt durch die Landschaften der Ukraine: Meine Reise mit Europas neuem Ratspräsidenten Viktor Orban zu Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Kiew.» Wow, und er durfte mitfahren, Wahnsinn. Mit dem «Glücksfall für Europa». Mit der «Alternative für Europa». Mit der Alternative für alternativen Journalismus, wo der animierte Chefredaktor mit bübischen Grinsen aus dem Innern des Kreml berichten darf, nachdem er zuvor die blitzblanken Strassen Moskaus gelobt hat, soweit er das aus der Limousine beobachten konnte.

Lohn der Mühe: «Viktor Orbán in Moskau: Das erste Interview nach dem Putin-Gipfel». Denn Köppel durfte nicht nur in der schwarzen Wagenkolonne mitfahren, er durfte auch neben dem Ministerpräsidenten im Flieger sitzen.

Der Ministerpräsident kann sicher sein, dass er mit keiner kritischen Frage belästigt wird. Dieses Privileg genoss auch schon Wladimir Solowjow. Der «Superstar des russischen Politfernsehens» durfte in der WeWo ungebremst einen Unsinn nach dem anderen raushauen:

«Ich bin die reinste Form eines Journalisten … Ihr (Europäer, Red.) tut uns leid … Europa führt wieder einmal Krieg gegen Russland, zum dritten Mal seit Napoleon und Hitler … Wir sagten Selenskyj, er solle aufhören, Menschen zu töten. Dann begannen wir unsere begrenzte militärische Operation … Gemäss den Verträgen, die wir unterzeichnet haben, war das zu 100 Prozent legal … Alles, was wir tun, tun wir auf der Grundlage des Völkerrechts, auf der Grundlage von Verträgen … Es spielt keine Rolle, wie lange es dauert. Wir werden gewinnen.»

All das hat bei Köppel leider Tradition. Genau in der Woche, als Präsident Putin seinen Überfall auf die Ukraine begann, liess ihn Köppel als den «missverstandenen» Friedensengel abfeiern.

Nun ist die einseitige und voreingenommene Berichterstattung der Mainstreammedien über Putin und Orbán auch kein Ruhmesblatt für den angeblich so freien westlichen Journalismus. Dagegen anzuschreiben, wieso nicht.

Natürlich reisen auch andere Journalisten im Tross von Regierenden mit (eingeladen, im heutigen Elendsjournalismus würde das keine Redaktion selbst bezahlen). Und sicher wird man nicht mehr eingeladen, wenn man zu kritisch über den grosszügigen Regierenden berichtet.

Aber gleich eine ganze Serie? Zuerst einige liebedienerische Interviews mit und Beschreibungen von Orbán. Dann die Belohnung, Köppel in Kiew. Dann die nächste Belohnung, Köppel im Kreml.

Damit schadet der Tausendsassa seinem Blatt, sich selbst und auch der von ihm vertretenen Sache ungemein. Denn die Berichte von Groupies liest man vielleicht bei Taylor Swift gerne (wenn man Fan von ihr ist). Aber mal im Ernst, Orbán als Lichtgestalt, die unermüdlich um die Welt glüht, um endlich Frieden in der Ukraine zu erreichen? Termine mit Händeschütteln mit den Wichtigen und Mächtigen, und im Hintergrund murmelt Köppel Wichtigkeiten in sein Handy, da ist die Grenze zwischen Realität und Realsatire deutlich überschritten.

Nachdem die WeWo schon stolzgeschwellt vermeldete, dass Köppel nach seinem «was wollten Sie schon immer mal sagen?»-Interview mit dem serbischen Ministerpräsidenten in der serbischen Presse wohwollend bemerkt wurde, kommt nun noch das Gleiche aus Ungarn:

«Schweizer Renaissance-Mann». Massierst du mir meinen, massier ich dir deinen. Ist das peinlich.

Revolverblatt Tamedia

Wenn sich der Niedergeschossene rechtfertigen muss.

