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«Blick» aufs Halszäpfchen

Aber von unten. Ringier setzt die Lobeshymne auf die Credit Suisse schamlos fort.

Vielleicht lag’s an der Fotografie, mit der der SoBli das Doppelinterview mit dem VRP Antonio Horta-Osório und dem CEO Thomas Gottstein von der CS begleitete.

Er war’s! Nein, der war’s! Nein, selber nein, nein du. Das Bildzitat des Grauens.

Darauf sehen die beiden, wir formulieren in Rücksicht auf das Legal Department der Bank vorsichtig, wie zwei ertappte Sünder, wie zwei Männer aus, denen es peinlich an der Seite des anderen ist. Dabei sollte doch die Message sein: Differenzen zwischen den beiden? Niemals, alles in Butter, alles gut. Alles happy, so wie die CS selbst.

Besonderen Wert wurde bei der als Interview verkleideten PR auf das Menschliche gelegt. Der Burn-out des VRP, das Golfhandicap des CEO, sind sie nicht sympathisch mit ihren kleinen Schwächen und Hobbys?

Nächster Akt: vierhändige Massage des VR-Präsidenten

Aber nach dem PR-Artikel ist vor dem PR-Artikel. Das Autoren-Dreamteam Guido Schätti und Nicola Imfeld macht weiter. Diesmal massiert es vierhändig den VR-Präsidenten. Einen menschlichen Übermenschen.

«Ein Chrampfer, der bis zum Letzten geht», «von filigraner Statur und vollendeter Eleganz», «im Gespräch strotzt der neue VR-Präsident vor Energie», «die Bank braucht eine solide Defensive und einen verlässlichen zweiten Aufschlag».

Irgendwie ist man froh, dass in der Schweiz gerade die Ehe für alle angenommen wurde.

Ein Leitmotiv ist ein Leitmotiv ist ein Leidmotiv

Der Mann ist nicht nur all das, er hat auch Visionen: «Die Bank sei weltweit eine der ganz wenigen, die im aktuellen Umfeld hervorragende Wachstumschancen hätten», zitieren ihn die Autoren hingerissen. «Dass seine Vorgänger dasselbe verkündeten, ohne zu liefern, lässt ​ihn kalt», natürlich, die waren ja auch nicht wie Horta-Osório.

Wie ist er denn nun? Dazu haben die «Blick»-Anhimmler das Leitmotiv des Tennismatchs gewählt. Ass, Doppelfehler, Aufschlag, wunderbar, das passt doch zu einem Tennisspieler wie Horta-Osório. Golf ist für Gottstein, aber hier geht’s um den Filzball. Und seine Drescher. Natürlich muss der VRP Roger Federer toll finden, den Werbeträger der CS. Aber, so vermuten die Autoren feinsinnig, eigentlich möge der VRP eher Rafael Nadal.

Der Chrampfer, der bis zum Letzten geht.

Das sei eben auch ein Chrampfer, aber damit der Ähnlichkeiten nicht genug: «Es gibt zwei Dinge, die den CS-Präsidenten António Horta-​Osório (57) mit dem Tennisspieler Rafael Nadal (35) verbinden. Beide sind falsche Linkshänder. » Nadal sei das antrainiert worden, Horta-Onório habe eine Verletzung dazu gezwungen. Wahnsinn, und das zweite Ding?

«Der neue CS-Präsident ist ein grosser Bewunderer Nadals.» Öhm, also Nadal ist ein grosser Bewunderer von sich selbst?

Interessant, interessant.

Ein Glücksfall für die CS, aber auch für den «Blick»?

Schätti und Imhof sind da klar orientiert; sie bewundern nicht sich selbst, denn für eine solche Schmiere wäre das auch oberpeinlich. Neben allen Versuchen, das Halszäpfchen von Horta-Osório von unten zu liebkosen, ziehen sie das Tennis-Leitmotiv mit unüberbietbarer Aufdringlichkeit durch: Der VRP sei eben «ein harter Arbeiter – wie sein Seelenverwandter Nadal –geblieben». Trotz Burnout, als er angetreten sei, die englische Bank Lloyds «vor dem Kollaps zu retten». Operation gelungen, aber Operateur anschliessend so ausgebrannt, dass er sich «in einer Klinik auskurieren» musste.

