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Der moralische Kompass

Es gibt keine neue Antworten auf alte Fragen. Dennoch müssen sie immer wieder beantwortet werden.

Seit die Menschheit sich überlegt, was der Unterschied zwischen Gut und Böse ist, gibt es eine teuflisch einfache Frage: Darf das absolut Gute das absolut Böse tun, um das Gute zu befördern und das Böse zu bekämpfen?

Diese Frage wurde schon in unendlich vielen Dilemmata durchgespielt. Darf der Entführer gefoltert werden, damit er das Versteck des Entführten bekannt gibt, der zu ersticken droht? Darf der Terrorist dem Waterboarding ausgesetzt werden, damit er Zeitpunkt und Ziel eines Anschlags verrät? Darf der Geiselnehmer erschossen werden, auch wenn damit das Leben der Geisel gefährdet wird? Darf man lügen, um der Wahrheit willen?

In der Eiseskälte der reinen Vernunft Immanuel Kants gibt es darauf eine klare Antwort: «Es ist also ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot; in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein.»

Eine Lüge beeinträchtige immer den Wert der Wahrhaftigkeit. Da kann es keine Nutzenabwägung geben, laut Kant:

«Die Pflicht zur Wahrhaftigkeit ist eine unbedingte Pflicht, weil das Vertrauen auf Versprechen einer der Grundsätze ist, die die menschliche Gesellschaft zusammenhält.»

Ausgangspunkt für diese Überlegungen war ein Aufsatz von Benjamin Constant, der zu einem gegenteiligen Schluss gekommen war. Sein Gedankenspiel: darf man gegenüber einem Mörder lügen, wenn der fragt, ob sich ein von ihm verfolgter Freund zu uns geflüchtet habe? Natürlich darf man das, sagt Constant, und er begründet es so: «Es ist eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Der Begriff von Pflicht ist unzertrennbar von dem Begriff des Rechts. Eine Pflicht ist, was bei einem Wesen den Rechten eines anderen entspricht. Da, wo es keine Rechte gibt, gibt es keine Pflichten. Die Wahrheit zu sagen, ist also eine Pflicht; aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat. Kein Mensch aber hat Recht auf eine Wahrheit, die anderen schadet.»

Demgegenüber argumentiert Kant: «Denn sie (die Lüge, Red.) schadet jederzeit einem anderen, wenn gleich nicht einem andern Menschen, doch der Menschheit überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht.»

Was hat diese Debatte, die um 1797 geführt wurde, also acht Jahre nach der Französischen Revolution, die in Europa erstmals grundlegende Fragen der Moral und Menschenrechte aufwarf, mit heute zu tun? Staubt es da nicht aus längst vergangener Geschichte, wurde das in der «Dialektik der Aufklärung» nicht längst widerlegt: «Die reine Vernunft wurde zur Unvernunft, zur fehler- und inhaltslosen Verfahrensweise»?

Oder anders gefragt: gibt es übergeordnete Prinzipien, deren Verletzung eine Beschädigung der Grundsätze darstellte, «die die menschliche Gesellschaft zusammenhalten»?

So abstrakt-absurd der Gedanke auf den ersten Blick erscheint, so bedenkenswert wird sein Inhalt, wenn man ihn an aktuellen Konflikten spiegelt. Natürlich ist die Ukraine, ist der Nahe Osten gemeint. Angesichts der russischen Verbrechen und der Verbrechen der Hamas, ist da das Gute nicht berechtigt, auch Böses zu tun?

Muss man da nicht einen Schritt weitergehen und das zutiefst korrupte, autokratische System von Selenskyj, das die Presse so wie Russland zensiert und keinerlei Opposition zulässt, nicht genauso unbedingt verteidigen wie den zutiefst korrupten israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu, der mit einer Justizreform versuchte, den Rechtsstaat auszuhebeln, um selbst dem Gefängnis zu entgehen, kaum wäre seine Immunität aufgehoben?

Ist es nicht erbärmlich, wie viele sonst scharfe Denker und Analytiker zu unreflektierten Kriegsgurgeln und verbalen Blutsäufern werden, die mit der Beschreibung schrecklicher Verbrechen einer Kriegspartei die Kriegsverbrechen der anderen zu rechtfertigen versuchen?

Wenn es stimmt, dass die israelische Armee die Bewohner des Gazastreifens aufgefordert hat, den nördlichen Teil zu verlassen und in den vermeintlich sicheren Süden zu flüchten, um den dann zu bombardieren, gibt es da eine Relativierung zu den Massakern, die die Hamas verübte? Kann man sich da mit dem Gemeinen gemein machen, das Böse relativieren oder akzeptieren, dass es vom Guten verübt wird?

