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Abgeschriebener Skandal

Die Recherche-Cracks von Tamedia können Französisch.

Das kommt wie ein Hammer-Artikel daher: «Bankenskandal holt ehemalige Bundesrätin Ruth Metzler ein», wummert Tamedia auf den Frontseiten seines Kopfsalats. Und legt auf zwei Seiten nach: «Bank Reyl: Finma kritisiert Umgang mit Autokraten-Geldern».

Wow. Endlich mal wieder ein Ergebnis tiefer Recherche von Christian Brönnimann, Sylvain Besson und Oliver Zihlmann. Geballte Fachkompetenz, tiefe Denke, gnadenlose Enthüllungen.

Wie eine Fülle von Dokumenten beweise, habe die Privatbank Reyl In Genf jahrelang Kunden zweifelhafter Herkunft und Gelder von mehr als zweifelhafter Herkunft beherbergt. Sie sei dafür ständig von der Bankenaufsicht Finma gerügt und kritisiert worden – ohne etwas Ernsthaftes dagegen zu unternehmen, dass Gelder von Autokraten, der Drogenmafia und Putin nahestehenden russischen Oligarchen bei der Bank landeten.

Schlimmer noch: die frühere Justizministerin Ruth Metzler war acht Jahre lang Verwaltungsrätin der Bank, «dort ab 2021 auch Vizepräsidentin in einem dreiköpfigen Ausschuss, der unter anderem für Fragen der guten Geschäftsführung (Governance) zuständig ist – genau dafür also, was die Finma beanstandete», moniert Tamedia.

Und führt eine Unzahl von Beispielen an, wie geleakte Dokumente einen mehr als fahrlässigen Umgang mit Grundregeln der Verhinderung von Geldwäsche und der aufnähme von sogenannten PEP, politically exposed persons, belegen.

Dazu wird die «Rechtsprofessorin und Compliance-Expertin Monika Roth» ausführlich befragt. «Ihr Fazit: «Das sieht sehr schlecht aus – es gab offenbar jahrelanges und intensives Fehlverhalten der Bank.»»

Das ist doch mal wieder das Geld wert, dass der Konsument für knallharten Recherchierjournalismus, für das Aufdecken eines Skandals, für die Demontage einer ehemaligen Bundesrätin ausgibt.

Nun ja.

Der Konsument kann sich das als aufgewärmte Second-Hand-Story zu Gemüte führen – oder das Original in der französischen Zeitung «Le Monde» lesen. Dort ist der Artikel zwar auch nicht gratis, aber immerhin selbst hergestellt.

Hier reichte ein Autor, Maxime Vaudano, um den Skandal in all seinen Facetten aufzuzeigen. Während die Investigativ-Genies von Tamedia nicht viel mehr machten, als diese Ergebnisse auf Deutsch zu übersetzen.

Und natürlich die Rolle von Metzler deutlicher herauszustellen. Ach, und als Höhepunkt ständig die Meinung einer einzigen Rechtsprofessorin einzuholen, als gäbe es keinen anderen Spezialisten für solche Fragen. Aber he, wenn man eine Fachfrau gefunden hat, wieso dann noch nach anderen suchen.

Weil das copy/paste und dann kräftig in den Mixer so offenkundig ist, haben die Cracks weise eine Packungsbeilage in den Artikel geschmuggelt:

«Die Dokumente zu mehreren Finma-Untersuchungen liegen ausländischen Redaktionen vor, darunter «Le Monde» in Frankreich. Der Recherchedesk von Tamedia konnte sich so über die Untersuchungen der Bankenaufsicht ins Bild setzen.»

Das muss man abschmecken. «Konnte sich so ins Bild setzen». So nennt man das heutzutage, wenn man die Arbeit von Kollegen zweitverwertet. Natürlich wurde sowohl die Bank wie Metzler um Stellungnahmen angefragt. Wie vorherzusehen versteckt sich Metzler hinter «Geheimhaltungspflichten», während sich die Bank Reyl als Opfer einer Verletzung des Bankgeheimnisses sieht und natürlich arbeiten sie «uneingeschränkt mit den Aufsichtsbehörden zusammen und legen grössten Wert auf die Einhaltung aller geltenden Vorschriften».

Das kann man auch aus dem Stehsatz abholen, statt solche Anfragen zu starten.

Aber immerhin: wer nicht Französisch kann, ist mit der Übersetzung von Tamedia gut bedient. Allerdings erledigt das heute auch jedes Sprachübersetzungsprogramm in Sekundenbruchteilen. Und dass Metzler und Bank nichts, Professorin Roth hingegen viel sagen, nun ja, da sind dann über 18’000 A auf zwei Seiten mit einer riesigen Kriminaltango-Illustration doch etwas breitgewalzt.

In besseren Zeiten hätte man daraus eine Meldung gemacht:

«Recherchen der französischen Tageszeitung «Le Monde» ergaben grobes Fehlverhalten der Privatbank Reyl. Das geht aus Dokumenten und Kritiken der Finma hervor. Die ehemalige Bundesrätin Ruth Metzler spielte als langjährige Verwaltungsrätin der Bank eine dubiose Rolle.»

Hätte doch auch gereicht. Aber nicht im heutigen Elendsjournalismus, wo gebellt wird, wenn ein fremder Knochen apportiert und abgenagt wird.

Tagi klagt mal wieder an

Zwei Schnüffel-Detektive gegen Travis.

«Sascha Britsko arbeitet als Reporterin bei «Das Magazin» und im Ressort Zürich Politik & Wirtschaft des «Tages-Anzeiger». Oliver Zihlmann ist Co-Leiter des Recherchedesks von Tamedia

Daher meinen die beiden wohl, es sei alles erlaubt. Normalerweise beschäftigt sich die gebürtige Ukrainerin ganz objektiv mit Russland. Normalerweise beschäftigt sich Zihlmann mit dem Ausschlachten von Hehlerware. Jetzt aber haben sie sich ins Geschlechtsleben eines sogenannten «Influencers» verbissen.

Ihre Spezialität dabei: die Vorverurteilung. Auf welches Niveau ist ein Journalismus gesunken, der im Titel eine solche Frage stellt: «Sex mit 15-Jähriger: Warum wurde das Verfahren gegen Travis eingestellt?» Wer das liest, glaubt sicher nicht dem Feigenblatt-Satz: «Für ihn gilt die Unschuldsvermutung

Für die beiden Journalisten auch nicht. Nach diesem Titel fahren sie maliziös mit der Hinrichtung fort: «Mehrere der Frauen haben Anzeige erstattet, am 24. März steht der Influencer «Travis the Creator» wegen Verdachts auf mehrfache Vergewaltigung vor Gericht

Aber eben, es gelte die Unschuldsvermutung, die gleichzeitig mit Füssen getreten wird. Es scheint vieles darauf hinzudeuten, dass dieser Travis kein Mensch ist, den man gerne zu seinem Bekanntenkreis zählen möchte. Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es um die Vorwürfe Vergewaltigung und Sex mit Minderjährigen.

Zunächst wird ausgedehnt erklärt, was die gesetzliche Lage ist. Dann wird auf einen Fall eingegangen, der sich 2019 ereignet haben soll. Er habe eine damals 15-Jährige in einer Bar kennengelernt, in der man 20 Jahre alt sein muss, um reinzukommen. Es floss Alkohol, anschliessend ging sie mit Kollegen in Travis Wohnung, um zu chillen. Dort sei es zu Geschlechtsverkehr gekommen, während dessen sie Travis gesagt habe, wie alt sie sei. Erst drei Jahre später zeigte sie ihn wegen Vergewaltigung an.

