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Hello, Mr. President

«Moskau hatte recht». Seltener Satz in den westlichen Medien.

Gelassen aussprechen tut ihn, Überraschung, die «Weltwoche». Also sie lässt ihn aussprechen. Von Wladimir Kornilow, der das – nächste Überraschung – bei «Russia Today» tat, dem «staatlich finanzierten Online-Portal», wie die WeWo immerhin anmerkt.

Thema ist die Enthüllung der «New York Times», dass die CIA in der Ukraine seit vielen Jahren geheime Basen unterhält: «In einem umfassend recherchierten Artikel berichteten die Journalisten, wie in der Ukraine mindestens zwölf geheime Stützpunkte an der Grenze zu Russland aufgebaut wurden und immer noch betrieben werden, um Spezialoperationen gegen Russland zu führen.»

Da kann sich Kornilow in aller journalistischen Objektivität eines Jubelschreis nicht enthalten: «Und all das fiel mit dem beispiellosen Geheul der westlichen Eliten anlässlich des zweiten Jahrestags des Beginns der russischen Militäroperation zusammen. Kaum war der einstimmige Chor verstummt, der Russland einer «unprovozierten Aggression gegen einen Nachbarstaat» beschuldigte, da bestätigte eine der einflussreichsten Zeitungen der USA all jene Argumente, mit denen Russlands Präsident unsere Aktionen begründete.»

Unsere Aktion? Mit Verlaub, der russische Präsident gab als Ziel der kurzfristigen, mit der schnellen Einnahme Kiews endenden militärischen Spezialoperation an, dass damit die Ukraine «entnazifiziert» werden solle. Aber so ist das halt mit Präsidenten, was geht die nach zwei Jahren verlustreichem und brutalem Krieg ihr dummes Geschwätz von früher an.

Richtig lustig ist aber, dass Kornilow in seinem Triumphgeheul ein kleines, aber nicht unwichtiges Detail gar nicht auffällt. Ein solcher Artikel wäre in Russland undenkbar. Unmöglich, nicht vorstellbar. Selbst wenn sanftere Kritik geäussert wird oder kleinere Skandale innerhalb der ungeheuerlichen Korruption des Kleptokratenregimes von Putin aufgedeckt werden, bezahlen das russische Journalisten nicht zu selten mit dem Leben.

Aber in diesem Sinne ist es eine gute Idee der WeWo, diesen Propaganda-Schwafler zu dokumentieren. Sein Beitrag zeigt das ganze Elend einer gelenkten, zensierten Presse. Allerdings ist es auch kein Ruhmesblatt der deutschsprachigen Medien, dass sie diese Enthüllung der NYT auf kleinem Feuer kochen, weil sie unangenehm in ihre Gesinnungsblase sticht.

Aber das Grundproblem russischer Propaganda bleibt bestehen. Man kann einen Überfall nicht schönschwätzen. Die USA in Vietnam, im Irak und in Afghanistan. Und an unzähligen weiteren Orten der Welt. Die alten Kolonialmächte Frankreich und England und Belgien und die Niederlande bis heute in Schwarzafrika oder im fernen Osten.

Imperiale Mächte denken imperial und nicht in ihren Landesgrenzen. Aber immerhin gibt es seit den «Pentagon Papers» (das war noch eine Enthüllung) in westlichen Medien eine Tradition, dass die Medien immer mal wieder ihrer Aufgabe nachgehen, den Mächtigen auf die Finger zu klopfen. Ähnliches ist von Organen wie «Neues Deutschland» bis «Prawda» nicht bekannt.

Splitter und Balken

Die NZZ rechnet mal wieder ab – mit allen anderen und unfair.

Die Jungautorin Beatrice Achterberg aus der Berliner NZZ-Redaktion darf allen anderen Medien Saures geben: «Westliche Medien fallen auf Terrorpropaganda herein». Selbst «eine der renommiertesten Zeitungen der Welt» habe diese «Breaking News» herausgeschickt: «Ein israelischer Luftangriff hat ein Spital in Gaza getroffen und nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums mindestens 200 Palästinenser getötet

Kommentar Achterberg: «So dramatisch wie der Inhalt der Eilmeldung war auch das mediale Versagen dahinter.» Schliesslich stehe bislang nur fest, dass es eine Explosion beim Ali-Arab-Spital gegeben habe; wer oder was die ausgelöst habe, sei völlig unklar, ebenso die Antwort auf die Frage, wie viele Tote es dabei gegeben habe.

Dennoch habe die NYT «die Behauptung einer Terrororganisation ungeprüft verbreitet». Dabei sei es doch die erste Aufgabe des Journalismus, schulmeistert Achterberg, «Quellen zu verifizieren und auf Plausibilität und Seriosität zu überprüfen». Denn: «Die Hamas als vertrauenswürdig zu behandeln, ist haarsträubend. Eine Organisation, die mehr als 1400 Menschen getötet, mehr als 3700 verletzt und 203 verschleppt hat, ist kein gewöhnlicher politischer Akteur. Verlautbarungen aus ihrem Herrschaftsbereich müssen mit maximaler Vorsicht behandelt werden

Da ist was dran, tatsächlich ist es ein zunehmendes Problem von «Breaking News», dass ein Medium in diesem Rattenrennen nur dann die Nase vorne hat, wenn es vom Empfang einer Meldung so wenig Zeit wie möglich verstreichen lässt, bis die News online ist.

