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Die Walliserkanne des Wahnsinns

Ein neues Beispiel der Verluderung der Medien. Allerorten.

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Die News ist schnell erzählt. Die Wirte einer Kneipe im Wallis weigern sich, die Zertifikatspflicht bei ihren Gästen zu kontrollieren. Sie werden mehrfach ermahnt, dann wird ihnen das Lokal geschlossen, der Eingang verbarrikadiert. Als sie dennoch weiter Gäste empfangen, werden sie verhaftet und in U-Haft genommen.

Daran kann man natürlich tiefschürfende Ansichten über Widerstand, Verhältnismässigkeit, Eskalation oder Schuld anschliessen. Oder man kann sich lächerlich machen.

Das gelingt eigentlich allen medialen Beobachtern bestens. Hubert Mooser gerät auf «Weltwoche Daily» in Wallungen:

«Man hört die Schreie der Betroffenen, als diese von den Beamten mit Härte überwältigt werden.»

Er hatte nicht nur sein Hörrohr nahe an der «wildwest-reifen Szene»: «wie Schwerverbrecher, gewaltiger Image-Schaden, wer hat diese überrissene Polizei-Aktion angeordnet?»

Eine Joyce Küng legt noch nach: «Jedes Fünkchen Widerstand gegen die Bekämpfungsmassnahmen einer Krankheit mit einer Überlebenschance von 99,7%, stellt sich als störend dar. Wie sonst soll die Behörde die Verordnungen rechtfertigen, wenn renitente Demonstranten ständig auf die Verhältnismässigkeit hinweisen?»

Der Boulevard hingegen legt sein Ohr an Volkes Mund: «Über die Verhaftung der Wirte am Sonntagmorgen sei der Grossteil der Einwohner und der Gastronomen erleichtert, meint ein Zermatter zu Blick.»

Es gibt Zweifel an der Verhältnismässigkeit

«Blick» berichtet allerdings auch von den Erlebnissen eines nicht unbekannten Augenzeugens, des Gastrounternehmers Mario Julen, der sich als Vermittler angeboten habe und deshalb beim Polizeieinsatz vor Ort gewesen sei: ««Im Rudel ging die Polizei auf die Familie los, mit Fäusten und Schuhen — und zwar ohne Vorwarnung.» Die Familie habe sich zunächst nicht gewehrt. Trotzdem sei Mutter Nelly «zusammengeschlagen», dem Sohn Ivan «die Schulter ausgerenkt» und dem Vater Andreas in den «Nacken geschlagen worden», beschreibt der Einheimische den Einsatz. «50 Polizisten» seien dabei gewesen, die auch ihn dann weggedrängt hätten. »

Das wiederum macht die Polizei ranzig: «Wir distanzieren uns in aller Form von diesen Vorwürfen. Der Einsatz der Polizei lief verhältnismässig ab. In diesem Zusammenhang prüfen wir derzeit, rechtliche Schritte einzuleiten.»

Zuvor hatten die Medien die Staatsorgane harsch kritisiert; so keifte der «Walliser Bote»: «Der Staat darf sich nicht von einem renitenten Wirt auf der Nase herumtanzen lassen. Man muss Härte zeigen.»

Harte Sache, für den «Walliser Bote».

Auf der anderen Seite zeigt Nicolas A. Rimoldi, wie man sich lächerlich machen kann und der eigenen Sache Schaden zufügen: «Die Schweiz nimmt politische Gefangene! Das wird nicht geduldet. Ich fahre also nun erneut von Luzern nach Zermatt. Das Mass ist voll!» «Freiheitshelden, Opfer der Behördenwillkür, Zermatter Mauer», japst er noch, und: «Ich würde es nicht verurteilen, würden unerschrockene Bürger mit schwerem Gerät die Mauer zerstören.»

Er meint damit die Betonblöcke, die die Behörden nicht sehr elegant vor den Eingang des Lokals gewuchtet hatten, als ihr Schliessungssiegel an der Türe immer wieder aufgebrochen wurde.

Man kann’s auch literarisch sehen

Die NZZ hingegen nimmt Zuflucht zur Literatur, stellt den Vorgang in «vier Akten und einem Epilog» dar: ««Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / den Vorhang zu und alle Fragen offen.» (Bertolt Brecht, «Der gute Mensch von Sezuan»)» Das nennt man wohl Verfremdung im Sinne des epischen Theaters.

Ausgerechnet mit Brecht: die alte Tante NZZ.

Auch der «Schweizer Bauer» steht den Ereignissen nicht unkritisch gegenüber:

«Weggesperrt» hört sich nicht freundlich an.

Anschliessend, Überraschung, sagen Politiker dies und das, kritisieren und fordern, verlangen und postulieren.

Schliesslich wagt sich noch Edgar Schuler von Tamedia an einen Kommentar. Der Mann, das muss man ihm nachsehen, war dazu verurteilt, mit Salome Müller, der Sternchen-Fee, den NL des Tagis herauszugeben und musste sich schwer zusammenreissen, damit er nicht auch als Beispiel für die fürchterlich demotivierende, sexistische und diskriminierende Schreckensherrschaft der Tamedia-Männer herhielte.

