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«Blick» in die Abenddämmerung

Wie man ein einstmals erfolgreiches Boulevardblatt in den Abgrund führt.

«Manchmal beginnt man eine Kolumne am besten mit einer Zahl. Die Zahl lautet 74 852. Die Zahl ist die neuste beglaubigte Auflage des Blicks.» So startet Medienjournalist Kurt W. Zimmermann seine neuste Kolumne in der «Weltwoche».

Natürlich ist das ein wenig polemisch, denn alle Printtitel verzeichnen schmerzliche Auflageverluste im Print. Und versuchen, das mit Zugewinnen online schönzureden.

Aber nirgendwo ist’s so dramatisch wie beim «Blick». Der hatte mal, das waren noch Zeiten, eine Auflage von 380’000. Wie soll man das einordnen? Natürlich hat auch der Verkauf von Dampfloks nach der Elektrifizierung der Eisenbahn dramatisch nachgelassen. Ist das bei Newsmedien nach der Erfindung des Internets nicht vergleichbar?

Nein. Hier besteht nur insofern eine Ähnlichkeit, als die meisten Medienkonzerne versuchen, im Internet mit der Dampflok zu fahren. Sie verschenken dabei Inserateeinnahmen an Google, versuchen es mit Bezahlschranken und «Paid Content», wo sie die Beine spreizen und werblichen Inhalt wie redaktionelle Beiträge daherkommen lassen, bis es unappetitlich wird.

Besonders ungeschickt stellt sich auch hier der «Blick» mit seinem «Blick+» an. Trotz gewaltiger Werbekampagne mit dem bescheuerten Slogan «plussen» ist die Anzahl Abonnenten nur unter dem Mikroskop zu erkennen. «Blick am Abend», eingestellt. «Blick TV», enthauptet, skelettiert. SoBli, als eigenständige Marke ausgehöhlt. Den fähigen Oberchefredaktor Christian Dorer aufgrund einer Weiberintrige gegen ihn aus fadenscheinigen Gründen per sofort freigestellt. Dann eine gewichtige Untersuchung angekündigt, das Resultat aber verschwiegen.

Leute, die noch meinen, im «Blick» politisch relevante Themen aufgreifen zu können, ergreifen die Flucht, wie zuletzt Sermîn Faki und Pascal Tischhauser. Stattdessen gibt es eine Inflation von Chiefs, Heads und Officers, viele Häuptlinge, wenig Kindersoldaten als Redaktionsindianer.

So wie sich Tamedia von linksautistischen Gutmenschen in den Abgrund schreiben lässt, steuert der «Blick» das gleiche Ziel damit an, dass er sowohl politisch wie gesellschaftlich in die Bedeutungslosigkeit absinkt. Eine Oberchefin, die zuvor in einer geschützten Werkstatt einen zwangsgebührenfinanzierten Randgruppensender für 30’000 Rätoromanen betrieb, und ein «Chief Content Officer», der sich im Sport auskennt, ein Duo Infernal für ein Boulevard-Organ, das laut oberster Direktive gar keins mehr sein will.

Aber was ist ein Produkt, das sich durch grosse Buchstaben, kurze Texte und bunte Bilder definiert, wenn es kein Boulevardblatt mehr sein darf? Dann ist es nichts mehr. Das ist so, wie wenn einer Chilisosse die Schärfe genommen wird. Wie alkoholfreier Wein. Wie ein Auto ohne Motor.

Das Fatale daran ist, dass der «Blick» nicht etwa von Anfang an eine Fehlkonstruktion war. Sondern mit den klassischen Handgriffen zu einem Erfolgsmodell und zu einer sprudelnden Geldquelle wurde. Busen, Büsis, Blut. Plus Kampagnen, plus Lufthoheit über den Stammtischen, plus keine Angst vor einfachen Lösungen und Forderungen, wie es halt dem Volks gefällt. Plus Meinungsmacht. Wie sagte der Machtstratege Gerhard Schröder mal so richtig: «Man kann Deutschland nicht gegen die «Bild» regieren.»

Obwohl auch dieses Boulevardblatt schmerzlich an Auflage verloren hat, ist es immer noch Meinungsmacht geblieben. So wie der «Blick» in der Schweiz mal eine war. Gefürchtet von Politikern, aber auch von Promis und solchen, die es sein wollten. Denn er wendete das alte Prinzip an: hochschreiben, bejubeln, dann niedermachen. Wer willig für Interviews zu haben war, Intimes auf Wunsch ausplauderte, der wurde gehätschelt. Wer sich dem verweigerte, wurde geprügelt.

