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«Im Sinne Kants»

Wie in Tamedia über die Neueröffnung des Zürcher Kunsthauses geschnödet wird.

Kunst kommt bekanntlich von Können. Und von Kennen. Aber das braucht ein Kunstkritiker von Tamedia doch nicht. Es verblüfft allerdings, dass der altgediente BaZ-Kulturredaktor Christoph Heim ansatzlos über die Hauptausstellung des Erweiterungsbaus herfällt: «Das Kunsthaus Zürich verkauft sich».

Wie denn das? Da wird die Sinnsuche schwierig.

«Mit der Sammlung Bührle wird das Museum zum Schaufenster privater Sammler. Das ist ein Rückschritt in feudalistische Zeiten.»

Und das junge Publikum habe nichts davon.

Pfui; das interessiert ein junges Publikum doch nicht.

Der Waffenhändler und Kunstsammler Emil Bührle ist seit Langem aufs engste mit dem Kunsthaus verbandelt. Schon 1958 finanzierte er den damaligen Ausbau, nun hängt eine Auswahl seiner gigantischen Kunstsammlung als Leihgabe im Erweiterungsbau. Wie auch die Sammlungen von Werner Merzbacher und anderen.

Das stört Heim weniger. Auch dass ein eigentlicher Dokumentationsraum die Biographie und die Geschäfte Bührles nachzeichnet, seine Waffenexporte und das Entstehen seiner Sammlung, das vermag Heim nicht milde stimmen.

«Interesseloses Wohlgefallen» (im Sinne Kants)

Das Kunsthaus sei nun ein «Schaufenster privater Sammlungen wie die Museen des 18. Jahrhunderts». Na und? Stört Heim weniger, dass die private Fondation Beyeler in Riehen zurzeit eine grossartige Goya-Ausstellung beherbergt, natürlich grösstenteils mit privaten Leihgaben bestückt, die dadurch öffentlich zugänglich werden?

Ein «interesseloses Wohlgefallen (im Sinne Kants)» sei bei diesen Bührle-Bildern nicht möglich, schwurbelt Heim. Ohne hier auf die «Kritik der Urteilskraft» des spätfeudalistischen Denkers Immanuel Kant von 1790 einzugehen: das hört sich irgendwie tief und gut an, hat aber mit dem Ausstellen von Gemälden schlichtweg nichts zu tun.

Kant (gest. 1804): kann sich nicht mehr wehren.

Denn Heim hätte seinen Ansatz auch ehrlicher und einfacher formulieren können: Er findet es ziemlich scheisse, dass die Sammlung von Bührle hier öffentlich ausgestellt wird. Was beinhaltet, dass es ihm lieber wäre, wenn sie nicht angeschaut werden würde, obwohl das der Erhebung und Erbauung (auch Kant) dient.

Der Kritiker lässt keinen Stein auf dem anderen

Heim gefällt einfach nichts an dieser Neueröffnung. «Meritokratischer Erinnerungsort», «gemahnt an eine Shoppingmall», «Privatsache des Zürichbergs», also eigentlich alles furchtbar.

Wenn das alles falsch ist, wie sollte, könnte es denn richtig, besser werden? Na, einfach Heim fragen: «Für die Zukunft wäre es aber wichtig, wenn das Museum mit seinen Ausstellungen zu einem zentralen Forum demokratischer und ästhetischer Auseinandersetzungen würde, das auch die jüngere Generation interessiert.»

Die Kunst-Shoppingmall von aussen.

Dunkel raunt der Kritiker, inhaltsschwer und unverständlich

Ohä, da sagt der Leser vorsichtig: interessanter Ansatz. Was man halt so sagt, wenn man nur Bahnhof versteht. Aber Heim definiert auch gnadenlos, was ein modernes Kunsthaus (im Gegensatz zu einem postfeudalistischen) sein soll:

«Dabei ist das moderne Museum schon längst kein selbstgenügsames Bilderlager mehr, sondern, um das mit Begriffen der Kommunikationswissenschaft zu sagen, ein Sender, der mit Kunst ein überaus diverses, in verschiedene Gruppen zerfallendes Publikum erreichen muss.»

Oder um das in den Begriffen der Erkenntnistheorie im Zeitalter des Postdekonstruktivismus, im Luhmannschen Sinne und mit einem Sprutz Baudrillard zu sagen, nicht ohne auf den zu Unrecht vergessenen Louis Althusser zu rekurrieren: auch im Kunsthaus muss der herrschaftsfreie Diskurs (Jürgen Habermas) eingefordert werden! Das meinte auch schon Michel Foucault, aber der war homosexuell.

Eigentlich müsste jeder Besucher beweisen, dass er die «Ästhetik des Widerstands» von Peter Weiss gelesen hat, bevor er eintreten darf.

Oder auf Deutsch: welch ein geschmäcklerisches Kritikastern, aufgeblasen, aber ohne Sinn und Verstand. Völlig am Interesse und Geschmack des Publikums vorbei, dem in immer trüberen und immer kunstferneren Zeiten immerhin ein grosses Stück Teilhabe an sonst unerreichbaren Kunstwerken offeriert wird.

Das ist auch bitter nötig, angesichts des jämmerlichen Zustands, in dem sich das Feuilleton von Tamedia befindet. Wer eine Nora Zukker zur Literaturchefin ernennt (und erträgt), hat eigentlich jedes Recht auf Kunstkritik verwirkt.