Bei solchen gravierenden Anschuldigungen müsste man aber schon korrekt zitieren:

Vielleicht kann Achterberg kein Englisch, das mag ja auch im Qualitätsorgan NZZ vorkommen. Aber die Quelle «Palästinensisches Gesundheitsministerium» bezieht sich natürlich nicht nur auf die Anzahl Tote, sondern auch auf den Verursacher. Kurz darauf änderte die NYT den Titel:

Da Achterberg hier grobes Geschütz auffährt, darf man genauso zurückballern: Die NZZ als vertrauenswürdig zu behandeln, kommt auf den Autor an.

Und wie berichtete denn das Weltblatt zunächst selbst? «Bei einer Explosion beim Ahli-Arab-Spital in Gaza-Stadt sind am Dienstagabend wohl Hunderte Menschen ums Leben gekommen. Laut dem Gesundheitsministerium in Gaza, das der islamistischen Hamas untersteht, wurden mindestens 500 Menschen getötet.»

Nun, das unterscheidet sich nicht wirklich und grundsätzlich von der NYT-Meldung. Die NZZ, nicht unter dem Druck von «Breaking News», fährt in ihrem ersten Artikel fort: «Zur Ursache der Explosion gab es bis Dienstagabend noch keine überprüfbaren Angaben. Die palästinensischen Behörden beschuldigten umgehend Israel, einen Luftangriff auf das Spital durchgeführt zu haben. … Ein Sprecher der israelischen Streitkräfte teilte hingegen mit, gemäss Geheimdienstinformationen habe eine fehlgeschlagene Rakete der Organisation Islamischer Jihad die Explosion verursacht.»

Die NZZ wies auch auf die prekäre Quellenlage hin: «Für internationale Journalisten ist es zurzeit nicht möglich, aus Gaza zu berichten. Was vor Ort passiert, erfährt die Welt vor allem durch Mitteilungen der Hamas-Behörden, Statements von humanitären Organisationen und Videos auf Social Media, die meist jüngere Palästinenser und lokale Reporter veröffentlichen

Achterberg fährt gnadenlos fort: «Die Medien, die der Propaganda aus Gaza auf den Leim gegangen sind, haben ihre Darstellungen inzwischen korrigiert. Doch ihre ursprünglichen Beiträge bleiben in der Welt

Was sie nicht erwähnt: wie akkurat die NYT auf die veränderte Nachrichtenlage bei dieser Meldung hinweist und dass sie sofort die Stellungnahme des israelischen Verteidigungsministeriums veröffentlichte, sobald diese vorlag.

Schliesslich biegt die Jungautorin zur Schlusspointe ab: «Die «New York Times», die in dieser Woche zu unvorsichtig war, hat sich selbst schon vor Jahren eine schöne Regel gesetzt: «If you read it in The Times, it must be true.» Übersetzt: Wenn es in der «Times» steht, dann muss es wahr sein. Wie man sieht, reicht es nicht, hehre publizistische Leitsätze zu formulieren. Man muss sich auch daran erinnern

Vielleicht sollte sich Achterberg daran erinnern, dass man schon zunächst korrekt zitieren sollte, bevor man ein Blatt wie die NYT in die Pfanne hauen will. Tut man das nicht, dann wird’s ein Rohrkrepierer …

«Regelmässig habe ich bis 1 Million Leser»

Der Autor und Reporter Matt Taibbi* gehört in den USA zu den bekanntesten Kritikern der etablierten Medien. Hier folgt Teil 3 einer dreiteiligen Interview-Serie.

Von Marc Neumann**, Washington DC

Das neuste Buch von Taibbi, erscheint demnächst.

Wer ist momentan Ihr Redaktor?

Ich habe keinen.

Niemand liest Ihre Texte vor der Publikation? 

Doch, ich habe Gegenleser, einen Assistenten für Lektorat und Korrektur, manchmal einen Dokumentaristen. Aber ich werde mehr Leute einstellen – Journalisten arbeiten besser mit Redaktoren. Mir selbst haben einige enorm geholfen.

Womit wir bei Substack sind, der neuen Blogging- und Newsletter-Plattform, auf der Sie Ihre Texte veröffentlichen, ohne Redaktor und Newsroom. Wie funktioniert das genau?

Es ist kein Geheimnis, dass ich einen dieser Substack-Pro-Deals angenommen habe.

Immerhin 250 000 Dollar pro Jahr, quasi als Vorschuss. 

Das war ein Fehler, de facto habe ich eine Menge Geld liegenlassen. Aber immerhin verdiene ich fast dreimal mehr bei Substack, als ich als Angestellter je verdient habe – auch im Vergleich zu meinem Festvertrag beim «Rolling Stone»-Magazin. Ich habe angefangen, Leute anzustellen, eine Vollzeitstelle, die den Laden schmeisst, Freelancer, eine Person für Video, Audio-Editing, und ich will einen Cartoonisten. Der Betrieb meines Substack-Mediums «TK» wird wohl aus fünf Leuten bestehen, dazu noch ein Podcast mit drei weiteren Angestellten. Auch möchte ich erwähnen, dass meine Substack-Leserschaft mindestens so gross ist wie bei klassischen Medien. Regelmässig habe ich 500 000 bis 1 Million Leser – das war etwa beim «Rolling Stone» eher die Ausnahme.

Wie viele von ihnen bezahlen?

Das ist die kostenlose Version. Bezahlen tun ein paar zehntausend – mehr sage ich nicht, sonst fangen sie alle an zu rechnen . . .

Glückwunsch!

Dass das Bestand hat, wage ich zu bezweifeln.

Wieso? Wo stösst das Substack-Modell an Grenzen? 