Soweit die sicherlich unappetitliche Geschichte. Nun beantwortet aber das Recherchegenie-Duo die im Titel anklagend gestellte Frage im Artikel selbst. Bzw. man bedient sich des Sachverstands einer Professorin für Strafrecht und Kriminologie:

«Eine Aussage, dass es eine sexuelle Handlung mit einer 15-Jährigen gab, reicht nicht für eine Anklage.»

Es brauche den Nachweis, dass der Beschuldigte das Alter des Kindes gekannt habe. «Wenn die Ermittlungen keinerlei Nachweis ermöglichen, dass der Beschuldigte das Alter hätte erkennen können, dann lässt sich eine Einstellung rechtfertigen, auch wenn der Geschlechtsverkehr unbestritten ist. Insbesondere wenn das Opfer keine Aussagen macht und mit dem Fall nichts mehr zu tun haben will.»

Aber von solchen Ausführungen lässt man sich bei Tamedia doch keine Null-Story kaputtmachen. Und wieso erhielt der Unhold dann noch 300 Franken aus Staatskasse, sozusagen als Belohnung für seine üble Tat? Auch das hat einen banalen Grund: Es gab einen Kopierfehler, durch den diese Zahlung in die Verfügung der Staatsanwaltschaft rutschte. Und amtlich ist amtlich.

Es gibt also juristisch nachvollziehbare Erklärungen für die Einstellung des Verfahrens und die Auszahlung von 300 Franken an diesen Travis.

Wenn es noch so etwas wie anständigen Journalismus bei Tamedia gäbe, müsste ein Verantwortlicher sagen: das ist eine aufgepumpte Nullstory mit einem idiotischen Titel und Lead, die spülen wir wohl besser, bevor wir uns damit öffentlich lächerlich machen. Aber doch nicht beim Tagi. Da werden aus heisser Luft 6743 A gebastelt, um die Kampagne fortführen zu können.

Dabei sollten andere Fälle, bei denen der Tagi schon gewaltig auf die Schnauze gefallen ist (Stichwort Sänger von «Rammstein») zur Vorsicht mahnen. Damals forderte Amok Andreas Tobler sogar, dass die Konzerte der Band in der Schweiz abgesagt werden müssten, obwohl selbstverständlich die Unschuldsvermutung gelte. Als es sich dann um erwiesene Unschuld handelte, schwieg Tobler feige. Seinem Beispiel werden Britsko und Zihlmann in diesem Fall sicher  folgen.

SoZ, stottert, spotz

Oh je. Was immer wieder der einzige Lichtblick am Sonntag war …

Eigentlich ist es zur Spezialität der NZZaS geworden, Covers zu machen, bei denen der Leser denkt: selbst Weissraum wäre eine bessere Alternative.

Die SoZ ist ein gelehriger Schüler. «Städte am Meer, «Alles weg», Doppelspitze». Höfliche Menschen halten beim Lesen die Hand vor den Mund.

«Streit um muslimische Grabfelder, Keine Lust auf Stress im Job, Bundesrat: Pfister verzichtet auf Kandidatur». Selbst die höflichsten Menschen halten nicht mehr die Hand beim Gähnen vor den Mund.

Es ist wirklich symbolisch. Auf Seite zwei links steht normalerweise das Editorial von Arthur Rutishauser. Nicht immer, aber häufig ein Lichtblick in der Finsternis im Glashaus. Statdessen steht dort diesmal Raphaela Birrer. Und es wird so schlimm, wie man befürchten muss. Ein Riesenfoto von Gerhard Pfister; um es aufzublasen, wird auch noch die Studioeinrichtung gezeigt. Dazu ein Interview über fast zwei Seiten. Wenn man bei dem die Luft rauslässt, genügte ein Satz: Pfister will nicht Bundesrat werden. Meine Güte.

Daneben noch die obligate «Analyse» über die Turbulenzen in der Partei «Mitte». Aufgewärmtes Gehacktes, meine Güte. Man fragt sich, ob Birrer hier Rutishauser zeigen wollte, wo der Hammer hängt.

Aber es ist noch nicht ausgestanden. Dann die obligate Seite Gewerweise, wer denn der Nachfolger (oder die Nachfolgerin) sein könnte, werden könnte. Der übliche Eiertanz, denn man möchte auf keinen Fall mit einer Prognose danebenliegen. Meine Güte.

Grabstein in Weinfelden; soll es dort muslimische Gräber geben? Ein Thema, das im wahrsten Sinne tötelet. Meine Güte, da gibt es wohl grössere Probleme mit unseren muslimischen Mitbürgern, solange sie am Leben sind.

Dann der Beitrag «der lebt noch?» über Ulrich Schlüer. Bettina Weber dreht weiter an ihrem Aufreger «Sie wollen einen reichen Mann – und nennen es Feminismus». Wird sicher auch in der Wiederholungsschlaufe wie gewünscht Kampffeministinnen zur Weissglut treiben.

Man hätte darauf wetten können, dass die furchtbare Minentragödie in Südafrika, die unter der Woche höchstens im ganz Kleingedruckten interessiert, am Sonntag ihren Auftritt hat. Samt der «immer wieder gut, wenn wir sonst nix haben»-Story vom Mann, der seine Bitcoins im heutigen Wert von 800 Millionen Dollar samt der Festplatte in einen Müllsack packte, den seine damalige Lebensgefährtin umsichtig entsorgte. Und dem er seit 12 Jahren nachrennt.

Dann kommen wir zu verdammt, die Inauguration von Trump ist erst am Montag, was machen wir da bei Redaktionsschluss Samstag? Überraschung, ein Interview natürlich. Wobei, wer, der einen geraden Satz sagen kann und irgend einen Titel hat, ist in den USA denn noch nicht interviewt worden? Der alte Hase Martin Suter wurde natürlich fündig: der «Über-Geograf» (schöner, neuer Titel) Joel Kotkin. Joel who? He, lehrt an einer Uni, hat zehn Bücher geschrieben, wird von der NYT gelobt. Also DER Joel. Muss man lesen, was er zu sagen hat? Nein.

Das ist alles ist so schwach, dass man fast versucht wäre, Jacqueline Badran und Markus Somm zu lesen, nur um wach zu werden ob so viel Unsinn. Aber nur fast.

Als ob man nicht schon genügend Mühe mit Wachbleiben hätte, langweilt dann die Wirtschaft mit dem Aufmacher «Die Musterschüler im Norden stecken in der Krise, der Süden boomt». Bis es dann mal wieder umgekehrt ist. Blöd auch, auch das WEF fängt erst am Montag an, also auch hier was Hinprügeln: «Die Ära der grossen WEF-Proteste ist vorbei». Überraschung aber auch, die Ära der grossen WEF-Bedeutung halt auch.

Man wird einfach nie überrascht bei dieser Ausgabe der SoZ; was fehlt noch? Also bitte, nicht mehr als einmal raten. Genau, «Die Schäden der Waldbrände in Los Angeles … Forscherin über die Kosten der Erderwärmung». Meine Güte.