Auch Männerfreunschaften wurden gepflegt, wie die von CEO Marc Walder mit Pierin Vincenz, Alain Berset oder Philippe Gaydoul. Die durften sich in der Sonne wohlwollender Berichterstattung aalen. So wie bis vor Kurzem auch DJ Bobo, denn zu Ringier gehört ja ein Konzertveranstalter. Inzwischen ist da aber etwas kaputtgegangen, denn der Bäcker aus dem Aargau mit seiner klebrigen Stampfmusik wird inzwischen nach allen Regeln der Kunst in die Pfanne gehauen.

Nur: er verzichtet auf jede Stellungnahme, jeden Kommentar. Denn dieser René Baumann ist ein cleveres Kerlchen. Er weiss, dass man heutzutage Gewäffel vom «Blick» einfach abtropfen lässt. Wirkungslos.

Dass der «Blick» seit Jahren links an seinem Zielpublikum vorbeischreibt, ist das eine. Immerhin wurde die obsessive Fehde mit dem «Führer aus Herrliberg» beendet. Aber politische Bedeutung, die hat der «Blick» spätestens seit der Machtübernahme zweier Frauen nicht mehr. Obwohl das Hausgespenst Frank A. Meyer unermüdlich «Relevanz» fordert, was Ladina Heimgartner vielleicht mit «Resilienz» verwechselt.

Das Schicksal des «Blick» ist deswegen besonders tragisch, weil er eigentlich eine USP hätte. Würde er wieder richtigen, guten Boulevard machen, könnte das Blödelblatt «watson» einpacken, «20 Minuten» hätte endlich eine ernstzunehmende Konkurrenz. Denn es gibt schlichtweg kein Boulevardblatt mehr in der Schweiz.

Aber gegen ständige Fehlentscheide ist keine Zeitung der Welt auf die Dauer resilient. Und eines ist im Journalismus dann doch gewiss: Lächerlichkeit tötet. Wie ZACKBUM nicht müde wird zu belegen

Eine Grabrede

Es war einmal eine Idee, die zerschellte.

Die Idee war, wie viele Ideen, ziemlich gut. Christof Moser hatte sich lange mit dem Gedanken getragen, etwas zu machen, was der Traum wohl jedes Journalisten ist. Wie wär’s, wenn es ein Online-Magazin gäbe. Eines, das werbeunabhängig ist, nur von den Einnahmen seiner Abonnenten lebt und endlich wieder das macht, wozu Journalismus eigentlich da ist: Expeditionen in die Wirklichkeit, wie das der Schönschreiber Constantin Seibt schönschrieb.

Also wurde konzipiert und gehirnt und geschaut und schliesslich angekündigt. Man nahm dabei den Mund so voll, dass die «Republik» spöttisch als der selbsternannte Retter der Demokratie bezeichnet wurde.

Es wurde ein Crowdfunding gemacht, das alle Erwartungen übertraf. Dazu wurden mehrere Mäzene gefunden, die tief in ihre tiefen Taschen griffen. Dann wurde eine ausgefinkelte Struktur entwickelt, der eigentlich nur der Hauptsitz auf den Bahamas fehlte. Eine Holdingstruktur mit einer Genossenschaft und einer AG.

Da kamen die ersten Zweifel auf, ob die «Republik»-Macher wirklich wissen, was sie tun:

Nein, das muss man nicht verstehen, das versteht auch innerhalb der «Republik» kaum einer. Auf jeden Fall, der Fluch einer Holding, gab es dann einen Verwaltungsrat, einen Genossenschaftsrat, eine Geschäftsleitung und eine Chefredaktion. Und ein paar Indianer.

Im ersten Überschwang erklärte man die Finanzierung für mindestens zwei Jahre gesichert und legte los. Gleich der Start war eine ernüchternde Enttäuschung. Zwei Jungredaktorinnen plus Fotograf  reisten durch die USA und sollten eigentlich erklären, wieso denn Donald Trump gewählt worden war. Im Ansatz eine originelle Idee. Nur: die Mädels zofften sich in erster Linie und beschäftigten sich mit sich selbst. Journalistisch unterliefen ihnen reihenweise Unsauberkeiten und Fehler. So versuchte ein von ihnen übel in die Pfanne gehauener Geistlicher, wenigstens das Foto seines Sohnes aus dem Artikel zu löschen.

