Schnitt- oder Bruchstelle
Versinkt nach der Vierten auch die Dritte Gewalt im Elend?
Die Idee war und ist bestechend. Ungeteilte Macht führt zu Willkür und immer ins Elend. Das lehrt Geschichte und Gegenwart.
Also teilt man die staatliche Gewaltausübung in drei Teile. Die einen regieren, die Exekutive. Die anderen bestimmen, wie regiert wird. Die Legislative. Die Dritten kontrollieren, ob in der Gesellschaft und im Staat alle Gesetze eingehalten werden und entscheiden in Streitfällen, sanktionieren, wer sich strafbar gemacht hat. Die Judikative.
Dann kam noch ein kleiner Usurpator hinzu, an den Montesquieu 1748 noch nicht gedacht hatte: die veröffentlichte Meinung, die Medien, die sich dann stolz als Vierte Gewalt bezeichneten.
Man kann im deutschen Sprachraum dabei zuschauen, wie sie selbstverschuldet ins Elend absinken. Vertrauen, Relevanz, Einordnung, Erklärung, Analyse, geldwerte Leistung: Kleingeld liefern, grosse Scheine fordern. Das kann nicht mehr lange gutgehen.
Neuerdings begleitet sie die dritte Gewalt auf diesem Weg. Es gibt eine Schnittstelle zwischen Justiz und Machtausübung, zwischen Gerichten und Demokratie.
Gerade ist der gescheiterte Ex-CS-CEO in der Elfenbeinküste von der Justiz des Landes von der Wählerliste gestrichen worden. Das bedeutet, dass Tidjane Thiam als aussichtsreichster Kandidat nicht bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober antreten kann. Nun ist die Elfenbeinküste ein unbedeutender Staat in Afrika.
Zuvor ist Marine Le Pen von der französischen Justiz das aktive und passive Wahlrecht entzogen worden. Zusammen mit einer Gefängnisstrafe für die Zweckentfremdung von staatlichen Geldern. Sie war die aussichtsreichste Kandidatin für die nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich.
Wird hier eine Schnittstelle zur Bruchstelle?
Der US-Präsident Donald Trump lässt es immer wieder auf eine Machtprobe selbst mit dem Obersten Gerichtshof der USA ankommen. Er foutiert sich um dessen Entscheidungen und handelt nach der Devise: und, was wollt ihr denn machen? Justizbeamte ins Weisse Haus schicken, um mich festzunehmen?
Unrechtsstaaten wie Russland oder China sind auch dadurch gekennzeichnet, dass eine unabhängige Justiz, die den Bürger vor seinem Staat mit dessen Gewaltmonopol schützt, nicht existiert. Deshalb herrschen dort Willkür, Barabarei und Rechtsunsicherheit.
In zivilisierteren Staaten wie der Schweiz ist es schon stossend genug, dass verantwortungslose Medien Personen öffentlich ans Kreuz nageln. Der Geschäftsmann Jean-Claude Bastos ist ein tragisches Beispiel dafür. Er wurde durch die Auswertung gestohlener Geschäftsunterlagen von einer ausser Rand und Band geratenen Sonntagszeitung diverser Vergehen beschuldigt.
Der reine Vermutung- und Denunziationsjournalismus ruinierte Bastos (und kostete viele seiner Angestellten ihren Job). Die Justiz ermittelte in vielen Fällen und Ländern, auch in der Schweiz. Am Schluss wurden sämtliche Verfahren eingestellt, fast immer wegen erwiesener Unschuld. Der verantwortliche, aber verantwortungslose Redaktor wusch seine Hände in Unschuld. Er könne doch nichts dafür, wenn die Justiz aufgrund seiner Artikel ermittle.
Dann gab es den Fall Vincenz, der eigentlich bis heute so unschuldig ist wie jeder unbescholtene Bürger, bei dem aber die Unschuldsvermutung zu einem schlechten Witz wurde.
Dann gab (und gibt) es die #metoo-Welle, die den Schauspieler Kevin Spacey die Karriere kostete und in den Ruin trieb, den Sänger von Rammstein vorverurteilte und viele andere unschuldige Opfer forderte. Von 72 erregten Tamedia-Frauen ganz zu schweigen, die eine ganze Latte von anonymen Vorwürfen öffentlich erhoben. Von denen kein einziger erhärtet werden konnte. Keine einzige der Denunziantinnen wurde gemassregelt.
Das sind Verluderungen. Wenn aber die Justiz in demokratische Entscheidungsprozesse eingreift, wie das nicht nur in der Elfenbeinküste oder in Frankreich der Fall ist, dann wankt die Gewaltenteilung. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, die laut Umfragen inzwischen wählerstärkste Partei zu verbieten. Es wird befürchtet, dass sich anders die «Brandmauer» gegen die AfD nicht mehr aufrecht erhalten lässt.
In Schaffhausen wurde ein Ständerat aus seinem Posten entfernt, weil nach einem längeren Instanzenzug das oberste Schweizer Gericht befand, dass er nicht alle Voraussetzungen für seine Wahl erfüllt hatte. Dennoch wurden alle Abstimmungen, an denen er somit nicht legitimiert teilgenommen hatte, für weiterhin gültig erklärt.
Ein Gericht muss ein Urteil fällen. Bei aller Berücksichtigung von Umständen ist das eine binäre Entscheidung. Es gibt keine salomonischen Urteile. Nach der grossartigen Anekdote, dass Salomon die eine Partei anhört und ihr Recht gibt. Dann die andere und ihr auch Recht gibt. Worauf ein empörter Zuschauer sagt, dass doch nicht beide recht haben könnten. Worauf Salomon in seiner unendlichen Weisheit sagt: da hast du auch Recht.
Auch die Justiz beginnt an etwas zu leiden, was den Medien schon längst widerfuhr: an Vertrauensverlust. Niemand sollte über dem Gesetz stehen, nicht einmal der US-Präsident. Aber dürfen die Interpreten des Gesetzes so weit gehen, entscheidend in demokratische Ausmarchungen einzugreifen?
Thiam, Le Pen, Trump, wo führt das hin, wo soll das enden? Höchstwahrscheinlich in einem Scherbengericht.