Dann machen Christian Brönnimann und Oliver Zihlmann ungeniert mit ihrer Lieblingsbeschäftigung weiter: Schimpf und Schande zu einem «Putin-nahen Oligarchen» sagen, über einen «sanktionierten Multimilliardär». Wieso der und aufgrund wessen sanktioniert ist, dass der sich mit Händen und Füssen gegen die Pauschalverurteilung ohne Beweise oder Gerichtsverfahren «reich, Russe, Schweinebacke» wehrt – kein Wort drüber. Das Seco habe, nicht nur bei diesem Oligarchen, gesperrte Gelder freigegeben. Aber hallo, nicht etwa «für lebensnotwendige Dinge wie Nahrung oder eine warme Stube». Das würde das Duo Infernal sogar einem Oligarchen noch zubilligen. Nein, für den Unterhalt von Helikoptern und einen Landsitz. Als Beitrag zum Sozialneidthema: Reiche leben reicher als wir. Schweinerei, so was. Aber leider: «Das Vorgehen des Seco ist laut Einschätzung von mehreren Experten rechtlich korrekt».

Nochmal eine Schweinerei. Ein Schweizer Experte für Sanktionsrecht erfrecht sich sogar noch zu sagen: «Bei staatlichen Zwangsmaßnahmen solle sich jeder wehren können, auch Oligarchen.» Muss man sich mal vorstellen, auch für solche Schweinebacken soll der Rechtsstaat gelten? Und nicht einfach die Vorverurteilung von zwei wildgewordenen Journalisten, die immer gerne Ankläger, Richter und Henker in einer Person spielen möchten? Meine Güte.

Wollen wir schliesslich noch «das Geheimnis der dauerhaften Liebe» wissen? Aber her damit. Bloss: «Es gibt keins».

Wollen wir das Geheimnis eines interessanten Sonntagsblatts wissen? Unbedingt. Die Redaktion der SoZ will das auch sehnlichst.

Blamables Laber-Interview

Anwalt Eckart Seith ist ein ausgesprochen mutiger Mann und deckte den Cum-Ex-Skandal auf. Tamedia quatscht ihn weg.

Es war ein kriminelles Gebastel, mit dem viele Beteiligte Milliarden verdienten, indem sie vor allem den deutschen Fiskus übers Ohr hauten. Es gelang ihnen, zweimal Steuern zurückzufordern, vereinfacht gesagt. In vorderster Linie war auch die Bank J. Safra Sarasin beteiligt; das kostete den letzten der Dynastie, Eric Sarasin, seinen Job, als die reiche Familie Safra die Bank schluckte.

Komplizierte Zusammenhänge, aber damals vom «SonntagsBlick» mundgerecht aufgearbeitet:

Und ja, der Artikel stammte von ZACKBUM-Redaktor René Zeyer, als man ihn noch im Hause Ringier schreiben liess. Während Seith seither in Deutschland als Held gefeiert wird, verfolgen ihn die Zürcher Strafverfolgungsbehörden bis heute, wegen angeblichem Verstoss gegen das Schweizer Bankgeheimnis.

Eine etwas komplizierte Kiste, also doch genau richtig für die Cracks vom sogenannten «Recherchedesk» des Tagi. Oliver Zihlmann ist dessen Co-Leiter: «Schwerpunkte seiner Berichterstattung sind vertiefte Recherchen – regelmässig in Kooperation mit internationalen Journalisten. Er ist Mitglied des International Consortium of Investigative Journalists ICIJ.»

Mit anderen Worten: er war daran beteiligt, dass von unbekannter Täterschaft gestohlene Geschäftsunterlagen als Hehlerware aufbereitet wurden, zu «Leaks», «Papers» und «Secrets» umbenannt, um dann mit ihrer Hilfe Ankläger, Richter und Henker zu spielen, indem nach undurchsichtigen Kriterien ausgewählte Personen an den medialen Pranger genagelt wurden.

Wie man inzwischen weiss, wurde die «Kooperation» internationaler Journalisten von einer Gruppe angefüttert, die ihrerseits von der US-Regierung mit Millionen finanziert wurde. Das mag erklären, wieso niemals die USA in all diesen Papers vorkamen. Obwohl dort die grössten Geldwaschmaschinen der Welt stehen, obwohl dort bis heute problemlos undurchsichtige Trusts und Holdings gebastelt werden können, nach der Devise «no questions asked».

Aber darüber schweigt das «Recherchedesk» peinlich berührt. Dafür ist Zihlmann aufgefallen, dass das Zürcher Obergericht darüber entscheidet, ob das Verfahren gegen Seith endlich eingestellt wird. Eine gute Gelegenheit, so als Recherchiercrack, mal kurz die Hintergründe des Falls auszuleuchten, der auch dem deutschen Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz Kopfzerbrechen bereitet, der sich einfach an nichts mehr erinnern mag.

Gute Gelegenheit, mal mit Anwalt Seith zu sprechen, der noch nie ein Blatt vor den Mund nahm. Gute Gelegenheit, die mehr als dubiose Rolle von J. Safra Sarasin auszuleuchten. Aber stattdessen:

Journalistisches Kleingeld, ein Interview. Ein Interview mit dem Verteidiger von Anwalt Seith. Mit Hammerfragen wie «Wird das Urteil auch politisch wichtig?» oder «Aber hat Eckart Seith dabei nicht das Bankgeheimnis verletzt

Aus dem müden Geplätscher von Frage und Antwort saugt Zihlmann dann den Aufreger-Titelquote: «Die deutsche Öffentlichkeit hat keinerlei Verständnis für die Schweiz». Und die Tagi-lesende Öffentlichkeit hat keinerlei Verständnis dafür, wieso das sogenannte Qualitätsorgan es nicht fertigkriegt, anlässlich dieses Prozesses nochmal die üblen Hintergründe des Cum-Ex-Skandals, die vielen Spuren in die Schweiz und das tapfere Verhalten der Schweizer Steuerbehörden aufzurollen.

Da wäre ein hübscher Finanzkrimi mit allen saftigen Details zu erzählen, wie der letzte der Sarasins reiche Deutsche einseifte und umgarnte, wie der ehemalige Steuerbeamte Hanno Berger den ganzen Betrug erfand und meinte, im Alpenreduit vor dem Zugriff der deutschen Staatsanwaltschaft sicher zu sein. Und es sogar schaffte, Wirtschaftsjournalisten so vollzuquatschen, dass sie ihm abnahmen, dass das die legale Ausnützung einer Gesetzeslücke sei. Es wäre die Unfähigkeit der deutschen Finanzminister zu erwähnen, es gäbe wirklich viel Unterhaltsames zu erzählen.

Nicht mal die Begründung, mit der Seith die Einstellung des Verfahrens beantragt, ist Zihlmann eine Frage wert. Seith hat nämlich erfolgreich – das Obergericht stellte das Verfahren am Donnerstag ein – bemängelt, dass einer der Staatsanwälte befangen gewesen sei. So wurde den Beschuldigten beispielsweise Akteneinsicht verweigert, rechtsstaatlich ungeheuerlich.

Es hätte also wahrlich einiges zu berichten gegeben.

Wenn man den Finger aus einer dafür nicht vorgesehenen Körperöffnung nehmen würde. Aber offenbar kommt das Recherchedesk nur mehr auf Touren, wenn ihm aus unbekannter Quelle ein Datenberg vor die Haustüre gekippt wird.

Stattdessen ein nicht mal an der Oberfläche kratzendes Interview mit dem Anwalt des Anwalts. Das jeder Praktikant auch nicht schlechter abgeliefert hätte. Bei dem jeder qualitätsbewusste Ressortleiter hätte sagen müssen: und wenn wir die Luft rauslassen, könnte das nicht auch eine Meldung auf fünf Zeilen werden?

