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Der Fall Prigoschin

Ein genauerer Blick auf seine Feinde und mögliche Mordmotive. Und nein, der Täter ist nicht der, den Sie vielleicht vermuten!

Von Felix Abt

Joe Biden reagierte auf die Nachricht von Prigoschins Tod mit der Aussage: «Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt«, und insinuierte damit, dass der russische Präsident der Anstifter für die Ermordung des Chefs der russischen privaten Söldnerarmee PMC Wagner war. Ein amerikanischer Präsident kennt sich sicher aus in aussergerichtlichen Exekutionen, da dies zu seinem eigenen Aufgabenbereich gehört. Die letzte Tötung, von der wir wissen, dass dieser Oberbefehlshaber dafür verantwortlich ist, war die Ermordung einer unschuldigen zehnköpfigen Familie in Kabul durch einen US-Drohnenangriff.

Das Urteil vieler im Westen wurde sofort nach Bekanntwerden der Nachricht gefällt, reflexartig, ohne Klärungen und Untersuchungen abzuwarten und ohne über mögliche Täter und Motive nachzudenken.

Der Spiegel ist durchaus repräsentativ für die Leitmedien im deutschsprachigen Raum. Und wenn er nicht gerade Lügen à la Relotius verbreitet, dann zumindest dümmliche antichinesische oder antirussische Propaganda, einschliesslich einer Verschwörungstheorie, in der zwangsläufig der pöhze Putin die Hauptrolle spielt.

Warum sollte man sich also nur auf eine Partei, die Russen und Putin, konzentrieren, wenn Prigoschin viele Feinde hatte? Dass Prigoschins gescheiterte Meuterei zu einer tiefen Kluft mit Putin und dem russischen Staat führte, ist unbestritten.

Eine Chance für Prigoschins Feinde

Aber gerade diese Tatsache könnte viele seiner Feinde zu der Überzeugung gebracht haben, dass Prigoschin sehr verwundbar war, weil er nicht mehr unter dem Schutz des russischen Staates stand und die russischen Behörden möglicherweise keine Massnahmen ergriffen, um seinen Tod zu rächen. Wäre das nicht ein Anreiz, eine willkommene Gelegenheit, auf die seine Feinde schon lange gewartet hatten, um Prigoschin loszuwerden?

Die Affäre wird vielleicht nie ganz aufgeklärt werden, vor allem bei jemandem wie Prigoschin, der einen Grossteil seines Lebens im Verborgenen verbracht hat, und wir werden vielleicht nie ein vollständiges Bild von den Geschehnissen bekommen, und die Hintermänner sind vielleicht nicht zu fassen.

Dennoch sollten wir tun, was westliche Politiker und ihre Medienpartner nicht tun:

Ein Blick auf die möglichen Mörder und ihre Motive

Bevor wir mögliche Verdächtige überprüfen, sollten wir die Möglichkeit eines Unfalls in Betracht ziehen, der nicht völlig ausgeschlossen werden kann: Das Embraer-Flugzeug von Prigoschin war alt und wurde vom Embraer-Flugzeughersteller aufgrund westlicher Sanktionen schlecht gewartet und gepflegt. Prigoschin und seine Befehlshaber waren sicherlich leichtsinnig, als sie dieses Flugzeug gemeinsam flogen. RT berichtete, dass Prigoschins Pilot nach einer Impfung an einer Herzmuskelentzündung litt und erwähnte die Möglichkeit, dass ein Herzinfarkt den Absturz verursacht haben könnte. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Menschen ihm den Tod wünschten, ist es wahrscheinlicher, dass sein Tod durch einen Mord als durch einen Unfall verursacht wurde.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Absturz durch eine Luft-Luft- oder eine Boden-Luft-Rakete verursacht wurde. Die Explosion wurde wahrscheinlich durch eine Bombe an Bord verursacht.

Prigoschin hatte ein aussergewöhnliches Leben mit vielen Aktivitäten, die oft umstritten und gewalttätig waren und ihm viele Feinde einbrachten, die als Täter betrachtet werden könnten:

Es könnte das Ergebnis eines internen Machtkampfes innerhalb der PMC Wagner gewesen sein. Harte, rücksichtslose Männer, die aus allen möglichen Gründen extrem wütend auf Prigoschin waren und sich auch durch die Organisation der Meuterei angegriffen fühlten, könnten Rache genommen haben. Sie kannten seine Reisepläne und könnten sein Sicherheitspersonal infiltriert und eine Bombe platziert haben.

