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Old News

Ein Widerspruch in sich selbst? Nein, ein Tagi-Prinzip.

Als USA-Korrespondent Fabian Fellmann am 5. Januar den Artikel verfasste, war Mike Johnson tatsächlich noch nicht als Speaker gewählt. Als der Artikel am 6. Januar immer noch unverändert auf der Homepage des Tagi stand, schon. Allerdings widerspricht sich Feldmann dann im Artikel selbst:

«Speaker Johnson wurde noch einmal gewählt. Der Vorgang lässt erwarten, dass die nächsten Monate im Kongress unvorhersehbar und chaotisch werden, jede wichtige Abstimmung wird zur Zitterpartie.»

Oder auf Deutsch: Fellmann wünscht Trump alles Schlechte. Zu seiner Entschuldigung kann man höchstens anführen, dass die schlampige Tagi-Redaktion dieses «In Kürze» unverändert stehen liess. Kä Luscht, kä Ziit, wir sind im Genderkurs mit Andreas Tobler. Oder so.

Dazu gehört auch die brandaktuelle Aufzählung vergangener und gegenwärtiger Untaten Trumps. Der «Tag der Schande» am 6. Januar 2021, als Trump-Anhänger das Capitol stürmten und die formelle Auszählung der Wahlmännerstimmen zu verhindern suchten. Die daraus resultierende Anklage gegen Trump, die nach seiner Wiederwahl eingestellt wurde. Die Verkündung des Strafmasses im Prozess um seine Schweigegeldzahlung an eine Pornodarstellerin. Die selbst war nicht strafbar, aber für den Versuch, sie in der Buchhaltung zu verschleiern, wurde Trump schuldig gesprochen.

Und schliesslich: «Trotz der Verurteilung in New York will Donald Trump am 20. Januar triumphal seine Amtseinführung feiern – eine Tradition, die er selbst vier Jahre zuvor mit Füssen getreten hat.»

Das alles ist ein übellauniger Rempler, mit dem der Journalist klarstellt, dass von ihm keine einigermassen objektive Berichterstattung über Präsident Trump zu erwarten ist. Seine persönliche Einstellung sei ihm unbenommen, und es gibt tatsächlich mehr als genug Gründe, die Person Trump unausstehlich zu finden. Allerdings wäre es die Aufgabe eines Zeitungskorrespondenten, den fernen Lesern in der Schweiz begreiflich zu machen, wieso eine Mehrheit der US-Stimmbürger diesen Mann gewählt haben – und welche Pläne er verfolgt.

Stattdessen aber ein Rehash von Vergangenem, fern der Aktualität und Realität.

Die Welt ist nicht nur schlecht, sie wird auch immer schlechter. Denn ein Trump ist nicht genug. Da gibt es im Süden der Schweiz die italienische Ministerpräsidentin Meloni. Im Westen Marine Le Pen. Im Norden Alice Weidel und die AfD. Dazu im Osten Herbert Kickl und seine «in Teilen rechtsextreme FPÖ». Das weiss Verena Mayer, «Korrespondentin für Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Moldau und Slowenien» für die «Süddeutsche Zeitung», womit auch das Qualitätsmedienhaus Tamedia ihre Ansichten übernimmt.

Denn so wie viele Journalisten immer noch am Wahlsieg Trumps zu knabbern haben, kommen sie auch nicht darüber hinweg, dass die FPÖ die Wahlen in Österreich gewann, aber nicht mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. Nachdem das Gewürge, eine Koalition der Wahlverlierer zu formen, gescheitert ist, kommt nun wieder der demokratische Brauch zum Zuge, dass der Gewinner die Chance auf Regierungsbildung bekommt. Oder wie Mayer das formuliert: «Der Nachricht, die wie eine Kugelbombe in die österreichische politische Landschaft einschlug, war ein ereignisreiches Wochenende vorausgegangen.»