Ach, Simon Bärtschi, der Qualitätsguru des Hauses, hätte eigentlich so viel zu tun. Was zur Frage verleitet: was tut er eigentlich so? Und gibt es ihn überhaupt noch?

Sprachrohr Tagi

Zuerst anprangern, dann übers Anprangern schreiben. Sagenhaft.

Zuerst brauchte es gleich drei Nasen, um über einen Vorfall zu berichten. Dafür spannten Mario Stäuble (ehemals Chefredaktor, bzw. Mann am Fenster), Christian Brönnimann (bekannt für Fertigmacherjournalismus wie im Fall Bastos) und Oliver Zihlmann (glückloser Verwurster von Hehlerware, genannt Leaks und Papers) ihre Muskeln an:

Als wäre er their master’s voice, zitieren sie ehrfürchtig den übergriffigen Scott Miller: ««Die Schweiz (…) kann und muss mehr dafür tun, damit ihr Rechtsrahmen nicht für illegale Finanzaktivitäten missbraucht wird», lässt sich der US-Botschafter in Bern in einer Pressemitteilung zitieren.» Das ist dieser schnarrende Befehlston, für den Amis bekannt sind, die meinen, die ganze Welt müsse nach ihrer Pfeife tanzen.

Als Hilfsknüppel haben die USA dafür ihre Sanktionsliste des Ofac. Wer aus welchen Gründen draufkommt, ist der völligen Willkür der US-Behörden überlassen. Gegenwehr ist sinnlos, Rechtsmittel dagegen gibt es nicht. Im Wettlauf, ein sinnloses Sanktionspaket mit dem nächsten zu ergänzen, haben die USA «zwei Schweizer Anwälte mit Büro in Zürich auf ihre schwarze Liste (gesetzt): Andres Baumgartner und Fabio Delcò von der Kanzlei Dietrich, Baumgartner & Partner.»

Warum genau, aufgrund welcher Indizien, Belege, Beweise? «Washington wirft den beiden vor, «wichtige Verwalter russischer Vermögenswerte» zu sein. Sie hätten für «viele russische Kunden, darunter sanktionierte russische Privatpersonen», Dienste erbracht. Beide seien Direktoren zahlreicher russischer Unternehmen», zitieren die drei Recherche-Genies von der Werdstrasse. Und geben wieder dem US-Botschafter das Wort, der dafür eigentlich einbestellt und gerügt werden müsste, wenn die Schweizer Regierung Rückgrat zeigen wollte:

«Die Botschaft ist klar: Die Vereinigten Staaten fokussieren darauf, die Umgehung von Sanktionen überall auf der Welt zu bekämpfen. Wir müssen zusammenarbeiten, um die Fähigkeiten des Kremls zu stoppen, seine Kriegsmaschinerie gegen das ukrainische Volk einzusetzen. Und wir müssen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen – zur Unterstützung des ukrainischen Volkes, das die demokratischen Werte verteidigt, die wir teilen

Die eigentliche Botschaft ist klarer: die USA pfeifen wieder einmal auf die Rechtssouveränität der Schweiz. Aber das schreiben die drei Tagi-Nachplapperer natürlich nicht. Sondern sie klopfen sich selbst auf die Schultern:

«Die Panama-Papers-Recherche zeigte, dass Roldugins Firmen Einfluss auf Medien und gar auf Rüstungsbetriebe in Russland hatten. Durch Dokumente liess sich minutiös nachzeichnen, wie die Angestellten der Zürcher Kanzlei Befehle aus Russland annahmen und Kontoverbindungen für Roldugin errichteten.» Das ist ein Vertrauter von Präsident Putin, dem vorgeworfen wird, einen Teil von dessen Finanzhaushalt zu regulieren.

Allerdings muss der Tagi einräumen, dass «bis heute keine Massnahmen gegen die Zürcher Anwälte bekannt» seien. Das liege aber am «Schweizer Geldwäschereigesetz», fahren sie fort. Auf Deutsch: offensichtlich geht hier alles mit rechten Dingen zu, aber den Tagi-Journalisten passt dieses Gesetz nicht. Nach der Devise: ist’s nicht illegal, so doch illegitim. Oder einfach: wir finden, es sei illegal.

Daher zitieren sie nochmals den Befehlshaber in seiner Botschaft in Bern: «Andres Baumgartner und Fabio Libero Delcò ermöglichten den illegalen Geldfluss und umgingen dabei die Aufsicht aufgrund einer Gesetzeslücke im Schweizer Recht», heisst es in der Mitteilung. «Botschafter Miller hat die Schweiz öffentlich und privat vor den Reputationsrisiken gewarnt, die mit dieser Gesetzeslücke verbunden sind.»

Schon einen Tag später wird zurückgerudert. Diesmal sind Thomas Knellwolf (nicht ganz ausgelastet mit dem promoten seines neusten Buchs) und wieder Oliver Zihlmann am Gerät:

«Angeprangerte Anwälte», schreiben sie neutral im Titel, als hätte nicht der Tagi selbst die beiden angeprangert, als Sprachrohr des US-Botschafters in Bern. Zunächst wiederholen die beiden Redaktoren die gleiche Leier wie im ersten Artikel. Um dann nochmals einzuräumen:

«Baumgartner und Delcò (die beiden neu auf die US-Sanktionsliste genommenen Anwälte) hingegen blieben in der Schweiz bislang – nach allem, was bekannt ist – unbehelligt. Darauf lässt insbesondere eine Stellungnahme schliessen, welche die beiden am Tag nach Bekanntwerden ihrer Sanktionierung durch die USA an die Medien verschickten.»

Offensichtlich haben die Rechtsanwälte beim Tagi Druck gemacht, der daher diesmal als Windfahne deren Position referiert:

«Während unserer über 30-jährigen Anwaltstätigkeit wurden wir weder strafrechtlich noch disziplinarrechtlich jemals zur Verantwortung gezogen.»

Natürlich japst der Tagi nach: «Dies würde auch bedeuten, dass weder eine Selbstregulierungsorganisation noch die Anwaltsaufsicht ein- bzw. durchgegriffen haben. Unabhängig überprüfen lässt sich dies allerdings nicht, weil allfällige Verfahren dieser Organisationen nicht öffentlich sind.» Womit er den beiden Rechtsanwälten unterstellt, möglicherweise die Unwahrheit gesagt zu haben, eine gelinde Unverschämtheit.

Dass die beiden Juristen mehr Durchblick haben als die geballte Fachkraft des Tagi, beweisen sie mit ihrer Stellungnahme, die das Blatt sicherlich nicht ganz freiwillig publiziert:

«Baumgartner und Delcò bestreiten jegliches Fehlverhalten: «Geschäfte zur Umgehung von Sanktionen wurden durch uns weder vorgenommen, noch haben wir diesbezüglich irgendjemanden beraten.» Anderslautende Verlautbarungen der US-Behörden seien «falsch und rufschädigende Unterstellungen». Die amerikanischen Sanktionen zielten darauf ab, «die europäischen Länder im geopolitischen Streit mit Russland hinter sich zu scharen». Die Vereinigten Staaten wollten «internationale Finanzplätze wie die Schweiz unter ihren totalen Einfluss und ihre umfassende Kontrolle bringen»

Auch das können die Journis natürlich nicht unwidersprochen stehen lassen und geben nochmals dem US-Botschafter das Wort, der «wehrt sich gegen den Vorwurf der unzulässigen Einmischung». Was ein vom Tagi unkommentierter Witz ist, denn natürlich mischt er sich massiv und völlig unzulässig in die Rechtshoheit der Schweiz ein. Und wie wehrt sich der Diplomat? Indem er auf die nachrichtenlosen Vermögen verweist und «auf die Raubkunstdebatte». Zwei absurde Vergleiche.

