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Face off, Part II

Porno nein, Gewalt na und: Facebook hat eigenartige Richtlinien für Inhalte.

Hier geht’s zum ersten Teil.

Immer wieder geistern solche Meldungen durch die Medien: Ein Foto der rund 30’000 Jahre alten Steinstatue der «Venus von Willendorf» wurde als «pornografisch» erkannt und zensiert. Das passiert auch immer wieder bei Kunstwerken (und Fotografien), die nackte Busen zeigen.

Kann man so oder so sehen: die nackte «Venus».

Denn da sind die Amis, obwohl Hollywood inzwischen mehr Pornos als Kinofilme herstellt, sehr prüde. Niemals geht ein «fuck» über den Sender, niemals darf in anständigen Programmen Obszönes gezeigt werden. Schliesslich ist Hollywood der Erfinder des durch ein Nachttischlein getrennten Doppelehebetts, damit auch Schlafzimmerszenen unanstössig gedreht werden können.

Das ist die Abteilung lachhaft. Die Abteilung brandgefährlich hat zwei Aspekte. Zum einen, wie in den US-Wahlen erwiesen, kann die Meinungsmacht von Facebook missbraucht werden, indem mit Fluten von Fake-Accounts Propaganda betrieben wird. Wie der Skandal um Cambridge Analytica zeigt, verkauft Facebook zum anderen seine Datenberge relativ freizügig, weil das die Goldmine darstellt.

Staatsversagen macht die sozialen Plattformen erst richtig gefährlich

Richtig gefährlich wird es aber durch ein Staatsversagen. Weil sich die Regierungen der Welt nicht in der Lage sehen, ihre Landesregeln selbst durchzusetzen, was an öffentlicher Äusserung erlaubt ist und was nicht, haben sie diese Aufgabe einfach an Facebook delegiert.

Ein ungeheuerlicher und geschichtlich nie dagewesener Vorgang. Zensur wurde über viele Jahrhunderte in Europa von der Kirche ausgeübt und mit drakonischen Strafen gestützt. Dann übernahm das immer mehr der absolutistische Herrscher. Schliesslich zeichnen sich alle Unrechtsregimes und Diktaturen dadurch aus, dass sie die freie und öffentliche Debatte wie der Teufel das Weihwasser fürchten.

Aber auch ein Rechtsstaat wie Deutschland stellt nur die Regeln auf, um deren Durchsetzung sich der Betreiber solcher Plattformen bemühen muss. So entstand das nicht nur sprachliche Ungetüm «Netzwerkdurchsetzungsgesetz». Damit werden die Betreiber verpflichtet, innert 24 Stunden «anstössigen Inhalt» zu entfernen, sonst drohen Bussen. Zudem dürfen Opfer von Persönlichkeitsverletzungen Auskunft über identifizierende Daten von Verbreitern von Hassbotschaften einfordern.

Wer aber legt diese Richtlinien fest? Facebook selbst bietet umfangreiche Informationen dazu an. Dafür hat Facebook – schöner Name – ein «Transparency Center»  geschaffen. Man habe immerhin «15’000 Prüfer» weltweit angestellt, «sie werden umfassend geschult und sind häufig auf bestimmte Richtlinienbereiche und Regionen spezialisiert».

Die Dunkelkammer «Oversight Board»

Schon vertiefter suchen muss man, will man das «Oversight Board» finden, das genau diese Richtlinien bestimmt und als letzte Instanz überwacht

Seine Mitglieder sind sogar namentlich sichtbar. Das ist alles schön transparent und unterscheidet das Board von den Inquisitoren im Mittelalter. Nur: seine Entscheidungen sind endgültig, ihr Zustandekommen ist ein mit viel Blabla verhüllter Prozess in einer Dunkelkammer. Es ist keine Appellation vor einem ordentlichen Gericht möglich.

4 von 19 Board-Mitgliedern, die letzte Instanz.

