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Drôle de guerre

Sitzkrieg, komischer Krieg, phony war. Auch das gab’s im Zweiten Weltkrieg.

ZACKBUM gestattet sich, diesen Begriff für Randerscheinungen des Ukraine-Kriegs zu verwenden.

Denn der Krieg ist überall. Auch in der Sphäre der Kunst und Kultur. Die russische Sängerin Anna Netrebko wurde vom Opernhaus Zürich der Stecker gezogen. Hatte sie sich im Ton vergriffen, gab es künstlerische Differenzen über die Lokalisierung des hohen C?

Keineswegs, die kunstlose Begründung lautet, «dass unsere entschiedene Verurteilung von Wladimir Putin und seinem Handeln einerseits und Anna Netrebkos öffentliche Position dazu andererseits nicht kompatibel sind». Was soll mit dieser Position Netrebkos nicht kompatibel sein? «Ich möchte, dass dieser Krieg aufhört und die Menschen in Frieden leben können. Das erhoffe ich mir und dafür bete ich.»

Oder könnte es sein, dass nicht das Opernhaus auslud, sondern Netrebko ihr Statement auch auf Zürich bezog: «Es ist nicht die richtige Zeit für mich aufzutreten und zu musizieren. Ich hoffe, dass mein Publikum diese Entscheidung verstehen wird

Also der klassische Showdown. «Ich kündige», sagt der verstimmte Arbeitnehmer. «Ha, keinesfalls, Sie sind gefeuert», keift der missgelaunte Arbeitgeber zurück.

Wieso kam es überhaupt zu dieser Situation? Der Tagi weiss: «So wurde gefordert, dass ein Auftritt von Netrebko nur stattfinden sollte, wenn sie sich unverzüglich von Russland und Putin distanzieren würde.»

Wieso wird diesem Wahnsinn nicht entgegengetreten?

Welche Schiessscharten-Mentalität bringt solche Absurditäten hervor? Darf eine Sopranistin die Lady Macbeth nur singen, wenn sie vor der Arie eine kurze politische Erklärung verliest? Sind wir wirklich so weit, dass die Frage «wie hältst du es mit Putin?» von jedem in jedem Zusammenhang beantwortet werden muss? Welche moralinsaure Grossinquisitoren kommen auf solche Ideen? Und wieso wird diesem absurden Ansinnen nicht mit aller Klarheit entgegengetreten?

Der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker wurde vom Oberbürgermeister der Stadt ultimativ aufgefordert, sich per sofort «eindeutig und unmissverständlich vom brutalen Angriffskrieg, den Putin gegen die Ukraine führt», zu distanzieren. Als  Valery Gergiev dem nicht nachkam, wurde er gefeuert. Dass deswegen der deutsche Steuerzahler wohl das streng geheimgehaltene Gehalt des Dirigenten noch drei Jahre lang bezahlen darf, nun, das muss einem Haltung doch wert sein. In diesem Fall dürfte es sich um läppische drei Millionen Euro handeln.

Flexibler ist der Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Der Russe Vladimir Jurowski liess ausser Programm die ukrainische Nationalhymne erschallen, «während das Publikum sich von den Sitzen erhebt». Zeichen setzen, nicht schweigen können, diese Stelle scheint gerettet und gefestigt zu sein.

Kann Kunst politisch sein? Unbedingt. Sollen Künstler zu politischen Stellungnahmen aufgefordert werden mit der Drohung, dass sie sonst Auftritt oder Stelle verlieren? Unbedingt nicht. Darf man das wenigstens bei Künstlern machen, die angeblich oder wirklich «Putin nahestehen»?

«Wie hältst du es mit, bist du dafür oder dagegen?» Das ist die klassische inquisitorische Frage, die normalerweise in fundamentalistischen Religionsstaaten gestellt wird. Wer früher in Europa kein klares Bekenntnis zu Gott ablegte oder Zweifel an der Bibel äusserte, konnte unangenehm Bekanntschaft mit ingeniösen Folterwerkzeugen machen, mit denen man seine unsterbliche Seele retten musste.

Fundamentalistische Staaten fordern das bis heute ein

In vom islamistischen Wahnsinn beherrschten Staaten ist das bis heute der Fall. Im Kalten Krieg war es auch Brauch, von jedem eine Distanzierung vom damaligen roten Reich des Bösen abzufordern.

Wer nicht den Kopf neigte und tiefsten Abscheu vor den gottlosen Kommunisten beteuerte, konnte durchaus gröbere Konsequenzen gewärtigen. Eigentlich so wie heute wieder. Öffentliche Stigmatisierung, Beschimpfung, Entlassung.