Es gibt in der gegenwärtigen Medienlandschaft raue Mengen an Menschen, die sich von traditionellen Medienorganisationen wie der «New York Times» oder dem TV-Sender CBS abwenden. Sie sind desillusioniert und landen auf der Suche nach News als Abonnenten auf Substack. Gleichfalls kann das nicht ewig so gehen. Letztlich wird eine Art institutioneller Antwort erfolgen, eine Innovation traditioneller Medien. Aber es gibt einen Sättigungspunkt, denn die Geldmenge, die Leute für Medien aufwenden, ist endlich. Momentan allerdings verlieren die grossen Organisationen immer noch Leser, eine Folge der Desillusionierung der letzten 18 Monate, die wir so in diesem Land lange nicht mehr gesehen haben.

Was wäre denn eine institutionelle Innovation der Medien, die den Trend umkehren könnte?

Wir sind ein kapitalistisches Land. Erkennt jemand ein Publikum, mit dem sich Geld verdienen lässt, raufen sich ein paar Investoren zusammen und kreieren das entsprechende Produkt. Ein News-Netzwerk, das sich als echte Alternative zu Fox News und MSNBC positioniert. Auch sind viele Regionalmedien eingegangen, wir haben Tausende Lokalzeitungen verloren, nicht aber ihr Publikum. Ein Konglomerat könnte wohl ein Netzwerk mit Lokaljournalisten aufbauen, wo man online und On-Demand Lokal-Storys beziehen kann. Momentan sind die lokalen und alternativen Medien verschwunden, und die übrig gebliebenen alten, traditionellen Medien des Landes werden immer schrecklicher. Jemand sollte ihnen einmal sagen, dass Trump weg vom Fenster ist. Aber sie machen immer weiter, wie ein Amputierter mit Phantomschmerzen, der nicht glauben kann, dass das Körperteil weg ist. Das schafft eine gewaltige Chance für jeden, der ein gutes Medienprodukt herausbringt.

*Matt Taibbi

Der US-Journalist und Autor Matt Taibbi (Jahrgang 1970) arbeitete zunächst als freier Korrespondent in postsowjetischen Staaten. Nach rund einem Jahrzehnt als Reporter, Redaktor und Magazin-Mitgründer heuerte er 2003 als Kolumnist bei der «New York Press» an. Ein Jahr darauf stiess er als Politikreporter zum «Rolling Stone»-Magazin, wo er als provokativer und investigativer Journalist bekannt wurde. Er hat mehrere Bücher verfasst, unter anderem zur Finanz- und Immobilienkrise oder zum gewaltsamen Tod von Eric Garner. 2019 lancierte er seinen eigenen Podcast «Useful Idiots»; seit letztem Jahr ist er selbständiger Autor auf der Plattform Substack.

 

Hier geht’s zu Teil 1.

Hier geht’s zu Teil 2. 

 

  • **Dieses Interview erschien zuerst im Feuilleton der NZZ vom 19. April 2021 hinter Bezahlschranke. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der NZZ haben wir es übernommen.

 

 

Reporter in Lebensgefahr

Wenn man nur zwei Schlachtfelder für Reporter erwähnt, wirkt das Diskriminierungs-Gejammer in der Schweiz noch lächerlicher.

Das Sinaloa-Kartell beherrscht ganze Landstriche in Mexiko. Die Staatsgewalt hat weitgehend abgedankt, wo die Drogen-Organisationen ungestört ihrem Geschäft nachgehen wollen. Mit dem Schmuggel in die USA Milliarden zu verdienen, mit denen alle Vertreter der Staatsmacht geschmiert werden – oder umgebracht.

Wer starke Nerven hat, lese die fiktionalisierte, aber auf wahren Begebenheiten beruhende Drogenkriegs-Trilogie von Don Winslow, die er 2019 abschloss. Immerhin: er lebt noch.

Javier Valdez Cárdenas war der unerschrockene Berichterstatter über die Drogengangster. Er wurde 2017 auf dem Weg zur Redaktion aus seinem Auto gezerrt und mit 12 Kugeln hingerichtet. Als einer von mehreren Dutzend Journalisten in Mexiko, die ihren Beruf mit dem Leben bezahlten.

Nach dem Lesen seiner Reportagen wollte ich ihn porträtieren. Es wurde ein Nachruf.

 

Nicht die Wahrheit, aber die Wiedergabe der Realität stirbt zuerst

Immer, wenn ein Regime ums Überleben kämpft, will es Berichterstattung sterben lassen. Zurzeit in Burma. Dort klammert sich die Militärjunta an die Macht, aus Angst vor Verlust putschte es sich wieder direkt an die Spitze, weil es in Wahlen eine vernichtende Niederlage erlitten hatte. Was bei den völlig von der burmesischen Realität abgekapselten Militärführern als Unverschämtheit der Bevölkerung ankam, die wieder eine harte Hand braucht.

Aber zur grossen Überraschung der Militärs formierte sich Widerstand, und der lässt sich bis heute nicht brechen, auch mit bewaffnetem Durchgreifen nicht. Wenn Menschen erschossen werden, wenn die Staatsorgane brutal vorgehen, gibt das für die Herrschenden unangenehme Bilder, Videos und Berichte.

Während man das früher auch mit der Ausweisung ausländischer Berichterstatter zumindest eindämmen konnte, gibt es in Burma sogenannte «Citizen Journalists». Diese Bürgerreporter sind in nichts vergleichbar mit dem sogenannten «Leserreporter» in der Schweiz. Der soll einfach Ereignisse melden, die von den ausgehungerten Redaktionen nicht mehr selbst berichtet werden können.