Die Ermordung von Bin Laden hat bei jedem vernünftigen Menschen Befriedigung ausgelöst, dennoch war sie völkerrechtlich eine illegale Handlung. Wurde damit das Gute befördert oder beschädigt? Erreicht Israel wirklich sein Ziel der vollständigen Liquidierung der Hamas – oder schafft es durch die Tausenden von Toten als Kollateralschäden nicht neue Heerscharen von todeswilligen, fundamentalistischen Wahnsinnigen? Ist es auch der Fluch der vermeintlich guten Tat, dass sie fortzeugend Böses gebiert?

Natürlich haben wir im Lehnstuhl in der wohlbeheizten Stube sitzend gut reden und schreiben. Umso lächerlicher wirken zunächst alle bis an die Zähne bewaffneten Kampfschreiber, deren Helm bis über die Augen heruntergezogen ist und sie blind für jede Reflexion macht. Sie wollen mit schrecklichen Verbrechen schreckliche Verbrechen legitimieren. Sie denunzieren jeden Aufruf zu Waffenstillstand als Unterstützung des Bösen, als Rechtfertigung böser Taten. Sie turnen mit Absolutismen durch Relatives und rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist, unter keiner Flagge.

Wie schnell geht hier mal wieder der moralische Kompass verloren. Der muss nicht so eiskalt-abstrakt funktionieren wie bei Kant. Aber etwas Reflexion sollte ausreichen, um zur ewig wiederkehrenden Antwort auf die ewige Frage zu gelangen: Nein, das Gute kann nicht grenzenlos böse werden, um das Gute zu bewahren. Es gibt eine feine rote Linie, deren Überschreiten dazu führt, dass es keinen Unterschied mehr zwischen dem Guten und dem Bösen gibt. Sondern nur noch eine Frage des Blickwinkels.

Da es (ausser für Gläubige) keine Letztbegründungen gibt, darf es auch keine unendlichen Relativierungen des Absoluten geben. Es gibt kein Gutes, das gut bleibt und nicht beschädigt werden kann durch böse Taten. Es muss immer ein Abwägen geben. Aber das ist unendlich schwierig; dummes Gepolter ist unendlich einfach.

Nicht nur, dass sich noch zur Reflexion fähige Menschen weder mit der Sache der Palästinenser noch derjenigen Israels gemein machen können. Von der Teilnahme an Demonstrationen ganz zu schweigen; da gerät man allzu schnell in schlechte Gesellschaft. Schlimmer noch: im wilden Hantieren mit Begrifflichkeiten wie Recht auf Selbstverteidigung, unschöne, aber nötige Begleiterscheinungen eines berechtigten Vernichtungskriegs, Kampf um, Sieg über, keine Verhandlungen, bis zuerst, Erpressung durch Geiseln, Inkaufnehmen von, mit all diesen Gedankentrümmerstücken verwirrter Geister, in all dem auch hier herrschenden Blasendenken, Echokammern, fanatischen Rechthabereien geht das Wichtigste verloren, gerät zumindest ausser Sicht.

Denn die Fragen, ob man um eines höheren Zwecks willen lügen darf, wann es übergesetzlichen Notstand gibt, was das Gute tun darf, um den Sieg des Bösen zu verhindern, ohne selber böse zu werden, diese Fragen sind zwar uralt, müssen aber immer wieder neu beantwortet werden. Das setzt aber voraus, dass man sich nicht im Nebel des Krieges verliert, den klaren Blick bewahrt und zunächst einmal zugibt: keiner, nicht einmal Kant, hat den Anspruch auf die einzig richtigen Antworten. Selbst der Papst hat den Anspruch auf Unfehlbarkeit aufgegeben. Im Gegensatz zu ach so vielen Kommentatoren.

Diese Erkenntnis, deren die meisten in der Hysterie des Gekreisches nicht mehr mächtig sind, wäre der einzig wahrhaft richtige Ausgangspunkt für eine sinnvolle Debatte. Bis wir den erreichen, was fraglich ist, gilt nur mal wieder Shakespeare:

And all our yesterdays have lighted fools
The way to dusty death. Out, out, brief candle.
Life’s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage,
And then is heard no more. It is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury,
Signifying nothing.

Wumms: Markus Somm

Schwatzen im Nebel des Krieges.