Freunde und Familien von gefallenen Wagner-Soldaten hätten sich für die Zehntausenden von Männern rächen können, die, wie Prigoschin zugab, in die Schlacht geworfen wurden und dort starben. Selbst das russische Verteidigungsministerium (und Putin) waren entsetzt über die Art und Weise, wie er es tat (weshalb die russische Regierung im Februar 2023 die Rekrutierungsverfahren änderte und Prigoschin nicht mehr erlaubte, Gefangene zu rekrutieren, und die Rekrutenausbildung verlängern musste). Viele dieser Personen haben einen kriminellen, gewalttätigen Hintergrund und sind möglicherweise wütend darüber, dass er den Tod ihrer Angehörigen und Freunde verursacht hat. Kriminelle Netzwerke könnten sich an Wagners gewandt haben, um eine Bombe im Flugzeug anbringen zu lassen.

Andere Menschen in Russland: Einige Oligarchen sympathisierten mit Prigoschin und seiner Meuterei. Nachdem die Meuterei gescheitert war, wollten sie ihn möglicherweise zu ihrer eigenen Sicherheit loswerden, um nicht entdeckt zu werden. Möglicherweise haben sie Wagners korrumpiert und ihn ermorden lassen.

Unmittelbar vor dem Absturz seines Flugzeugs in der Nähe von Moskau war Prigoschin in Afrika. Dort traf er mit Regierungsvertretern aus der Zentralafrikanischen Republik zusammen, denen er Sicherheitsunterstützung zusicherte.

Er traf auch sudanesische Milizenführer, die gegen die sudanesische Regierung kämpfen, und beriet sich mit Regierungsvertretern aus Mali. In seinem letzten Video, das er während seines Aufenthalts in Afrika aufnahm, erklärte er, dass er den Afrikanern helfen wolle, das Joch des Westens abzuschütteln.

Die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland warnte die afrikanischen Regierungen vor einer Zusammenarbeit mit Wagner. Die Vereinigten Staaten sprachen sich auch gegen die Anwesenheit Wagners in Belarus aus. Prigoschin wollte den Einfluss Russlands in Afrika ausweiten und überschritt damit eine von den Vereinigten Staaten gesetzte rote Linie. Die USA hatten also auch ein Motiv, ihn loszuwerden, und mit der grössten und ausgefeiltesten Geheimdienstorganisation der Welt wären sie auch in der Lage, eine solche Aktion zu organisieren, wie sie es in der Vergangenheit getan haben.

Frankreich sieht seinen Einfluss in Westafrika schwinden und ist umso besorgter über den Einfluss Wagners und hatte daher ein Motiv, Prigoschin ebenfalls zu töten, auch wenn es im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten möglicherweise nicht über die Möglichkeiten für eine solche Operation innerhalb Russlands verfügt.

Prigoschin mag in Afrika einige mächtige Freunde gehabt haben, aber er hatte auch einige ernsthafte Feinde, da er mit allen möglichen zwielichtigen Gestalten zu tun hatte, darunter auch mit Leuten aus dem Blutdiamantengeschäft, die ihn möglicherweise aus eigenen Gründen loswerden wollten.

Präsident Selensky bestritt, irgendetwas mit dem Tod Prigoschins zu tun zu haben. Aber sein Wort könnte genauso viel wert sein wie seine Behauptung, Russland habe Polen mit einer Rakete angegriffen, die polnische Bürger getötet hat, obwohl es sich um eine ukrainische Rakete handelte. Auf der ukrainischen «Myrotvorets«-Attentatsliste war Prigoschin ein prominentes Ziel. Andriy Yermak, Leiter des Büros von Präsident Selenky, und Mykhailo Podolyak, Berater von Selensky, haben in der Vergangenheit erklärt, dass sie Prigoschin in die Hölle schicken wollen. Die Ukraine hat auf eigene Faust eine Reihe von Russen auf russischem Boden ermordet. Diese Operationen waren ziemlich raffiniert. Sie hätten das Motiv und die Fähigkeit, Prigoschin innerhalb Russlands zu töten.

