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Capote wäre 100 Jahre alt

Und was bleibt vom Miterfinder des «New Journalism»?

Zunächst einmal ein grosses Missverständnis. Immer, wenn ein Journalist irgend ein Ereignis genauer recherchieren will, kommen unweigerlich Vergleiche mit Truman Capotes (30. September 1924 – 25. August 1984) «Kaltblütig» auf.

Schon mit «Die Grasharfe» katapultierte sich der geniale Nachspürer menschlicher Schwächen 1951 in den Olymp der amerikanischen Literatur. Es folgte «Frühstück bei Tiffanys», und auf der Suche nach neuen Grenzen, Abgründen und der Erforschung menschlicher Niedertracht begab er sich anschliessend in die Kleinstadt Holcomb in Kansas. Dort hatte ein Gangsterbrüderpaar eine Farmerfamilie ermordet; die Beute betrug 40 Dollar. Er recherchierte fanatisch und verbissen fast 6 Jahre an dieser Story, baute in der Zeit ein Vertrauensverhältnis mit den Mördern im Gefängnis auf, deren Zutrauen er schamlos in seinem Tatsachenroman «Kaltblütig» ausnützte.

Obwohl Capote Teile seines Werks bereits geschrieben hatte und öffentlich vortrug, log er die beiden Insassen in der Todeszelle schamlos an, um ihr Vertrauen nicht zu verlieren. Kurz vor seiner Hinrichtung schilderte einer der beiden Mörder Capote die Geschehnisse, der daraufhin den Kontakt zu ihm abbrach, da er alles nötige Material nun hatte. Erst zu dessen Hinrichtung fand er sich wieder ein; das Ereignis stürzte Capote in tiefe Depressionen

Im Film «Capote» von 2005 verkörpert Philip Seymour Hoffman den Schriftsteller kongenial mit all seinen Manierismen, Schwächen, seiner Homosexualität und seiner gnadenlosen Fähigkeit, ihm anvertraute intime Geständnisse öffentlich auszuweiden.

«Kaltblütig» wird zum Megaerfolg und katapultiert Capote in die erste Liga von US-amerikanischen Schriftstellern. Dabei ist das Werk grässlich misslungen; langfädig, ausufernd, verliert sich bis ins Unendliche in unwesentliche Details. Aber wahrscheinlich ist es so wie beim «Fänger im Roggen»: Werke, die jeder zu kennen meint, aber nicht gelesen hat, bekommen eine unheimliche Aura.

1966 wurde «Kaltblütig» veröffentlicht, aber der damit verbundene Ruhm tat Capote nicht gut. Bis zu seinem Tod, befördert durch Alkohol- und Drogenmissbrauch, sollte der geniale Essayist, der aber kein guter Dokumentarschriftsteller war, kein einziges Romanwerk mehr veröffentlichen. Wie Salinger kündigte er immer wieder sein Opus Magnum «Answered Prayers», erhörte Gebete, an, ohne es geschrieben zu haben.

1975 veröffentlichte Capote immerhin ein erstes Kapitel im «Esquire»-Magazin. Hier plauderte er ungeniert alle Geheimnisse aus, die ihm vor allem weibliche Mitglieder der  High Society anvertraut hatten. Über 25 Jahre, seit seiner fabulösen Megaparty «The Black and White Ball» im Plaza-Hotel, hatte er als gern gesehener Paradiesvogel und Exzentriker Zugang zu den berühmtesten Persönlichkeiten der USA. Seine Indiskretionen führten zum Selbsmord der Millionärswitwe Ann Woodward. Unzählige Freundschaften zerbrachen, Capone wurde ausgestossen und geächtet.

Ein letzter Erzählband «Musik für Chamäleons» erschien 1980. Schon zuvor und danach irrlichtete er durch Kliniken und Sanatorien, erlitt mehrere Nervenzusammenbrüche und kam sogar ins Gefängnis. Auf seine Art verkörperte er den poète maudit, ähnlich wie Charles Baudelaire, ohne allerdings dessen überragende poetische Kraft zu haben.

