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Verpeiltes auf den Punkt

Endlich haben wir einen Satz, der symbolisch alles beinhaltet, was in der Debatte schief läuft.

Gelassen aufgeschrieben hat ihn Fronkraisch-Korrespondent Oliver Meiler. Der zeigt unregelmässig, dass er von dem Land keine allzu grosse Ahnung hat.

Jetzt äussert er aber eine «Meinung», in der alles konzentriert ist, was am woken Gutmenschengebabbel, am Empfindsamkeitsgetue, am Phantom-Leiden an usurpierten Leiden, am vermeintlich Achtsamen, Empfindlichen, am Sich-unwohl-Fühlen verächtlich und abstossend ist.

Der Satz lautet:

«Es ist nötig, dass die Welt jetzt nach Avignon schaut.»

Wirklich wahr? In der Inhaltsübersicht steht der monströse Satz noch klein im Lead, wenn man den Artikel öffnet, entfaltet er sich dann in seiner ganzen monströsen Verpeiltheit:

 

Ob es nun Zeit für ein «neues» oder für ein «neues gesellschaftliches Bewusstsein» sei: was für ein Verhältnisblödsinn. Meiler geht gleich am Anfang seines Stücks in die Vollen, dramatisch schrillende Bläser, dumpfer Trommelwirbel, es weht mal wieder der Mantel der Geschichte:

«Es gibt Prozesse, die schieben sich wie Scharniere ins Getriebe der Zeit. Der «Procès Pelicot» ist so ein historischer Prozess. Es wird ein Vorher und ein Nachher geben.»

Scharnier im Getriebe der Zeit? Man stelle sich das bildlich vor, zum Totlachen. Ergänzt durch eine fürchterliche Banalität. Es gibt immer ein Vorher und ein Nachher. Es gibt ein Vorher vor diesem Text, und auch ein Nachher. Um zehn gab es bei 9.59 h ein Vorher, um 10.01 h ist’s das Nachher.

Dann ein weiterer entlarvender Satz: «Aber die ganze Welt schaut zu.» Die ganze Welt schaue nach Avignon. Wie einst zu Zeiten des Gegenpapstes? Nein, ein paar sensationslüsterne Journalisten schauen nach Avignon, die sich nicht einkriegen vor Abscheu angesichts von etwas pervers Abscheulichem. Dann ertappt sich Meiler, immerhin, selbst: «Nicht nur aus Voyeurismus, obschon es natürlich auch diesen törichten Reflex gibt.»

Aber was ist denn eigentlich, ausser Voyeurismus, hier zu sehen? Mitangeklagt sind 50 Täter: «Fünfzig! Und kein typisches Profil. Darum ist es so wichtig, dass die Welt nach Avignon schaut.» Nun wird Meiler richtig peinlich, denn er versucht etwas, wozu es einen Dostojevski bräuchte, keinen durchschnittlichen Lohnschreiber:

«Wenn dieser Prozess eines zeigt, dann das: Es braucht keine Monster für Monstrositäten. Der Abgrund liegt tief drinnen im Menschen. Und der sexuelle Abgrund ist vor allem ein männlicher

Männer sind Schweine, oder wussten wir das nicht schon. Frauen sind Heilige, wenn sie keine Huren sind, oder wussten wir das nicht auch schon. Was für Banalitäten, vorgetragen im Brustton der Betroffenheit.

Und was lernen wir aus diesem Prozess? Dass es nur in der Provinz verborgene Perversitäten gibt? Aber nein, da richtet Meiler mit grosser Kelle an:

«Wichtiger noch als die Höhe des Strafmasses ist jedoch das neue gesellschaftliche Bewusstsein, das sich aus diesem Prozess ableiten sollte, müsste – muss. Zunächst braucht es ein viel breiteres Bewusstsein für das Phänomen der chemischen Unterwerfung. Und für das, was man «Kultur der Vergewaltigung» nennt. Gemeint ist damit der allgemeine Kontext unserer Zeit, der auch geprägt ist von der Pornografie, ein Kontext, in dem sich Männer legitimiert fühlen, Frauen zu missbrauchen.»