Da zeigte die «Republik» zum ersten Mal ihr hässliches Gesicht. Keine Chance, klag uns doch ein, wir korrigieren oder ändern nichts, beschied sie ihm. Die beiden Autorinnen hatten ihm Einsicht in seine Quotes versprochen, dachten dann aber wohl, dass so ein Wicht im Süden der USA doch niemals mitkriegen werde, wie man ihn in einem kleinen Schweizer Organ als Waffennarr karikiert – und pfiffen auf seine Autorisierung.

Diese Reisereportage legte auch in anderer Beziehung eine Marotte vor, die dann fleissig nachgeahmt wurde: die Überlänge von Beiträgen. 20’000 A waren eine Kurzstrecke, 40’000 A, 60’000, 120’000 und mehr; notfalls halt in mehrere Teile verhackt.

Was im Kleinen sich unangenehm äusserte, wurde auch zur schlechten Angewohnheit im Grossen. Eine aufgewärmte Story über üble Zustände im Bündner Immobilienwesen, mit einem übel beleumdeten Kronzeugen. Kritik daran wurde als Majestätsbeleidigung zurückgewiesen. Immer wieder folgten zu Riesenskandalen aufgeladene Storys, als wären die «Republik»-Macher bei den «Leaks»- und «Papers»-Aufplusterern in die Schule gegangen. ETH, ein Riesen-Mobbingskandal. Die ETH musste gerichtlich erzwingen, dass aus diesem Ballon die Luft rausgelassen wurde.

Die «Republik» verstieg sich bis zur Lächerlichkeit. Selbst als der Leiter einer Sitzung öffentlich bekanntgab, dass nicht wie von der «Republik» behauptet ein Professor daran teilgenommen hatte – und damit doch seinen Ruf in die Waagschale warf –, knirschte die «Republik», dass aufgrund ihr vorliegender Informationen das doch so gewesen sei.

«Globe Garden», ein angeblicher Riesenskandal, unglaubliche Zustände, alle basierend auf anonymen und nicht überprüfbaren Behauptungen ehemaliger Mitarbeiter, die «Republik» traute sich nicht einmal, selbst einen Augenschein zu nehmen, sondern «recherchierte» alles am Schreibtisch. Die seriöse Untersuchung einer spezialisierten und unabhängigen Kanzlei ergab: kein einziger Vorfall, einfach nichts liess sich erhärten oder nachvollziehen.

Inhaltlich denaturierte die «Republik» schnell zu einem Gesinnungsblasen-Bedien-Organ. Nachdem die «SonntagsZeitung» die ETH-Recherche der «Republik» in der Luft zerrissen hatte, rächte sich das Organ mit einer mehrteiligen Serie unter dem grossmäuligen Titel «Tamedia Papers». Der gleiche Autor verbrach dann ein Denunziationsstück über ein angebliches Netzwerk von «Infokriegern». Angeteasert als «Eine Reise ans Ende der Demokratie». In Wirklichkeit war das eine Reise ans Ende des seriösen und ernstzunehmenden Journalismus. Denn der Autor hatte lediglich mit einem einzigen der von ihm als Mitglieder eines üblen, rechten Netzwerks von Publizisten verunglimpften Gespensternetzes gesprochen. Das hinderte ihn nicht daran, eine Handvoll dieser Infokrieger namentlich zu nennen und wie ein irrer Verschwörungstheoretiker ein ganzes Organigramm zu pinseln.

Es war nicht als Selbstkritik gemeint, wenn es in dieser Schmiere hiess: «Trump und Pandemie haben einen Nährboden für ein Medien-Ökosystem geschaffen, in dem Fakten keine Rolle mehr spielen.»

Aber das war ja nur der inhaltliche Niedergang. Dazu gesellte sich schnell der finanzielle. Schon nach einem Jahr musste die «Republik» die erste Bettelaktion starten, der sich dann weitere hinzugesellten. Nach dem Gesetz der Steigerung drohte die «Republik» dann sogar damit, sich zu entleiben, aufzuhören und alle 55 Nasen, auf die die Payroll angeschwollen war, auf die Strasse zu stellen, wenn nicht ein Milliönchen oder so zusammenkäme.

Was die erlahmende Spendierlaune der Abonnenten nicht schaffte, mussten dann Sponsoren und Mäzene erledigen, zuvorderst die Brüder Meili, die sich wohl schon mehrfach gefragt haben, ob die Entscheidung, schlechtem Geld gutes hinterherzuwerfen, wirklich vernünftig war.