Freie Meinungsäusserung darf niemals schrankenlos sein. Es gibt auch keine weltweit gültigen Regeln und Grenzen, wo sie aufhört. Was in fundamentalistischen Staaten eine todesbewehrte Beleidigung religiöser Gefühle ist, gilt in Europa als selbstverständlicher Ausdruck kritischer Polemik gegen die Kirche. Alles, was mit Moral, Anstand, Sex oder Gewalt zu tun hat, wird in verschiedenen Gegenden der Welt verschieden gesehen.

Also ist es immer ein Kampf um die Grenzziehung zwischen erlaubt und verboten. Aber in Rechtsstaaten findet die vor ordentlichen, staatlichen Gerichten statt. Mit zwei Parteien, die alles auffahren können, was ihnen einfällt – und ihre finanziellen Möglichkeiten erlauben. Mit einem unabhängigen Richtergremium, das eine Entscheidung fällt. Die wiederum meistens über mehrere Instanzen weitergezogen wird, bis das rechtsgültige Urteil die Debatte beendet.

Das ist eine unbestreitbarer und zentral wichtiger zivilisatorische Errungenschaft, die Faustrecht und Willkür und unbezweifelbare Zensur durch die Obrigkeit abgelöst hat.

Hatte.

Wer bestimmt die Spielregeln des wichtigsten Spiels?

Es geht nicht darum, ob Figuren wie Trump oder Bolsonaro, unabhängig von ihrem Amt, gefährlichen Schwachsinn verbreiten dürfen. Es geht auch nicht darum, ob absurde Verschwörungstheorien, Hass und Hetze als freie Meinungsäusserung durchgehen sollten.

Aber es geht darum, wer die Spielregeln im wichtigsten Spiel einer Gesellschaft, der öffentliche Diskurs, festlegt. Regeln müssen gesetzt und eingehalten, Verstösse sanktioniert werden.

Aber doch nicht von ohne jegliche gesellschaftliche Kontrolle willkürlich bestimmten «Oversight Boards», deren Mitglieder ja ehrenwerte Menschen sein mögen, denen aber jegliche Legitimität für ihr Tun fehlt. Sie haben sich das auch nicht angemasst, die Zensurschere wurde ihrer Firma von Regierungen überlassen, die sich vor ihrer Verantwortung drücken.

Darin, nicht in absurden Zensurmassnahmen auf den sozialen Plattformen, darin besteht der eigentliche Skandal.

«Zensur ist verboten», heisst es so knapp wie gut in unserer Bundesverfassung.

Natürlich bedeutet das nicht grenzenlose Freiheit. Aber es müsste eigentlich bedeuten, dass in der Schweiz keine Zensur von US-Konzernen ausgeübt werden dürfte, die über das Einhalten unserer Regeln, die vor unseren Gerichten überprüft werden, hinausgeht.

Dennoch findet das statt. Täglich, ständig, fragwürdig, jeder rechtstaatlichen Überprüfung entzogen. Ungeheuerlich.

 

 

Verantwortungslos, haftungsfrei

Jede Internet-Plattform ist für ihren Inhalt verantwortlich. Ausser alle Social Media.

Wenn ZACKBUM etwas publiziert, wovon sich jemand beleidigt fühlt, kann er (oder auch sie) Rechtsmittel dagegen einlegen. Also einen Prozess lostreten. Verleumdung, üble Nachrede, Beleidigung, Schmähkritik, es gibt einige nette Artikel im ZGB und im Strafgesetz.

Das gilt nicht nur für eigene Werke. Es hat schon seinen Grund, wieso auch hier Kommentare moderiert und freigeschaltet werden. Denn nichts gegen das freie Wort, aber wer sich damit in den Bereich des Justiziablen bewegt, haftet nicht nur selbst. Sondern derjenige, der ihm die Plattform gegeben hat, haftet mit.

Macht ja auch Sinn; wenn eine Beleidigung über der nicht mehr rauchgeschwängerten Luft über dem Stammtisch verschwindet, der Beleidiger befriedigt noch ein Bier bestellt, dann ist der Schaden überschaubar. Multipliziert aber eine Plattform diesen Rülpser ein paar zehntausend oder gar hunderttausend Mal, dann hat er schon eine andere Wirkung.