Dann fällt ihm wohl selbst auf, dass ihm die Sicherungen durchgebrannt sind, und er rudert ein wenig zurück: «Nicht alle Männer, natürlich nicht. Aber offenbar Männer mit allen möglichen Profilen.» Also nicht alle Männer, aber irgendwie doch.

Dann atmet Meiler, niedergedrückt vom Bewusstsein, auch ein Mann zu sein, aber hoffentlich eben nicht so wie die, ganz tief durch und setzt zum Höhepunkt (Pardon) an: «Gisèle Pelicot gilt jetzt als Ikone. Und das ist gut so. Eine Ikone fürs Nachher, eine Ikone gegen das Vergessen

Eine Ikone gegen das Vergessen? Wer wettet dagegen, dass in einem Jahr sich kaum noch einer an diesen Prozess erinnern wird?

Aber das ist nicht einmal das Schlimmste an diesem verqueren Stück. Der Gestus «die Welt sollte auf diesen Prozess schauen» ist der Kernpunkt der Verpeiltheit. Die Welt schaut auf den Nahen Osten, auf die Ukraine, und das ist gut so. Die Welt sollte auf den Sudan schauen, auf Äthiopien, auf Eritrea, auf den Südsudan, auf Myanmar, auf Haiti. Denn dort finden die monströsen Verbrechen statt, gegen die selbst die Massenvergewaltigung einer sedierten Frau verblasst.

Dort werden Frauen, Kinder und Männer nicht einmal betäubt, bevor man alle vorstellbaren und unvorstellbaren Gräuel an ihnen verübt. Kinder werden gezwungen, ihre Eltern umzubringen, braucht es hier wirklich eine Aufzählung all der Schrecken, zu denen der Mensch fähig ist?

Schaut hier jemand hin? Keiner schaut, es ist uns schlichtweg egal. Falsche Weltgegend, falsche Hautfarbe, keine Möglichkeit, einen Konflikt zwischen gut (wir) und böse (Russen, Chinesen, wer auch immer) zu konstruieren.

Wenn schon, sollte Meiler und alle anderen Dummschwätzer «die Welt» dazu auffordern, dorthin zu schauen. Dabei ist schon diese Aufforderung völlig plemplem. Denn so etwas wie «die Welt» gibt es gar nicht. Oder möchte Meiler wirklich Bewohner von Papua Neuguinea, von den Chatham-Inseln, von Mikronesien, von Feuerland dazu auffordern, nach Avignon zu schauen?

Was für ein Schmock, was für ein ärgerliches Gutmenschengetue mit unerträglicher Betroffenheitssülze. Dagegen ist ein Liebesromanheftchen geradezu ein literarischer und intellektueller Höhenflug.

Billige Betroffenheit, zuckersüss überkrustet dargeboten, im Gestus «sind wir nicht alle Monster». Übelkeitserregend. Muss man wieder erwähnen, dass Tamedia keine Qualitätskontrolle mehr kennt?

Vive la France mal comprise

Ausland ist gegendarstellungsfrei. Immer gut für Blödeleien.

Vom «Tages-Anzeiger» abwärts (obwohl da nicht mehr viel Luft ist) ging ein Heulen und Zähneklappern durch die Medien. Präsident Macron spinnt. Hat einen Todeswunsch. Macht alles kaputt. Hat Neuwahlen angesetzt, die ja nur ein Ergebnis haben können: das Rassemblement National wird gewinnen. Die Rechtsradikalen. Die Rechtspopulisten. Die Neofaschisten. Die Rassisten. Die Hetzer. Die Familie Le Pen.

