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Totalflop «Play Suisse»

SRG hat ein Streamingangebot. Nur: kein Schwein schaut. Aber wir sind beim Gebühren-TV.

Das kann sich nur ein Staatssender leisten. Pardon, ein Gebührensender mit Auftrag des Service Public. Gratis, versteht sich, oberhalb der Zwangsgebühren. Und auf allen Kanälen, sowie modern und vorne dabei.

Deshalb gibt es seit einem halben Jahr «Play Suisse». Ein Totalflop, der von jedem Sender, der etwas auf die Kohle achten müsste, schon längst eingestampft worden wäre. Mal ein paar Zahlen, um die Relationen zu wahren:

Nummer zwei im Streaming-Angebot in der Schweiz ist Netflix. 1,8 Millionen zahlende Nutzer. YouTube hat 5,5 Millionen. Und «Play Suisse» hat 260’000 Gäste mit Login. Gratis natürlich, als Bestandteil des «service public» der SRG. Ach, was «Play Suisse» eigentlich ist?

«Die neue Streaming-Plattform der Schweiz. Hier finden Sie die  besten Schweizer Filme – ohne zusätzliche Kosten.» Alles ausgewählt, kuratiert, «alles, was Sie dafür benötigen, ist ein Login. Entdecken Sie eine neue Art des Fernsehens.»

Die neue Art des Fernsehens ist bei näherer Betrachtung alt

Neu? Selten so gelacht. Schon beim Login hat sich SRG verstolpert. Denn die Informationen wandern schnurstracks in die USA mit ihren lausigen Datenschutzgesetzen. Weil die SRG zu schmürzelig war, eine eigene Software zu entwickeln – oder in der Schweiz einzukaufen. Lieber eine Bude im Portefeuille von Microschrott.

ZACKBUM hat diesen Skandal aufgedeckt – aber keinen interessiert es. Dabei lohnt sich die Lektüre des Kleingedruckten: «Wir geben Personendaten auch an Dritte beziehungsweise Auftragsbearbeiter weiter, die ihren Sitz nicht in der Schweiz und in Nicht-EU/EWR-Ländern haben.»

Ausser, natürlich, der Nutzer protestiert dagegen. Aber wie soll er das tun, wenn er keine Ahnung hat, was mit seinen Daten passiert? Immerhin, die gute Nachricht ist: die Anzahl Nutzer mit Login ist überschaubar. Sehr überschaubar.

Wer kam denn auf diese tolle Idee? Die «Medienwoche» kolportiert das so: Generaldirektor Gilles Marchand habe eines Tages einen Einfall gehabt: «Ich war überzeugt, dass die Schweiz eine Plattform braucht, die einheimische Serien, Filme und Dokumentationen aus allen Landesteilen an einem Ort vereint».

Wer ist an einem Ort vereint?

Nun, gönnen wir Marchand diese Legende, er hat’s ja auch nicht leicht zurzeit. Da braucht er jedes Erfolgserlebnis. Nur: woher nehmen – und nicht stehlen? Ursprünglich war geplant, diese Plattform zusmmen mit privaten Anbietern aufzubauen. In erster Linie wäre da der Wanner-Clan (CH Media) mit seinen zusammengekauften TV- und Radiostationen in Frage gekommen.

Nur: man konnte sich nicht einigen, damit verabschiedete sich doch ein gröberes Stück der landesweiten Plattform. Denn die 3-Plus-Gruppe überflügelt inzwischen gelegentlich sogar die Einschaltquoten von SRF. «Ein Streaming-Portal zu etablieren, auf das niemand gewartet hat, schafft man nur mit einer gewissen Wasserverdrängung», meint Nick Lüthi in der «Medienwoche» richtig. In den sechs Monaten seiner Existenz verdoppelte Netflix die Zahl seiner zahlenden Gäste. Allerdings auf einem ganz anderen Niveau. Platzhirsch SRG hat rund 4,3 Millionen Unique Users pro Jahr.

Eine lachhaft kleine Zahl. Kaum einer kennt «Play Suisse». Das liegt auch an der grossartigen Idee, diese Streamingplattform nicht in die vorhandenen Internet-Auftritte der SRG einzubinden. Auf der anderen Seite, wenn schon, denn schon, werkeln ganze 17 Vollzeitstellen für ein Angebot, bei dem gilt: kein Schwein schaut.

Zusammenfassung: ein Desaster

Wir fassen zusammen: lausig- fahrlässiger Umgang mit Datenschutz der User. Nischenangebot, kaum einer kennt’s. Aber immerhin gratis, wenn man nichts dagegen hat, dass seine Daten im Netz herumschwirren.