Aber er kann noch einen draufstehen: ««Meine Hoffnung ist es», sagt Miller mit Blick auf die aktuelle Diskussion, «dass die Schweiz dies nicht als eine Attacke auf ihre Souveränität und die Demokratie sieht.»»

Ja was sonst soll das denn sein, müssten Stäuble, Brönnimann, Knellwolf und Zihlmann zumindest fragen. Aber selbst zu viert fällt ihnen das nicht ein, weil sie in ihrer Gesinnungsblase solche offensichtlichen Realitäten nicht sehen wollen.

Dass der Tagi auch noch zum Sprachrohr und Mitteilungsorgan der US-Botschaft in Bern denaturiert, das lässt sich selbst mit der Bärtschi-Peinlichkeitsskala nur schwer fassen.

Es ist überhaupt nicht zu fassen.

 

Neues vom Qualitätsjournalismus

«Prawda»-Bärtschi ist unermüdlich.

Sein grauenhafter Kommentar «Weichenstellung für den unabhängigen Qualitätsjournalismus» hat gute Chancen, als schlimmste Fehlleistung des Jahres an das Schandmal der höchsten Peinlichkeit genagelt zu werden.

Darüber hat es der Oberchefredaktorin Raphaela Birrer offenbar die Sprache verschlagen. Der gröbste Kahlschlag aller Zeiten in ihrer Redaktion, der dummdreiste Kommentar von Bärtschi, wäre es nicht angebracht, dass die oberste Redaktionsleitung mal einen Ton sagt? Ihrer Rumpfmannschaft Mut zuspricht, vielleicht gar gelinde Kritik übt? Aber doch nicht Birrer; dazu bräuchte es Rückgrat …

Die von Bärtschi publizistisch geleiteten Frauen und Männer von Tamedia, durch seine träfen Worte zu höchster Leistung und grandioser Motivation angestachelt, beschäftigen sich vornehmlich mit der Frage: trifft es mich oder trifft es dich beim nächsten Rausschmeissen zur Steigerung der Qualität?

Nebenher blubbern sie noch so etwas wie Artikel raus. Dabei begeben sie sich auch mal ins Reich des Raunens, der Andeutungen, der Leserverwirrung:

Die beiden Recherchiercracks Catherine Boss und Oliver Zihlmann machen etwas Originelles. Sie gehen mit einer unvollendeten Story an die Öffentlichkeit. An der ETH gebe es Vorwürfe «gegen einen renommierten Professor». Worum es allerdings genau geht, das zu beschreiben «verbietet das Bezirksgericht Zürich auf Antrag des Professors hin», wie es in leicht holprigem Deutsch einleitend heisst.

Qualitätsjournalismus würde bedeuten, dass man halt noch solange wartet, bis dieses Hindernis aus dem Weg geräumt ist. Aber doch nicht im Qualitätsblatt Tagi. Da wird nur etwas von «unangemessenem Verhalten» gemurmelt.

Dafür wird gleich eine Kampagne draus gemacht:

Und noch einer:

Da darf natürlich die selbsternannte Feministin nicht fehlen, die zwecks Gleichberechtigung die Offenlegung der Löhne fordert, nur nicht des eigenen. Also plappert Kerstin Hasse:

Ausser dieser wohlfeilen Forderung hat sie eigentlich nichts zu bieten. Denn sie kritisiert, dass Personen, die einen Vorgesetzten anschuldigen, ihre Anonymität aufgeben müssen. Andererseits räumt sie ein: «Gleichzeitig muss sich ein kritisierter Vorgesetzter auch gegen Vorwürfe wehren können. Und das kann er nur, wenn er weiss, worum es geht.» Das war beim via Spiess-Hegglin an die Öffentlichkeit durchgestochenen Protestbrief von erregten Tagi-Frauen, zu denen allerdings Hasse nicht gehörte, anders. Sie unterzeichneten zwar mit Namen, aber alle angeführten Beispiele von angeblichen sexistischen Belästigungen erfolgten anonym, wodurch kein einziger verifiziert – oder falsifiziert werden konnte.

Wohlgemerkt: es handelt sich hier um bislang nicht bewiesene Anschuldigungen von anonymen Denunziantinnen, während der Beschuldigte sagt, dass nichts davon zutreffe. Theoretisch würde da die Unschuldsvermutung gelten, aber wenn man gerne endlich mal wieder «Skandal» quäken möchte, kann man sich um solchen Pipifax doch nicht kümmern.

Nutzwert, Ratgeber, Leserbedürfnis, hat wahrscheinlich die publizistische Leiter nach unten gemurmelt, voilà, sagt die Redaktion:

Allerdings übersteigen solche Höchstleistungen im Banalen ihre Leistungsfähigkeit (wahrscheinlich nicht herzhaft gefrühstückt, die Sparrunde ist auf den Magen geschlagen). Also muss Johanna Adorján ran, die ihr Frühstück bei der «Süddeutschen Zeitung» verdient.

Noch mehr Nutzwert? Aber bitte:

Das Beste an dieser Ansammlung von Banalitäten: sie ist hausgemacht, Matthias Schüssler ist (noch) auf der Payroll von Tamedia.

Aber auch auf höchster Ebene nimmt man sich eines brennend aktuellen Themas an, das die Mehrheit der LeserInnen* dort abholt, wo sie nicht sind:

Denn der Tagi wüsste ja nicht, was er ohne die «Tages-Anzeigerin» machen würde. Hier blödeln Annik Hosmann und Kerstin Hasse als «Host» (was immer das sein mag), während Sara Spreiter die Produzentin macht. Daraus entstehen über 31 Minuten Gequatsche, die man problemlos als Folterinstrument verwenden könnte. Da gesteht jeder alles, wenn man es nur abschaltet.

Der SZ-Journalist Martin Wittmann hat ebenfalls den Blick fürs Wesentliche:

Das ist eine Frage, die unbedingt einmal beantwortet werden musste. Sozusagen mit einem Griff ins Klo.

Einen neuen Gipfel des Bauchnabeljournalismus erklimmt Nadine Jürgensen:

Selten, aber möglich: TA-Korrespondent Fabian Fellmann schafft es sogar in die SZ, allerdings auch in den Tagi. Aber während die Münchner noch gedämpft den Titel setzen «Trump entweiht die Gräber», haut das Qualitätsorgan von der Werdstrasse einen raus:

Echt jetzt, so weit geht der schon? Hat er nun doch einen erschossen, was ihm nicht schaden würde, wie er mal sagte? Nicht ganz, Donald Trump hat sich bei einem Besuch des Soldatenfriedhofs Arlington filmen lassen, was dort nicht erlaubt ist. Aber Qualitätsjournalismus heisst dann, daraus einen richtigen Brüller als Titel zu zwirbeln.