Weltuntergang, die Republik ist am Ende. Was bedeutet das, wenn Marine Le Pen oder ihr politischer Ziehsohn Jordan Baradella an die Macht kommen? Versinkt die Grande Nation im Elend, im braunen Sumpf? Muss man auswandern? Droht eine neue Flüchtlingswelle, diesmal aus dem Westen?

Schon die Europawahlen waren ein Menetekel. «Rechtsextreme bedrängen Europas Mitte», warnte Stephan Israel in Tamedia. «Macrons grosser Trugschluss», orakelte Oliver Meiler aus Fronkraisch. Dazu der «französische Soziologe», die Kassandra: «Macron ist nicht der Retter Europas, sondern dessen Zerstörer». Geht noch einer drüber? Sicher: «Rechtsruck in Europa – droht jetzt der grosse Riss in der Zivilisation

Nein, eher der Hirnriss, aber das ist ja nichts Neues. «Macrons übles Spiel hilft den Rechten», wusste der Fronkraisch-Kenner Meiler noch vor den Wahlen. Bereits schwant ihm das Übelste: «Was die Lepenisten planen, falls sie an die Macht kommen». Grauenhaft: «Und was, wenn Marine Le Pen sehr hoch gewinnt?» Und noch nach der ersten Wahlrunde: «Le Pen Welle schwemmt Macrons Machtaura weg».

Aber dann: «Überraschung in Frankreich». Überraschung? Die Linke (antisemitisch, populistisch und geführt von Krawallanten) gewinnt, Macrons Haufen wird immerhin Zweiter, das Rassemblement landet abgeschlagen auf dem dritten Platz.

Ist das wirklich eine «Überraschung»? Überraschung ist, wenn die Wirklichkeit nicht so will wie der Schreiberling. Überraschung ist, wenn der Fronkraischkenner (wobei Meiler nur ein Beispiel unter vielen ist) weder die Franzosen, noch deren Wahlsystem noch sonstwas verstanden hat. Überraschung ist, wenn der Leser mal wieder auf den Arm genommen wird, dafür bezahlt, verscheissert zu werden. Wenn er Geld abdrücken soll, damit überlegene Kompetenz, Analyse, Einordnung und viel Fachwissen auf ihn niederregnen. Zumindest fantasiert davon die Chefredaktorin Raphaela Birrer. Betriebsblindheit, Realitätsverlust ist auch keine schöne Sache.

Gewinnt die AfD in Deutschland, weiss die Journaille nicht, ob sie das kleinschreiben soll oder Angst vor einer braunen Welle schüren. Wird deren Führungspersonal souverän wiedergewählt, möchte der Deutschland-Korrespondent gerne vergessen machen, dass es laut ihm schwer gewackelt hat.

Verliert das Rassemblement in Frankreich, greift der Korrespondent zur billigsten aller Ausreden. Statt sich zu schämen und zu entschuldigen dafür, dass er krachend danebenlag.

Das fördert die Leser-Blattbindung ungemein. Das steigert das Image von überlegener Kompetenz in die Stratosphäre. Das löst beim Leser die Frage aus: wenn nicht einmal Frankreich im Einzugsbereich sinnvoller Analysen liegt, wie steht es dann mit dem ferneren Ausland? Kann man Tamedia bei China, bei den USA, in Afrika, in Asien, in Lateinamerika vertrauen?

Die Frage stellen heisst, sie beantworten. Wozu ist Tamedia dann noch gut, Geld wert? Bevor ZACKBUM den Telefonjoker nehmen muss: vielleicht mit der Rubrik «Taylor Swift in der Schweiz»? Oder mit dem Kommentar «ESC verhindern – hat die SVP nichts Besseres zu tun?» Oder mit der Rubrik «Ab ans Mittelmeer»? «Fit und gesund durch den Sommer»? Nein, wir haben’s. Mit dem Video «Chickpea-Dürüm nach Elif». Das löst garantiert «muss haben» aus.