Wir sind alle Antisemiten
Endlich ein Club, in den man zwangsweise eingeliefert wird.
Gibt es Kriegsverbrechen minderer und grösserer Natur? Natürlich, so wie es auch bei individuellen Gewaltverbrechen zwischen Totschlag und Mord aus niederen Beweggründen Abstufungen gibt. Aber ein Tötungsdelikt bleiben alle.
Ist nun jemand, der einem Schwarzen einen Mord vorwirft, ohne darauf hinzuweisen, dass auch Weisse Morde begehen, ein Rassist? Ist Friedensnobelpreisträger Obama Antisemit, weil er in einem Telefonat mit dem israelischen Ministerpräsidenten eine sofortige, bedingungslose Waffenruhe im Gazastreifen forderte?
Ist die EU antisemitisch, weil sie das auch fordert und zudem darauf hinweist, dass die Abriegelung des Gazastreifens nicht mit dem Völkerrecht zu vereinbaren sei?
Ist die UNO antisemitisch, wenn sie mit Zweidrittelmehrheit jegliche Gewalt gegen israelische und palästinensische Zivilisten verurteilt, die bedingungslose Freilassung aller Zivilisten, die «illegal festgehalten» werden, fordert und zu einer sofortigen Waffenruhe auffordert? Ist das eine «Schande» wie Israel sagt?
Ist selbst der Gutmensch Daniel Binswanger («Wir sind alle Israeli») ein Antisemit? Greta Thunberg? 2000 US-Künstler? Fridays for Future?
Heisst diese Fragen stellen bereits, dass irgend ein Würstchen den Zeigefinger heben kann und auch ZACKBUM des Antisemitismus bezichtigen? Ist jede Kritik an Israel antisemitisch? Wenn nein, wer bestimmt, in welcher Form sie geäussert werden darf, ohne die Antisemitismuskeule übergebraten zu bekommen?
Es ist wieder die Zeit der aufgeregten Intellektuellen, die mit ungeheuerlicher Sensibilität jede Äusserung zum Nahen Osten abhorchen, sensibel erspüren, ob im dritten Oberton, in einer falsch gesetzten Konjunktion, in einer Auslassung, im Verzicht auf die Verurteilung mit Abscheu der Bluttaten der Hamas eine Haltung durchschimmert, die eindeutig antisemtisch sei. Die den Israeli unterschieben will, sie seien selbst schuld daran, dass sie wieder zum Opfer werden.
Die das barbarische Massaker der fundamentalistischen Wahnsinnigen der Hamas ungeschehen machen will. Wer wagt, auch nur zu sagen, dass dieses Massaker nicht im luftleeren Raum stattfand, nachdem er es ausdrücklich und mit Abscheu verurteilt hat, wird von selbsternannten Semitismus-Beauftragten übel beschimpft.
Der einzige Ort, wo sich’s aushalten lässt, wo man redlich und anständig stehen sollte, ist mal wieder zwischen allen Stühlen. Die dümmlichen «Free Palestine»-Skandierer, alle, die «from the river to the sea» summen, sind Idioten. Machen sich gemein mit den Ayatollen im Iran, die Israel vernichten wollen und mit ihrem religiösen Wahnsinn (und viel Geld) die Sache der Palästinenser gekapert haben. Al Fatah, ihr Witzpräsident Abbas, ausrangiert, ohne Einfluss, eine klägliche Impotenzveranstaltung.
Das Sagen haben die Hamas, die Hetzbolla, Anhänger einer Todesreligion, die jeden europäischen Intellektuellen mit tiefster Abscheu erfüllen sollte.
Wer leichtfertig sagt, dass die Palästinenser im Gazastreifen sich doch gegen diese märtyrergeilen Wahnsinnigen zur Wehr setzen sollten, stelle sich einmal konkret die Situation vor. Man wohnt in einem Wohnblock und sieht des Nachts, wie eine Bande Vermummter Raketenwerfer das Treppenhaus hinauf aufs Dach schleppt. Sollte der friedliebende Palästinenser denen nun entgegentreten, um dann wie die Vertreter der Al Fatah gleich vom Dach geschmissen zu werden? Oder fliehen, nur wohin und womit?
Sind diese Fragen auch schon antisemitisch? Sind wir also alle Antisemiten, denn ausser vielleicht Markus Somm ist eigentlich niemand davon überzeugt, dass die Israelis per Definition die Guten sind. Und ihre Gegner daher unbezweifelbar die Bösen.Während ein Guter nie böse und ein Böser nie gut sein könne.
Statt den verbalen Zweihänder gegen alle zu schwingen, denen auch nur ein schräger Blick auf Israel vorgeworfen werden kann, wäre es doch sinnvoll, Lösungsvorschläge auszudenken. Denn weder der Vorwurf des Antisemitismus gegen fast alle, noch dumme Slogans wie «Free Palestine» beinhalten auch nur den Hauch eines Lösungsansatzes.
Eine Liquidierung der Hamas, sollte sie denn gelingen, schafft nur ein neues Reservoir von rachehungrigen jungen Palästinensern, die sich von einer Verliererreligion einreden lassen, dass zum Märtyrer werden, indem man Israelis tötet, das höchste Ziel im Leben wäre.
Israel ist von Staaten umgeben, die mehr oder minder intensiv einer Religion anhängen, die voraufklärerisch, mittelalterlich untaugliche Rezepte und Verhaltensvorschriften für eine moderne Zivilisation anbietet und dabei Staatsreligion ist, also kein Korrektiv kennt. Da Israel sie nicht alle vernichten kann, muss sich das Land arrangieren. Daran führt doch kein Weg vorbei, das kann ja nicht so schwer zu verstehen sein.
Der israelische Ministerpräsident Rabin und der Palästinenserführer Arafat waren einer möglichen Lösung schon sehr nahe. Aber dann wurde Rabin von einem rechtsradikalen Israeli ermordet. Kurz zuvor sagte Rabin in seiner letzten Rede vor Hunderttausenden:
«Ich bin überzeugt: Eine Mehrheit des Volkes will Frieden – und will für einen Frieden auch Risiken in Kauf nehmen. Denn die Gewalt zerstört die Grundlage der israelischen Demokratie. Wir müssen Gewalt verurteilen und zurückdrängen. Sie gehört nicht zu Israel. In einer Demokratie gibt es Meinungsverschiedenheiten. Aber Entscheidungen werden in demokratischen Wahlen getroffen. Deshalb haben wir das Mandat, das zu tun, was wir tun. Und wir werden diesen Weg fortsetzen.»
Damals sagte der heutige Ministerpräsident Netanjahu, damals Fraktionschef des Likud, einen Monat vor dem tödlichen Attentat: «Dieser niederträchtige Mörder wird von der Regierung hofiert. Diese israelische Regierung ist blind und erlaubt Arafat, seinen Plan zu verwirklichen: Die Vernichtung des jüdischen Staats!»
Ist es antisemitisch, auf diesen entscheidenden Moment in der israelischen Geschichte hinzuweisen? Wäre es nicht sinnvoller für uns europäische Intellektuellen, die sowieso aufgeregt mit dem Zeigefinger fuchteln können, aber rein gar nichts zu sagen haben und bewirken können, dass wir uns wenigstens Gedanken über Lösungen, Auswege machen, bevor vielleicht ein Atomkrieg den Nahen Osten unbewohnbar für alle macht?
Die Debatte über die jüngsten Entwicklungen dort ist bereits dermassen entgleist, dass es sinnlos geworden ist, weiter mitzudebattieren. Deshalb gibt es hier eine Nahost-Pause.