Der Bürgerjournalist wie in Burma versucht, mit authentischem Material die Propaganda des Regimes mit der Wirklichkeit zu widerlegen. Die «New York Times» – fast wäre man versucht zu sagen: who else – widmet diesen Bürgerreportern eine beeindruckende Reportage.

Rund 60 Journalisten verhaftet, es wird scharf geschossen

Seitdem rund 60 Journalisten verhaftet wurden, berichten nun Freiwillige und riskieren dafür ihr Leben. Das Regime reagiert darauf, indem es auch auf so identifizierte Journalisten scharf schiesst – und indem es versucht, den Zugang zu Kommunikationsmitteln zu verhindern. Handynetz, Internet, alle Formen der Daten- und Nachrichtenübermittlung werden unterbrochen, eingestellt, zensuriert.

Aber da heute selbst ein auf Isolation getrimmtes Regime wie das von Burma nicht auf diese Kommunikationskanäle verzichten kann, finden doch immer wieder Bilder und News den Weg ins Ausland, an die Weltöffentlichkeit. Der aber dieser ungleiche Kampf der Bevölkerung gegen ein hochgerüstetes Militär weitgehend egal ist. Solange Russland und vor allem China das Regime unterstützen, wird sich die Militärjunta wohl an der Macht halten können, so wie Kim der Dickere in Nordkorea.

Das ist ein Skandal. Dort, in Mexiko und an so vielen unwirtlichen Orten der Welt riskieren Journalisten täglich ihr Leben. Hier in der Schweiz betreiben Journalisten zunehmend Nabelschau und klopfen sich täglich ab, welche Phantomschmerzen noch unentdeckt blieben und welche Leiden noch nicht wortreich bejammert wurden.

Der «Tages-Absteiger»

Miese Performance im Blatt und an der Börse.

Zwei Medientitel: TX Group und New York Times. Zwei Verleger: Pietro Supino und Arthur Gregg Sulzberger. Beide müssen ein traditionsreiches Verlagshaus durch stürmische Zeiten lotsen. Die Zeitung aus Zürich gibt es seit 1893, die aus New York seit 1851.

Auch wenn beide Zeitungen ungleich grosse Märkte bedienen, eines haben sie gemeinsam: Sie kämpfen gegen erodierende Anzeigenverkäufe der gedruckten Ausgabe, Google, Facebook und das vermeintliche Desinteresse an längeren Texten.

Und noch etwas teilen sie: Kontrolliert werden sie seit Generationen von einer Grossfamilie. Die 26 Coninx-Familienmitglieder halten 73 Prozent der TX Group (ehemals Tamedia AG), der Sulzberger Ochs-Clan besitzt zwar nur 13 Prozent der NYT-Aktien, kontrolliert das Unternehmen aber dennoch mit 90 Prozent der Stimmrechte.

1 Mio. pro Nase

Abkassieren. Das ist ein grundlegender und ebenso problematischer Unterschied zwischen den beiden Familien. Zuerst zum weit verästelten Coninx-Clan. Am 2. Oktober 2000 bringt er das Unternehmen an die Börse. Die Coninx’ verdienen an einem Tag eine Viertelmilliarde Franken, und schöpfen in den folgenden 20 Jahren jährlich eine Dividende von 3 bis 4,5 Prozent ab. Insgesamt fast 800 Millionen Franken. Pro Kopf sind das im Schnitt über eine Million Franken pro Jahr.

Im Unterschied zur prosperierenden Eignerfamilie, geht der «Tages-Anzeiger» durch ein Tal der Tränen. In den vergangenen Jahren rutschte der «Tages-Anzeiger» von der Super League die Challenge League ab. Allein in den letzten 12 Jahren verlor die Zeitung über 100‘000 täglich verkaufte Exemplare. 2019 lag die gedruckte Auflage noch bei 112‘500 verkauften Exemplaren.

Was dem Unternehmen bis heute zusetzt, ist das unstillbare Verlangen der Familie nach maximalen Dividendenausschüttungen. Auch in den schwierigsten Zeiten. Das geht an die Substanz. Und das ist letztlich ein entscheidender Unterschied zur Familie Sulzberger. Sie glaubt an den Journalismus, sie  investiert in die Redaktion und begnügt sich deshalb mit einer minimalen Dividende von 0,48 Prozent. Das ist fast zehnmal weniger als der Coninx-Clan abschöpft. Das ist Geld, das für die Garantierung eines qualitativ beständigen Journalismus fehlt.

800 Mio. in einem Jahr

Der Verzicht auf eine dicke Dividende sollte sich für die New York Times bezahlt machen. Die Zeitung ging gestärkt aus den Krisenjahren hervor. Die digitalen Abos brachten ihr 2019 einen Rekorderlös von 800 Millionen US-Dollar ein, ein Jahr früher als vorgesehen. Selbst in schweren Zeiten wurde die Redaktion nicht geschwächt, sondern erweitert. Ihre Qualität hat nicht nachgelassen. Für den politischen Diskurs des Landes ist sie unverzichtbar. Ihre Arbeit hat in der Ära Trump noch an Gewicht gewonnen. Keine andere Zeitung gewinnt so viele Pulitzer-Preise wie die New York Times.

Und der Tages-Anzeiger? In den elf Kategorien des «Schweizer Journalist» gab es dieses Jahr nur noch eine Gewinnerin aus dem Hause Tages-Anzeiger, und zwar in der Sparte «Kolumne».