Eine Nachricht als Kugelbombe? Die Dame hat wohl die Nachwirkungen der Silvesterfeier noch nicht ganz verdaut. Genüsslich zitiert sie nun frühere Aussagen des neuen ÖVP-Chefs, der wohl als Juniorpartner unter Kickl amtieren wird. Der sei ein «Hochrisiko mit radikalen Ideen» und eine Gefahr «nicht für die Sicherheit, sondern auch für die Demokratie in diesem Land», meinte Christian Stocker zuvor. Aber es zeichnet ja nicht nur in Österreich den Politiker aus, dass er problemlos das Gegenteil vom Gegenteil sagen kann, immer begleitet von «ich habe schon immer gesagt».

Für völlig überflüssig hält es die Korrespondentin, ihren Lesern die Wahlresultate in Erinnerung zu rufen. Die FPÖ siegte mit 28,8 Prozent, auf den Plätzen folgten die ÖVP mit 26,3 und die SPÖ mit 21,1 Prozent. Dabei brach die ÖVP um über 11 Prozent ein, die Grünen um 5,66 Prozent, die SPÖ blieb einigermassen stabil, während die FPÖ um 12,68 Prozent zulegte. Das nennt man normalerweise einen Erdrutsch. Ausser, es handelt sich um eine «in Teilen rechtsextreme Partei».

Nun ist die FPÖ tatsächlich selbst für österreichische Verhältnisse (niemand schlägt eine schöne Wiener Hofintrige) schillernd. Erinnert sei an Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache (Ibiza-Affäre). Allerdings muss sich die ÖVP mit Christian Kunz oder die SPÖ mit dem bekennenden Marxisten Andreas Babler auch nicht verstecken. Zuerst war 2023 ein Hans-Peter Doskozil als neuer SPÖ-Parteivorsitzender ausgerufen worden. Dann wurde zerknirscht eingeräumt, dass die Stimmen vertauscht worden seien, in Wirklichkeit habe Babler gewonnen.

Nun sind die Ausflüge der FPÖ in den braunen Sumpf tatsächlich zahlreich. Allerdings hat Österreich traditionell einen überproportionalen Anteil  an Anhängern des Hitler-Faschismus gestellt, und angebräunte Ansichten sind in der Alpenrepublik heute noch im Schwang.

Das sind zwei weitere Beispiele von Gesinnungsjournalismus, der die Leser nicht aufklären, informieren, orientieren will. Sondern belehren, beeinflussen, mit persönlichen Meinungen bedrängen und belästigen.

Wer ein Abo hält, entrichtet damit also einen Gesinnungsobolus. Wer einfach informiert werden will, schmeisst sein Geld zum Fenster raus.

 

Wird die Waffe stumpf?

Der Fall Lena Schilling ist mehr als eine Wiener Hofintrige.

Die 23-Jährige gilt als die grosse grüne Hoffnung in Österreich. Jung, attraktiv, nicht auf den Mund gefallen. Sie hat allerdings auch ein loses Mundwerk.

Über ein ehemals befreundetes Ehepaar schnödete sie, der Gatte sei gegenüber seiner Frau gewalttätig geworden, die habe dann eine Fehlgeburt erlitten. Nur: reine bösartige Fantasie. Unterlassungserklärung.

Noch schlimmer erwischte es sie bezüglich des ORF-Moderators Martin Thür. Während des Europa-Wahlkampfes wand sich Schilling noch schlangenartig um die Wahrheit herum. Unter dem Damoklesschwert einer Klage kroch sie dann zum Notar und gab eine Erklärung ab: sie habe zwar «gegenüber Dritten den falschen Eindruck erweckt, ich hätte mit Martin Thür ein Verhältnis gehabt». In Wirklichkeit sei sie aber weder persönlich noch digital mit ihm bekannt.

Ist das peinlich. Auch ihre Behauptung, ein anderer Moderator habe sie belästigt, musste sie bereits per Unterlassungserklärung zurücknehmen. Auch ihre Verleumdung des Ehepaars darf sie nicht wiederholen.