Somm müsste sich eigentlich um den serbelnden «Nebelspalter» kümmern, nachdem nach dem brutalen Rausschmiss des Chefredaktors der Print-Ausgabe der Versuch krachend gescheitert ist, sie dem Online-Auftritt anzunähern.

Aber es ist ein altes Phänomen, dass man sich lieber ums Grosseganze und die Welt kümmert als um das Wichtigkleine in nächster Nähe.

Also benützt Somm seine Kolumne in der «SonntagsZeitung», um mal wieder allen anderen Medienschaffenden die Knöpfe reinzutun. Schon im Titel erklärt er, wie er die Welt sieht: «Die Israelis sind die Guten». Vielleicht zeigen sich hier Restanzen seiner linksradikalen Vergangenheit. Da war es auch immer klar, wer die Guten und wer die Bösen sind. Nur: damals gehörten die Israelis sicher nicht zu den Guten für einen strammen Linken.

Als Aufhänger für seine Kolumne über die Guten nimmt er die Berichterstattung über die Explosion bei einem Spital im Gazastreifen. Bekanntlich passte die «News York Times» ihre Berichterstattung mehrfach an. Entsprechend der sich entwickelnden Informationslage, aber Somm sieht das anders: «Von Tätern war keine Rede mehr, von neuen Erkenntnissen oder neuen Quellen ebenso wenig – obschon in der Zwischenzeit die Israelis plausible Beweise vorgelegt hatten, dass es sich um eine Rakete der Palästinenser selbst gehandelt haben muss

Natürlich, wenn die per Definition und laut Somm «Guten» «Beweise» vorlegen – vielleicht sollte ein guter Journalist da von Indizien sprechen, die genauso wenig wie die Behauptungen der Palästinenser bislang von unabhängiger Seite bestätigt wurden –, dann ist die Sache doch klar.

Aber nun galoppiert Somm erst richtig los: «Es war eine Lüge, eine Hamas-Lüge, fabriziert von Hamas-Mördern, die den Tod der eigenen Leute den Israelis unterschieben wollten. Dass Terroristen lügen, kann keinen überraschen, dass aber die berühmtesten Zeitungen und Fernsehsender des Westens darauf hereinfallen, das umso mehr.»

Es mag den einäugigen Somm vielleicht überraschen, dass die «berühmtesten Zeitungen und Fernsehsender des Westens» auch schon auf Lügen der Guten hereingefallen sind. Oder hat er die «Massenvernichtungswaffen»-Lüge schon vergessen, mit der die USA samt Koalition der Willigen den Irak überfiel, was einen gescheiterten Staat und Hunderttausende von Toten hinterliess? Oder die «Brutkasten»-Lüge? Oder die Tongking-Lüge? Um nur drei Beispiele zu nennen.

Aber Somm dreht seine verbale Eskalationspirale weiter und weiter. Es sei sein Eindruck, dass es viele gäbe, «die sich danach sehnten, beide Seiten – Israelis und Palästinenser – für jede Gewalt gemeinsam verantwortlich zu machen, wie man das seit Jahren im Westen zu tun pflegt». Selbst das mag sein, aber ist es denn für Somm ausgeschlossen, dass auch die Guten für Gewalt verantwortlich sein könnten?

Immerhin, dann fällt Somm ein witziges Beispiel der Absurdität ein. Ob denn die NYT jemals eine solche Schlagzeile bringen würde: «Selenski lässt russisches Spital bombardieren, 500 Tote, sagt die Gruppe Wagner». Aber dann hört der Spass auf, wenn er behauptet: «Mördern glaubt man offenbar alles, solange sie Juden umbringen.» Das ist an Perfidie kaum zu überbieten.

Damit begibt auch er sich aus dem immer enger werdenden Raum der sinnvollen Debatte. Mit den folgenden Sätzen schlägt er krachend die Türe hinter sich zu, um in den Sumpfgebieten des Kriegsnebels zu verschwinden: «Erstens, die Israelis sind die Guten. Zweitens, die Hamas greift nicht bloss die Israelis an, sondern den Westen insgesamt. Es ist Zeit, dass wir aufhören, uns mehr zu hassen, als unbedingt nötig ist.»