Privat geäussert geht «Dieser Bundesrat gehört eingesperrt oder gleich erschossen» noch so knapp. Allerdings möchte man nicht Mitglied einer solchen Runde sein. Rutscht diese Aussage auf eine Plattform (Absender: ein besorgter Staatsbürger), haben Absender und Multiplikator im Ernstfall ein gröberes Problem.

Keine Regel ohne Ausnahme

Ausser, es handelt sich um Social Media. Wie häufig ist hier die Wurzel des Übels gut versteckt und tief in der Geschichte. Oder ist allen Lesern Abschnitt 230 des 47. Titels des «United States Code», der als Teil des «United States Communications Decency Act» erlassen wurde, geläufig? Dachte ich mir.

Am 8. Februar 1996 erblickte nämlich der «Protection For ‹Good Samaritan› Blocking and Screening of Offensive Material Act» im US-Parlament das Licht der Welt. Als Ergänzung zum «Communications Act» von 1934. Damals gab es bekanntlich das Internet noch nicht.

1996 steckte es noch in den Kinderschuhen, und da die USA ein sehr prozessfreudiges Land sind («I sue you» wird mindestens so häufig verwendet wie «how are you?»), stöhnten die ersten Anbieter von Diensten darunter, dass man sie mit Klagen überschüttete wegen Äusserungen oder Inhalten ihrer Nutzer.

Geht nicht, fanden die Parlamentarier, also verkündeten sie:

«Kein Anbieter oder Nutzer eines interaktiven Computerdienstes darf als Herausgeber oder Sprecher von Informationen behandelt werden, die von einem anderen Anbieter von Informationsinhalten bereitgestellt werden.»

Auf Deutsch: Wenn auf einer Plattfom steht «Zeyer ist ein dummes Arschloch», dann ist das freie Meinungsäusserung und niemand ist haftbar dafür. Vorausgesetzt, es ist ein «interaktiver Computerdienst».

Was ist denn das? Nun, kurz gefasst Facebook, Twitter, Instagram usw. Denn auf Betreiben von deren Vorläufern wurde dieser Abschnitt 230 formuliert. Später gab es natürlich ein paar Einschränkungen, bspw. bei Copyright-Verletzungen oder den «Stop Enabling Sex Traffickers Act (FOSTA-SESTA)».

Im Prinzip funktioniert das ganze Geschäftsmodell dieser Social Media bis heute nur wegen des Abschnitts 230. Die Unfähigkeit der Politik, hier Grenzen zu setzen, setzt sich bis heute fort.

Profitgier setzt immerhin Grenzen

Selbst skrupellose Geschäftsleute wie Mark Zuckerberg sind sich bewusst, dass es auch so etwas wie Image und Reputation gibt. Dass sie sich also für Missbrauch als Hassschleuder, für Verbreitung von Rassismus, absurden Verschwörungstheorien, Hetze usw. irgendwie rechtfertigen müssen.

Darf hier nicht beschimpft werden: Mark Zuckerberg.

Also behaupten sie, dass sie das Menschenmögliche täten, um solche Inhalte zu löschen. Daher gibt es schon seit Jahren arme Schweine, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als den Müll zu screenen, den kaputte Menschen auf soziale Plattformen stellen. Wer in der Dritten Welt auf einer Elektroschrott-Müllkippe nach Brauchbarem sucht, gefährdet seine körperliche Gesundheit. Wer in diesem digitalen Müllhaufen herumstochert, seine geistige.

Trotzdem kann es nicht gelingen, allen Schrott wegzuräumen oder erst gar nicht auf die Plattformen zu lassen. Sie begründen es damit, dass alleine Facebook von 2,6 Milliarden Nutzern verwendet wird – täglich. Bei solchen Zahlen sei es schlichtweg unmöglich, alles auszufiltern, was nicht Gesetzen und Regeln entspricht. Und schliesslich, im Notfall gibt es Section 230 …

 

Auch da hatte Trump etwas nicht ganz verstanden.