Nun kann das – unabhängig von Parteizugehörigkeit und Alter – einfach eine Person sein, die ein notorisch gestörtes Verhältnis zur Wahrheit hat. Auf der anderen Seite sind solche Vorwürfe durchaus geeignet, Karrieren zu vernichten oder Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, in ernste Bedrängnis zu bringen.

Selten ist es so eindeutig wie hier, dass die Verbreiterin von Lügen öffentlich einknicken muss.

Denn das Opfer solcher Behauptungen steht nicht nur am öffentlichen Pranger. Es muss auch beweisen, dass etwas nicht passiert ist, es gilt die Schuldvermutung. Besonders übel ist das, wie im Fall der 76 erregten Tamedia-Frauen, wenn anonymisierte, zeitlich nicht verortete Behauptungen aufgestellt werden. Ob da wirklich ein Mann irgendwann und irgendwo etwas Abschätziges oder Anzügliches gesagt hat oder nicht – unmöglich, das zu verifizieren oder zu falsifizieren.

Selbstverständlich gibt es auch und gerade am Arbeitsplatz übergriffiges Verhalten. Da sich der Vorwurf aber immer mehr in eine Waffe verwandelt hat, mit der eine Karriere beendet, eine soziale Existenz vernichtet, die Reputation eines Menschen schwer beschädigt werden kann, ist es mehr als stossend, dass das bislang in keinem Fall strafrechtliche oder zivilrechtliche Konsequenzen hatte.

Keine der Tamedia-Frauen wurde für ihr verbal übergriffiges Verhalten zur Verantwortung gezogen, mit dem sie wirklichen Opfern sexueller Attacken einen Bärendienst geleistet hatten.

Auch Schilling ist bislang nur der Peinlichkeit ausgesetzt, ihre diversen Lügenmärchen öffentlich dementieren zu müssen. Während ihr zuvor ihre Partei (und viele Kampffeministinnen) beiseite standen und entsprechende Recherchen österreichischer Medien als üble Schmutzkampagne sexistischer Männer verschrien.

Hier solle ein Opfer nochmals fertiggemacht werden, so der Tenor.

Nun herrscht allgemeines «reden wir nicht mehr drüber, Fall erledigt».

Auch in der Schweiz gibt es den Fall einer Betreiberin einer sogenannten Finanzplattform für Frauen, der jedes Mittel recht ist, in die Öffentlichkeit zu kommen. Auch sie behauptete, vor vielen Jahren Opfer einer sexuellen Attacke geworden zu sein. Ein Arbeitskollege habe sie in einen Raum gedrängt und dort zu küssen versucht, was sie körperlich abwehren musste. So ihre Erzählung. Der Gutmenschenfunk SRF untersuchte den Vorwurf, soweit sich ein dermassen lang zurückliegendes Geschehen überhaupt untersuchen liess.

Resultat: nichts dran, keine Belege, keine Indizien vorhanden, nichts erurierbar. Gewaltiger Gap zwischen Behauptung und Wirklichkeit. Die Dame tat dann befremdet, behauptete, sie zweifle an der Objektivität der Untersuchung und werde dem nachgehen. Anschliessend herrschte auch hier das übliche «reden wir nicht mehr davon».

Zuvor hatte die verzweifelt nach Aufmerksamkeit gierende Frau auf Instagram behauptet: «Redaktor versucht, mich als junge Praktikantin zu küssen. Muss mich körperlich wehren. Er versucht es genau gleich bei der nächsten Praktikantin. Er sitzt immer noch in Leitungsfunktion beim SRF».

Resultat: «Laut Untersuchungsbericht konnte die externe Fachstelle aufgrund der widersprüchlichen Aussagen der Befragten nicht abschliessend klären, wie sich das damalige Treffen vor 20 Jahren abgespielt hat und wie es überhaupt dazu gekommen ist», schrieb SRF. Bei der Befragung habe sich zudem herausgestellt, dass sich der Vorfall nicht am Arbeitsplatz ereignet habe

Nebenresultat: es meldeten sich fünf weitere Mitarbeiter, die diesem Kadermann ungebührliches Verhalten (nicht auf sexuellem Gebiet) vorwarfen. Daraufhin verliess er, der niemals persönlich mit auch nur einem Vorwurf konfrontiert worden war, frustriert SRF.