Extremer Wertverlust

Nicht nur publizistisch läuft es harzig. Auch an der Börse hat das Vertrauen in das Geschäftsmodell der Familie Coninx  messbar nachgelassen. Seit dem Börsengang vor 20 Jahren befindet sich die Aktie im Sinkflug. Selbst als die TX-Gruppe diese Woche eine Investition in einen digitalen Vermögensverwalter ankündigte, quittierten die Anleger das mit Verkäufen. Die Aktie ist heute gerade  76 Franken wert, mehr als dreimal weniger als vor 20 Jahren. 20 Prozent beträgt ihr Kursverlust im Vergleich zum Vorjahr.

Und die New York Times? Sie hat in einem Jahr 50 Prozent an Wert gewonnen und befindet sich auf einem Allzeithoch.

Wie parteiisch ist die NYT?

Sie gilt als Benchmark für Qualitätsjournalismus. Zu Recht?

Ihr Redaktionsgebäude in New York ist beeindruckend. Ihre Journalisten sind beeindruckend. Die «New York Times» gilt als der selten bis nie erreichte Massstab für Qualitätsjournalismus.

Gegen den Output ihrer mehr als 1000 Journalisten verzwergt alles, was auf Deutsch erscheint. Für Schweizer Medien bräuchte man eine Lupe, wollte man sie vergleichen. Stimmt das so, ist das so?

Aus der Schweiz heraus ist es schwierig, die Positionen der NYT in den harten Auseinandersetzungen innerhalb der USA zu beurteilen, in der aufgeheizten Atmosphäre der nahe bevorstehenden Wahlen für das mächtigste Amt der Welt.

Wenn die NYT über die Schweiz schreibt, kann man ihre Qualität beurteilen

Aber wenn sich die grosse NYT um ein Thema aus der kleinen Schweiz kümmert, dann ist es eine gute Gelegenheit, die Qualität von Recherche, Faktentreue und unverfälschter Wiedergabe der Ereignisse zu beurteilen.

Vor allem, wenn es sich nicht um eine kleine Meldung über die kleine Schweiz handelt, sondern um ein Gewaltsstück mit 3211 Wörten, wie das im angelsächsischen Journalismus gemessen wird. Oder rund 20’000 Zeichen über einen einzelnen Menschen. Das Thema ist: «Die kurze Amtszeit und der plötzliche Sturz des einzigen schwarzen CEO».

Man kann dem Lead nicht vorwerfen, dass er den Inhalt des folgenden Artikels nicht akkurat zusammenfasse: «Tidjane Thiam machte die Credit Suisse wieder profitabel. Aber die Schweizer lehnten ihn als Aussenseiter ab, und ein jäher Skandal fällte ihn.»

 

Die NYT pflegt, wie ihr Abschreiber «Der Spiegel», den szenischen Einstieg in ein längeres Stück. Hier ist es eine Geburtstagsparty des VR-Präsidenten der Credit Suisse. Sie fand in einem Zürcher Lokal statt, es gab Showeinlagen, darunter die eines «Abwarts», der den Boden aufwischte und dazu tanzte.

Thiam und seine Tischbegleitung verliessen den Raum; es war ein Schwarzer, der den Abwart spielte. Als sie wieder zurückkehrten, sahen sie eine «Gruppe von Rohners Freunden» auf der Bühne, die eine eigene Nummer zum Besten gaben – alle mit Afro-Perücken.

Einstieg, Verallgemeinerung, Rückblende

Nach dem szenischen Einstieg muss die Verallgemeinerung kommen: Gespräche mit insgesamt 16 – anonymen – Quellen, nahen Mitarbeitern, Kunden, Freunden und Investoren, hätten ergeben, dass «race», also seine Hautfarbe und Herkunft, ein immer präsenter Faktor während seiner Amtszeit war, und dieser Rassismus «half, die Bedingungen für seinen erstaunlich schnellen Abgang zu schaffen».

Nach der Verallgemeinerung kommt die Rückblende; die Biographie Thiams von Geburt an. Bis hin zur Übernahme der Geschäftsleitung der CS, obwohl er dem um ihn werbenden Rohner «zweimal nein gesagt» habe.

Dann sein erfolgreiches Wirken, obwohl Zürich, die Schweiz ihm immer zu verstehen gegeben habe, dass er «nicht dazugehört», schliesslich die Auseinandersetzung mit seinem Private Banking Star, der Überwachungsskandal, der Abgang, obwohl er selbst nicht in die Affäre verwickelt gewesen sei.

Auch die Tränendrüse darf nicht fehlen

Trotz der Unterstützung grosser Aktionäre der CS, darunter David Herro von Harris Associates, die ihm öffentlich zur Seite sprangen, trat Thiam dann am 7. Februar zurück. Bei seiner letzten Medienkonferenz habe Thiam auf die Frage, ob seine Tätigkeit in England anders gesehen worden wäre, geantwortet «ich bin, wer ich bin», und jemand, der in seiner Nähe sass, will beobachtet haben, wie es in Thiams Augen verdächtig glitzerte.

Bevor wir uns die Tränen abwischen können, erzählt die NYT noch, wie Thiam in Zürich bleiben musste, um von der Bankenaufsicht FINMA einvernommen zu werden. Dabei wollte er dringend nach Los Angeles fliegen, wo sein Sohn mit nur 24 Jahren im Sterben lag, Krebs.

Schlusspunch und weiteres Wirken

Richtig, es fehlt noch der Schlusspunch, den setzt das Zitat einer Schwester von Thiam; sie fragt, ob die Schweizer wohl die Redlichkeit besässen einzugestehen, einen Schwarzen als Chef einer ihrer prestigeträchtigsten Firmen zu sehen, für sie «unerträglich» war.

