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Fragen, nur fragen

Eine der übelsten Verirrungen im Journalismus ist der Frage-Titel.

Jürg Ramspeck, man erinnert sich vielleicht, beendete seine grosse Karriere als Kolumnist beim «Blick». Was er dort schrieb, war nicht wirklich der Rede wert. Aber: in all seinen vielen Kolumnen gab es niemals einen Frage-Titel.

Das ist ein rhetorischer Kniff, fast immer gefolgt von inhaltlicher Leere. Nehmen wir zwei Beispiele aus unserer Lieblingsskriptüre. «Antikörpertests sind plötzlich salonfähig – aber warum?» Tja, lieber Tagi, gute Frage. Weil’s den Salons so passt?

Zunächst einmal gilt: «Fachleute haben hingegen ein gespaltenes Verhältnis zu diesen serologischen Tests.» So ist der Fachmann, auch die Fachfrau, immer gespalten in seinen (ihren) Verhältnissen. Der Artikel beantwortet dann so ziemlich jede Frage, die man zu Antikörpertests niemals stellen wollte. Ausser einer: «aber warum?»

Vielleicht sollte Tamedia sich ein Beispiel im eigenen Haus nehmen, denn «20 Minuten» ist da ganz entschieden: «Antikörpertests sollen weitere Lockerungen ermöglichen».

Damit ist Tamedia aber noch nicht ausgeschossen: «Ist grünes Anlegen sinnvoll – oder nur lukrativ für die Bank?» Gute Frage, aber hier kommt schon die nächste, wirklich gewichtige:

«Ist die Pandemie im Frühling zu Ende?»

Neben der Frage, ob es kommendes Wochenende regnet oder die Sonne scheint, handelt es sich hier um ein Thema von brennendem Interesse. Aber auch hier wird die Frage – blöd aber auch – nicht wirklich beantwortet.

Denn schon im ersten Absatz schrumpft die hoffnungsvolle Oberzeile «Rückkehr zur Normalität» auf Normal-Null: «Es ist ein Hoffnungsfunke. Nicht der erste im Verlaufe der schier endlosen Corona-Krise. Lukas Engelberger, der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren-Konferenz, sagt jetzt: «Ich bin optimistisch, dass wir ab dem nächsten Frühling die Corona-Krise hinter uns lassen können.»»

Aber die Unsitte des Fragetitels kommt in den besten Gazetten vor: «Begibt sich die Schweiz in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Cloud-Anbietern?», stellt die NZZ bang in den Raum. Die klassisch liberale Antwort: jein, vielleicht. Also schon. Aber doch nicht so richtig.

Geht da noch einer? Sicher: «Axel Springer – Angriff der «New York Times» auf einen Konkurrenten?» Ja was denn sonst, dumme Frage, muss man das Intelligenzblatt zurechtweisen.

Ganz raffiniert geht hingegen CH Media vor; die verpacken eine Frage in ein Zitat unseres Gesundheitsministers: «Die Frage einer Aufhebung des Zertifikats stellt sich». Wunderbar, denn eine Frage stellen, das bedeutet natürlich nicht, sie zu beantworten. Einfacher sollte aber diese Frage sein: «Waren «einige tausend» oder «über 50’000» in Bern

Mit unseren heutigen modernen Methoden könnte es eigentlich möglich sein, die Anzahl Demonstranten am Samstag in Bern auf die Nase genau zu zählen. Aber leider:  «Klar ist auch: Am Ende ist die Frage nicht nur eine politische, sondern auch eine technische – grosse Menschenmengen präzise zu schätzen, ist schwer.» Och, die im Titel gestellt Frage ist zu schwer. Gut, wer nur beschränkt schreiben kann, kann natürlich noch weniger zählen, logo.

Die «Republik», das ist sie sich schuldig, wirft die Frage in den leeren Raum: «Ist das Schlimmste bald vorbei?» Wohl nicht, denn zurzeit sieht es so aus, als ob die «Republik» dieses Jahresende sogar ohne Bettelaktion und die Drohung, sich zu entleiben, überstehen wird.

Aber die Frage: «Fast 250 Millionen bestätigte Ansteckungen, fast 5 Millionen Todes­fälle im Zusammen­hang mit dem Virus: So lautet die nüchterne weltweite Bilanz zur Corona-Pandemie, die uns seit bald zwei Jahren in ihrem Bann hält. Es fällt nicht leicht, diese Zahlen einzuordnen. Ist das viel, ist das wenig?»

Ja, rund 20’000 Buchstaben später weiss man: kann man so oder so oder auch anders sehen. Aber immerhin, das Artikelende der «Republik» ist originell:

«Zum Schluss diesmal ein ausdrücklicher Hinweis: Haben wir in unserem globalen Überblick ein wichtiges Land vergessen? Oder eine wichtige Begebenheit in einem Land übersehen? Teilen Sie es uns im Dialog­forum mit.»

Wir senken das Niveau nur unwesentlich und schliessen mit ein paar Fragen aus dem «Blick»: «Überzeugt dieser Totimpfstoff auch die Skeptiker?» Aber leider, schluchz, wird auch diese Frage nicht beantwortet. Im Sport sollte sich «Blick» doch auskennen: «Drohen dem FCZ jetzt sogar Punktabzüge?» Aber ach, obwohl die versammelte «Fussball-Redaktion» am Gerät ist, bekommt man statt einer Antwort nur eine weitere Frage eingeköpfelt: «Und warum nicht auch Punktabzüge?» Genau, warum nicht ist immer eine gute Formulierung.

Schliesslich, das ist natürlich unvermeidlich, fragt sich auch das Blatt mit dem Regenrohr im Titel: «Ist die Corona-Pandemie im Frühling vorbei?»

Oder wenn nicht, dann im Sommer? Im Herbst? Immer wieder? Nie? Fragen über Fragen und die Antworten kennt nur der Wind.