Und dann gibt es noch die qualitativ herausragende Kolumne von Ronja Fankhauser: «Ich will nicht, dass Roboter Gedichte schreiben». Wenn kümmert’s, hört ja auch niemand auf die Tagi-Leser, die nicht wollen, dass Fankhauser Kolumnen schreibt. Aber deren Inhalt, ZACKBUM hat nach dieser Galerie des qualifizierten Grauens ein Einsehen, ersparen wir unseren Lesern. Auch die sind keine Übermenschen.

 

 

 

Erstaunliche SoZ

Das kann in der Gesinnungsblase Ärger geben.

Diesen Sonntag dürfte so manchem SoZ-Leser das vegane Gipfeli aus der Hand und in den Fair-Trade-Kaffee gefallen sein.

Denn ausgerechnet die SoZ liess erheben, dass bereits 58 Prozent der 0- bis 6-Jährigen Kinder in der Schweiz in einem Haushalt leben, in dem mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde oder Ausländer ist. Und es wird noch toller: «In der Stadt Zürich haben bereits 70 Prozent aller 15- bis 60-Jährigen Wurzeln im Ausland.»

Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahlen für 2019 und 2021 erhoben wurden; seither dürfte sich das Verhältnis noch mehr zu Ungunsten der reinen Eidgenossen verschoben haben. Natürlich wird dann relativiert, umgedeutet und der einzige «Soziologe», der befragt wird, darf sich umfangreich äussern. Sein Name: Ganga Jay Aratnam. Er ist der Soziologe der Wahl, wenn Tamedia (oder auch der «Blick») einen solchen Fachmann brauchen. Offenbar gibt es nur ihn.

Dann lässt die SoZ noch weitere Klischees zerbrechen: «Diese Initiative ist reiner Populismus und hat mit Sozialpolitik nichts zu tun». Wer sagt das über die 13. AHV-Rente? Sicher ein Rechtsausleger. Nun ja, das sagt der ehemalige Zürcher SP-Stapi Elmar Ledergerber. Während auf der gleichen Seite für den SVP-Präsidentschaftskandidaten Marcel Dettling staatliche Kinderbetreuung durchaus in Frage kommt. Das vegane Gipfeli ruht im Fair-Trade-Kaffee und der Gesinnungsblasenleser blättert auf Seite eins zurück, ob er wirklich die SoZ in der Hand hat und nicht etwa die «Schweizerzeit».

Richtig beruhigen tun ihn Artikel über Schneewandern im Bikini oder Müll unter Luxusapartments dann nicht. Ganz sauer wird der Leser dann wieder, wenn sich Rico Bandle die Verwendung von über einer Milliarde Steuerfranken durch den Nationalfonds vornimmt. Ein typischer, rechtspopulistischer und wissenschaftsfeindlicher Ansatz. Denn bitte, Whiteness im Werk Friedrich Dürrenmatts, eine digitale Geografie marginalisierter Sexualitäten in Kirgiesien,  Erforschung fellbespannter Streichinstrumente des späten  Mittelalters, und als Höhepunkt «Der Klang der Bäume: ökophysiologische Prozesse hörbar machen», das sind doch alles Untersuchungen, die uns nicht reuen sollten, ein paar hunderttausend Steuerfranken darin zu verlochen, Pardon, sinnvoll zu investieren.

Aber es kommt noch schlimmer. Im «Fokus» wird der Gottseibeiuns persönlich interviewt. Der darf doch tatsächlich sagen: «Dieses EU-Mandat ist noch schlimmer als das Rahmenabkommen». Womit er zwar recht hat, aber in der SoZ?

Erst auf Seite 22 erkennt der Leser sein Blatt einigermassen wieder. «Hat ein Schweizer Jetsetter den Fiskus um über 100 Millionen gebracht?» Allerdings ist das ein Bericht des Dreamteams Christian Brönnimann und Oliver Zihlmann über einen skurrilen Erbstreit. Ihre Recherchierleistung bestand darin, sich einfach anfüttern zu lassen. Denn die Witwe des längst verstorbenen Jetsetters, deren Scheidung vor seinem Tod noch nicht durch war, kommt nur an einen grossen Batzen Erbgeld, wenn sie nachweisen kann, dass der Jetsetter in Wirklichkeit seinen Wohnsitz in der Schweiz und nicht im Ausland hatte. Irre Sache, aber wieso damit eine Seite gefüllt werden muss? Um der Witwe die Kosten für ein Inserat zu ersparen?

In der «Wirtschaft» dann immerhin eine nette Enthüllung. Der ehemalige Migros-Manager, der für Benko den Globus-Deal einfädelte, hat eine Gattin. Und die kassierte fett Millionen als Beraterin bei Benno ab.

Brandheiss dann die News bei «Leben & Kultur», dem Abfall-, Pardon, Sammelgefäss für alles, was zwischen Leben und Kultur Platz hat. Zum Beispiel Piero Esteriore. Ja, das ist der, der schon mal seinen Karren in die Eingangstüre des Ringier-Pressehauses an der Dufourstrasse setzte. Aber dann wird wenigstens ein auch etwas in Vergessenheit geratener Star der Gutgesinnung abgefeiert: the one and only Hazel Brugger. Schlagzeile: sie «hätte sich gerne für den «Playboy» ausgezogen». Soll man zu so viel Sauglattismus was sagen? Eben.

Es ist ein Auf und Ab, denn sehr im woken Sinne ist dann wieder ein Biertest. Nein, nicht so einer, ein Test alkoholfreier Biere. Dann noch etwas Beratungskleingeld «Mit diesen Tipps wird aus jedem Badezimmer eine kleine Wohlfühloase». Ach was, wie denn das? Nun, mit einem Tortenständer als Tablettersatz. Plus mildes Licht. Plus eine Wannenbrücke. Und wussten Sie, dass für Badetücher «ihre Saugkraft wichtig» ist? Geben Sie es zu, dass wussten Sie nicht, deshalb baden Sie auch nicht in einer Wohlfühloase.

Gibt es in diesem Brei irgendwo einen absoluten Tiefpunkt? Natürlich, den erkennt man daran, dass auf einer Seite Gülsha Adilji und Markus Somm dilettieren, ergänzt um einen Schnappschuss, diesmal mit – Überraschung – Marco Odermatt. Der hat doch tatsächlich eine Bratwurst gegessen, man hält es kaum für möglich, wenn es nicht fotografisch festgehalten worden wäre.

Aber eine Bratwurst ist meistens schmackhaft- und nahrhaft. Diese SoZ macht es weder ihrem Stammpublikum, noch Zaungästen recht. Sie ist einfach ungeniessbar.

 

Sackschwach

«Cyprus Confidential»: Neuer Name, alte Leier.

Immerhin: für Hubert Seipel gibt es ein Leben vor und eines nach den Enthüllungen darüber, dass er Hunderttausende aus kremlnahen Kreisen in Russland erhalten hat. Natürlich für seine Buchprojekte, ohne dass ihm inhaltliche Vorgaben gemacht worden seien. Blöd nur, dass er immer entrüstet abstritt, für seine Russland-Erklärungen von dort bezahlt zu werden.

Das ist nun echt peinlich; ungefähr so peinlich wie die Enthüllungen, welche deutschen Journalisten indirekt von den USA bezahlt werden.

Damit hat nun der «Spiegel» einen schönen Hammer gelandet, der allerdings vor allem in Journalistenkreisen interessiert. Für Seipel ist zu hoffen, dass auch eine Leibrente ausgesetzt wurde, denn als Publizist war’s das für ihn.