Als Höhepunkt dieser Nummer wurde ein sogenanntes «Klimalabor» ins Leben gerufen und üppig ausgestattet. Das beschäftigte sich mal ein Jahr mit sich selbst und mit der Frage, was es eigentlich tun solle. Als auch da das Geld knapp wurde, forderte die «Republik» einfach ultimativ weitere 250’000 Franken. Sonst müssten die Labormacher entlassen werden.

Zum inhaltlichen und finanziellen Niedergang gesellte sich dann die übliche Arschtreterei intern. Der Gründer und Chefredaktor Moser wurde rausgemobbt und als «Stabsstelle Chefredaktion» ruhiggestellt. Der angesehene Publizist Roger de Weck wurde zunächst mit grossem Trara als neuer VR-Präsident vorgestellt, trat aber sein Amt gar nicht erst an.

Auch der interimistische Chefredaktor wurde abgesägt, nachdem die «Republik» in einer Kamikaze-Aktion beschlossen hatte, den Abschwung und Geldmangel damit zu bekämpfen, noch viel mehr Geld auszugeben.

Statt mit Primeurs oder guten Storys macht die «Republik» immer häufiger Schlagzeilen mit internen Querelen, einer Steuerschummelei, einem bis heute undurchsichtigen Fall von angeblichen sexuellen Übergriffen eines Starreporters, der dann ohne Anhörung zuerst freigestellt, anschliessend fristlos gefeuert wurde.

Schliesslich outete sich der neue VR-Präsident als Traumtänzer und Irrwisch. Obwohl vorher bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle beschäftigt, bezeichnet er die finanzielle Lage der «Republik» als gut. So gut sie halt sein kann, wenn selbst die Testatfirma eine Überschuldung konstatiert, die so gravierend sei, dass nur der Rücktritt grosser Gläubiger den Gang zum Konkursrichter verhindert habe. Wobei die Fähigkeit zum Weiterexistieren stark gefährdet sei.

Kein Problem, meint der medienfremde neue VRP, wir zielen einfach 100’000 Abos an, dann sind alle Probleme gelöst.

Ein interner Untersuchungsbericht legt schonungslos üble, intrigante Machtkämpfe in der Redaktion offen, die sich lauthals über solche Zustände bei anderen Medien beklagt hatte.

Wie Lukas Hässig schonungslos analysierte, ist die «Republik» eigentlich nur noch ein Zombie, ein künstlich beatmeter Untoter. Schlimmer noch: Renommee und Image sind angeschlagen bis ruiniert, journalistisch kriegt das Organ nichts mehr gebacken; Edelfeder Seibt ist fast verstummt; wenn nicht, verliert er sich in ellenlangen Warnungen vor dem neuen Faschismus in den USA, die keiner zu Ende lesen mag.

Das nach längerem Zögern inaugurierte Chefredaktor-Duo hat noch nie eine Redaktion geleitet. Daniel Binswanger nervte bislang höchstens durch seine wöchentlichen Episteln, in denen er der Welt, der Schweiz, allen Menschen und Anhängern der SVP insbesondere unablässig und ungefragt gute Ratschläge und Besserwissereien mit auf den Weg gibt.

Traurig, sehr traurig. Eigentlich war die Idee ja gut. Der alte Rock’n’Roll. Guter Journalist, gute Recherche, gute Story. Das freut den Leser, dafür zahlt er sogar.

Aber stattdessen eine mit sich selbst beschäftigte, verbitterte, kreischig gewordene Redaktion, umkreist von Sesselfurzern, deren Beitrag zur Erstellung von schlappen drei Lebenszeichen am Tag (wochentags, versteht sich) nicht erkennbar ist.

Ein desaströser Geschäftsbericht, der mit Alarmsirenen und flackernden Rotlichtern gespickt ist. Dazu ein VRP, der das alles keinen Anlass zur Beunruhigung findet. Abgespacet, sagt man wohl dazu. Der kleine Planet «Republik» hat sich von der Erde gelöst, im Rothaus an der Langstrasse hat nicht mal der krachende Konkurs des Kosmos Stirnfalten ausgelöst. Man schwebt halt in seiner Blase, bis sie platzt.

Dann war natürlich das Umfeld, der Rechtsruck, die widrigen Umstände, die üblen Netzwerke, auf jeden Fall alle anderen und alles andere dran schuld. Aber sicherlich nicht einer der Lohnempfänger, die Unternehmer spielen wollen und in dieser ganzen Leidensgeschichte mit unanständiger Bettelei niemals daran dachten, ihr fixes Gehalt ein wenig herabzusetzen. Immerhin der mit Abstand grösste Kostenfaktor.