Allein der Zeitpunkt und die Umstände sprechen gegen ein Motiv des Juristen Putin

Jeder Medienkonsument weiß, dass Putin ein ehemaliger KGB-Offizier war. Weniger bekannt ist, dass er in St. Petersburg Jura studiert und einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften hat. Diejenigen, die ihn näher kennen, wissen, dass er vorsichtig ist, vielleicht ein Teil des Juristen Putin, und berechnend. Selbst wenn er Prigoschin loswerden wollte, würden der Zeitpunkt und die Umstände gegen ein solches Vorgehen sprechen. Immerhin hat Putin grosse Anstrengungen unternommen, um einen reibungslosen BRICS-Gipfel mitzuorganisieren und den BRICS-Ländern zu versichern, dass Russland stabil ist. Prigoschins Flugzeug samt Piloten und Besatzung mitten auf dem BRICS-Gipfel öffentlich in die Luft zu jagen, macht keinen Sinn. Wäre Prigoschin zu einem späteren Zeitpunkt ums Leben gekommen, beispielsweise bei einem Hinterhalt von Terroristen in Afrika, die vom russischen FSB finanziert wurden, hätte niemand eine russische Beteiligung vermutet, und die Peinlichkeit für den Kreml wäre vermieden worden. Aber wenn die russischen Behörden Prigoschin aus dem Weg räumen wollten, wäre es naheliegend gewesen, ihn der Korruption zu bezichtigen, da dies zweifellos ein wesentlicher Bestandteil seines Geschäftsmodells war.

Sicherlich hatte auch die militärische Führung ein Hühnchen mit Prigoschin zu rupfen, der sie oft öffentlich beleidigt hatte. Aber ohne die Zustimmung des Präsidenten hätten sie wohl kaum eine solche Operation organisiert. Ausserdem gehörten Wagners militärische Befehlshaber wie Utkin, der mit Prigoschin im Flugzeug saß, Berichten zufolge immer noch dem russischen Militärgeheimdienst GRU an. Und wenn es sich um einen Enthauptungsschlag gegen PMC Wagner handelte, wäre er wahrscheinlich von einer ausländischen Macht durchgeführt worden, die von der Anwesenheit ihrer militärischen Führer an Bord des Flugzeugs wusste und sie ins Visier nahm.

Professor Albert Stahel, Experte für Verschwörungstheorien — seine eigenen!

Ausserdem stellte Prigoschin keine Bedrohung für Putin dar. Nach einer schrecklich gescheiterten Meuterei würde er keine weitere wagen. Nach seinem Tod beschrieb Putin Prigoschin als einen Geschäftsmann, der für sich selbst und für das Gemeinwohl gute Ergebnisse erzielte, wenn Putin ihn darum bat. Putin spielte darauf an, dass Prigoschin zwar sehr egoistisch, aber nicht staatsgefährdend war. Da Prigoschin seine Abmachung mit Putin einhielt und fortan als Teamplayer agierte, bestand keine Notwendigkeit, ihn aus dem Weg zu räumen. Putin hatte also kein zwingendes Motiv.

CS: Wer war’s?

Das ist doch die einzig interessante Frage. Deshalb wird nichts dazu gesagt.

Die Credit Suisse hat bestätigt, dass es sich bei den geklauten Kontodaten um Informationen über ihre Kunden handelt. Das ist oberpeinlich und müsste zu Massenentlassungen in den zuständigen Abteilungen führen.

Datendiebstähle sind schwierig zu lokalisieren, da in Wirklichkeit nur eine Kopie vorhandener Datensätze hergestellt wird, das Original also unverändert bleibt. Meistens haben Banken keine sauberen Daten-Audit-Trails, also Zugriffe werden nicht sauber protokolliert. Zudem ist die Frage, wie viele Kopien solcher Kundendaten sowieso schon aus verschiedenen Gründen innerhalb und ausserhalb der Bank herumschwirren.

Wichtiger noch ist aber die Frage: wer war das? Es gibt nur vier Möglichkeiten.