Wenn man «verboten» sagen kann, sagt’s der Deutsche

Auf der anderen Seite, Vorreiter Deutschland, denn wenn geregelt werden soll, dann regelt der Deutsche, bis es kracht. Und nur er kann Namen wie «Netzwerkdurchsetzungsgesetz» erfinden. Das verpflichtet, zumindest in seinem Geltungsbereich, den Betreiber von Plattformen, spätestens auf Aufforderung «offensichtlich rechtswidrige Inhalte» innert 24 Stunden zu löschen. Was ist das? Jaha, das ist dann genau die Frage, im Fall.

Als es noch Karneval gab …

Edle Absicht, schreckliche Folgen

So edel die Absicht auch sein mag, so rechtsstaatlich inakzeptabel ist die Umsetzung. Denn damit werden private Betreiber dazu gezwungen, ein Recht auszuüben, das in einem Rechtsstaat nur den dafür vorgesehenen Institutionen vorbehalten sein sollte. Nämlich Zensur zu üben.

Offensichtlich rechtswidrige Inhalte sind kein Thema der Diskussion. Aber wo fängt verbotenes Chorona-Leugnen an? Ab wann wird eine Verschwörungstheorie zensurreif? Wo hört das Recht auf freie Meinung auf? Was ist strafbar? Das entscheiden normalerweise Gerichte. Neuerdings entscheiden das Dunkelkammern, Komitees der sozialen Plattformen, die natürlich, um Ärger zu vermeiden, lieber löschen als zulassen.

Eine Abschaffung von Section 230 würde die Plattform-Riesen dazu zwingen, sich wie alle anderen an die geltenden Gesetze zu halten. Aber alleine Facebook bringt einen Börsenwert (leicht volatil, aber doch) von einer runden Billion auf die Waage. Das ist dann too big to control. Schlicht und ergreifend.

Du kommst aus dem Gefängnis frei, Internet-Version.

Zensur? Zensur!

Das Verbieten von freien Worten ist eine hoheitliche Aufgabe des Staates. War.

In westlichen Verfassungen stehen markige Worte zum Thema: «Eine Zensur findet nicht statt», verfügt das deutsche Grundgesetz in Art. 5. Etwas weiter hinten steht es in der Schweizer Bundesverfassung: «Zensur ist verboten.»

Knapper kann man das nicht auf den Punkt bringen. Unsere Bundesverfassung ist überhaupt ein Quell weiser und träfer Formulierungen, so heisst es in unserem Art. 5: «Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.»

Kein langes Gezicke um ellenlange AGB, Monstervertragswerke und Fussangeln im Kleingedruckten. Etwas entspricht Treu und Glauben, also gesundem Menschenverstand und Anstand – oder eben nicht. Punkt.

Fortschritte im Kampf gegen Zensur

Nun ist es mit Zensur so eine Sache. Es war ein unbestreitbarer Fortschritt, als das Verbot des freien Wortes Königen, Potentaten und der Kirche entwunden wurde. Es war der Anfang des rasanten Fortschritts, der Welterkenntnis, der Verbesserung der Lebensumstände, als freie Debatten geführt werden durften. Als die Enzyklopädisten, welch ein Vorhaben, schlicht und einfach alles gesicherte Wissen der Menschenheit von A bis Z zusammenfassen wollten.

Eine bis heute unerreichte Grosstat des menschlichen Geistes, und das im absolutistischen 17. Jahrhundert, noch vor der Französischen Revolution. Aber Zensurfreiheit ist kein Gut, das einmal erobert ewige Gültigkeit hat. Immer wieder senkten sich seither finstere Zeiten über die Menschen.

Es ist immer eine der ersten Massnahmen einer Diktatur, das freie Wort, die Debatte, die Aufklärung, die Kritik zu verbieten. Mit den ewig gleichen Begründungen. Schädlich, konterrevolutionär, hilft dem Feind, stiftet Verwirrung, ist subversiv, verantwortungslos, usw.

In Diktaturen wie Russland, China, Afghanistan oder Singapur wird nicht lange gefackelt, um allen klarzumachen, dass es enge Grenzen des freien Wortes gibt. Auf der anderen Seite gibt es wohl keinen Staat, der die Meinungsfreiheit so hoch hält wie die USA. Bis über europäische Schmerzgrenzen hinaus gilt dort der entsprechende Verfassungszusatz, der es eigentlich allen erlaubt, so ziemlich alles zu sagen.