Erstens: nur in alten US-Western gibt es die zweifellos Guten und die Bösen, die man alleine schon daran erkennt, dass die Bösen immer schwarze Hüte aufhaben. Zweitens, die Hamas greift nicht den Westen insgesamt an, das tun fundamentalistische Wahnsinnige insgesamt, die – wie die Hamas – von fanatisch islamistischen Regimes finanziert werden. In diesem Fall vom Iran, in anderen Fällen von Saudiarabien. Da aber das wahhabistische Scheich-Regime ein guter Freund des Westens ist, logen die westlichen Guten auch herbei, dass die Terroristen von Al-Kaida von Saddam Hussein unterstützt worden seien – obwohl sie alle Saudis waren und Bin Laden der bedeutenden saudischen Baufirma gleichen Namens angehörte.

Daher sollten wir – drittens – solchen Schwaflern wie Somm nicht mehr glauben, als unbedingt nötig ist.

Daher muss sich der gute (wie auch der schlechte) Leser eine einfache Frage stellen: will er sich wirklich von Organen informieren lassen, die von einem solchen einäugigen Propagandaplapperer mit infantiler Schwarzweiss-Weltsicht geleitet werden?

Während Somm so die Welt in gut und böse ordnet, versucht es der «Nebelspalter» mit dem gefühlt zehnten Relaunch, Redesign und «alles neu». Statt harter oder weicher Bezahlschranke ist nun alles gratis, wenn man vorher Werbung konsumiert. Ein solch hilfloses Geruder hat es in der jüngeren Schweizer Mediengeschichte noch nie gegeben. Das ist jenseits von Gut und Böse. Das ist einfach inkompetent.

Kriegsberichterstattung

Vorwärts, wir ziehen uns zurück.

Das war ein berühmter Spruch in der Nazi-Armee. Und wohl nicht nur dort. Die Nebel des Krieges verbergen meistens sehr schnell, was sich wirklich auf dem Schlachtfeld abspielt.

Dennoch ist es verblüffend, dass auch im 21. Jahrhundert mit all seiner Informationstechnologie, mit Drohnen, mit Satelliten, mit tonnenweise Aufklärungsmaterial es völlig unklar ist, wie es nun um die angebliche ukrainische Offensive steht.

Angeblich deswegen, weil sie nicht einmal offiziell bekanntgegeben wurde. Aber abgesehen davon, wie sieht denn die Lage aus? «Ukraine meldet Vorankommen bei Bachmut», weiss «watson». Gut, das ist bekanntlich ein Quatsch-Organ. In seiner umgetauften Rubrik «Russlands Krieg» vermeldet hingegen Tamedia neutraler:

«Mit Blick auf die laufende Gegenoffensive gegen den Aggressor Russland meldet die Ukraine schwere Kämpfe an mehreren Frontbereichen insbesondere im Osten. Russische Truppen griffen bei Awdiiwka, Marinka und Liman im Donezker Gebiet an, schrieb die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Sonntag auf Telegram. Auch bei Swatowe im angrenzenden Gebiet Luhansk rückten die Besatzer demnach weiter vor. «Dort toben heftige Kämpfe. (…) Die Situation ist ziemlich kompliziert.»

SDA weiss hingegen: «Kiew: 37 Quadratkilometer innerhalb einer Woche befreit». Pessimistischer ist die NZZ: «Ukrainische Offensive kommt trotz westlichen Waffen nur langsam voran. Kampf- und Schützenpanzer aus den Nato-Staaten können bisher nicht die Wende bringen – Berichte über Verluste häufen sich».

Ganz anders schätzt der «Blick» die Lage ein: «Die Ukrainer rücken vor. Nachdem sie die strategisch wichtige Stadt Cherson schon Ende 2022 zurückerobert haben, dürfte bei der laufenden Gegenoffensive auch die vor kurzem verlorene Stadt Bachmut bald wieder in ihre Hände fallen.»

ZACKBUM fasst zusammen. Es gibt schwere Kämpfe und die Russen greifen an. Dagegen haben die Ukrainer einige Quadratkilometer befreit und werden bald Bachmut wieder einnehmen. Allerdings häufen sich die Berichte über schwere Verluste.

Das alles sind Meldungen vom gleichen Tag, wohlgemerkt. Es ist schlimmer als damals bei Fukushima, wo wochenlang ein wildes Potpurri von allen möglichen Spekulationen von «halb Japan verstrahlt» bis zu «alles nur halb so schlimm» zu haben war. Wobei dann  am Schluss «alles nur halb so schlimm» siegte. Aber das ist natürlich keine News, die sich zu einer Schlagzeile aufpumpen lässt.