Schön für SRG, dass Wertschöpfung oder Ertrag nun wirklich etwas für private Anbieter ist. Das kann man bei Einnahmen pro Kopf der Schweizer Wohnbevölkerung von 365 Franken im Jahr durchaus verstehen. Wir reden hier von grösseren Beträgen, die schlichtweg verwaltet, verröstet, in langweiliges Sendungsbewusstsein umgemünzt werden.

Aber mal Hand aufs Herz: nur weil der Generaldirektor mal eine Idee hatte, wofür man ihm ja gratulieren möchte, bei dem Gehalt? Für mehr als eine halbe Million im Jahr (mehr als ein Bundesrat) sollte das ab und zu drinliegen. Andererseits: wenn die Idee halt ein Totalflop ist, wieso dann dran festhalten?

Halbe Kiste, aber kein Geld für den Coiffeur?

Ach so, weil’s doch keine Rolle spielt. Wenn die Kostenstellennummern vergeben sind, läuft halt sowas wie geschmiert. Und läuft und läuft und läuft. Steht einsam und alleine im Netz rum, hält immerhin eine Schar von Medienschaffenden in Lohn und Brot. Könnte man auch einfach abschalten, und kaum einem würde es auffallen. Aber wieso auch, der zwangsweise bespasste Gast zahlt doch sowieso.

«Play Suisse»? Wer sucht das? Ohne Lupe?

Ach, und obwohl auch die SRG letztes Jahr einen Millionenverlust einfuhr, ist das doch kein Grund, die happigen Saläre der Teppichetage etwas niedriger zu legen. Ebenfalls ist es kein Grund, an den angeblich «leistungsabhängigen» Lohnkomponenten was zu schräubeln. Wer sich mal an eine halbe Kiste gewöhnt hat, dem würde es schwer fallen, sich mit weniger zufriedengeben zu müssen.

 

Die kurze Erfolgsgeschichte

«Clubhouse»: Da war doch was? Und ist da immer noch etwas? Hypes werden auch immer kurzatmiger.

Von Stefan Millius*

Es gab eine Zeit, irgendwo Anfang Jahr, da konnte man mit der App «Clubhouse» Geld verdienen. Denn wer eine Registrierung ergatterte, erhielt danach sporadisch die Möglichkeit, andere Leute einzuladen – und das ist die Voraussetzung für ein Plätzchen. Also boten einige schlaue Leute ihre «Invites» gegen Geld an. Reichtümer winkten nicht, aber ein gutes Abendessen mit Begleitung lag durchaus drin.

Interesse wecken durch Verknappung und Exklusivität: Nur darum gings. Denn unterm Strich ist «Clubhouse» einfach ein weiteres soziales Medium, in dem gesprochen statt geschrieben wird. Man trifft sich zu bestimmten Events zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Raum und plaudert. Dabei gibt es verschiedene Rollen: Moderatoren, Sprecher und reine Zuhörer.

Hyper Hyper!

Als die App auftauchte, überschlugen sich die Medien vor Begeisterung. Sie sprachen vom nächsten grossen Ding, endlich mal wieder was Innovatives, völlig anders als alles andere und sowieso einfach das, was man haben muss.

Ein paar Monate später gilt eher: lau statt wow. Wenn nicht bald Elon Musk einen Tesla vorstellt, der fliegen kann, schafft es «Clubhouse» kaum mehr in die Schlagzeilen. Was im Januar klang, als würde es auf einen Schlag Facebook, Twitter und Snapchat von der Landkarte knallen, ist heute eine reine Nische mit leichtem Friedhofscharakter.

Auch meine persönliche Faszination war von kurzer Natur. Und zwar, weil ich stets für alles, was mich allenfalls hätte interessieren können, zu spät war. Das Magazin persoenlich.com beispielsweise organisiert immer wieder Clubhouse-Runden. Am Donnerstag, 20. Mai wurde in einer Runde die Medienlandschaft Ostschweiz besprochen. Was ich leider erst am Freitag, dem 21. Mai mitgeschnitten habe. Nachhören kann man nicht, was da gesagt wurde, ein Club ist schliesslich ein Liveerlebnis, und man geht ja auch nicht am Morgen nach der Party in die leere Disco und hofft, die Atmosphäre schwinge noch nach. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Also werde ich nie erfahren, wie den die Mediensituation in der Ostschweiz aussieht.