Keine Zensur darf es auch nicht geben

Völlige Zensurfreiheit gibt es nirgends – und darf es auch nicht geben. Aufrufe zu Pädophilie, rassistisch dummes Geblubber wie «alle Schwarzen sind dumm und faul», alles, was zu sehr angebräunt ist, das Leugnen von historischen Tatsachen, das alles ist verboten. Zu Recht.

ZACKBUM würde so weit gehen, Bert Brecht zuzustimmen, der in der Neufassung der «Dreigroschenoper» von 1948 nach dem Zweiten Weltkrieg dichtete:

«Und die da reden von Vergessen
Und die da reden von Verzeihn –
All denen schlage man die Fressen
Mit schweren Eisenhämmern ein.
»

Aber das mag vielleicht etwas extrem sein. Schwieriger, als die Verurteilung klarer Grenzüberschreitungen, schwieriger als die Denunziation offener Zensur ist die Debatte darüber, wo bei uns von ungerechtfertigter Zensur gesprochen werden kann.

Auch in der Schweiz steht ein «das darf doch wohl noch gesagt werden» einem ausgrenzenden Diskurs gegenüber, der immer weniger zwischen Mensch und Meinung unterscheidet. Dass man sich eine freie Meinungsäusserung auch leisten können muss, ist eine Binsenweisheit. Dass eine freie Meinungsäusserung kostspielig werden kann, den Verlust von Einnahmen, einer bürgerlichen Stellung, einer Anstellung nach sich ziehen kann, das ist halt der Preis dafür.

Dass eine Verengung der öffentliche Debatte stattfindet, schmerzlich sichtbar bei allen Auseinandersetzungen über die richtige Bekämpfung der Pandemie, das ist bedenklich. Dass die sogenannten Leitmedien damit ihre eigene Bedeutung zerkleinern, unzählige andere Kanäle im Digitalen aufgehen, ist ebenfalls bedenklich, aber gleichzeitig auch beruhigend.

Echt gefährlich, mehr als beunruhigend ist aber, dass der Staat als Zensurbehörde diese Aufgabe an private Veranstalter delegiert. Nur Deutschland konnte es einfallen, ein Gesetzesmonster mit einem Namensmonster zu versehen: das «Netzwerkdurchsetzungsgesetz».  Es erlegt den Betreibern von Plattformen schlichtweg auf, selber dafür zu sorgen, dass keine strafbewehrten Meinungsäusserungen veröffentlicht werden. Bzw. die Veröffentlichung innert knapper Fristen rückgängig zu machen.

Da das Internet bekanntlich keine Landesgrenzen kennt, bedeutet das auch, dass mindestens im ganzen deutschen Sprachraum, inklusive Schweiz, dieses deutsche Zensurgesetz gilt.

Zurück zur privaten Zensur von den Mastern des Internets

Keine Verschwörungstheoretiker – ein Artikel in der SZ von 2016.

Natürlich ist es richtig und nötig, den Versuch zu unternehmen, die Sümpfe der Hassgesänge, der dumpfen Brutalität, aus denen Hetze und feig-anonyme Drohungen quellen, so gut wie möglich trockenzulegen.

Niemand möchte, dass der Mob ungebremst und ungehemmt – besonders pervers auf Kanälen, die sich eigentlich dem Kampf gegen Hass und Hetze verschrieben haben – keifen, kreischen, pöbeln und menschenverachtendes Zeugs quäken darf.

Aber soll die Entscheidung darüber wirklich Facebook, Google, Twitter und Co. überlassen werden?

 

  • In der Fortsetzung: Probleme und Lösungen

Regulierungswut im Internet

Ein Paradebeispiel, wie gut gemeint zu schlecht gemacht verkommt.

