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Halte ein, lieber Roger

Nicht einreissen, was Du so fleissig aufgebaut hast.

Stellen wir die Packungsbeilage gleich an den Anfang. Ich publiziere gelegentlich in der «Weltwoche». Aus zwei einfachen Gründen. Weil man mich lässt. Und weil ich zu allem meine Meinung sagen kann, sogar eine kritische zur Überfigur. Denn die Wochenzeitschrift ist das einzige mir bekannte Organ, das sogar einen Verriss ihres Chefredaktors gerne nachdruckt. Wenn’s knackig geschrieben und intellektuell genussvoll zu lesen ist.

Das ist und bleibt ein Alleinstellungsmerkmal. Dazu normalerweise in einer wöchentlichen Ausgabe mehr Brainfood als in einer ganzen Woche Tamedia oder CH Media Dünnbrettbohrerei. Seitdem sich Roger Köppel auch noch gute Laune verordnet hat, weicht sogar – möglicherweise hilft einsetzende Altersweisheit auch – die früher präsente Verkniffenheit, dieses schmallippig Austeilen, einem mehr relaxten Ton.

Ausser, er fällt in alte Reflexe zurück und will einfach der Anti-Man sein. Der, der das Gegenteil sagt. Wobei Gegenteil eigentlich nicht ideologisch oder erkenntnistheoretisch verwurzelt ist. Neben dem für einen SVP-Politiker üblichen Rhabarber über Freiheit, Verantwortung und kleiner Staat, und lange lebe die Marktwirtschaft, ist Köppel kein Ideologe.

Köppel tut unbestreitbar Gutes

Er ist mehr jemand, der sich dorthin stellt, wo ihm eine steife Brise entgegenweht. Da er ein nicht unbegabter mündlicher und schriftlicher Polemiker ist, kommen seine dagegen meist verzwergenden publizistischen Gegner schnell ins Hyperventilieren oder Keifen. Oder sie machen das Cleverste: gar nicht erst ignorieren.

Das gilt vor allem, wenn Köppel etwas unbestreitbar Gutes macht. Wie den Ausbau seines Feuilletons mit einem begabten Leiter. Daniel Weber wurde allenthalben fassungslos vorgehalten, wie er denn nur bei diesem Gottseibeiuns an Bord gehen könne. Dass inzwischen das Kulturangebot der WeWo auf Augenhöhe mit dem der NZZ ist, während alles andere, was in der Schweiz in der Publikumspresse publiziert wird, zu einem kläglichen Witz schrumpft, das wird mit finsterem Schweigen quittiert.

Dabei hat das Elend einen Namen. Wenn eine Nora Zukker sich Literaturchefin nennen darf, im Grossressort assistiert von Toblers, Losers und anderen Flachzangen, dann kann’s eigentlich nicht mehr tiefer sinken.

Sympathiepunkte dank Gegnern

Bei Köppel gilt dagegen das Gleiche wie bei Putin. Der einzige Grund, ihn restlos sympathisch finden zu wollen, der liegt in der unsäglichen Flachheit der meisten seiner Kritiker. Dieses Kriegsgedöns gegen Putin, dieser vollständige Verzicht darauf, Hintergründe aufzuzeigen, diese ewige, klischeehafte Wiederholung der gleichen Adjektive, erbärmlich. Dass Putin inzwischen zum Wahnsinnigen mutiert ist (was er sicherlich nicht ist), dass seine Handlungen nur noch mit psychopathologischem Besteck seziert werden, dass es eigentlich nur unschuldige und gute Ukrainer gibt, gegen schuldige und schlechte Russen, das ist Weltberichterstattung wie vor dem Ersten Weltkrieg.

Nun ist aber Putin, bei allem Verständnis, unter Bruch aller Abmachungen in die Ukraine einmarschiert. Neben allen weitere Auswirkungen: wird sich jemals ein Land wieder ernsthaft überlegen, sich freiwillig von seinem Atomarsenal zu trennen? Gegen die Zusicherung, niemals in seiner territorialen Integrität in Frage gestellt zu werden? Ist es nicht als Kollateralschaden so, dass einige Länder ihre Anstrengungen, Atommacht zu werden, verdoppeln? Aus der einfachen wie richtigen Überlegung: hätte die Ukraine ihr Atomwaffenarsenal nicht an Russland zurückgegeben, hätte es sich Putin zweimal überlegt, dort einzumarschieren. Da er es tat, ist er ein rücksichtsloser Verbrecher.

Dass Roger Köppel wie immer eloquent und mit überreichlich Munition ausgestattet auch in der Ukrainefrage gegen den Strom schwimmt, wieso nicht. Aber jetzt kommen wir zu einem Problem, das innerhalb dieser Debatte um Putin, Ukraine und die Osterweiterung nicht lösbar ist.

Wenn man sich peinlich im Vokabular vergreift

Wie der Westen die Interessen Russlands negiert hat, das sei vergleichbar mit dem Versailler Vertrag? Ein Gequatsche des mehrfach behinderten Wilhelm Zwo vor dem Ersten Weltkrieg kann als Beispiel zum psychologischen Verständnis der Ukrainekrise dienen? Ein offensichtlich drittklassiger Machtstratege wie Putin wird in Stellung gebracht gegen «westliche Dekadenz»? Nur weil der Körperkultler mit nacktem Oberkörper auf einem Ross fotografieren wird, ohne dass ihm das peinlich wäre?

Also der stellvertretende Körperkult eines Schreibtischheros, der früher auch einem Ruderextremismus huldigte und deshalb eine Wesensverwandtschaft mit «ich bin ein richtiger Mann»- Putin verspürt?

Pardon, Roger, halte einmal ein. Das ist Nazivokabular. Alle Statuen eines Arno Breker, dem Lieblingskünstler von Adolf Nazi, zeichnen sich durch eines aus: gut ausgebildete Körper, kleine Köpfe und dem Fehlen jeder Nachdenklichkeit, jedes Zweifels jeder Schwäche.

Leider waren ihre Entsprechungen im sozialistischen Realismus des Kunst- und Kulturbanausen Stalin auch nicht besser. In beiden Denksystemen ging es um das Gesunde, Fortschrittliche gegen das Kranke, Rückschrittliche. Das Starke zermalmt das Schwache. Wer zu viel grübelt, ist dekadent, schwächlich, ein Bourgeois, schädigt den gesunden Volkskörper.

Übergeordnet einem primitivem Antisemitismus verschrieb man sich dem Kampf gegen das Dekadente, das, was Köppel als die «Woke»- und «Cancel-Culture», der unsere Intellektuellen und viele unserer Politiker so inbrünstig huldigen», beschimpft.

Wer viel spricht und schreibt, produziert auch mal Mist. Da darf man nicht den gleichen Fehler wie Köppel machen und ihn kurzerhand als angebräunten Denker denunzieren. Aber eine Richtigstellung dieses Ausrutschers wäre angebracht.