Genauso wenig wie die News, dass offensichtlich keinerlei objektivierbare Informationen über den Verlauf der Offensive erhältlich sind. Es kommt einfach darauf an, ob man mehr der ukrainischen oder der russischen Kriegspropaganda glauben will. wobei Kriegspropaganda per Definition das Gegenteil der Wahrheit ist.

Aber womit sollten arm und lahm geschrumpfte Redaktionen ohne grosse Fachkompetenz sonst die Spalten und Webauftritte füllen? Sie versuchen es ja schon verzweifelt mit allen möglichen und unmöglichen Ratgebern, mit dem Herausquetschen der letzten Newstropfen aus Rammstein, selbst mit der Blöd-Frage «Wieso sieht Indiana Jones aus wie 37»?

Aber einen veritablen Krieg, den kann man nicht einfach mit der Schlagzeile abhandeln: Die Lage ist unübersichtlich, und niemand weiss etwas Genaueres. Obwohl das die Wahrheit wäre.

Ein Mops kommt selten allein

Kopflose Satire, Dauerfeuer und andere Aufregungen. Es wird gemopst, gekeift und gefuchtelt.

In der öffentlichen Debatte schenkt man sich nichts. Vor allem, wenn es nicht mehr um inhaltliche Auseinandersetzungen geht, sondern um gegenseitiges Fertigmachen. Dabei kann man dann irgendwann nur noch Stilnoten verteilen oder eine Bewertung von Erfolg, bzw. Misserfolg vornehmen.

Im Schlachtgetümmel, das sind die Nebel des Krieges, ist schnell nicht mehr ersichtlich, was Ursache, was Wirkung, was Anlass, was Reaktion ist. Sobald der Deckel vom Topf fliegt und das Gebräu überkocht, ist das Thema Erkenntnisgewinn durch Debatte erledigt.

Tölpelei, Heuchelei, Unterstellungen, Unter- und Übergriffe, alles erlaubt, alles gern genommen. Dann wird einfach geholzt, gerempelt und die Blutgrätsche mehr oder minder elegant praktiziert.

Selten gibt es parallel zwei Beispiele dafür, bei denen vor allem unglaubliche Heuchelei auffällig ist. Zum einen regt sich Tamedia – zu Recht – über eine idiotische Karikatur eines anonymen Organs namens «megafon» auf. Das wiederum hatte sich über eine Bemerkung einer Tamedia-Journalisten aufgeregt, die häufiger mit Todesmetaphern arbeitet.

Man darf nicht alles. Freiheit muss Grenzen haben

Nun darf ungeniert geprügelt und gehauen werden, verbal und auch im Bild. Ausser, man verstösst dabei gegen Gesetze. Ob es gegen Sachen oder Personen geht: nicht alles, was dem Autor Spass macht, ist erlaubt. Die Bank X ist eine kriminelle Vereinigung – geht nicht. Person Y ist ein verlogener Betrüger – geht nicht.

Allerdings sind die Gesetze unvollkommen und auslegungsbedürftig. Wer sich einen guten Anwalt leisten kann, ist im Vorteil. Wer das durch Cleverness, Geschick, Verschleierung, Umschreibung ersetzt, auch. Wer primitiv holzt, kracht meistens früher oder später an die Bande der Grenzziehung durch entsprechende Artikel in den Gesetzbüchern.

Zum einen – anonym macht mutig – zeigte ein Kollektiv aus dem Umfeld der Berner Reitschule, dass man nicht in Windeln und kurzen Hosen bei den Grossen mitspielen sollte. Vor allem, wenn man die Spielregeln nicht beherrscht. Also desavouierten die eine durchaus bedenkenswerte Kritik an einer Formulierung durch einen schlichtweg brunzblöden Karikaturversuch. Nicht minder dumm solidarisierten sich einige Verwirrte, meistens ebenfalls anonym, mit dieser Geschmacklosigkeit, darunter auch die grosse Kämpferin gegen Hate Speech im Internet, Jolanda Spiess-Hegglin.

The Empire strikes back, of course

Daraufhin schlug das Tamedia-Imperium zurück und skandalisierte die Karikatur. Das rief natürlich politische Gegner der ganzen Reitschule-Veranstaltung auf den Plan, darunter so leuchtende Gestalten der gepflegten politischen Auseinandersetzung wie den SVP-Nationalrat Andreas Glarner. Der hofft, dass durch diese positive Erwähnung seine Feindin Spiess-Hegglin staatliche Subventionierung gestrichen bekommt, «dafür sorge ich persönlich» droht er.

Keiner zu fein, Mops zu sein.