Fehlt noch etwas? Natürlich; Thiam kämpft heute als Gesandter der Afrikanischen Union gegen die Pandemie in Afrika. Und andere Bankchefs kamen mit viel grösseren Fehlern davon, so der CEO von Barclays, der einen Whistleblower unter Einsatz der internen Sicherheitskräfte enttarnen wollte. Der bekam eine Busse und blieb im Amt. Natürlich ein Weisser, ebenso wie Jamie Dimon, der bei JPMorgan Chase einen Verlust von 6 Milliarden und eine Busse von einer Milliarde Dollar verschuldete.

Zusammenfassung des 100-Millionen-Manns

Wenn man die 20’000 Buchstaben zusammenfasst: Thiam kam widerwillig zur CS, sorgte bei der Bank für einen schmerzlichen Turn-Around, brachte sie wieder auf Erfolgskurs und wurde dann nach der Devise «der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen» abserviert. Von einer zutiefst rassistischen Schweizer Gesellschaft, die es nicht ertragen konnte, einen Schwarzen als CEO einer der beiden Grossbanken zu sehen.

Zudem ein Mann, der unbeirrt seinen Weg geht, von der Elfenbeinküste über hochklassige Schulen zu höchsten Positionen, zuletzt bei der Versicherungsgesellschaft Prudential. Bis er den Fehler machte, sich bei den Schweizern zu engagieren.

Das Narrativ ist klar. Aber auch wahr?

Das wäre das Narrativ, das Framing, die klare Aussage des Artikels. Nur: Stimmt das auch? Unterstellen wir, dass alle im Artikel erwähnten Vorkommnisse tatsächlich so stattgefunden haben. Beschreiben sie dann vollständig und ausgewogen die Tätigkeit Thiams?

In einer dermassen langen Strecke hätte sicher Erwähnung verdient, dass Thiam als Chef von Prudential eine Busse von 50 Millionen Pfund kassierte, weil er ein Übernahmeangebot nicht bei der Börsenaufsicht meldete. Eigentlich ein Entlassungsgrund. Aber auch er überlebte das.

Es hätte sicher auch Erwähnung verdient, dass alle, restlos alle Ankündigungen von Thiam über die zukünftige Entwicklung der CS nicht eintrafen. Es hätte vielleicht auch Erwähnung verdient, dass in der Amtszeit Thiams der sowieso schon magere Aktienkurs der CS sich nochmals fast halbierte.

Es hätte vielleicht auch Erwähnung verdient, dass durch Thiams Nachfolger verschiedene seiner Umbaumassnahmen wieder rückabgewickelt werden. Es hätte auch Erwähnung verdient, dass das Erscheinen mit Bodyguards und Helikopter bei Anlässen, zu denen auch Bundesräte mit öffentlichen Verkehrsmitteln und unbegleitet gehen, in der Schweiz tatsächlich Befremden auslöst.

Kritik an Schwarzen kann immer rassistisch sein

Es hätte schliesslich Erwähnung verdient, dass es nicht nur in der Schweiz unüblich und die klare Kriegserklärung an den Verwaltungsrat ist, wichtige Aktionäre zu öffentlicher Kritik am VR aufzufordern. Und es hätte abschliessend Erwähnung verdient, dass man auch die Karte «schwarz» als Trumpf ausspielen kann; Kritiken niedermachen kann, indem man sagt oder andeutet: Wäre der Kritisierte nicht dunkelhäutig, hätte es keine Kritik gegeben. Daher ist sie nicht berechtigt, sondern rassistisch.

Aber da all das nicht in diesem NYT-Artikel steht, der von insgesamt vier Journalisten verfasst wurde, muss man sich leider von der Illusion trennen, dass die NYT weiterhin der Massstab aller Dinge im Journalismus sei. Man kann nur hoffen, dass es sich hier um eine Ausnahme handelt, um einen Ausrutscher. Man muss allerdings gestehen, dass diese Hoffnung nicht allzu gross ist.

How biased is the NYT?

Weil wir wissen, wie ungern unsere angelsächsischen Kollegen eine Fremdsprache lernen, liefern wir ihnen hier die Übersetzung.

 

It is considered a benchmark for quality journalism. Right?

Your editorial building in New York is impressive. Your journalists are impressive. The “New York Times” is considered to be the rarely or never achieved benchmark for quality journalism.

In contrast to the output of its more than 1,000 journalists, everything that appears in German is dwarfed. For Swiss media you would need a magnifying glass if you wanted to compare them. Is that so?

From Switzerland it is difficult to judge the positions of the NYT in the tough conflicts within the USA, in the heated atmosphere of the imminent elections for the most powerful office in the world.

When the NYT writes about Switzerland, you can judge its quality

But if the big NYT deals with a topic from little Switzerland, then it is a good opportunity to judge the quality of the research, factual accuracy and unadulterated reproduction of the events.

Especially if it is not a small piece of news about little Switzerland, but a piece of 3211 words, as measured in Anglo-Saxon journalism. Or around 20,000 characters about a single person. The topic is: «The short term and the sudden fall of the only black CEO«.

The lead cannot be blamed for not accurately summarizing the content of the following article: “Tidjane Thiam made Credit Suisse profitable again. But the Swiss rejected him as an outsider, and a sudden scandal took him down.»

Like its copyist «Der Spiegel», the NYT maintains the scenic introduction to a longer piece. It’s a birthday party for the Chairman of the Board of Directors of Credit Suisse. It took place in a Zurich pub, there were shows, including that of a «janitor» who mopped the floor and danced to it.