Und auch sonst wird vieles an mir vorbeigehen. Dank Netflix bin ich endlich nicht mehr auf ein lineares TV-Programm angewiesen und muss nicht um 20.10 Uhr aufs Klo, um dann um 20.15 Uhr bloss nichts zu verpassen. Aber eine App soll mich nun nötigen, zu einem bestimmten Zeitpunkt einzuschalten? Es wirkt reichlich anachronistisch.

Was offenbar viele finden. Die App ist aus den deutschsprachigen Hitparaden der Downloads verschwunden. Wurden beim Startschuss Räume ohne Ende gegründet, um über wahnsinnig wichtige Dinge zu sprechen, muss man heute lange suchen, um irgendwo reinhören zu können.

Keiner will mehr

Dabei sitze ich immer noch auf «3 Invites», wie mich die App wissen lässt. Ich könnte also Leute einladen, damit auch sie in den illustren Kreis aufgenommen werden. Nur will keiner von denen, die ich anspreche. Dabei fordere ich nicht mal Geld, die Illusion, dass ich heute noch mit dem «nächsten grossen Ding» was verdienen könnte, ist vorbei. Mir wird zwar eine Warteliste eingeblendet, auf der ich sehe, welche Leute aus meinen Kontakten (ja, die App gräbt ordentlich Daten ab) gerne dabei wären. Das Problem ist: Der aktuellste Eintrag ist zwei Monate alt. Und als ich nachfrage, winkt der Kollege ab: Das mit dem Interesse war mal, danke, wusste gar nicht mehr, dass ich mal usw. Abgesehen davon, dass sogar einige Einladungen, die ich in der Startzeit verschickt habe, immer noch uneingelöst rumdümpeln.

In meinem Profil erfahre ich, dass ich 62 Follower habe. Das ist schön und ein Zeichen des Vertrauens, nur werden sie nie etwas geboten bekommen. Genau wie die 34 Leute, denen ich folge, reine Profilleichen zu sein scheinen. Irgendwann mal eingeladen, völlig elektrisiert über die einmalige Chance sofort beigetreten – und wurden nie wieder gesehen.

In Amerika, heisst es, sei Clubhouse noch immer gefragt. Aber das ist ja auch das Land mit dem «Talk Radio» und unablässigem Gelaber. Bei uns ist die Clubstimmung durch.

 

*Stefan Millius ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz». Geht er friedlich nach Hause, bleibt alles friedlich.

 

Geht Netflix für News-Medien?

Wenn man intelligente Überlegungen zur Medienmisere lesen will, braucht man die «Financial Times».

Wenn ein Ansatz und eine Idee einfach schlagend interessant sind, dann darf’s auch mal einfach eine Zusammenfassung sein. Vor allem, da ein Abonnement der FT in den zum Skelett niedergesparten Journalistenghettos in den Zentralredaktionen so selten ist wie Wasser auf dem Mars.

FT-Mitarbeiter Alex Barker geht von einer einfachen Frage aus. Was würde Reed Hastings tun, wenn er einen News-Verlag statt Netflix leiten würde? Die Überlegung liegt nahe, denn der Streaming-Ambieter Netflix ist das wohl erfolgreichste Internet-Portal der letzten Jahre. Börsenwert 195 Milliarden Dollar (mehr als Walt Disney) und über 200 Millionen zahlende Abonnenten weltweit.

Denkstoff für Medienverlage.

Hastings würde wohl drei Dinge tun: Die Web-Technologie verbessern, werbefrei arbeiten, keine Sidelines wie Veranstaltungen oder E-Commerce. Sondern Konzentration aufs Kerngeschäft: Newsherstellung.

Die erste Serienkrone für Netflix: The Crown.

Aber nun kommt’s: er würde am Abopreis schrauben. Nach unten. Ein einfacher Vergleich: mit 27 Dollar hat man in den USA vollen Zugang zu Netflix und kann Disney+ und Spotify mit seinen 70 Millionen Songs mieten. Mit 27 Dollar kann man ein Abo der New York Times, der Los Angeles Times, der Londoner Times für einen Monat abschliessen. Für eine dieser Zeitungen.

Netflix gibt mehr für Content aus als alle US-Newsverlage zusammen

Netflix plant, 2021 die Summe von 17 Milliarden Dollar für Content auszugeben. Also für Lizenzen und Eigenproduktionen. Das würde ausreichen, um alle Newsrooms in den USA zu finanzieren. Mehrfach. Laut einer Studie von PwC generieren alle News-Verlage in den USA zusammen dieses Jahr Einkünfte von 22 Milliarden Dollar.Aber nur ein Bruchteil davon wird ins Kerngeschäft, Journalismus, investiert.