  1. Der Insider

Ein CS-Mitarbeiter, vielleicht aus dem Bereich Compliance, will der Bank aus unbekannten Motiven eine reinbrennen. Dazu sammelt er nach nur ihm bekannten Kriterien Kundendaten. Sobald er bei 30’000 Betroffenen angelangt ist, stellt er das ein und verschenkt seine Beute an die «Süddeutsche». Rache? Moralische Entrüstung? Misslungene Bereicherungsabsicht? Als U-Boot von einer dem Schweizer Finanzplatz nicht wohlgesonnenen Macht in die CS eingespeist? Opfer einer Erpressung?

  1. Die Datenverbindung tropft

Es ist ein altbekanntes Problem. Wer Daten von A nach B transportieren will, schafft das nie absolut abhörsicher. Es ist ein ewiger Kampf zwischen Verschlüsslern und Codeknackern, der von beiden Seiten immer hochgerüsteter geführt wird. Der Einsatz von Quantencomputern mit ihrer brachialen Rechenkraft gibt mal wieder den Knackern einen Vorteil. Allerdings sprächen wir hier im wahrsten Sinne des Wortes von Big Data. Wer könnte mit welchen Programmen aus diesen Datenfluten signifikante Beispiele herausfischen?

  1. Der Zulieferer war’s

Banken haben seit vielen Jahren fahrlässig wenig Geld in die Aufrüstung der IT-Infrastruktur investiert. Viel zu langfristig für die auf Quartalsgewinne fixierten Managerheinis. Viele pensionierte Programmierer verdienen sich bis heute ein nettes Zubrot damit, dass nur noch sie Uralt-Programme verstehen, auf die x-mal Neues draufgepatcht wurde. Hier muss häufig mit Klarnamen gearbeitet werden. Auch die Zulieferer aus der Nähe (bspw. Polen) oder der Ferne (bspw. Indien), wohin immer mehr auch heikle Daten übermittelt werden, könnten die Quelle sein.

  1. Der AIA war’s

Eine hübsche Theorie geht dahin, dass im Rahmen des Automatischen Informationsaustausches eine nie gekannte Menge an Kundenklardaten zwischen den teilnehmenden Ländern ausgetauscht werden. Und natürlich auch von anderen Ländern abgefangen werden könnten. Mit AIA und Swift wäre es in erster Linie den USA möglich, die bekanntlich nicht am Informationsaustausch teilnehmen, aus solchen Daten plus Transaktionsdaten als eine Art Big Data Mining eine Kollektion von ihnen unliebsamen Kontenbesitzern zusammenzustellen.

Kann man den Kreis der Verdächtigen noch weiter einengen?

Sollte es zutreffen, dass die SZ tatsächlich keinen Cent für diesen Datenraub bezahlt hat, stünde das im Widerspruch zu einer Einzeltäterthese. Denn wie auch immer, diese Datenmenge kann nur über einen längeren Zeitraum und unter Inkaufnahme persönlicher Gefährdung gewonnen worden sein. Bei Entdeckung würde nicht nur der sofortige Rauschmiss, sondern strafrechtliche Verfolgung und allenfalls Schadenersatzansprüche in Multimillionenhöhe drohen.

Schliesslich kann es durchaus sein, dass einer der wenigen von diesem Datenklau betroffenen wirklichen Gangster es überhaupt nicht lustig findet, so ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt worden zu sein. In solchen Kreisen ruht man normalerweise nicht, bis man den Übeltäter identifiziert – und entsorgt hat.

All diese Risiken soll jemand (oder eine kleine Gruppe) auf sich nehmen, um dann aus moralischer Entrüstung diesen Datenschatz gratis wegzugeben? Das ist doch sehr dünn als These.

Welche Hintergedanken hat eine anonyme Quelle?

Jeder Anfänger im Journalismus weiss, dass man einer Quelle, die anonym bleiben möchte, mit höchster Vorsicht zu begegnen hat. Vor allem deswegen, weil man weder sicher sein kann, dass die Informationen akkurat und vollständig sind, noch, welche Motive den Täter antreiben.