Andere, wie der SVP-Nationalrat und Chefredaktor der «Weltwoche» Roger Köppel, benützen die Gelegenheit, von symbolisch geköpften Journalisten zu real geköpften eine Blutlinie zu ziehen und damit die Urheber der Karikatur zu diskreditieren. Nach längerem Brüten wirft sich auch der Oberchefredaktor von Tamedia in die Wirtshausschlägerei und kündigt eine Strafanzeige an. Allerdings dachte auch er nicht lange genug nach und donnerte am Schluss seines rund 60 Stunden post festum veröffentlichten Kommentars, dass es sich hier um linke Volksverhetzung handle.

Den Zusatz «wie wir sie bei Rechtsextremen erwarten und wie wir sie eigentlich seit 1945 bei uns überwunden glaubten», streicht der Schriftleiter schnell wieder aus seinem Kommentar, nachdem ihm offenbar bedeutet wurde, dass das nun doch zu bescheuert sei.

Das «megafon» hatte schnell die Karikatur gelöscht und sich dafür bei der Betroffenen entschuldigt. Allerdings können es die anonymen Schreibtischtäter nicht lassen, mit einer länglichen «Stellungnahme» nochmals ihren Standpunkt zu verdeutlichen.

«Vorgeschichte, satirischer Flügel, hätte erledigt sein können, aus dem satirischen Kontext gerissen, eskaliert, irreführend».

Selbstgerechtes Gejammer über eine Geschmacklosigkeit, die auch durch Löschung nicht aus der Welt geschafft werden kann. Plus breitbeiniges Gehabe: «Der Strafanzeige des 935 Millionen schweren Medienkonzerns schauen wir mit Gelassenheit entgegen. Wir vertrauen darauf, dass die Satirefreiheit in der Schweiz auch für misslungene Werke gilt.»

Keiner zu klein, mopsig zu sein.

Gut, sie haben’s immer noch nicht kapiert, aber was soll’s. Zusätzlich für Verwirrung sorgten natürlich wilde Ausflüge in die Thematik «was darf Satire?». Gelehrtere Klugscheisser verwiesen auf Kurt Tucholsky, andere brachten «Charlie Hebdo» ins Spiel, man solidarisierte sich, brachte seinen Abscheu zum Ausdruck, verstieg sich in Verästelungen und Nebenschauplätze – wie üblich halt, wenn haltlose Intellektuelle schlaumeiern wollen. Verbale Gewalt, reale Gewalt, Anstand oder Freiheit, Klein gegen Gross, links gegen rechts. Schiessscharte auf, Feuer, Schiessscharte zu. Ungefähr so sinnvoll wie die Schlacht bei Verdun.

Kopf ab furchtbar, Theatermord entschuldbar

Gleichzeitig feuerte aber ausgerechnet Tamedia selbst aus allen Rohren gegen einen SVP-Posseli, der fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Ausdruck «Feuer frei!» verwendet hatte. Mit viel bösem Willen liess sich daraus konstruieren, dass er damit provozieren könnte, dass jemand diese Aufforderung ernst und wörtlich nehme. Erschwerend komme noch hinzu, dass sich ein SVP-Regierungsrat davon doch tatsächlich nicht «distanziere», dieser als Biedermann verkleidete Brandstifter.

Dass im gleichen Organ ein sogenannter Kulturredaktor auch schon einen Mordaufruf gegen Roger Köppel als im Kontext zu verstehenden «Theatermord» verniedlichte, das ist schon längst aus dem Kurzzeitgedächtnis der Öffentlichkeit gefallen. Aber angesichts dieser Heuchelei bei Tamedia erscheint die Haltung des «megafon» zumindest einigermassen reflektiert.

Falls die dort tätigen «Redaktor*innen» allerdings mal aus den Windeln herauswachsen wollen, sollten sie sich das zu Herzen nehmen: wenn man einen Stink gemacht hat, dann sollte man ihn – sobald dazu in der Lage – so schnell wie möglich wegräumen. Den Raum lüften und aufs Vergessen hoffen. Aber nicht noch weiter drin rumrühren, die Wände damit beschmieren und markig «Gelassenheit» markieren. Vielleicht könnte auch helfen:

  • Masse mindert Moral. Anonymität mehrt feigen Mut.

Wer wenigstens mit seinem Namen hinter seinen öffentlichen Aussagen steht, überdenkt sie vielleicht das Sekündlein länger, das dann ausreicht, um noch rechtzeitig den Weg zur Kloschüssel statt ins Netz zu finden.