Die Frau mopste nach: «Ich gehe von schweren Verfahrensmängeln bei der Untersuchung aus und habe bereits ein Gesuch um Akteneinsicht gestellt, um den Bericht und das Verfahren juristisch prüfen zu lassen.» Ergebnis der «Prüfung»: unbekannt.

Was es hier dringend braucht, ist eine Schärfung des Straftatbestands der üblen Nachrede, Verleumdung, Persönlichkeitsverletzung. Denn es kann ja nicht sein, dass neben berechtigten Klagen Trittbrettfahrerinnen die Keule «sexuelle Belästigung» ungestraft schwingen – und wenn sich herausstellt, dass alles nur erfunden war, einfach «Schwamm drüber» sagen dürfen.

Felix Austria

In Österreich müsste man Journalist sein.

Dann wäre das Leben leiwand, niemand müsste sich in Genderwahnsinn-Texte versteigen. Denn die Realität ist besser als jede Satire. Ein Jungstar, der zum Bundeskanzler aufsteigt und gelobhudelt wird, bis die Brillantine aus seinen Haaren tropft. Um dann kurz und brutal mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt zu werden. Ein betütelter Vizekanzler Strache, der sich in einer fiesen Falle vor laufender Kamera um Kopf und Kragen redet. Ein Wirtschaftsminister unter Korruptionsverdacht.

Ach, ein Skandal jagt den nächsten, atemlos müssen die Journalisten darauf achten, immer den neusten, den nächsten auch noch mitzukriegen, ja nicht zu lange am letzten festzuhalten. Frohgemut wacht in Wien der Redaktor morgens auf, geht mal ins Kaffeehaus und bleibt dort bis zum Mittag. Dann schlurft er auf die Redaktion und überlegt sich, welchen neuen Skandal er denn auf Seite eins heben will.

Er kann dabei durchaus anspruchsvoll sein. Was in Deutschland, von der Schweiz ganz zu schweigen, Futter für eine Wochenration wäre, wird in Österreich an einem Tag durchgenudelt. Denn morgen ist ein neuer Tag, ein neuer Skandal.

Man muss allerdings sagen, dass der aktuelle Skandal (Stand heute, bitte sehr, gschamigster Diener), so ziemlich alles schlägt. Nicht unbedingt an krimineller Energie, da ist der Fall Proksch und der Untergang der Lukona weiterhin unerreicht. Aber an brüllender Lächerlichkeit hat’s den Deckel von der Skala gelupft:

Das ist das amtliche Wahlergebnis der Abstimmung über den neuen Parteichef der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Gewählt war Hans Peter Doskozil, der Mann mit gravierenden Problemen an den Stimmbändern. Im Vorfeld war lange diskutiert worden, ob jemand, der mit der wichtigsten Tätigkeit von Politikern Probleme hat, nämlich endlos zu quatschen, wirklich als Parteichef geeignet sei.

Aber dann, um es mit den vornehm zurückhaltenden Worten der NZZ zu sagen:

Wieso denn das? «Vielleicht hätte die SPÖ einfach die Giraffe aus dem Zoo Schönbrunn wählen sollen, die ein findiger Journalist vor einigen Wochen für die Kandidatenliste angemeldet hatte.»

Denn damit hätten die Sozis vielleicht weniger Spott geerntet als mit dem Eingeständnis, dass bei der Auszählung der Stimmen ein klitzekleiner Fehler passiert ist. Genauer gesagt, alle Stimmen wurden dem falschen Kandidaten zugeordnet. Alle. Lediglich Berthold Felber konnte aufatmen, ihn betraf das nicht, mit 0 Stimmen. Obwohl, vielleicht kann man auch eine Null falsch zuordnen.