Der Aspekt potenzielle Gefährdungen plus Aufwand plus Risiko ohne Entgelt schliesst eine moralisch motivierte Täterschaft eigentlich aus. Bleibt also nur eine Täterschaft, die es gewohnt ist, einfach für ihre Arbeit bezahlt zu werden – unabhängig von den Resultaten. Ob es um Industriespionage geht, um das Sabotieren von Konkurrenten, das Manipulieren von politischen Entscheidungen, das ist diesen Hackern im Staatssold herzlich egal.

Es ist ihnen auch egal, wie lange sie dafür brauchen und wie lange sie herumprobieren müssen, bis sie die entsprechenden Filterprogramme entwickelt haben. Also spricht vieles dafür, dass die Täterschaft in einer staatlichen Organisation zu suchen ist, wohl am ehesten in den USA.

Was ist denn deren Motivation? Keinesfalls Moral oder Ethik. Sondern knallhartes Kalkül. Alles, was dem immer noch grössten Vermögensverwalter der Welt schadet, nützt den anderen. Was in dieser Kriegsführung noch fehlte, war ein direkter Angriff auf den Finanzplatz Schweiz. Der sich sowieso noch bis heute von den verheerenden Folgen des Schleifens des Bankgeheimnisses erholen muss. Von den Folgen dieses Kunden- und Mitarbeiterverrats.

Der Datenklau ist in der Wirkung verheerend

Denn unabhängig von der Ergiebigkeit des Materials – alleine die Tatsache, dass der zweitgrössten Bank der Schweiz eine solche Menge an Kundendaten abhanden kommen kann, sorgt dafür, dass sich viele Besitzer einer Bankverbindung mit der CS reiflich überlegen, ob ihnen das sicher genug erscheint.

Denn neben unedlen Motiven gibt es auch durchaus eine ganze Reihe von edlen, wieso man sein Geld bei einer Schweizer Grossbank anlegen möchte. Zum Beispiel, weil es dort sicher ist und diese Kundenbeziehung – im Rahmen des gesetzlich Erlaubten – vertraulich und diskret abgehandelt wird. Denn welchem tapferen Kritiker der Schweizer Gesetze, die solche kriminellen Aktivitäten sanktionieren, würde es wohl gefallen, wenn er plötzlich seinen Namen in der Zeitung läse – als einer der 30’000 verabscheuungswürdigen Kunden der CS.

Obwohl er doch eigentlich ein völlig unbescholtener Bürger ist. Wie so viele der in der Vergangenheit medial Beschuldigten, Vorverurteilten und Gekreuzigten.

Es darf gelacht werden: dumm gelaufen

Man muss Marc Walder dankbar sein.

Es ist kein Anlass für Häme oder Triumphgeheul. Es ist Anlass für tiefe Dankbarkeit. Es ist Anlass, drei Sätze des CEO und Miteigentümers der Ringier AG in Stein zu meisseln:

«Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt – auf meine Initiative hin gesagt: ‹Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen.›»

«Auch die Blick-Gruppe, die jetzt in der Schweiz sehr prägend ist in der Covid-Berichterstattung, könnte deutlich härter – und vielleicht sagen einige von Ihnen: ‹Ja, macht’s doch bitte, die schlafen alle, die packen’s nicht› – sein.»

Die Medien hätten in der Corona-Krise «eine zusätzliche Dimension an Verantwortung, so würde ich das framen».

Natürlich kann und muss das von Ringier Kommunikation umgedeutet, relativiert, beschönigt, zugequatscht («aus dem Zusammenhang gerissen») werden, das gehört zum Geschäft.

Das alles ändert nichts daran, dass die Sätze so gefallen sind, dokumentiert wurden und ihre Authentizität nicht bestritten wird.

Sätze mit bleischwerer Wirkung

Das alles ändert nichts daran, dass auf Initiative eines CEO ein Medienkonzern weltweit sich der Direktive verschrieben hat, die jeweiligen Regierungen bei ihren Corona-Massnahmen zu unterstützen.

Das ist das bewiesene Gegenteil einer unabhängigen Presse, die sich als kontrollierende, vierte Gewalt versteht und ihre vornehmste Aufgabe darin sieht, Mächtigen – und vor allem dem Staat in all seinen Ausformungen – auf die Finger zu schauen.