Von Thomas Baumann*
Vincenzo Capodici ist beim «Tages-Anzeiger» Redaktor im Ressort International. Gleichzeitig ist er, wie es weiter heisst, «Mitglied des Tamedia-weiten Netzwerks ‹Neue Formen & Storytelling›».
Er hat die Aufgabe gefasst, den slowakischen Ministerpräsidenten, der soeben niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt wurde, näher vorzustellen.
An sich keine schlechte Idee: Auf der politischen Landkarte der meisten Leser dürfte die Slowakei nicht viel mehr als ein blinder Fleck sein. Bedarf an Information ist somit gegeben.
Also titelt der Journalist bzw. die Redaktion: «Slowakischer Premier Fico: Für seine Gegner verkörpert er den korrupten Mafiastaat». Und gleich danach im Lead: «Fico ist ein Machtmensch mit Nähe zu Russland und autokratischen Ideen — und er spaltet die slowakische Gesellschaft.»
Stopp, Timeout!
Zwei Wochen zurückspulen. Am 3. Mai wurde der SPD-Politiker Matthias Ecke beim Plakat-Aufhängen in Dresden angegriffen und spitalreif geschlagen.
Die Tamedia-Zeitungen sprachen damals zu recht von einem «brutalen Angriff». Dass sie das im Fall von Robert Fico nicht taten, ist ihnen nicht vorzuwerfen. Aus dem Zusammenhang — Schussabgabe, lebensgefährliche Verletzung — erschliesst sich die Brutalität des Angriffs ganz von selbst.
Was die Tamedia-Zeitungen damals aber ganz bestimmt nicht taten: All die negativen Eigenschaften aufzuzählen, welche der Angegriffene für seine politischen Gegner angeblich verkörpert.
Das wäre problemlos möglich gewesen: Es wäre der AfD wohl nicht schwergefallen, allerhand negative Attribute in Zusammenhang mit dem angegriffenen SPD-Politiker anzugeben. Aber man hat sie nicht gefragt. Zu Recht nicht gefragt.
Anders beim slowakischen Ministerpräsidenten. Der Grund dafür: Er gehört zu den Bösen, nicht zu den Guten. Zwar ist er offenbar «Linkspopulist» und nicht «Rechtspopulist» — aber angeblich russlandfreundlich und autokratisch veranlagt.
Natürlich darf der Vergleich zu Orban nicht fehlen, Hinweise auf einen angeblich von der Mafia unterwanderten Staat und einen Journalistenmord — doch weil es natürlich rassistisch (und auch völlig faktenfrei) wäre, der gesamten slowakische Gesellschaft eine Nähe zum Verbrechen zu unterstellen, heisst es weiter: «er spaltet die slowakische Gesellschaft».
Vincenzo Capodici ist angeblich Mitglied im Tamedia-weiten Netzwerk «Neue Formen & Storytelling». Täter-Opfer-Umkehr bzw. Opferschelte ist allerdings alles andere als eine neue Form des Storytelling.
Geradezu lachhaft, mit welcher Quelle dann versucht werden soll, die autokratischen Tendenzen zu belegen: «‹Fico ist das ganze System. Fico ist der König der Slowakei›, kommentierte kürzlich die polnische Zeitung ‹Rzeczpospolita›».
Genau lesen lohnt sich in diesem Fall: Tamedia findet keine andere Quelle als eine Zeitung aus dem Nachbarland Polen (!), um den slowakischen Ministerpräsidenten zu charakterisieren.
Bei solchem Journalismus bleibt einem wirklich nur noch Kopfschütteln.
Da capo:
Auch Tamedia ist natürlich die Gelegenheit zur Korrektur zu bieten. Wo passt das besser als direkt am Ort des Geschehens mit einem Leserkommentar? Dieser, rasch geschrieben, lautete folgendermassen: «Unlängst wurde ein deutscher SPD-Politiker niedergeschlagen und verletzt. Nie und nimmer wäre es der Redaktion damals aber in den Sinn gekommen zu schreiben: ‹Für seine Gegner verkörpert Matthias Ecke…› (und dazu irgendwelche negativen Assoziationen). Man gibt in so einem Fall nicht ausgerechnet der Täterschaft noch Raum für Ihrer Vorwürfe. Warum also im einen Fall — und im anderen nicht? Bloss weil einem ein Politiker sympathisch ist und im anderen Fall nicht?»
Die Redaktion von Tamedia: «Um einen angenehmen, sachlichen und fairen Umgang miteinander zu gewährleisten, publizieren wir keine Beiträge, die sich im Ton vergreifen.»
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*Der Kommentar erschien zuerst in der «Walliser Zeitung». Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

«watson» kann’s natürlich auch

Sicher, der «Blick» ist nicht alleine.

Da wäre mal die Rubrik «Was ich wirklich denke». Diesmal:

Was das ist? Nun, für Leser ohne Scham: beim Vernähen des Damms einer Frau nach der Geburt werde «eine oder mehr Nähte mehr als nötig angelegt.» Warum? «Der Zweck soll darin bestehen, die Öffnung der Vagina zu verengen und dadurch das Vergnügen ihres männlichen Sexualpartners beim Geschlechtsverkehr zu steigern.»