Das gerade auf dem Gebiet der Kunst solche Polit-Ayatollahs unterwegs sind, beelendet. Als wäre es jemals jemandem eingefallen, von einem US-Künstler zuerst eine deutliche Distanzierung von den gesammelten Kriegsverbrechen diverser US-Präsidenten zu verlangen und davon seinen Auftritt abhängig zu machen.

Natürlich werden mit viel Hirnschmalz Gründe aufeinandergestapelt, wieso man keine Musik hören könne, sollte sie unter Beteiligung eines Künstlers aufgeführt werden, dem

a) eine gewisse Nähe zu Putin nachgesagt wird, und der

b) sich nicht entrüstet von ihm distanziert hat.

Vermeintliche Rechtschaffenheit und moralische Überlegenheit kann ganz, ganz schnell in moralinsauren Mundgeruch mit hohem Fanatismusfaktor umschlagen. Und nein, ZACKBUM will und muss sich nicht von Präsident Putin distanzieren. Wir hatten noch nie die Ehre, an diesem absurd langen Tisch sitzen zu dürfen. Wir hätten auch keine Lust, mit nacktem Oberkörper neben ihm zu reiten. Zudem will es scheinen, dass Putin ein zutiefst humorloser Mensch ist, was seine Gesellschaft sowieso als nicht erstrebenswert erscheinen lässt.

Neben dem Gesang und dem Orchester gibt es auch noch den völkerverbindenden Sport. Da beginnen am Freitag in Peking die Paralympics, also die olympischen Spiele von Behinderten. Was nun auf jeden Fall eine gute Sache ist, weil es so vielen erlaubt, trotz Einschränkungen stolz und öffentlich an Wettkämpfen teilzunehmen. Das dürfen auch die Sportler aus Weissrussland und Russland.

Dieser regelkonforme Entscheid des Internationalen Paralympischen Komitees (IPK) kommt nun aber dem militanten Sportredaktor Marco Oppliger ganz schräg rein:

Hoppla, wieso springt denn der Tamedia-Mensch in den Schützengraben und lässt sein verbales Maschinengewehr rattern? Zitieren wir eine Garbe:

«Das IPK will mit seinem Entscheid offensichtlich die betroffenen Länder bestrafen, aber nicht deren Sportlerinnen und Sportler. Das mag gut gemeint sein. Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Ganz im Gegenteil: Der Entscheid des IPK ist an Feigheit nicht zu überbieten. Seit Tagen lässt Putin die Ukraine bombardieren. Dabei sterben immer mehr Menschen – nicht nur Soldaten, auch Zivilisten, Frauen und Kinder. Nun müssen ukrainische Sportlerinnen und Sportler gegen russische antreten, und dies nur, weil sich das IPK hinter Paragrafen versteckt.»

Das muss so schlimm gewesen sein, dass sogar hartgesottene Sportfunktionäre zusammenbrachen: «Geradezu fassungslos machen die Erzählungen von Karl Quade, dem deutschen Chef de Mission bei den Paralympics, in der ARD. Im Haus der russischen Delegation sei Jubel ausgebrochen, als IPK-Präsident Andrew Parsons den Entscheid verkündet habe, sagt Quade. Dann muss er das Interview sichtlich betroffen unterbrechen.»

Man stelle sich nur vor: die russischen Athleten haben gejubelt. Diese Unmenschen. Wie können die nur das wollen, was jeder Sportler will und worauf er sich vier Jahre lang vorbereitet: an den Wettkämpfen teilnehmen. Aber hätten diese Behinderten nur etwas Ehre im Leib, wären sie in Tränen ausgebrochen, hätten den deutschen Chef umarmt und darum gebeten, den Entscheid sofort rückgängig zu machen.*

Aber eben, auch auf Oppliger hört halt niemand, selbst wenn er mit Verbalinjurien um sich wirft. Feige von seinem Schreibtisch aus im mit russischem Erdgas wohlbeheizten Büro. Was für ein Schmock.

Letzter Beitrag zum drôle de guerre: Coop und Globus lassen ihre russischen Produkte auslaufen. Das wird die Russen in der Diaspora hart treffen: kein Wodka mehr, kein Kaviar? Sauf ihn doch selbst, Putin! Gemach, im Kapitalismus gibt es immer Mitbewerber, die gerne in die Lücke springen, die Verpeilte hinterlassen.

*Aktualisiert: Es ist gelungen; die Sportler sind nun doch von den Paralympics ausgeschlossen. In normalen Zeiten würde man das Diskriminierung von unschuldigen Behinderten nennen. Heute nennen es Kriegsgurgeln wie Oppliger sicher mutig und richtig.