Das ist in der Schweiz natürlich nicht anders. Oberste Priorität hüben wie drüben liegt auf Kostenreduktion als Gegenwehr bei sinkenden Inserateeinnahmen und Printauflagen. Inzwischen sind rund 10 Jahre vergangen, seit die ersten Bezahlschranken hochgezogen wurden. Nur eine Handvoll Publikationen haben es geschafft, mehr als eine Million zahlende Leser an sich zu binden.

Eine davon. Mehr als 1 Million zahlende Abonnenten. 75 Prozent digital.

Netflix über 200 Millionen. Über den Preis und ein riesiges Angebot für wenig Geld. Natürlich sind Newsproduktion und ein Streaming-Dienst mit immer grösserer Eigenproduktion von Filmen, Serien und Dokumentarstreifen nur bedingt vergleichbar.

Aber letztlich kämpfen beide um das gleiche Gut. Barker zitiert Rasmus Kleis Nielsen, Direktor des Reuters Institute der Universität Oxford. Er spricht von einem Kampf ums Überleben «im wettbewerbsstärksten Kampf um Aufmerksamkeit, den wir in der Geschichte der Menschheit gesehen haben». Während sich das Journalistengeschäft gerne als voll von hartgesottenen Realisten ausgibt, bezweifelte er, dass die Verlage «das Ausmass dieser Herausforderung wirklich begriffen haben».

Immer mehr hochklassige Documentals auf Netflix.

Im Vergleich zu den (wenigen) überlebenden US-Riesen oder in einer eigenen Liga spielenden Medien wie FT oder «Wall Street Journal» sind alle Schweizer Medienkonzerne Zwerge, die kleine Randgruppen bedienen.

Die Überlebensstrategien der Schweizer Verlage

Die verbliebenen Vier (lassen wir Lebruments Alpenimperium auf der Seite) haben vier verschiedene Strategien zum Überleben. Ringier setzt auf Diversifizierung und Digitalisierung und ganze Wertschöpfungsketten der Vermarktung. Also zum Beispiel Konzerte und Events, deren auftretende Künstler hochgejubelt werden, ein E-Shop verkauft Fanartikel, Content Publisher schreiben Biografien, Lobesstorys und Fanbücher.

CH Media setzt auf das Joint-Venture mit den verbleibenden Lokalzeitungen der NZZ, ein Multi-Kopfblatt-System und eine Multichannel-Strategie mit dem Aufkauf aller Privat Radio- und TV-Stationen, die nicht bei drei auf den Bäumen sind. Plus einen rein internetbasierten Versuch namens «watson», der aber bislang ein Millionengrab ist.

Tamedia setzt auf strikt separierte Profitcenter. Ohne Rücksicht darauf, dass die Standbeine aller Print-Titel – Stellen-, Immobilien- und Automarkt – ins Internet abgeschwirrt sind. Trotzdem sollen die so entkleideten News-Titel ebenfalls harschen Gewinnvorgaben entsprechen. Was eine mission impossible ist, die selbst mit weiteren drakonischen Sparrunden nicht erfüllt werden kann. Denn eine weitere Verdünnung des Contents würden die Leser irgendwann schlichtweg nicht mehr mitmachen.

Die NZZ setzt auf journalistischen Content und digitale Expansion nach Deutschland mit seinem zehnmal grösseren Publikum. Nicht ohne Erfolg, aber durch die Einbettung in den Zürcher FDP-Filz machte die schreibende Bank gewaltige Verluste beim Grounding der fliegenden Bank, trennte sich zudem ohne Not von ihrem hochmodernen Druckzentrum. Schliesslich bewies sie eine sehr unglückliche Hand bei der Wahl des CEO und des Internet-Verantwortlichen.

Wer fleissig FT liest, hat die Nase vorn

Beide grosse Schwätzer vor dem Herrn, aber in der Wirklichkeit gescheitert. Tendenziell hat, unter Anwendung der Netflix-Prinzipien, die NZZ die grössten Überlebenschancen. Mit ihrem Angebot in Deutschland, voller Zugriff auf das Digitalangebot für 100 Euro im Jahr ist sie zudem auch preislich auf dem richtigen Weg. Was sie allerdings in der Schweiz verlangt, das rechtfertigt nicht einmal die Hochpreisinsel Schweiz.

Mit deutlich mehr Investitionen in den Content, Einstellung von überflüssigen Extensions und massiven Preissenkungen könnte sie es schaffen. Wenn man in der Chefetage fleissig die FT und andere englischsprachige Qualitätstitel liest.