Trauerspiel war’s lange Zeit, dann wurde es zur Tragödie mit Diadochenkämpfen, heute ists nur noch tragikomisch, eine Farce. Ein Witzblatt, das sich vielleicht als letzte Handlung um den Kauf des «Nebelspalter» bemühen sollte. Denn für Realsatire haben die «Republik»-Macher ein Händchen.

Von allen guten Geistern verlassen

Die NZZaS lotet die Untiefen im Seichten aus.

Es gab mal Zeiten, da hätte irgend ein Entscheidungsträger zu diesem Titelblatt der seriösen und ehrwürdigen NZZaS gesagt: Gohts no? Wand dusse? Sind wir hier bei der «Praline»?

Aber zurzeit amtiert eine Viererbande, bei der zwei schon geistig (oder auch körperlich) weg sind, die anderen zwei nicht wissen, was sie tun, wobei einer furchtbar gerne Chefredaktor würde (es aber nicht wird), der andere mehr der Not und Pflicht als der Neigung gehorchend auf der Kommandobrücke sitzt.

Man könnte nun meinen, es sei ein schlechter Scherz, die mit allen Mitteln in die Medien drängende «Edel-Escort» mit dem verblasenen Pseudonym Salomé Balthus zu porträtieren. Wie die versucht, um jeden, wirklich jeden Preis Aufmerksamkeit zu erregen, davon kann Roger Schawinski ein Lied singen. Und als die «Weltwoche» das Experiment unternahm, viel Geld dafür auszugeben, um von der Dame mässig gut unterhalten zu werden («Wie stöhnst denn Du?»), machte sie auch ein grosses Trara, Drama und Gefuchtel draus.

Die Dame ist wohl nicht nur für ihre Kunden toxisch. Über sie und ihre Stöhnkünste ist nun soweit alles erzählt und gibt es auch nichts Neues. Die Prostituierte Klara Lakomy versuchte das letzte Mal, via WEF und «Blick» in die Schlagzeilen zu kommen:

Eine typische Quatsch-Geschichte einer mediengeilen käuflichen Dame: ««Ich wollte in mein eigenes Hotelzimmer gehen, als mir auf dem Flur ein Sicherheitsbeamter mit der Waffe im Anschlag entgegenkam.» Die Situation konnte aber schnell entschärft werden, so die Escort-Dame. «Er hat relativ schnell gemerkt, dass unter mein Negligé gar keine Waffe passt», scherzt sie nur wenige Stunden nach dem Vorfall.» Ist das vielleicht putzig.

So preist sie sich auf ihrer Webseite an, inkl. Preisliste:

Also alles ziemlich halbseiden und für Menschen, die es mögen, für solche Dienstleistungen zu bezahlen. Das hält aber das «NZZ am Sonntag Magazin» nicht davon ab, auf dieses Niveau zu sinken:

Nein, lieber Leser, das ist kein Werbeangebot, sollte man die NZZaS abonnieren. Und der Herr rechts ist nicht käuflich zu haben. Aber irgendwie passt auch mal die Reihenfolge im Heft; zuerst das hier:

Und dann das hier:

Die beiden Interview-Fachkräfte Sacha Batthayany und Rafaela Roth starten hier eine «Interview-Serie», was man als echte Drohung empfinden muss. Als Lead leisten sie sich den Uralt-Kalauer: «Ein Gespräch über wahre Liebe und Liebe als Ware.»

Dann folgen in bewährter «Republik»-Länge über 24’000 A gequirlter Flachsinn. Zunächst stellt Lakomy klar, dass sie Lakomy genannt werden möchte. Und dann wird der Leser schon ganz am Anfang mit diesem Dialog gequält:

«Was bedeutet Liebe, Frau Lakomy?
Sie: Ich möchte keine philosophische Antwort auf die Frage geben.
Florian Havemann: Wäre ja noch schöner.
Sie: Liebe bedeutet für mich Florians wunderschöne Füsse. Liebe ist eine irrationale Zärtlichkeit.»

Kann man noch tiefer sinken? Aber ja:

«Ist Ihre Liebe denn eine körperliche?
Er: Das geht Sie nichts an.
Sie: Das geht Sie überhaupt nichts an. Ich habe schon seine Füsse gelobt, und dann hat er diesen schönen Kopf. Alles dazwischen ist Privatsphäre.»