Thiam and his companions left the room; it was a black man who played the caretaker. When they returned, they saw a «group of Rohner’s friends» on stage who were performing their own number – all with Afro wigs.

Introduction, generalization, flashback

 After the scenic introduction, the generalization must come: Conversations with a total of 16 – anonymous – sources, close employees, customers, friends and investors would have shown that «race», i.e. his skin color and origin, was an always present factor during his tenure, and this racism «helped create the conditions for its astonishingly quick exit».

After the generalization comes the flashback; Thiam’s biography from birth. Up to the takeover of the management of the CS, although he said «twice no» to Rohner who was courting him.

Then his successful work, although Zurich, Switzerland had always given him to understand that he “does not belong”, finally the argument with his private banking star, the surveillance scandal, the departure, although he was not involved in the affair himself.

To get the tears flowing should not be missing either

Thiam then resigned on February 7, despite the support of major CS shareholders, including Harris Associates› David Herro, who publicly stood by his side. At his last media conference, when asked whether his work in England would have been seen differently, Thiam replied “I am who I am”, and someone who sat near him said that Thiam’s eyes glittered suspiciously.

Before we can wipe our tears away, the NYT explains how Thiam had to stay in Zurich to be questioned by the FINMA banking regulator. He urgently wanted to fly to Los Angeles, where his son was dying of cancer at the age of only 24.

Final punch and further work

 Right, the final punch is still missing, which is provided by the quote from a sister of Thiam; she asks whether the Swiss would have the honesty to admit that seeing a black man head one of their most prestigious companies was «unbearable» for them.

Does anything miss? Naturally; Thiam is today fighting the pandemic in Africa as the envoy of the African Union. And other bank bosses got away with much bigger mistakes, so the CEO of Barclays, who wanted to expose a whistleblower using the internal security forces. He got a fine and stayed in office. A white man, of course, as was Jamie Dimon, who owed JPMorgan Chase a loss of $ 6 billion and a fine of $ 1 billion.

Summary of the 100 million man

 If you summarize the 20,000 letters: Thiam came reluctantly to CS, caused a painful turnaround at the bank, put it back on the road to success and was then based on the motto «the Moor has done his duty, the Moor can go» dumped. From a deeply racist Swiss society, who couldn’t bear to see a black man as CEO of one of the two big banks.

In addition, a man who is unwavering his way, from the Ivory Coast to high-class schools to top positions, most recently at the insurance company Prudential. Until he made the mistake of getting involved with the Swiss.

The narrative is clear. But also true?

 That would be the narrative, the framing, the clear message of the article. Only: is that also true? Let us assume that all of the events mentioned in the article actually took place this way. Do they then describe Thiam’s activities fully and in a balanced way?

In such a long piece it would certainly have been worth mentioning that Thiam, as head of Prudential, received a fine of 50 million pounds for failing to report a takeover offer to the stock exchange regulator. Actually a reason for dismissal. But he survived that too.

It would certainly have deserved to be mentioned that all, absolutely all of Thiam’s announcements about the future development of CS did not take place. It might also have deserved to be mentioned that during Thiam’s tenure, the already meager share price of CS was almost halved again.

Perhaps it would have deserved to be mentioned that Thiam’s successor will reverse various of his renovation measures. It should also have been mentioned that the appearance with bodyguards and helicopters at events to which Federal Councilors also go by public transport and unaccompanied, actually causes astonishment in Switzerland.

Criticizing blacks can always be racist

 Finally, it deserves to be mentioned that it is unusual not only in Switzerland and a clear declaration of war on the Board of Directors to call on important shareholders to publicly criticize the Board of Directors. And finally it deserves mentioning that you can also play the “black” card as a trump card; Can put criticism down by saying or suggesting: If the criticized weren’t dark-skinned, there would have been no criticism. Therefore it is not justified but racist.

But since none of this is in this NYT article, which was written by a total of four journalists, one unfortunately has to part with the illusion that the NYT continues to be the benchmark for all things in journalism. One can only hope that this is an exception, a slip-up. However, one must admit that this hope is not too big.

Spare in der Zeit,

dann hast du nichts in der Not.

Wir sehen gerade zu, wie eine schöne Tradition den Bach runtergeht. Seit der Erfindung des Buchdrucks, und das ist schon eine hübsche Weile her, gab es unablässige Versuche, das Weltgeschehen mit vier Ecken zu versehen.

Korrespondenten wurden ausgesandt, um exotische Bräuche, fremder Länder Sitten und auch das eine oder andere wahre oder erfundene Abenteuer zu berichten. War das am Anfang mehr für die gebildeten Stände gedacht, popularisierte sich Zeitungslesen spätestens im 19. Jahrhundert.

Was dem Niveau nicht nur guttat. Dieser kurze Ausflug in die Nostalgie soll etwas Patina über das Trümmerfeld legen, das wir aktuell zu besichtigen haben.

Eine hellseherische Karikatur

Als wir vor vielen, vielen Jahren im Weltblatt «Zürcher Student» eine Karikatur veröffentlichten, die zeigte, wie aus einer Druckmaschine mit drei Rollen drei Zeitungen herauskamen, und die hiessen «Berner Zeitung», «Basler Zeitung» und «Zürcher Zeitung», wurde das nicht nur in akademischen Kreisen als typische Übertreibung agitierter Linker abgetan.

Auch wir waren uns eigentlich sicher, dass wir da vielleicht ein wenig übertrieben hätten. Dabei war es eine der besten Zukunftsprognosen, die es im Medienbereich jemals gab. Aber woran wir nicht dachten: Damit ist ja nicht das Ende erreicht.