Auszuleuchten, was lieber im Dunkeln bleiben sollte, aufzudecken, was an Schweinereien am liebsten zugedeckt bliebe. Kritisch zu hinterfragen, ob alle Massnahmen, alles Handeln, alle Entscheide von Staatsbeamten, von sogenannten Dienern des Volkes auch tatsächlich der Überprüfung standhalten.

Auch wenn Medien dazu neigen, ihre Bedeutung zu überschätzen und unter Verlustängsten leidende Journalisten dazu neigen, ungefragt Ratschläge oder sogar Forderungen zu publizieren: das mag der zunehmend lächerliche Teil sein. Aber den Teil von Begleitung, Kontrolle, Offenlegung und Kritik, den braucht jede Demokratie wie die Luft zum Atmen.

Medien haben eine Funktion und Möglichkeiten

Denn Wahlen oder auch Abstimmungen wie in der Schweiz üben eine Kontrollfunktion aus. Aber im daily business, in der Komplexität heutiger Staatsentscheidungen braucht es dringend einen Wächter, der wenigsten Alarm schreien kann, wenn seiner Meinung nach etwas schief läuft, was letztlich alle Staatsbürger, also uns, betrifft.

Nur Medien können Politiker sofort haftbar machen für ihr Tun. Nur Medien haben die Ressourcen, deren Handeln genau anzuschauen. Nur die Medien haben die Energie, bürokratisch-verborgene Entscheidungen aufzudecken und nötigenfalls zu kritisieren.

Dafür müssen die Medien, was Wunder, so staatsfern wie möglich sein. Auch hier gibt es kein Schwarzweiss wie beim traditionellen Drucken von Zeitungen. Natürlich ist es übertrieben, Schweizer Medien mit Staatsorganen wie «Neues Deutschland», «Pravda» oder «Granma» in einen Topf zu werfen, die seit Gründung immerhin klar etikettierten, dass sie keine unabhängigen Kontrollorgane seien, sondern Sprachrohre der herrschenden kommunistischen Partei.

Wie unabhängig darf’s denn sein?

Aber die Schweizer Medien legen grossen Wert auf die Bezeichnung «unabhängig». Also nicht weisungsgebunden, keinerlei Beschränkungen unterworfen, die über die Grenzen des rechtlich Erlaubten hinausgehen.

Insbesondere unabhängig von Inserenten oder von Zuwendungen Dritter. Schliesslich auch unabhängig vom jeweiligen Verlag, der sich niemals in die Ausrichtung, den Inhalt, die Auswahl der Berichterstattung einmischt.

So ist das Image. Auch das ist nicht Schwarzweiss. Aber jeder, der im Journalismus tätig ist, weiss, dass es nicht so läuft, dass ein täglicher Befehlsempfang stattfindet, bei dem ein Supino, ein Walder oder ein Wanner bekannt gibt, wie welche Themen wie zu behandeln seien.

Jeder weiss auch, dass jeder Chefredaktor, der seine Stelle behalten will, sich daran hält, was seine Arbeitgeber und was die Besitzer seines Organs möglichst beiläufig wünschen. Auch das wird natürlich abgestritten.

Genau deshalb ist es so wertvoll und bedeutend, dass im Falle von CEO Walder dokumentiert wurde, wie’s läuft.

Was mögen Walders Motive gewesen sein?

Da Walder alles andere als dumm ist, bleibt höchstens die Frage, wieso er sich dazu entschloss, das so offen auf den Tisch zu legen. Denn sein Einschub, dass seine Aussage «in diesem Kreis bleiben» solle – er wäre niemals CEO von Ringier geworden, wenn er so naiv wäre, darin mehr als einen frommen Wunsch zu sehen.

Im Gegenteil, das war eine nicht sehr versteckte Aufforderung, das zu streuen. Es hat zwar ein Weilchen gedauert, aber funktioniert. Es hat wohl etwas Machiavellistisches, vom Abstreiten solcher Vorgaben zur offenen, unversteckten Ankündigung überzugehen. Nach der Devise:

natürlich befiehlt der, der bezahlt und besitzt.

Sonst noch Fragen? Also, dann immer schön horchen, was aus der Chefetage zum Fussvolk durchsickert. Macht’s doch einfacher, als regelmässig den Chefredaktor briefen, der dann die Direktiven an seine Mannschaft weiterleitet, verkleidet als «sehe ich so».