Früher, ja früher, hat man Nicht-Antworten aus Interviews gestrichen. Aber heute …

Aber nun kommt der dicke Hund des Interviews:

«Als mich Hanna kennenlernte, da war ich Verfassungsrichter, und später habe ich im Bundestag gearbeitet und war Berater von Gregor Gysi. Mir ging es gut, bis ich plötzlich alles verlor. Ein Schicksalsschlag, auf den ich nicht weiter eingehen möchte.»

Genauer gesagt, war Florian Havemann Laienrichter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Diese Karriere verdankte er im Wesentlichen der Tatsache, dass er der Sohn des berühmten DDR-Oppositionellen Robert Havemann ist. Der «Schicksalsschlag» bestand dann darin, dass er ein übles biographisches Buch über seinen Vater und sich selbst veröffentlichte, in dem er eine Vielzahl von unbewiesenen und bösartigen Behauptungen aufstellte. Darunter die, dass der Bänkelsänger und Oppositionelle Wolf Biermann eine intime Beziehung zur damaligen Volksbildungsministerin und Gattin des Staatsratsvorsitzenden Margot Honecker unterhalten habe. Sein Vater sei kein Dissident gewesen, sondern staatstreu und habe für den KGB und die Stasi spioniert. Das Buch musste vom Suhrkamp Verlag zurückgezogen werden, viele Stellen wurden geschwärzt.

Das als «Schicksalsschlag» unwidersprochen schönreden zu dürfen, das ist nun in diesem Seichtgebiet eine zusätzliche Untiefe.

Wollen wir noch eine Duftmarke stinken lassen, bevor wir diesen seltenen Tiefpunkt des Hauses NZZ verlassen?

«War der Sex in der DDR freier?
Er: Das müssen Sie mich nicht fragen.
Weil?
Sie: Darf ich antworten?
Er: Nein, darfst du nicht. Ich hatte sehr wenig sexuelle Beziehungen.
Sie: Männer sind schüchterner, und diese Schüchternheit hat physische Gründe. Der Körper verrät einen als Jungen, sie brauchen Hilfe im sexuellen Akt. Ich fand immer, Frauen sind schamloser und frecher

Die Fragen sind schon mal bescheuert, die Antworten nicht minder. Hier soll der Leser einen Einblick in eine merkwürdige Beziehung bekommen, wo ein älterer Mann sich von seiner jüngeren Partnerin aushalten lässt, die horizontal das Geld für Miete und Unterhalt seiner Kinder verdient.

Will die NZZaS dieses Niveau halten, müssen wir uns demnächst auf ein Interview mit Kim de l’Horizon gefasst machen …

Irgendwie konsequent erscheint, dass sich im nächsten Text eine Lea Hagemann Gedanken über eine Trivialität macht: «Meine Meinung ist: Ich habe keine!» Eigentlich würde auch hier der Titel genügen, aber damit können ja beim schlechtesten Willen nicht zwei Seiten gefüllt werden.

Geht’s noch abgehangener? Aber ja, wenn Helge Timmerberg sein Archiv aufräumt und auf seine «neun Jahre Marokko» zurückblickt. Die begannen 1992, und dass der Basar von Marrakesch ganz wunderbar ist, weiss jeder, der schon mal da war oder zumindest Fotos davon gesehen hat. Aber schön für Timmerberg, dass er einen Abnehmer gefunden hat. Weniger schön für den Leser.

Es geht (leider) so weiter. Die schon berüchtigte Seite «Bellevue». Diesmal preist sie «Cashmere für fast alle» an. Wieso nur für «fast alle»? Nun ja, weil die Preise so bei 1000 Franken anfangen und weiter nach oben klettern …

Günstigere Angebote? Aber ja, die «Grand Meatery» im Luxushotel Dolder Grand. Wie wär’s als «Starter» mit einem «Tatar mit Austern, Kaviar und Rande» für schlappe 62 Franken? Dann ein Stück Filet, natürlich am Knochen gereift, 200 gr für 65 Franken? Ein Schnäppchen? Stimmt, dann doch eher das Entrecôte aus Japan, diätverträgliche 100 gr für eine Portemonnaie-Diät: 110 Franken. Ein Sösschen dazu für 6 Franken, ein wenig «Pop Up-Fries mit Baconnaise», 10 Franken.

Nix Billiges in Sicht? Doch, ein Perlenohrring für lächerliche 290 Euro. Nur: potthässlich. Dann noch «Lichtskultpturen» von Gabi Deutsch. Hört sich teuer an, lässt sich aber schwer beurteilen: man findet sie nicht.