Nicht wirklich verdient hat Capote, dass die durch einen Skandal bekannt gewordene Anushka Roshani sich nochmals auf die Suche nach Spuren Capotes machte. Paul Jandl richtet das mit gültigen Worten in seiner Würdigung Capotes in der NZZ hin: «Wenn die Autorin mit Zeitgenossen des Autors spricht, könnte das interessant sein, würde sich nicht permanent Roshanis teenagerhafte Aufgekratztheit ins Geschehen mischen.»

Eine trübe Leichenfledderei. Aber Jandl fasst das Leben und Oeuvre Capotes in einer Weise zusammen, vor der man sich nur verneigen kann: «Truman Capote war der Einschleichdieb der New Yorker Gesellschaft. Mit seinem Charme hat er ihr die Herzen geraubt und mit seiner Liebe zur Wahrheit beinahe den Verstand.»

Denn in seinen besten Momenten, die allerdings rar waren, wuchs Capote zu einem Marcel Proust der High Society der USA hinauf. Selbst kaltblütig, brutal und stilsicher Worte wie Rasierklingen benützend, mit kalten Augen und klarem Blick sezierte er die aufgeblasene Wichtigkeit der reichen Paradiesvögel um ihn herum, fand elegante Formulierungen auf der Höhe eines Scott F. Fitzgerald.

Und doch war Capote jemand, der mit etwas Erfolg gehabt hatte, was er gar nicht gut beherrschte. er war so zerrissen und mit sich selbst gequält, dass sein Blick in die Abgründe anderer Menschen immer nur ein Echo aus der eigenen Dunkelheit war. Auf kaum einen anderen Schriftsteller trifft das Wort von Nietzsche so zu wie auf ihn:

«Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund  blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.«

Unser Sorgenkind am Samstag

In der NZZ ist vieles gut. Aber …

Gar nicht gut ist, wenn der Name Barbara Bleisch auftaucht. Denn die Westentaschenphilosophin hat eigentlich ihre langjährige Belästigungs-Kolumne bei Tamedia aufgegeben.

Doch das Aufatmen war nur von kurzer Dauer. Da sie unermüdlich in der öffentlichen Wahrnehmung vorhanden sein will, benützt sie jede Gelegenheit, Flachheiten zu publizieren. Leider ist die NZZ da willfähriger Helfershelfer. Aber Hand aufs Herz, wenn sich der Inhalt eines sogenannten «Essays» problemlos so zusammenfassen lässt, warum in Hegel und Kants Namen muss dann die NZZ zwei Seiten Feuilleton darauf verschwenden?

Wenn ein «Essay» so jämmerlich flach beginnt, wieso hatte da ein Verantwortlicher nicht ein Einsehen mit dem Leser?

«Wenn es zuweilen heisst, über Geschmack lasse sich nicht streiten, gilt das wohl auch für die Frage, was stört. Was die einen irritiert, juckt die anderen offenbar nicht im Entferntesten.»

Das ist von einer dermassen erschütternden Banalität, dass man Bleisch schon ein gut ausgebildetes Selbstbewusstsein attestieren muss, dass sie sich das traut.

Schnell kommt das übliche Namedropping à la Bleisch, denn sie weiss schon, dass ausschliesslich Banalitäten doch etwas an ihrem Ruf als «Philosophin» kratzen würden. Also macht sie diesen Untergriff:

«Wer hat sich nicht schon über ein lästiges Insekt im Schlafzimmer geärgert und mit einer Zeitung oder einem Hausschuh bewaffnet nach dessen Leben getrachtet? Umso erstaunlicher, dass Sokrates ausgerechnet dieses Tier adelt, indem er sich selbst und sein Philosophieren mit ihr vergleicht.»

Ein Insekt im Schlafzimmer, daran geknüpft ein Aufschwung zu Sokrates. Muss man können. Denn Sokrates soll sich doch tatsächlich mit einer Stechfliege verglichen haben. Auch ihm sind nicht alle Metaphern geglückt, aber macht doch nix.