Tamedia hat allerdings wie meist die Arschkarte gezogen. «Der Mitbesitzer von Putins Propagandasender war UBS-Grosskunde», «Diese 20 sanktionierten Russen hatten Schweizer Konten». Eingeschlafene Füsse, frisch aufgewärmt. Das übliche Team bemüht sich, mal wieder zu erklären, wieso sie monatelang auf der Payroll standen, ohne gross Output zu leisten. Aber jetzt können Christian Brönnimann, Sylvain Besson, Arielle Peterhans, Oliver Zihlmann und Sophia Stahl wieder Artikel am Laufmeter absondern.

Da «Papers» und «Leaks» und «Secrets» nun wirklich abgenudelt sind (und sich auch nicht schön stabreimen würden) diesmal also «Cyprus Confidential». Man macht sich gar nicht mal grosse Mühe, zu erklären, von wem mit welchen Motiven man mit gestohlenen Geschäftsunterlagen zugeschüttet wurde. Dafür macht die Arbeit mit dieser Hehlerware viel zu viel Spass.

Da es die ewig gleiche Leier ist, will ZACKBUM nicht auch ins Leiern geraten. Keinem der geouteten russischen Geschäftsleute kann offenbar eine strafbare Handlung oder eine Verurteilung vorgeworfen werden. Ausser, dass sie früher oder später auf irgendwelchen Sanktionslisten der USA oder der EU landeten. Wie man da drauf kommt, ist längst bekannt. Eine Erwähnung unter den 500 Reichsten des «Forbes» Magazins, russischer Name, reicht. Oligarch, kremlnah, Kriegsverbrecher mindestens Verbrecher.

So tauchen auch russische Reiche auf, die oft jahrelang völlig legal in der Schweiz lebten, eine Niederlassung besitzen, brav ihre Steuern zahlen, ihren Firmensitz sogar in die vermeintlich neutrale und rechtsstaatliche Schweiz verlegten – und sich nie etwas zuschulden kommen liessen. Bis sie im eilfertigen Nachvollzug von der Schweizer Regierung ebenfalls sanktioniert wurden.

Das führte dann einfach dazu, dass die sich enttäuscht von der Schweiz abwandten und an deren Rechtsstaatlichkeit zweifeln. Denn gegen diesen Beschluss des Bundesrats, sanktioniert zu werden, gibt es keine Rekursmöglichkeit, kann kein ordentliches Gericht angerufen werden. Und wer beim Bundesrat selbst protestiert, bekommt nicht mal eine Antwort.

Das wäre nun durchaus eine interessante Geschichte, die Tamedia eigenständig recherchieren könnte. Sie hat nur zwei Nachteile. Sie entspricht nicht dem gepflegten Narrativ reich, Russe, Räuber. Und sie wäre mit etwas Aufwand verbunden, der über das Aktenstudium in Datenbergen hinausginge.

Aus Erfahrung weiss man: auch «Cyprus Confidential» wird genauso spurlos verschwinden wie seine Vorgänger. Oder erinnert sich noch jemand an die «Panama Papers» und wie die gestohlenen Datenberge alle hiessen?

Eben. Bloss für Seipel ist die Sache ziemlich blöd gelaufen. Dabei sollte er doch wissen, dass das Bankgeheimnis auch nicht mehr das ist, was es einmal war.

Aufruf zum Rechtsbruch?

Mit Vollgas in den Wilden Westen.

Oliver Zihlmann, einmal losgelassen, lässt nichts aus. Neben zwei Kampagnen-Artikeln, in denen drittklassige «Experten» dafür herhalten mussten, der Schweiz Saures zu geben, greift er nun zum Äussersten: dem Kommentar.

Unter der neuen Leitung wuchert eine Sittenverluderung ohnegleichen im «Tages-Anzeiger». Eigentlich wäre es die Aufgabe der Chefredaktion, reputationsschädigende Texte vor Publikation abzufangen. Denn wenn Zihlmann das Wort ergreift, spricht er nicht nur für sich, lädiert er nicht nur den Ruf des sogenannten Recherchedecks – er beschädigt auch die Restreputation der einstmals angesehenen Tageszeitung. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sein Gewäffel durch ein rundes Dutzend Kopfblätter multipliziert wird.

Schon der erste Satz stammt aus Absurdistan: «Warum kritisierten die Botschafter der G-7 und der EU den Bundesrat in einem harschen Brief für die nachlässige Umsetzung der Russland-Sanktionen?» Erstens gibt es dafür naheliegende Gründe, auf die Zihlmann aber trotz scharfen Nachdenkens nicht kommt. Zweitens unterstellt er hier, die Schweiz sei nachlässig. Wofür es – ausser haltlosen Behauptungen – keinerlei Beleg gibt.

Nicht mal in einem Kommentar, nicht mal im Tagi sollte erlaubt sein, ausnahmslos anonyme Zeugen für wilde Behauptungen aufzuführen: «In einem Universum leben jene, die in Russlands Angriffskrieg einen Zivilisationsbruch sehen, gegen den man ankämpfen muss, und zwar mit allem, was menschenmöglich ist. In den Gesprächen spürt man eine grosse Entschlossenheit. Sie wollen ermitteln, jeden Schlupfwinkel aufspüren, um die Umgehung der Sanktionen zu verhindern. Rechtliche und bürokratische Hürden gilt es zu beachten, aber wo immer möglich zu überwinden, um letztlich dieses grössere Ziel zu erreichen. Diese Haltung findet man bei vielen Diplomaten aus anderen westlichen Staaten.»

Rechtliche und bürokratische «Hürden» überwinden, für das «grössere Ziel». Das ist der Sprech von Antidemokraten, von Verächtern des Rechtsstaats. Kein Wunder, wollen diese «vielen Diplomaten» anonym bleiben, sie wissen um die Fragwürdigkeit solcher Aussagen. Zihlmann kennt diese Hemmung allerdings nicht.

Hier haben wir also die Guten, die Anhänger einer Wildwest-Justiz, wo das Recht nur eine Hürde ist, die man zu überwinden habe. Auf der anderen Seite die Schnarchsäcke aus dem Staatssekretariat für Wirtschaft Seco: «Dort heisst es, man sei keine Polizei, man gehe zwar Hinweisen nach, aber grundsätzlich sei doch davon auszugehen, dass sich alle im Land an die Gesetze hielten. Die Grundannahme ist also erst einmal, dass alles in Ordnung sei.»

Es gilt die Unschuldsvermutung, im Zweifel für den Angeklagten, es braucht einen Anfangsverdacht, es gibt keinen Generalverdacht, es gibt keine angebräunte Stigmatisierung «Russe – Geld – suspekt», unglaublich, meint Zihlmann. «Wenn man mit Vertretern des ersten Universums über das Seco redet, dann spürt man sehr viel Ärger über die defensive Haltung der Schweiz

Das Einhalten von rechtsstaatlichen Regeln, das Bestehen darauf, dass in der Schweiz Schweizer Verfahren und Gesetze gelten; statt sich da dummdreiste Anrempeleien aus dem Ausland zu verbitten, behauptet Zihlmann: «Es geht um das mörderische Regime von Putin und seiner Entourage. «Wir können leider nichts machen» ist die falsche Haltung dazu

Falsch, Zihlmann. Wir werfen deswegen unseren Rechtsstaat mitsamt seinen fundamentalen Prinzipien über Bord, das ist die kreuzfalsche Haltung dazu. Dass eine solche Wildwest-Meinung ungefiltert, ohne korrigiert zu werden einem Millionenpublikum serviert werden darf, ist eine mehr als bedenkliche Sittenverluderung im Hause Tx. Wenn es um seinen eigenen Ruf geht, bemüht Big Boss Pietro Supino schnell einmal die Gerichte. Geht es um den Ruf seines Hauses, bleibt er untätig.