Nun wird alles gut: «Für die Credit Suisse könnte er ein Glücksfall sein.» Wunderbar, das kann die Bank auch dringend brauchen. Vermutlich beim Durchlesen fiel den beiden Autoren dann doch auf, dass sie vielleicht zu viel Schmiere aufgelegt hatten. Längeres Brainstorming, wir brauchen noch einen leicht kritischen Schluss, war offensichtlich die Vorgabe. Aber am besten im Tennis-Leitmotiv, sagte dann einer von beiden.

Et voilà: «Einen weiteren Doppelfehler wie bei Archegos und Greensill können sich weder Horta-​Osório noch Gottstein leisten. Die Aktionäre haben genug geblutet. Sie warten auf ein Ass.»

Man gestattet sich aber schon die Frage: Ob das wirklich gut kommt, wenn sich ein VRP derart peinlich im Qualitätsorgan der gehobenen Finanzberichterstattung «Blick» anhimmeln lässt?

Tag der Abrechnung

Heute ist Judgement Day für Donald Trump. Terminator Arnold Schwarzenegger hatte in einem Video schon vorgelegt.

Vier Jahre lang haben die Mainstream-Medien auf diesen Tag gebangt. Gehofft, ihn herbeigesehnt. Manche, wie der «Spiegel», wollten Trump sogar aus dem Amt schreiben. Mit allen Mitteln. Das hat ihm nicht gross geschadet, der Glaubwürdigkeit des «Spiegel» allerdings gewaltig.

Seine vorher hochgelobte Dokumentationsabteilung, die angeblich den Namen jedes Baumes nachprüft, der in einem Artikel erwähnt wird, sah vor lauter Bäumen den Lügenwald des Starreporters Claas Relotius nicht.

Auch in der Schweiz ist es an der Zeit, dem scheidenden Präsidenten noch hämische Worte nachzurufen. «Beim letzten Abflug blickt Trump auf Trümmer», versucht Tamedia etwas holprig zu alliterieren. Zu einem Nachtfoto des Platzes vor dem Kapitol, bei dem eine Illuminierung auffällt, die von Leni Riefenstahl stammen könnte, fällt dem USA-Korrespondenten nur auf, dass «eine friedliche Machtübergabe» anders aussehe.

Da hat selbst der Muskelprotz Arnold Schwarzenegger, der auf seine alten Tage sein Hirn wiederentdeckt, eine stimmigere und unterhaltsame Abrechnung vorgelegt. Der ehemalige Gouverneur von Kalifornien erinnert sich an seine Kindheit und an die Kristallnacht, während er Trump als «den schlechtesten Präsidenten aller Zeiten» fertigmacht.

Schönes Bild gefunden, um Verachtung auszudrücken

Als Schlusspointe erwähnt der tiefblickende Analytiker Alan Cassidy von Tamedia, dass das Weisse Haus tiefengereinigt wird, für eine halbe Million Dollar. Biden habe ja den Kampf gegen die Pandemie zur obersten Priorität erklärt: «Ein sauberes Weisses Haus wäre da ein guter Anfang.» Ein abtretender Präsident, von fast der Hälfte der Stimmbürger beinahe wiedergewählt, als Virus, Schmutzfink?

Der «Blick» fiel schon vorher durch die geistig tiefergelegten «Analysen» seines USA-Korrespondenten auf. Aber man will ja von einem 25-Jährigen, der von seiner Wohngemeinschaft in San Diego aus den Überblick zu bewahren versucht, nicht viel mehr erwarten. Nicht viel mehr als ein donnerndes «Nie wieder!».

Nicola Imfeld räumt zwar ein, dass 74 Millionen US-Stimmbürger Trump wiederwählen wollten. Trotz dieser «überraschend hohen Zahl» ist es nun aber so, dass nun «endlich!» Joe Biden seine Nachfolge antritt; «die grosse Mehrheit der Amerikaner wird erleichtert aufatmen», weiss Imfeld. Wohl die berühmte schweigende Mehrheit.