Die meisten Benutzer des Internets wiegen sich bis heute in der falschen Meinung, dass viele Angebote gratis seien. Also von irgendwelchen Firmen aus reiner Menschenfreundlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Zuvorderst natürlich Suchmaschinen wie Google, die immer zielgenauer das wilde, weite Web durchforsten und freundlich Trefferlisten ausspucken, wenn man etwas sucht. Oder soziale Plattformen wie Facebook, auf denen man tonnenweise Bilder, Posts oder sogar Videos raufladen und mit allen teilen kann, die es interessiert. Oder YouTube, der Kanal, der jeden zum Video-Blogger machen kann. Alles umsonst, alles Dienst am Kunden.

Auch im Internet muss bezahlt werden

Das ist natürlich Quatsch. Denn der User zahlt auch im Internet. Mit drei Dingen. Mit der neuen Weltwährung Daten und mit attention. Oder einfach mit Geld. Wenn jeder Internet-Nutzer wüsste, was dort alles an Daten, Profilen, Mustern über ihn gespeichert ist, er wäre schockiert. Oder aber, er würde sagen: na und, ich habe doch nichts zu verbergen.

Selbst dem Gesetzgeber ist es aufgefallen, dass wahre Datenkraken entstanden sind, die nicht nur wie verrückt sammeln, sondern aus diesen Daten Geschäftsmodelle gebastelt haben, mit denen sich Milliarden verdienen lassen.

Also tut der Gesetzgeber das, was er am besten kann. Er macht ein neues Gesetz – und damit alles noch viel schlimmer. Das neue Gesetz hat den knackigen Namen Datenschutz-Grundverordnung (DSGV), ist so sperrig wie jede EU-Norm und soll den Nutzer vor unerlaubtem Abgreifen seiner Daten schützen.

Das Internet ist grenzenlos

Ergänzt wird es durch das «Netzwerkdurchsetzungsgesetz», das die Betreiber sozialer Plattformen in die Pflicht nehmen soll, anstössige, strafbare Inhalte oder Hassmeldungen zu löschen. Der zweite Schuss in den Ofen. Aber zurück zum ersten.

Die DSGV gilt im Prinzip nur im EU-Raum. Also könnten sich Betreiber Schweizer Webseiten sagen, dass sie das nichts angehe. Womit sie sich schwer täuschen würden, denn das Internet kennt bekanntlich keine Grenzen. Was bedeutet, dass eine Schweizer Webseite, gehostet in der Schweiz, betrieben von Schweizern und mit dem Zielpublikum Schweizer, natürlich auch in einem EU-Land aufgerufen werden kann.

Und schon ist’s passiert. Nun ist nur noch die kleine Hürde zu überspringen, dass Personen in der EU Waren oder Dienstleistungen angeboten werden, auch gratis, und dass das Verhalten dieser Personen verfolgt wird. Dann tanzt der Bär, der Anbieter ist verpflichtet, darüber zu informieren und die Erlaubnis zur Verwendung der Daten einzuholen.

Jede Webseite hat Warnhinweise

Daher hat inzwischen eigentlich jede Webseite, auch ZACKBUM.ch, einen Warnhinweis, dass sich der Besucher mit der Verwendung von Cookies einverstanden erklärt. Daher hat jede Webseite, auch ZACKBUM.ch, einen länglichen Text zum Thema Datenschutz. Zudem sollten kommerzielle Webseiten, also Shops und so weiter, «einen Vertreter in der EU benennen», an den sich Besucher im Fall von Reklamationen wenden können.

Wer ängstlich ist, überfällt den Besucher zuerst mit einer ganzen Liste von Angaben zu verwendeten Messmethoden und dem Hinweis, dass Benutzerdaten zu Marketingzwecken weitergegeben werden. Um «massgeschneiderte Werbung» anbieten zu können. Näheres regeln dann die ellenlangen Datenschutzbestimmungen.

Wer behauptet, diese Angaben schon einmal aufmerksam durchgelesen zu haben und auch die Datenschutzbestimmungen studierte, ist entweder ein krankhaft pedantischer Mensch – oder ein Lügner.

Kräftige Bussen drohen

Wer sich an diese Bestimmungen nicht oder unvollständig hält, kann kräftig gebüsst werden. Also passiert oft genau das, was der Gesetzgeber eigentlich verhindern wollte: Die User wechseln auf Google oder Facebook, um dort ohne diese Warnhinweise surfen zu können.