Schmerzhaft peinlich

Oliver Zihlmann unterbietet alles, diese Schande für seinen Beruf.

«Jetzt äussert sich der frühere Topbeamte der USA Juan Zarate erstmals zu den Erwartungen an die Schweiz.» Der «Co-Leiter des Recherchedesks von Tamedia» (heisst das nicht «Tages-Anzeiger»?) hat einen Coup gelandet. Er hat Zarate ein Exklusiv-Interview entlockt. Bravo. Denn: «Er gehört zu den wichtigsten Experten, wenn es um die Umsetzung der Russlandsanktionen geht.»

Nur: exklusiv hat man das, was kein anderer will. Denn «Zarate war stellvertretender nationaler Sicherheitsberater der USA», prahlt Zihlmann. Was er nicht sagt: diese bedeutende Position hatte Zarate ein Jährchen lang inne. Von 2004 bis 2005. Unter dem damaligen Präsidenten George W. Bush. Das ist der, der Massenvernichtungswaffen im Irak erfand. Und die «Achse des Bösen».

Zarate hingegen, dieser «wichtige Experte», ist seit 2014 für das «Institut für die religiösen Werke» (IOR) tätig, die hochkorrupte und dubiose Vatikanbank, auch bekannt als «ein Offshore-Paradies mitten in Europa». Dazu ist er bei zwei der zahlreichen Think Tanks in den USA an Bord. Diese qualifizierte Fachkraft darf sich nun zur Schweiz äussern. Zihlmann interviewt ihn – natürlich in der neuen Tagi-Tradition – dermassen unterwürfig und liebedienerisch, dass es einem beim Lesen übel wird. Teilweise stellt er nicht einmal mehr Fragen, sondern gibt lediglich Stichworte: «Die G-7 erwartet einen Sondereffort von der Schweiz wie nach 9/11.»

Zarate hingegen darf unwidersprochen Ungeheuerliches sagen. Eigentlich müsste man Zihlmann die Lizenz zum Journalistsein wegnehmen, so peinlich ist das: «Neutralität hilft nur noch Moskau», behauptet der Vatikan-Mann zum Beispiel. Vielleicht hätte man ihn fragen können, wieso dann seine IOR-Bank die Sanktionen nicht mitträgt, oder was er von der scharfen Kritik des Papstes hält, der imperiale Interessen als Kriegsursache sieht und klar urteilt: «Man führt Krieg, verkauft die alten Waffen und probiert neue aus

Aber das hätte ja etwas Recherche, etwas Vorbereitung bedeutet, und dafür ist der «Co-Leiter» irgendwie nicht qualifiziert. Auch ohne solche Bemühungen: Der Satz, dass Neutralität nur Moskau helfe, ist von einer solch impertinenten Dummheit, dass jeder anständige Journalist eingehakt hätte. Der Satz ist so bescheuert, wie wenn man während des Zweiten Weltkriegs behauptet hätte, die Schweizer Neutralität helfe nur Berlin oder Hitler-Deutschland.

Zarate darf das ganze Interview hindurch unwidersprochen eine fragwürdige Aussage auf die nächste stapeln: Länder wie die Schweiz müssten verstehen, «dass es sich im Fall Russland zwar effektiv um normale Sanktionen handelt wie zum Beispiel gegen Nordkorea. Politisch und strategisch sind sie aber viel relevanter».

Ein reiner Nonsens-Satz, abgesehen davon, dass diese relevanteren Sanktionen gegen Russland lediglich von einer Handvoll Staaten mitgetragen werden; wenn man die EU als ein Gebilde betrachtet, sind es gerade mal 10 von 199.

Denn Gipfelpunkt der Unverfrorenheit erreicht Zarate, der «weltweit führende Sanktionsexperte» –wahrscheinlich mit Gottes Segen – hier: «Es wird klar erwartet, dass jedes Land aktiv die Netzwerke der Russen bei sich aufdeckt und diese Informationen unaufgefordert mit den anderen teilt. Einfach nur zu reagieren, also auf Sanktionen anderer Staaten zu warten und diese rein technisch umzusetzen, ist zu passiv. Wird ein für die Russen wichtiger Finanzplatz wie die Schweiz hier als Bremser wahrgenommen, kann das sehr schnell zum Problem werden

Netzwerke der Russen aufdecken? Solch Unsinn mag vielleicht im Vatikan praktiziert werden, in einem Rechtsstaat wie der Schweiz ist das dann doch etwas komplizierter. Immerhin räumt Zarate ein: «Natürlich, es muss rechtlich korrekt ablaufen. Die Fakten müssen stimmen. Die Schweiz oder jedes andere Land kann nach einer Prüfung zum Schluss kommen, dass diese Villa oder jene Firma nicht blockiert werden muss. Das wird niemand kritisieren.»

Dann kann er es wieder nicht lassen, sein mehr als fragwürdiges Verständnis der Grundprinzipien eines Rechtsstaats raushängen zu lassen: «Aber entscheidend ist, dass man alle diese Vermögen aktiv sucht und prüft.» Mit anderen Worten: Es gilt nicht mehr die Unschuldsvermutung, das Prinzip eines Anfangsverdachts. Sondern:

«all diese Vermögen stecken seit letztem Jahr unter einem Generalverdacht

Das ist ein Satz, der deswegen ganz übel riecht, weil man hier statt Russen nur eine andere Bezeichnung einsetzen müsste, und schon wäre man wieder mitten in den dunklen Zeiten des Hitler-Faschismus. Damit keine Missverständnisse aufkommen, wes Geistes Kind Zarate ist, doppelt er nach:

«Die Vermögensnetzwerke der Russen sind jetzt von sich aus suspekt. Sollte sich nach Ermittlungen herausstellen, dass alles in Ordnung ist, dann ist das gut. Aber man muss sie zwingend prüfen. Dieser Übergang zu einem generellen Korruptionsverdacht ist ein entscheidender globaler Wandel

Die Frage, die Zihlmann (neben vielen anderen) hier nicht stellte: Sie fordern also, dass die Schweiz ihre Neutralität noch mehr aufgibt, nicht nur alle EU- und USA-Sanktionen gehorsam übernimmt, sondern dass sie fundamentale Prinzipien ihres Rechtssystems über Bord wirft und einen Generalverdacht gegen Russen ausspricht, die dann beweisen müssen, dass mit ihren Vermögenswerten alles in Ordnung ist, eine glatte Umkehr der Unschuldsvermutung?

Nicht nur deswegen, sondern weil dieses Interview Bestandteil einer ganzen Kampagne ist, die das Recherchedesk des «Tages-Anzeiger» losgetreten hat, ist Zihlmann eine Schande seines Berufs. Damit ist er allerdings auf seiner Redaktion in guter, schlechter Gesellschaft.

Mehr als ein Geschmäckle hat die Tatsache, dass diese Kampagne rechtzeitig zur Debatte über die «Lex Ukraine» im Nationalrat losgetreten wurde. Aber auch hier muss Tamedia eine Niederlage einstecken: die Ausnahmeregelung für die Weitergabe von Schweizer Waffen via Drittstaaten an die Ukraine wurde im Nationalrat bachab geschickt.