Aber wo Sokrates ist, da ist der Mann im Fass auch nicht weit: «denken wir etwa an Diogenes von Sinope, der im 4. Jahrhundert v. Chr. lebte und bekannt ist für seine radikale Ablehnung sozialer Konventionen.» Dass von Diogenes so gut wie nichts direkt überliefert ist, hindert Bleisch natürlich nicht daran, den von Plutarch ein paar Jahrhunderte später überlieferten Spruch zu wiederholen. Obwohl das «geht mir ein wenig aus der Sonne» gegenüber der Frage Alexander des Grossen, was er denn für Diogenes tun könne, ungefähr so albgenudelt ist wie die Kleine Nachtmusik von Mozart oder der «Lettre à Elise» von Beethoven.

Zur Sicherheit legt Bleisch noch einen Namen drauf: «Auch Friedrich Nietzsches wortwörtlich explosives Bekenntnis «Ich bin Dynamit!» steht in dieser Tradition.» Wortwörtlich explosiv, aber hallo.

Aber irgendwie geht es hier scheint’s auch um Erkenntnis und so, und da darf natürlich einer nicht fehlen. Auch wenn er nur einen kurzen Gastauftritt hat. Wer? Na, Immanuel Kant natürlich, Dummerchen.

Und so mäandert es sich um den Begriff Störenfried herum und heraus. Aber hat die Dame eigentlich ein Anliegen, eine conclusio, wie sie sicher gerne sagen würde? Nun ja, sort of, wie der Engländer da sagt:

«Angesichts der Tatsache, dass in unserer Welt Hunger und Not, Entrechtung und Einsamkeit keineswegs der Vergangenheit angehören, dass populistische Zyniker in vielen Erdteilen nach der Macht greifen und wir die Klimakrise nicht im Ansatz hinreichend entschlossen angehen, ist keine sich duckende Herde gefragt, sondern gefragt sind Menschen, die den Blick heben und um sich schauen, nicht um in erster Linie die eigene Lage zu verbessern, sondern um für entschlossenes Handeln einzustehen.»

Also Menschen wie Bleisch. Die am Schluss gerne immer wieder auf Simone Weil hinweist. Wohl weil das auch eine Frau ist und auch jemand völlig Unbedeutender. Und als Absackerchen dann noch ein Allerweltszitat von Max Frisch, fertig ist die Katastrophe.

Hunger und Not, Entrechtung und Einsamkeit, furchtbar, und dann diese sich duckenden Herden, die aber überhaupt nicht gefragt sind. Gefragt sind hingegen, da wird es wieder dunkel, das Dichterwort, Menschen, die den Blick heben. Wozu? «Nicht um in erster Linie die eigene Lage zu verbessern, sondern um für entschlossenes Handeln einzustehen.»

Hä? Aus der duckenden Herde heben einige den Blick. Damit wollen sie nicht etwa die eigene Lage verbessern, obwohl man das mit Blicken vielleicht nicht unbedingt kann. Aber nein, ihr Blick soll für entschlossenen Handeln einstehen.

Das möchte ZACKBUM sehen. Bitte mit Foto. Der Blick, der für entschlossenes Handeln einsteht. Und selbst wenn man sich das schräge Sprachbild vorstellen könnte, worin bestünde denn dann das entschlossene Handeln?

Schreibverbot für Bleisch einfordern? Faule Eier auf die Fassade der NZZ werfen? Diogenes, Sokrates, Plutarch und Kant um Verzeihung bitten?

So ist’s halt immer mit der höheren Philosophie. Schwer verständlich ist sie. Eine Seite Kant ist nur was für Wildentschlossene. Zwei Seiten Bleisch, das hingegen ist nur was für Masochisten. Für Liebhaber des obskur Banalen. Für Freunde des Namedropping. Für Möchtegerns, die gerne auch mal sagen möchte:

Auf der Jagd nach einem Insekt im sokratischen Sinn könnte man auch Nietzsche explodieren lassen, wobei in der Kritik der reinen und der praktischen Vernunft Kant darauf hinwies, dass nur der erhobene Blick den Ausgang aus der selbstverschuldeten Mückenplage ermöglicht.

Damit kann man ungeheuer Eindruck schinden. Allerdings nur bei leicht unterbelichteten Zuhörern.