Scharf beobachtet: Die «Walliserkanne» sei nicht das Rütli.

Aber nun ist er befreit und darf ungehemmt his master’s voice geben. Denn Tamedia findet bekanntlich Corona-Skeptiker jeder Art bescheuert und tut alles dafür, dass das verschärfte Corona-Gesetz angenommen wird.

Dafür ist jedes Borderline-Verhalten sehr willkommen. Als ob eine Walliser Wirtefamilie einen entscheidenden Beitrag dazu leisten würde, mit ja oder nein zu stimmen, wenn es darum geht, ob ein Gesetz in Kraft treten soll, von dem ein renommierter Verfassungsrechtler in der NZZ sagt:

«Das demokratisch gewählte höchste Organ des Bundes hat mit dem Covid-19-Gesetz und seinen Änderungen zwei wichtige Artikel der Bundesverfassung missachtet und die schweizerische Demokratie grob beschädigt.»

Dabei handelt es sich nicht um einen Walliser Wirt, sondern um Andreas Kley, Professor für öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte sowie Staats- und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich. Aber das ist Kommentarschreibern wie Schuler schnurz.

Selektive Wahrnehmung einer Selbstzerstörungsmaschine

Der Recherchierjournalist Daniel Ryser denaturiert zum demagogischen Kommentator.

Es ist der Weg nach unten eines Begabten zu beklagen. Daniel Ryser hatte seinen eigenen Sound geschaffen, bei seinen Langzeitreportagen. Er traute sich sogar an ein Buch über den umstrittenen Publizisten Roger Köppel. Unter dem etwas verwirrlichen Titel «In Badehosen nach Stalingrad» wurde eine Abrechnung draus.

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Ein durchaus lesenswertes Buch, wenn auch nicht immer mit sauberen Methoden recherchiert. Ryser arbeitet seit einiger Zeit für die «Republik», und das ist leider nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.

Anfang August erschien von ihm der Artikel «Die Zerstörungsmaschine» in der «Republik». Seine These:

«Der grösste Medienkonzern der Schweiz» habe es auf Jolanda Spiess-Hegglin abgesehen, sie werde «mit allen Mittel diskreditiert».

Auf den üblichen 23’000 Anschlägen diskreditierte er sich hier allerdings selbst, obwohl er sozusagen als Mahnung sich einleitend aufrief, dass diese «Geschichte präzis erzählt werden» müsse, «aus Fairness gegenüber Spiess-Hegglin».

Das schloss allerdings keine Fairness gegenüber Tamedia ein. Der Artikel strotzte von Unsauberkeiten, Fehlern und polemischen Überspitzungen. Schlimmer noch: Ryser begab sich aus dem Feld der Debatte.

Gesprächsverweigerung und Rechthaberei statt Recherche

Wir stellten ihm damals 25 präzise Fragen, darunter auch die, wieso er gegen ein Grundprinzip des anständigen Journalismus verstossen habe; nämlich sämtlichen in seiner Polemik angegriffenen und namentlich kritisierten Personen keine Möglichkeit zur Stellungnahme einräumte.

Ryser schwieg.

Auf dem Weg nach unten hat er inzwischen ein neues Niveau erreicht. Offenbar strebt er danach, sich selbst immer mehr tieferzulegen. Er greift zum Kommentar, um auszuführen: «Der Mord an einem Tankstellen-Kassier in Deutschland zeigt auf drastische Weise: Wer mit Begriffen wie «Diktatur» und «Faschismus» aufwiegelt, ebnet den Weg zur Gewalt.»

Streng gegen Linksradikale?

Das ist eigentlich die Spezialität von Linksradikalen, die diese Begrifflichkeit für das uns angeblich beherrschende Schweinesystem verwenden. Ein Blick auf die Webseite aufbau.org genügt, um die inflationäre Verwendung dieser Begrifflichkeiten zu sehen.

Aber das meint Ryser nicht. Denn in der hysterisch aufgeheizten Debatte um Massnahmen zur Pandemie-Bekämpfung findet sozusagen eine Vergesellschaftung dieser Keulen-Begriffe statt. Auch rechtskonservative Kreise beginnen, sie zu verwenden.

Denunziation einer Bewegung aufgrund von Amoks

Herausragend dabei offensichtlich der Irrwisch Nicolas A. Rimoldi. Ein Wirrkopf, der im Trüben fischt und sich als Feindbild für Ryser anbietet, weil er auch auf dem Weg nach unten ist. Vom ehemaligen Jungfreisinnigen zum Sprachrohr absurder Verschwörungstheorien.

Ryser hat ihn verdienstvoll in einem längeren Artikel porträtiert. Was da an Rimoldi auffällt: er will unfassbar bleiben wie Quecksilber. Widerspricht sich gerne und häufig, weicht aus, korrigiert und löscht, lebt offenbar in einer Welt mit abnehmendem Kontakt zur Realität.

Nun hat anscheinend in Deutschland ein Amoktäter einen Tankwart ermordet, weil der ihn zum Tragen einer Maske aufforderte. Der Täter soll seine Bluttat damit begründet haben, dass er ein Zeichen gegen die Maskendiktatur setzen wolle.