Dann gibt es noch einen zweiten Warnhinweis, dass wohl bald ein Interview mit Kim droht:

Kann es da Zufall sein, dass das Kochrezept auch nur mässige Begeisterung auslöst?

Sozusagen als olfaktorische Verabschiedung, um hier ein sprachliches Niveau zu setzen, dass dieses Magazin von A bis Z inhaltlich unterbietet, noch das hier:

Das ist eine Würdigung von Andrea Bornhauser, die dann inhaltlich gar nicht so stinkig ausfällt, wie es der Titel suggeriert.

Es ist mal wieder Zeit, für die Berichterstatterpflicht Schmerzensgeld zu verlangen. Dem Leser einen solchen Schrottplatz zu servieren, das braucht schon eine gehörige Portion Arroganz.  Oder Wurstigkeit. Oder soll das etwa nochmals ein Hilferuf sein: Gujer, übernehmen Sie! Sofort! Bitte!»

 

«Republik»: gibt’s noch

Woran merkt man das? Sie gibt Geld mit vollen Händen aus.

Inhaltlich bleibt die «Republik» sich treu. Ellenlange Artikel, für die man eine Auszeit beantragen müsste – würde sie jemand bis zum bitteren Ende lesen. Hat man etwas verpasst, leidet man unter mangelndem Weltverständnis, wenn man sich nicht täglich diese Qual antut? Beruhigende Antwort: nein. Also soll hier auch nicht auf den Inhalt eingegangen werden. Man kann ihn als bekannt voraussetzen. Als Variationen des Ewiggleichen.

Aber die «Republik» hat mal wieder einen Newsletter verschickt. Schlappe 11’140 Zeichen, eine Kurzstrecke. Vom Anfang bis zum «PPPPPPS» (ein Brüller). Gibt es auch etwas mitzuteilen? Es geht: «Wir erhöhen das Budget: von 6,3 auf 8,6 Millionen Franken.» Daran schliesst sich das übliche Gejammer an:

«Die Budget­erhöhung ist umso kühner vom Verwaltungsrat, als unsere Zahlen zwar noch solid sind, aber auch eine Drohung enthalten: Seit Januar sinken sie Monat für Monat leicht. Diesen Trend müssen wir umkehren.»

Dabei ist Verwaltungsrat und Redaktion wie immer ratlos: «Nur: Woran liegts? Am Inhalt? An den Zeiten? Am Marketing? An der Konjunktur? An allem ein bisschen – oder an ganz anderem?» Dürfen wir helfen? Es liegt daran, dass sich auch die Solidarität in der Gesinnungsblase abnützt, wenn sich der Zahler zunehmend fragt, wieso er für ellenlange Langeweile etwas zahlen soll. Für journalistische Tiefpunkte wie Schmäh- und Verleumdungsartikel über ein angebliches rechtes Netzwerk in den Medien. In dem namentlich viele Mitverschwörer und ihre Organe aufgezählt werden – ohne dass man sich die Mühe nahm, mit mehr als einem überhaupt zu reden. Das gab dann selbst von den Kummer gewohnten Kommentarschreibern Dresche – was von den Autoren arrogant und beratungsresistent abgeschmettert wurde.

Ausserdem verlassen die letzten Gründer das sinkende Schiff. Clara Vuillemin, Constantin Seibt, Ex-und-hop-Chefredaktor Christof Moser, alle weg oder auf dem Absprung. Dafür bleibt der ewige «Chefredaktor ad Interim» Oliver Fuchs an Bord. Auch eine schlechte Nachricht.

Der sorgt für etwas Neues: den leichten, aber kontinuierlichen Niedergang im Verlegerwesen. Der richtige Moment für eine kühne Ankündigung: «Momentan haben wir etwas über 28’000 Verlegerinnen. Wir werden bis nächsten Sommer deutlich über 30’000 an Bord haben müssen.» Wetten, dass da dann wieder kräftig gequengelt, gejammert und mit Selbstmord gedroht werden wird?

Alles ist gut

Aus schludrigen Gedanken entstehen schludrige Texte. Das ist aber nicht schlimm. Lasst uns lieb zueinander sein. Alles ist gut.

Von Adrian Venetz

Mal angenommen, ich furze in einen Ballon, hänge ihn an einen rosaroten Staubsaugerschlauch, schmücke ihn mit Plastiktulpen und nenne das Werk «Flatulenzia Tulipae». Ausgestellt in einem hippen Atelier vergingen keine zehn Minuten, bis jemand das Werk mit einem Preis für progressives künstlerisches Schaffen versieht.

Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass in der bildenden Kunst keine Qualitätskriterien mehr gelten. Das Handwerk beherrschen? Unwichtig. Alles ist subjektiv. Alles ist gut.

Woran man sich noch etwas gewöhnen muss: Auch in der Literatur macht sich diese Unsitte breit. Davon zeugen die zwei nachfolgenden Beispiele. Das erste Beispiel ist aus einem Gedichtband einer jungen Frau, die 2019 mit einem Literaturpreis ausgezeichnet worden ist.

«Brechend und schallend,

Ergreifend nah das Licht.

Schwebend und fallend,

Ein Segeln über düstere Meere.

Heimlich verdrängt und doch:

Die Fesseln abgelegt –

Der Schall schon verstummt.»

 

Das zweite Beispiel ist der Anfang eines Romans, den kürzlich ein junger Mann publiziert hat. Man ahnt es: Auch er ist Träger eines Literaturpreises.

«Fabien ist echt nicht in Stimmung für Spielchen. Wutentbrannt hetzt er die Treppe hinunter, raus auf die Straße, schmeißt achtlos eine Kippe vor den Eingang der Bank nebenan. „Bullshit!“, schreit er. Passanten drehen sich um. Egal. In ihm schreit es weiter, während er sich auf den Weg macht zu Michaela. Soll er ein Taxi rufen? Der Regen strömt. „Die Zeit rennt davon“, schleudert er wütend einem Banker entgegen. Graue Schläfen. Pikfeine Schuhe. Imprägniert. Der Banker blickt auf den Boden, als bemerkte er Fabien nicht. „Die Zeit rennt davon“, murmelt er, die Gedanken rasen durch seinen Kopf wie Papierschiffchen auf einem Wildbach. Hatte er Michaela nicht ausdrücklich gebeten, den Mund zu halten? Bullshit, Bitch! Wie ein nasser Traum trieft seine Wut, während er seine Schritte beschleunigt.»

Wütender, triefender, nasser Traum. Oder so.

Wer kommt auf die Idee, solche Texte als preiswürdig zu taxieren? Zwar gibt es Literaturpreise wie Sand am Meer, aber doch muss man sich fragen: Wer findet in solchen Texten literarische Qualität? Gewiss: Das «Mögen» ist subjektiv. Ich liebe Kafka und Stifter, fliehe aber vor Goethe und Brecht – dies allerdings im Wissen, dass auch Goethe und Brecht von höchster literarischer Qualität sind. Doch objektive Qualität in der Literatur geht heutzutage flöten. Alles ist subjektiv. Alles ist gut.

Und schliesslich – woran wir uns noch gewöhnen müssen: Auch im Journalismus schmelzen objektive Kriterien langsam dahin. Ein Thema sorgfältig einschätzen und gewichten? Einen roten Faden in den Text bringen? Eine verständliche Schreibe? Alles subjektiv. Alles gut.

Journalistisches Handwerk heute? Fühlen, wo das Ich betroffen ist

Gerne erinnere ich mich an einen früheren Chefredaktor der Luzerner Zeitung. Gnadenlos in seinem Urteil, menschlich manchmal kaum zu ertragen. Und doch hatte sein Urteil Gewicht. Weil er das journalistische Handwerk verstand. Weil er nicht sagte: Alles subjektiv, alles gut. Man hütete sich, schludrige Artikel abzuliefern. Tat man es dennoch, folgte ein Donnerwetter.

Heute ist das anders. Heute hütet man sich davor, einen Artikel als schludrig zu bezeichnen. Zu gross ist die Verletzungsgefahr. Das Resultat: Vor allem im Online-Journalismus sind dürftige Texte nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Unverständliche Sätze? Grammatikalisch falsch gebildete indirekte Rede? Alles halb so schlimm! Als ich einmal einen Vorgesetzten darauf aufmerksam machte, dass die Textqualität in der gedruckten Zeitung keineswegs mehr dem entspricht, was ein Abonnent von einem Bezahlmedium erwartet, antwortete er allen Ernstes:

«Das ist deine subjektive Meinung. Journalismus ist nun mal keine exakte Wissenschaft.»

Sie sind in der Tat zu beneiden, die exakten Wissenschaften. Über das korrekte Ergebnis der Quadratwurzel von 64 muss man nicht lange diskutieren. Auch über Qualität im Journalismus muss man heute offenbar nicht mehr diskutieren. Alles subjektiv. Alles gut. Bullshit, Bitch!