Pfuibäh. Noch widerlicher seien die Männer von beschnittenen Frauen, weiss die anonyme Hebamme. Aber da würde natürlich jede Kommentierung schnell als postkolonialer Rassismus bei völligem Fehlen eines multikulturellen Verständnissen für andere Sitten kritisiert.

Wichtiger noch ist, dass «watson» eine neue Stufe des nassforschen Zugebens eines Plagiats erreicht hat: «Wir gestehen: Bei der Idee für «Was ich wirklich denke» haben wir uns schamlos beim «Guardian»-Blog «What I’m really thinking» bedient. Wir mussten fast, denn die Idee dahinter passt wie die Faust aufs Auge auf unseren alten Claim «news unfucked».» Wahrlich, wie die Faust aufs Auge des Lesers.

Aber zurück zum Altbewährten, dem Listical:

Haben wir gelacht. Das gilt natürlich auch für diese Meldung:

Auch «watson» will gerne etwas für die Bildung seiner Leser tun:

Ein sogenanntes ausführliches Erklärstück, das aber eigentlich niemanden interessiert. Oder will jemand damit beim ersten Date oder der Liebesfeier langweilen?

Hier kann man hingegen von einer aufgespreizten Bild-Textschere sprechen:

Wobei natürlich auch Sexismusverdacht bleischwer in der Luft liegt. Apropos, sex sells, geht immer:

Auch das läuft unter der Rubrik: was wir nie genau wissen wollten.

Aber jetzt wird es ernst, Philipp Löpfe beantwortet die ganz grossen Fragen der Weltpolitik:

Wobei die Spitzmarke «Analyse» ungefähr so zutreffend ist wie bei Raphaela Birrer. Joe Biden sei offensichtlich zu alt, weil er sich ständig verspricht? I wo, stammelt Löpfe: «Weil er in seiner Kindheit gestottert hat, neigt der Präsident zu Versprechern. Das hat er stets getan, ganz abgesehen davon, dass dies eine Eigenschaft ist, die allen älteren Menschen gemein ist, genauso wie ältere Menschen dazu neigen, Dinge zu vergessen und Namen zu verwechseln. Der bloss rund vier Jahre jüngere Donald Trump tut dies ebenso

Im Alter wird der Mensch halt wieder zum Kind, weiss man doch. Und Trump macht’s auch, obwohl er in seiner Kindheit wohl nicht stotterte. Ätsch.

Denn eigentlich sei Biden «schlank und fit», er versuche aber nicht, «sein Alter künstlich zu überdecken. Sein Haar ist weiss geworden, sein Gang zögerlich». Auf der anderen Seite: «Trump hingegen ist gross und dick. Er lässt sich jeden Tag stundenlang schminken und büschelt sein blondiertes Haar so, dass man seine Glatze nicht sieht. Er tritt machomässig auf, tanzt – oder was er dafür hält – zu Disco-Musik und kommt damit durch.»

So weit, so ungerecht. Aber beantwortet Löpfe eigentlich die Titelfrage? Wolle Biden allenfalls freiwillig zurücktreten? Niemals, weiss Löpfe. Könne man ihn dazu zwingen? Keinesfalls. Also: «Geradezu aussichtslos ist es, Biden in den Vorwahlen die Kandidatur streitig machen zu wollen.»

Und sonst: «Der Schwurbler Robert F. Kennedy will als Unabhängiger antreten. Dazu gesellt sich erneut die Grüne Jill Stein und der schwarze Exzentriker Cornel West

Also alles Nullnummern. Fazit: «Die Amerikaner stehen somit vor der wenig attraktiven Wahl zwischen einem Grossvater und einem Verrückten.» Trump ist also verrückt? Aber ja, siehe seine NATO-Rempeleien. Und, fast noch schlimmer: «Keine Berührungsängste zu Diktatoren». Und auf dem Foto sieht man – Trump mit dem gewählten ungarischen Ministerpräsidenten Orbán, der sich eine solche Verleumdung verbitten würde, wenn er das Geschwafel von Löpfe zur Kenntnis nähme.

Lässt sich das noch steigern? Ach ja, massenhaft, aber wir lassen es bei der Darstellung unserer Lieblingsrubrik bewenden:

Kleine Preisfrage: wie viele Leser von «watson» sind wohl in der Lage, die richtige Zahl aus «Teil CXVI» zu extrahieren? Im Gegensatz zu allen ZACKBUM-Lesern, natürlich.