Auf jeden Fall musste Doskozil seine Gratulationstournee abrupt abbrechen, Babler stoppte sein Eingeständnis der Niederlage. Alles zurück, alles neu: Babler hatte gewonnen, mit 53,2 Prozent, also mit den Stimmen, die Doskozil zugeteilt worden waren. Der hatte mit den Stimmen von Babler verloren. Okay, es ist kompliziert.

Kommt noch hinzu, dass Babler bislang lediglich Exekutiverfahrung als Bürgermeister einer niederösterreichischen Kleinstadt hat. Dazu bekennender Marxist, Anhänger der 32-Stunden-Woche ohne Lohneinbusse.

Nun steht er allerdings vor dem Problem, wie er den Wählern schmackhaft machen will, dass eine Partei regieren soll, die nicht mal eine interne Wahl gebacken gekriegt, ohne sich der grenzenlosen Lächerlichkeit preiszugeben.

Journalist in Wien sollte man sein. Da wird ein Schmankerl nach dem anderen auf dem Silbertablett serviert. Habe die Ehre.

Bärenstark, oder?

Schon blöd, wenn der Druck wieder funktioniert, aber die Redaktion …

Sagt mal, liebe kompetente NZZaS-Journalisten, ist das Euer Ernst? Oder habt Ihr spielerisch mit dem «SonntagsBlick» einfach die Front getauscht?

Ausser dem Regenrohr im Logo, dem gewagten Kugel-Insert oben rechts, diese Front hätte sich doch auch bei NZZaS gut gemacht. Und Bärenumarmen sowie eine aufgeplusterte Geschichte über gestiegene Flugpreise hätte bestens auf den Boulevard gepasst.

Gut, anschliessend kommt im SoBli ein Editorial von Gieri Cavelty, da lässt’s dann wirklich schwer nach.

Aber auch auf Seite 2 beweist die NZZaS, dass die Debatte damals, ob die alte Tante überhaupt Fotos braucht, und erst noch in Farbe, durchaus ihre Berechtigung hatte:

Vier Betende vor dem Bundesgericht, welche Platzverschwendung.

Wunderbar auch diese Duftnote:

Aber immerhin, es gibt einige (wenige) Stücke, die versöhnen. Zum Beispiel die Hinrichtung des neusten Machwerks des PR-Genies Benjamin von Stuckrad-Barre. Der machte schon aus seiner Drogensucht einen öffentlichen Auftritt, nun will er Ersatz generieren für die üppigen Honorare, die er über Jahre hinweg für kleine Leistung für den Springer-Verlag erbrachte.

Mit «Noch wach?» schafft er es, und das ist nicht einfach, sogar Lukas Bärfuss zu unterbieten, gewinnt aber sprachlich den Nahkampf mit der/die/das Kim. Die Rezension in der NZZaS beginnt völlig richtig: «Eigentlich ist es falsch, diesen Text zu schreiben. Weil man damit einem Mann die Aufmerksamkeit gibt, nach der er giert.»

Um dann in einer fulminanten Hinrichtung zu enden:

««Noch wach?» ist aber trotzdem kein #MeToo-Roman. Er gibt nur vor, einer zu sein: Stuckrad-Barre kritisiert ein Machtsystem, von dem er selbst über Jahre profitiert hat. Jetzt eignet er sich die von Frauen hart erkämpften Errungenschaften an, die unter #MeToo zusammengefasst werden, und macht daraus Marketing für sich selbst. Sein Roman ist nicht literarisch interessant, sondern als Symptom für den grassierenden Zwang zur Selbstdarstellung. Wie sehr die Lust, sein Ego über die Sache zu stellen, dem Journalismus schadet, immerhin das transportiert er.»