Ein Vollirrer. Auf einschlägigen Plattformen, in Telegram-Chatgruppen schäumte danach weitere Irrheit hoch, «wenn’s die richtigen trifft, hab ich nichts dagegen», zitiert Ryser einen verantwortungslosen Spinner.

Soll man ganze Strömungen so disqualifizieren?

Von der Ermordung Martin Luther Kings bis zu den Terrorakten am 11. September im Grossen, von Anschlägen auf Abtreibungskliniken bis zu Sachbeschädigungen durch den Schwarzen Block bei 1.-Mai-Demos im Kleineren, bei den Chaostagen anlässlich des G7-Gipfels in Hamburg: es gibt immer Amoks, die solche Gewalttaten loben, beschönigen, erklären, zum Ausdruck berechtigten Widerstands gegen Diktatur, Faschismus, Imperialismus, im Namen von Rassenwahn oder dem Kampf für ungeborenes Leben erheben.

Im Kopf von geistigen Brandstiftern …

Seit es die Klowände im Internet gibt, ist das öffentlich einsehbar, wenn man sich die Nase zuhält.

Auch in sogenannten Qualitätsmedien gibt es entsprechende Amoks, erinnert sei nur an den Leiter des «Interaktiv-Teams» bei Tamedia. Marc Brupbacher twittert mit dieser Berufsangabe «Sind jetzt alle komplett durchgeknallt in diesem Land», beschimpft Regierende wie Silvia Steiner als «traurigen Clown in einem anti-wissenschaftlichen Polit-Zirkus», ist mit Bundesrat Alain Berset «komplett durch», denn der Gesamtbundesrat ist «komplett übergeschnappt», viele Regierenden verfügen «über die Hirnleistung eines Einzellers». Die Uni Luzern fordert er auf:

«Hey, Uni Luzern, nehmt den Dreck runter, entschuldigt euch bei C. Althaus und publiziert eine Richtigstellung.»

Sicher, er schwafelt nicht von Faschismus und Diktatur, ruft auch nicht zu Gewalt auf. Aber er ist ein Beispiel dafür, dass es überall Amoks gibt. Aber wegen Brupbacher kann man nicht alle Befürworter von Lockdowns oder drastischen Massnahmen als durchgeknallt diskreditieren. Oder alle Mitarbeiter von Tamedia.

Oder wir erinnern an die «rechte-Hetzer»-Kreische Daniel Binswanger in eben dieser «Republik», den Verteidiger der Burka als Ausdruck selbstbestimmten Handelns selbstbewusster Frauen. Deswegen kann man doch nicht die gesamte Crew in Sippenhaft nehmen.

Heinrich Böll würde im Grab rotieren

So wie das Ryser mit Massnahmenkritikern tut. Dazu bemüht er einen heutzutage weitgehend vergessenen deutschen Schriftsteller: Heinrich Böll. Der Literaturnobelpreisträger sagte 1959 in einem Vortrag: «Der Spruch: Wenn Worte töten könnten, ist längst aus dem Irrealis in den Indikativ geholt worden.»

Ein differenzierter Mahner, missbraucht von Ryser.

Ryser zitiert ihn weiter, mit anschliessender strenger Ermahnung: ««Worte können töten, und es ist einzig und allein eine Gewissensfrage, ob man die Sprache in Bereiche entgleiten lässt, wo sie mörderisch wird.» Darüber sollten Leute, die heute ständig von Diktatur sprechen und twittern, dringend nachdenken.»

Teilgebildet, wie Ryser ist, verzichtet er aber darauf, den Zusammenhang herzustellen, in dem Böll das sagte. Holen wir gerne nach:

«In allen Staaten, in denen Terror herrscht, ist das Wort fast noch mehr gefürchtet als bewaffneter Widerstand, und oft ist das letzte die Folge des ersten. Die Sprache kann der letzte Hort der Freiheit sein.»

Böll bezog sich also auf die damals noch frische Erfahrung des deutschen Hitler-Faschismus, darüber sollte Ryser dringend nachdenken. Böll mischte sich damals auch in die Debatte um die Taten der linksterroristischen RAF ein. Dazu schrieb er: «Es ist inzwischen ein Krieg von 6 gegen 60 000 000. Ein sinnloser Krieg.»

Dazu rief er zu Augenmass auf: «Ich habe die Gruppe um Ulrike Meinhof relativiert – ja. Verharmlost nein. Ich habe versucht, die Proportionen zurechtzurücken. Nichts weiter. Wenn Albanien der Sowjetunion den Krieg erklären würde, so fände ich das nicht harmlos, nur fände ich die Situation der Sowjetunion nur relativ gefährlich.»

Proportionen zurechtrücken, darum ging es Böll, darum sollte es vielleicht auch Ryser gehen. Es ist unstatthaft, mindestens ungebildet, wenn nicht absichtsvoll demagogisch, Böll hier als Kronzeugen für Rysers Feldzug gegen Massnahmenkritiker einzusetzen.

Aber wollen wir einen Mann auf dem Weg nach unten aufhalten?