Und ob es bis nach San Diego vorgedrungen ist, dass sein Oberchefredaktor Christian Dorer sich nicht einkriegen konnte, als er am letzten WEF in Davos dem «dear Mr. President» eine Unterschrift auf der Titelschlagzeile «Welcome to Switzerland» abnötigte? Leider konnte ihm Dorer nicht mehr als ein «cool! I like it» entlocken, aber man merkte ihm an, dass er vor Bedeutung fast platzte: Der US-Präsident hat mit mir gesprochen! Er kennt mich! Vielleicht nimmt er ab, wenn ich das Weisse Haus anrufe.

Tropfend vor Häme

Auch die Allzweckwaffe von CH Media, Samuel Schumacher, tropft vor Häme: «Er geht als Karikatur seiner selbst: Donald Trump fliegt heute einer sehr ungewissen Zukunft entgegen.» Das muss Schumacher irgendwie bekannt vorkommen, denn als Auslandchef mit einem einzigen Mitarbeiter muss er ein Überflieger sein, der rastlos zwischen Washington und Peking, Moskau, Tokio, Paris, London, Berlin, Singapur, Südafrika, Lateinamerika hin und her hopst

Das Urteil der «Experten» über Trump sei verheerend, weiss er. Wahrscheinlich die gleichen Experten, die eine Wahl Trumps 2016 für absolut ausgeschlossen erklärten. Bis tief in die Wahlnacht hinein. Immerhin gesteht ihm Schumacher zu: «In seinen vier Jahren an der Macht hat er nicht alles komplett falsch gemacht.» Man spürt, wie er diesen Satz mit Mundschutz schreibt.

Erfolge, Misserfolge, dunkle Wolken

Dann folgt immerhin eine Auflistung einiger Erfolge. Als Einleitung zur Abrechnung mit all seinen Misserfolgen. In deren Fortsetzung natürlich nach dem Verlust der Immunität als Präsident dunkle Wolken über dem giftgelben Haupthaar auftauchen. Nicht nur ein weiter mögliches Impeachment, es könnte sogar sein, raunt Schumacher, dass Trump als erster US-Präsident in den Knast wandert.

Wie es sich für die NZZ gehört, sieht sie die Sache differenziert: «Der feuerspeiende Drache Trump tritt ab – die Ursachen für seinen Erfolg bleiben». Ein etwas gewagtes Bild, der Ritt der Depravierten, des «baskets of deplorables», wie Hillary Clinton selbst die Hauptursache für ihre Niederlage bezeichnete, lange vor dem Wahltag.

Ein souveräner Rückblick der NZZ

Es ist dann ein souveräner Ritt durch vier Jahre Trump-Regierung, mit ihren Erfolgen und Niederlagen, inklusive Beschreibung der «Charakterschwächen» dieses Präsidenten, sein «Flirt mit Sumpfblüten am rechten Rand der Gesellschaft». Aber auch der richtige Hinweis von Peter Winkler, dass die Frage nicht war: «Wie könnt ihr bloss so einen wählen», sondern: «Wie gross muss das Leiden und die Wut sein, dass Millionen von vernünftigen Männern und Frauen einen derart unvernünftigen Präsidenten in Kauf nehmen?»

An der Beantwortung genau dieser Frage scheiterten fast alle deutschsprachigen Medien in erbärmlicher Weise. Die einäugigen «Kenner» der Süddeutschen, von der sich Tamedia fast die gesamte Auslandberichterstattung ausleiht, raunten nur immer wieder, dass die Gefahr einer Diktatur drohe, dass das Ende der Demokratie vielleicht gekommen sei, dass Trump nicht freiwillig das Weisse Haus verlassen werde.

Von Anfang bis Ende falsch gelegen

Also von Anfang «wird niemals gewählt» bis zum Ende «droht ein Putsch, ein Bürgerkrieg?» falsch gelegen. Mit ganz wenigen löblichen Ausnahmen. Nur die NZZ – und die WoZ – sehen die wirkliche Gefahr in der Zukunft: Trump verschwindet, seine Wähler nicht. «Ein fähiger Nachahmer könnte wirklich gefährlich werden», warnt die NZZ.

Die verbohrte Unfähigkeit, statt Gesinnungsjournalismus endlich wieder Versuche zu starten, die Wirklichkeit abzubilden und zu analysieren, gefährdet die Glaubwürdigkeit der Medien schon lange nicht mehr. Die liegt bereits im Koma.