Ähnliches könnte man allerdings über den Kulturchef der NZZaS sagen. Peer Teuwsen interviewt nämlich John Irving. Denn kann man kennen, muss man aber nicht. Einen Anlass fürs Interview gibt’s auch nicht, und so plaudert es sich halt dahin. Ach doch, Irving hat mal wieder einen ellenlangen (mehr als 1000 Seiten!) Familienroman geschrieben. Das ist aber noch lange kein Grund, ihm solche Fragen zu stellen:

«Was ist Familie eigentlich?
Familie ist die plötzliche Erkenntnis, jemanden mehr zu lieben als sich selbst.
Garp sagt: «Lachen ist meine Religion.»
Meine auch.
Ihre einzige?
Ja, Lachen ist meine einzige Religion.»

Nun muss ZACKBUM sowohl loben wie tadeln: «Die geschmierte Gewalt. Österreichs Medien erhielten im letzten Jahr von den öffentlichen Stellen Inserate im Wert von gesamthaft über 200 Millionen Euro.»

Es kann natürlich reiner Zufall sein, dass Beitrag und Thema verblüffende Ähnlichkeit mit diesem Stück haben: «Tamedias tiefes Schweigen». Das erschien am 17. April hier. Auch mehr in den Bereich Tadel gehört die Frage, wieso die NZZaS zwei Seiten für österreichische Zustände aufwendet, aber kein Wort über spiegelgleiche Verhältnisse in Deutschland und durchaus auch staatliche Jornalistenschmiere in der Schweiz verschwendet. Weil da peiplicherweise auch NZZ-Journalisten auftauchen?

Auch darüber hat ZACKBUM schon berichtet, aber vielleicht passte der NZZaS die eigentliche Quelle der Schweizer Untersuchung nicht, denn das war der «Nebelspalter».

Grossartig ist hingegen, das wollen wir gerne einräumen, eine Verteidigung von Lukas Bärfuss durch Manfred Papst. Also glücklicherweise keine Verteidigung dessen letzten Machwerks. Aber dessen Verwendung des Sprichworts «nach der Decke strecken». Unter Zuhilfenahme des Röhrich (für Sprachbanausen: «Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten», gehört in jeden besseren Haushalt) weist Papst nach, dass damit nicht die Zimmer-, sondern die Bettdecke gemeint ist. Das nutzt Papst, um seinem Kollegen von der NZZ eine reinzuhauen, der sich über das Sprachbild von Bärfuss, einer müsse sich nach der Decke strecken, wolle er keine kalten Füsse bekommen, lustig machte. Was, wir gestehen’s, auch von ZACKBUM geteilt wurde.

Aber: mit Verweis auf GoetheWer sich nicht nach der Decke streckt / dem bleiben die Füsse unbedeckt») klärt Papst auf, dass damit eben gemeint ist, dass eine kleine Decke zur Folge haben kann, dass die Füsse kalt bleiben. Die NZZaS als Bildungsanstalt, aber hallo.

 

 

Tamedias tiefes Schweigen

Die Tx Group in Österreichs Korruptionssumpf?

Immerhin gibt es noch etwas Konkurrenzkampf im Schweizer Mediensumpf. So böllerte CH Media am 6. April:

Felix Austria, kann man nur sagen. Denn dort löst ein saftiger Skandal den nächsten ab, so geht das schon seit Jahren und Jahrzehnten.

Immer wieder für Schlagzeilen sorgt der gefallene Politstar und Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Denn dessen kometenhafter Aufstieg scheint mit einigen Hilfsraketen erfolgt zu sein, deren Verwendung – selbst für österreichische Verhältnisse – nicht ganz legal war.

Wie es sich für die Wiener Kaffeehaus-Klatschkultur gehört, gibt es einen Mitarbeiter, der auspackt. Der langjährige Kabinetts-Chef Thomas Schmid lässt die Justiz seine rund 300’000 Nachrichten auf dem Handy auswerten. Und dabei kommt Kunterbuntes heraus.