Der Weg nach unten ist noch nicht zu Ende

Inzwischen sind es nurmehr zwei Zentralredaktionen in Aarau und Zürich, die im Tageszeitungsmarkt die gesamte Deutschschweiz bestreichen. Daneben gibt es nur noch den bröckelnden «Blick» und die tapfer das Panier des Qualitätsjournalismus hochhaltende NZZ.

Bei der macht es immerhin noch Schlagzeilen, allerdings nur im Medienkuchen, wenn sie einen einzigen Filmredaktor entlässt. Bei Tamedia (70 Millionen nächste Sparrunde) und CH Media (30 Millionen nächste Sparrunde) geht es entschieden rustikaler zu.

Die Ursachen sind bekannt, die Folgen ebenfalls. Das Einzige, was bei diesen beiden Medienkonzernen so sicher ist wie die Zeitung von heute: Nach der Sparrunde ist vor der Sparrunde.

Neben den ausführlich bejammerten äusseren Umständen, und dann noch die Pandemie, hat dieser Niedergang aber eindeutig auch hanebüchene Fehler des Managements als Ursache.

Ein Beispiel zur Illustration der Managementfehler

Zur Illustration nehmen wir mal das von allen bewunderte Vorbild, die zwar schlingernde, aber bislang ohne Milliardenspritze eines reichen Liebhabers auskommende «New York Times». Auch sie musste kräftig Federn lassen; wochentags beträgt ihre Printauflage weniger als eine halbe Million Exemplare; die legendäre Sonntagsausgabe bringt es noch knapp auf das Doppelte.

Natürlich sind auch hier die Zeiten vorbei, als man fast einen Gabelstapler brauchte, um das aus allen Nähten platzende Sonntagsmodell auf den Frühstückstisch zu wuchten. Die NYT ist zudem das Paradebeispiel an Übungen, wie man mit dem Internet umgehen könnte.

Sie versuchte es mit Bezahlmodellen, mit aktuell gratis, Archiv kostet, mit alles gratis und mit alles kostet. Inzwischen hat sie ein metered Modell gefunden, mit dem sie die Verluste im Printbereich weitgehend wett machen konnte.

Wie hat die NYT das nur geschafft?

Wie hat sie denn das nur geschafft? Ganz einfach; sie beschäftigt immer noch über 1600 Journalisten. Mehr als Tamedia, CH Media, «Blick» und NZZ zusammen. Ach ja, dann ist’s ja einfach, mag sich nun der Zeitungsmanager in der Schweiz denken.

Think twice, wie der Ami da sagt. Zunächst einmal bietet die grosse NYT als Schnupperangebot «unlimited access to all the journalism we offer». Das ist eine ganze Menge, und das gibt’s für schlappe 2 Euro. Nein, nicht pro Tag. Auch nicht pro Woche. Pro Monat. Aha, aber nach einem Monat wird’s dann teuer? Nein, allenfalls nach einem Jahr.

Aber das Angebot kann jederzeit gekündigt werden. Die NZZ versucht etwas Ähnliches in Deutschland und wird dafür in der Schweiz schräg angeschaut. Aber nur die NZZ hat kapiert, dass jeder neu gewonnene Leser im Internet, der sogar etwas bezahlt, Gold wert ist. Die NYT und die NZZ haben kapiert, dass es ungefähr im Faktor 10 schwieriger ist, im Internet Geld für eine Dienstleistung zu verlangen – als in der realen Welt.

Noch wichtiger als Lockangebote ist etwas anderes

Aber noch viel wichtiger als solche Lockangebote ist etwas anderes. Die New York Times heisst so, weil sie in New York erscheint, ihre Redaktionszentrale dort hat. Übrigens eine sehr, sehr moderne Zentrale; anders wäre der Output von dermassen vielen Journalisten gar nicht zu organisieren.

Trivial? Schon, aber: Genauso, wie die NYT über China, Afrika, den US-Präsidenten und Kulturereignisse überall auf der Welt berichtet, genauso wie sie Debattenseiten hat, auf denen die intellektuelle Creme de la Creme debattiert, genauso hat sie etwas fundamental Wichtiges für ihren Erfolg: Sie hat einen genauso üppig dotierten Lokalteil.

Womit wir bei einem der sträflichsten Fehler wären, den die beiden Platzhirsche im Tageszeitungsmarkt machen. Es mag angehen, internationale Meldungen, die Wirtschaftsberichterstattung, Kultur und bis zu einem gewissen Grad Sport zentral abzufüllen und dann in alle Kopfblätter zu giessen.

Das Aushungern der Lokalberichterstattung

Aber das Aushungern nicht mal mehr der Lokalredaktionen, sondern der Kantonalredaktionen, das ist grobfahrlässig. Denn mindestens so sehr wie die (sich sowieso wiederholende) Meinung seiner Tageszeitung zu den US-Wahlen interessiert den Leser das Lokale. Das Nahe. Weil es ihn schlichtweg doch etwas mehr betrifft als der Ausgang von Wahlen in den USA oder in Weissrussland.

Wer da spart, statt zu investieren, kann das mit noch so viel Managergequatsche zusossen. Aber das sind alles Fake News; die Wahrheit ist: An diesem Fehler werden die Schweizer Tageszeitungen noch zugrunde gehen, wenn sie so weitermachen. Nämlich dem Käufer weniger Angebot für mehr Geld beliebt machen zu wollen – und gleichzeitig immer weniger darüber zu berichten, was den Lebenszusammenhang des Lesers ausmacht. Das Lokale.