Ha ha, sagte da der deutsche Gesetzgeber, so nicht. Und sattelte das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzwerkDSG) obendrauf. Womit er das ganze natürlich noch schlimmer machte. Denn hier ist zu allem hinzu ein gesetzgeberischer Sündenfall enthalten. Es wird den Betreibern sozialer Plattformen auferlegt, Polizist zu spielen und die Einhaltung von Regeln zu überwachen.

Privaten wird die Kontrolle der Regeln auferlegt

Das ist in einem Rechtsstaat eigentlich ein Unding. Wenn der Staat Regeln aufstellt, dann darf nur der Staat überwachen, dass sie auch eingehalten werden. Und bei Verstössen sanktionieren. Hier aber muss zum Beispiel Facebook die Einhaltung gewährleisten, der Staat beschränkt sich darauf, kräftig Bussen zu kassieren, wenn das nicht geschieht.

Nun gibt es eher einfache Regeln wie «Höchstgeschwindigkeit 50 km/h». Langsamer ist erlaubt, schneller verboten. Aber wie steht es mit «strafbaren Inhalten» auf sozialen Netzwerken oder Suchmaschinen? Gehen wir einen Schritt zurück; wieso gab und gibt es die eigentlich überhaupt? Jede Zeitung, jedes Medienorgan weiss doch, dass es auch für Fremdinhalte, also bspw. Kommentare, mithaftet. Lässt es die Publikation eines rassistischen Kommentars oder einen Aufruf zu einer Straftat zu, dann hängt der Einsender, wenn man ihn eruieren kann, und die Plattform selbst.

Wo hört die Meinungsfreiheit auf?

Das ist bei sozialen Netzwerken nicht der Fall. Dank einer entsprechenden Gesetzeslücke in den USA, die Facebook & Co. natürlich mit Zähnen und Klauen verteidigen. Aber in Deutschland gibt es ja nun das  NetzwerkDSG. Das bedeutet aber, dass nun soziale Plattformen selber schauen müssen, dass sie dagegen nicht verstossen.

«Nieder mit Erdogan», «Corona ist eine Erfindung von Bill Gates», «Merkel will Deutschland abschaffen», «Trump ist der Grösste», «Schweizer Pharmakonzerne halten Impfstoff zurück»

Wo hört Meinungsfreiheit auf, wo fängt Strafbarkeit an? Was sind hier Fake News, wie kontrolliert man Versuche, demokratische Prozesse zu stören?

Wie überprüft man das? Erschwerend kommt noch hinzu, dass «24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde» offensichtlich rechtswidrige Inhalte zu löschen sind. Sonst drohen Bussen von 5 Millionen Euro aufwärts.

Lieber zu viel als zu wenig löschen

Immerhin wurde die absurde Forderung, sämtliche Kopien eines rechtswidrigen Inhalts ebenfalls zu löschen und das Wiederhochladen durch Filter zu verunmöglichen, gestrichen. Seither streitet man sich darüber, ob beispielsweise eine schlechte Beurteilung eines Produkts bei Amazon oder auf einer Hotelplattform auch schon unter dieses Gesetz fällt, die Unterlassung der Löschung nach Beschwerde zu einer Busse führen kann.

Ganz allgemein sorgen unscharfe Begriffe wie «Hassrede» oder «Rechtsradikalismus» oder «Volksverhetzung» dafür, dass die über 1000 Kontrolleure  – im Einsatz für Facebook in Deutschland – lieber zu viel als zu wenig löschen.

Der Betroffene hat kein Recht auf Widerspruch

Abgesehen davon, dass dieses Gesetz zumindest in Teilbereichen mit der Meinungsfreiheit kollidiert, krankt es auch daran, dass es den Betroffenen ein grundsätzliches Recht verwehrt: Das Recht auf Widerspruch, auf gerichtliche Klärung, ob eine Löschung zu Recht erfolgte oder nicht.

Also alles in allem ein Paradebeispiel dafür, wie Regulierung und Nachregulierung rechtsfreie Räume nicht abschafft, sondern einfach neue Kampffelder eröffnet.