Zum Beispiel, dass die Gratis-Zeitung «heute» (und nicht nur sie) den damaligen Bundeskanzler im besten Licht darstellte, als Gegenleistung für grosszügige staatlich bezahlte Inserate. Das betrifft auch die berüchtigte «Kronen Zeitung». Beide Blätter gehören zum Imperium der Dichands, seit Jahrzehnten die gekrönten Zeitungskönige in Österreich. Hans Dichand begründete das Imperium, das seit dessen Tod im Jahr 2010 von seinem Sohn Christoph Dichand und dessen Ehegattin Eva regiert wird.

Das Ganze wird nun sehr österreichisch saftig-kompliziert, daher die Zusammenfassung aus Wikipedia: Dem «Ehepaar Dichand wird (von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Red.) zur Last gelegt, von Amtsträgern Inserate sowie Änderungen am Privatstiftungsgesetz gefordert zu haben und im Gegenzug dafür wohlwollende Berichterstattung in Heute und der Kronen Zeitung in Aussicht gestellt zu haben.»

Bis hierher wäre das eine innerösterreichische Angelegenheit. Ab hier nicht mehr, wie CH Media schreibt: «Das grösste Schweizer Verlagshaus, die Zürcher TX Group (ehemals Tamedia), ist über eine Beteiligungsgesellschaft mit 25,5 Prozent an der AHHV GmbH beteiligt. Das Digitalgeschäft der «Heute»-Verlagsgruppe, darunter Österreichs reichweitenstärkstes Newsportal «heute.at», ist in der DJ Digitale Medien GmbH gebündelt. Hier ist die TX Group mit 51 Prozent sogar Mehrheitseignerin.»

Natürlich sondert die Tx Group auf Anfrage von CH Media Staatstragendes ab: ««Heute» sowie der Eigentümerschaft sei an einer vollumfänglichen Kooperation mit den Ermittlungsbehörden und einer raschen Aufklärung des Sachverhalts gelegen. Der TX Group liegen «Stand heute keine Hinweise vor, die die erhobenen Anschuldigungen bestätigen». Ihr seien die redaktionelle Unabhängigkeit sowie die Qualität ihrer Medien sehr wichtig.»

Nun wird’s wieder lustig. Lediglich die NZZ nahm diese Meldung auf. Sie rekapituliert den Skandal und schreibt: «Indirekt betroffen ist auch die Schweizer TX Group, die Herausgeberin des «Tages-Anzeigers»». Ausser einer Bestätigung der Besitzverhältnisse, wie sie bereits CH Media darstellte, ist der NZZ aber die Verwicklung von Tamedia keine weitere Zeile wert.

Diesem Schweigen hat sich auch Ringier angeschlossen; der «Blick» übergeht die ganze Affäre, obwohl für den Boulevard wie gemacht, mit einer Stille wie aus der Kapuzinergruft.

Dass Tx, sorry, Tamedia, Pardon, «Tages-Anzeiger» nichts dazu sagt, verwundert weniger. Bis sich Chefredaktorin Birrer in die Thematik eingelesen hätte, wäre die Publizistik doch längere Zeit führerlos. Pardon, führerinnenlos.

 

Reiner Hass

Deutsche und Österreicher: schwierig. Darunter leidet der Tamedia-Leser.

Es geht doch nichts über eine klare Meinung. Pardon, Kommentar heisst’s in der «Süddeutschen Zeitung», wenn’s die Qualitätsmedien von Tamedia übernehmen, wird’s zur «Analyse». Am Inhalt ändert sich dabei nichts (ausser natürlich, dass ß zu ss wird, wozu hat Tamedia auch noch eine Auslandredaktion).

Cathrin Kahlweit zieht hier vom Leder, dass es eine Unart hat. Der Verfolger alles Antisemitischen Maxim Biller hatte mal eine Kolumne, die «100 Zeilen Hass» hiess. Daran muss sich Kahlweit ein Beispiel genommen haben.

Der Kommentar aber auch …

Der Nachfolger von Kurz? «Schneller kann man sich in einer staatstragenden Rolle nicht disqualifizieren.» Die zukünftige Rolle von Kurz? Er wird «wie ein Sektenführer im Hinterzimmer die Devise für die Regierungspolitik» ausgeben «und seine Anhänger ausströmen, um sie devot zu verbreiten und auszuführen». Das System Kurz?

«Die «neue Bewegung» mit ihrem «neuen Stil» war auf Sand gebaut. Nun versinkt sie in demselben – weil sie, wie die meisten populistischen Bewegungen, um eine medial konstruierte Lichtgestalt herum gebaut war, die zum gefallenen Engel wurde.»

Kurz im internationalen Vergleich? «Man muss den 35-jährigen Berufspolitiker nicht überhöhen, indem man ihn mit politischen Zerstörern wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro vergleicht. Der Populismus des irren US-Amerikaners hat zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft … Selbst der «kleine Diktator» (Copyright Jean-Claude Juncker)Viktor Orbán taugt letztlich nicht als Vergleich.»

Denn merke: «Die ÖVP-Geschichte ist viel armseliger.» Schlussakkord:

«Solange man sich durch schmierige Deals mit Boulevardblättern Meinung kaufen kann, wird Österreich eine käufliche Republik bleiben.»

Nun ist es wohlfeil, einem Zurückgetretenen noch nachzutreten. Als die gleiche Kahlweit den damaligen Aussenminister Sebastian Kurz 2017 für die SZ interviewte, pflegte sie noch einen anständigen Umgangston und war offensichtlich vom Jungstar durchaus angetan. Auch seinen Aufstieg zum Parteichef im gleichen Jahr begleitete Kahlweit mit freundlichen Kommentaren («Shootingstar»).

Gestern so, heute so, morgen anders

Aber wen interessiert denn schon mein dummes Geschwätz von vorgestern, mag sich Kahlweit gesagt haben. Allerdings sollte ein Kommentar, erst recht eine «Analyse», etwas enthalten, wofür der Leser auch bereit sein könnte, Geld abzudrücken: analytische Spurenelemente.

Denn Meinung ist ja gut und schön, das «System Kurz» kurz und klein zu hauen, kann sicher Spass machen. Nur: wieso Kahlweit zu diesen bahnbrechenden Erkenntnissen nicht schon kam, als sie mit allen anderen im Chor vom jungen Shootingstar schwärmte, bleibt ihr süsses Geheimnis.

Dass eine «Analyse» eine Untersuchung sein sollte, mit der unter Anwendung klarer Kriterien geordnet und ausgewertet wird, was soll’s. Offenbar ist inzwischen auch in der politischen Betrachtung ein Körperteil in den Fokus des Interesses getreten. Der eigene Bauchnabel.

Entscheidend ist die eigene Stimmungslage

Die eigene Befindlichkeit, das Ich, die persönliche Stimmungslage, meine Meinung, damit wird der Leser belästigt. Dass der sich vielleicht aufgrund einer Lektüre eine eigene Meinung bilden könnte und sollte: ach was, das ist so was von old school. Wo kämen wir da hin. Der Leser muss belehrt, erzogen und gelenkt werden. Sonst käme er gar noch auf eigene, daher falsche Gedanken.

Ausserdem wird so die Welt und alles schön übersichtlich, kategorisiert, kartografiert, fassbar. Trump («irrer US-Amerikaner»), Orban («kleiner Diktator»), Bolsonaro («politischer Zerstörer»), Österreich («käufliche Republik»).

Dazu noch ein Schuss New Speak von Orwell (in anderem Zusammenhang: Impfzwang ist freiwillig), und schon hat die sogenannte Qualitätspresse einen weiteren Sargnagel eingeschlagen.

Um genauso holzschnittartig zurückzugeben: bezüglich Käuflichkeit sollte sich gerade die «Süddeutsche» sehr zurückhalten, wie ein Blick in ihre Vergangenheit zeigt. Solche argumentationsfreien, überheblichen, besserwisserischen, abqualifizierenden Seelenrülpser einer Rechthaberin im Nachhinein braucht es weder als Kommentar, noch als Analyse. Und wirklich lustig ist diese Selbstzerstörung auch nicht.