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Realitätsverlust

Alle Jahre wieder ist Märchenstunde. Onkel Strehle erzählt von Qualität.

Hurra, der «Qualitätsreport 2021» ist da. Der Autor bürgt für unbestechliche Qualität. Res Strehle hat sich zudem einen illustren Kreis von «Experten» beigezogen. Herausragend: Felix E. Müller, Ex-Chefredaktor NZZaS. Oder Roger Blum (lebt noch). Oder Miriam Meckel (gibt’s noch).

Was ist das Ergebnis? Falls die Frage ernstgemeint sein sollte: «wenig handwerkliche Mängel», Trennung Werbung und redaktionellen Inhalten «wurde eingehalten». Dazu «nur wenige Faktenfehler», «ein gutes Zeichen scheint uns auch, dass die Floskel «Es gilt die Unschuldsvermutung» durch eine im Bericht praktizierte Unschuldsvermutung zunehmend unnötig wird». Schliesslich: «Die Sprache war in den untersuchten Wochen in allen Tamedia-Medien verständlich, «unaufgeregt, sachdienlich und wenig manieriert», wie es Felix E. Müller als beigezogener Experte für den Tages-Anzeiger formulierte.»

Und was gibt’s Neues an der Geschlechterfront? «Das Bemühen, das generische Maskulinum als Standard zumindest in Lauftexten zu vermeiden, war im vergangenen Jahr in allen Redaktionen spürbar – diese Form wird allerdings noch nicht konsequent vermieden

Besinnlich klingt der streng-sachliche Report mit einem Schlusswort des Big Boss aus:

«Wir müssen einen strengen Massstab an unsere Arbeit legen. Nur so sind wir glaubwürdig und können unsere zentrale Rolle in der Demokratie wahrnehmen.»

Pietro Supino, Präsident und Verleger von Tamedia.

Falls beim einen oder anderen Leser Zweifel aufkommen sollten: Doch, dieser «Qualitätsreport» befasst sich mit den Erzeugnissen von Tamedia. Wirklich wahr, ungelogen. Und Supino spricht vom strengen Massstab, den er an die Behandlung der Abstimmung über die Milliardenspritze für Notleidende Verlegerclans angelegt hat.

Nicht nur Pierin Vincenz wird erstaunt zur Kenntnis nehmen, wieso denn die Floskel «es gilt die Unschuldsvermutung» immer weniger verwendet werde. Nicht etwa, weil sie in seinem Fall immer lächerlicher wirkte und wohl noch nie ein Angeklagter dermassen vorverurteilt wurde.

Trennung Werbung und redaktioneller Inhalt durch visuel fast identische Werbeseiten, lediglich mit «Sponsored Content» oder ähnliche Floskeln gekennzeichnet, die vielen Lesern nach gängigen Untersuchungen überhaupt nichts sagen?

Wenig Faktenfehler? Nun, es gab sicherlich weniger Fakten- als Orthographiefehler. Das will aber nicht viel heissen, bei der Menge an Rechtschreibverbrechen.

Unaufgeregt und sachlich? Das wüssten Marc Brupbacher und andere Amoks aber. Oder vielleicht sollte man es ihnen sagen.

Das generische Maskulin werde nicht konsequent genug vermieden? Ja furchtbar, da müssen noch die letzten Lichtblicke in einer allgemeinen Sprachvergewaltigung ausgeknipst werden. Apropos, wie kann ein «Qualitätsreport» stillschweigend über einen massiven Protest von 78 Tamedia-Frauen hinweggehen? Hat deren Kritik nichts mit Qualität zu tun? War sie gar zu unqualifiziert? Ignoriert Strehle einfach etwas, was er für unwichtig hält?

Wie steht es mit den ständigen Sparrunden; haben die keinerlei Auswirkungen auf die Qualität der Blätter? Gibt es nichts zum Überhandnehmen von Artikeln aus München zu sagen, wo selbst ein Ex-Bürgermeister der Stadt einen Katzentext in der «SonntagsZeitung» absondert, der vielleicht in Bayern bekömmlich wäre? Könnte es kein Qualitätsproblem sein, dass aus deutscher Perspektive geschriebene Kommentare und Einschätzungen eins zu eins in Schweizer Blätter übernommen werden?

Alles ist gut, alles wird gut

Ingesamt ähnelt auch dieser Raport Rechenschaftsberichten im verblichenen Sozialismus. Da Strehle ja ursprünglich aus der eher linksradikalen Ecke kommt, hat er sich vielleicht nostalgisch daran erinnert. Auch dort eilte die Partei (hier halt Tamedia) von einem Erfolg zum nächsten. Wurde geliefert, verbessert, gesteigert und auf alle Wünsche der Bevölkerung (aka Leserschaft) eingegangen.

Natürlich gab es da und dort klitzekleine Rückschläge, die allerdings meistens von aussen verursacht wurden und keinerlei Eigenverschulden enthielten. Es galt immer die Devise: nachdem man bereits ein dermassen hohes Niveau in der Perfektion des Sozialismus erreicht hatte, konnte es nur noch klitzekleine Schwachstellen geben, die man aber mit verdoppelter Energie bis zum nächsten Rechenschaftsbericht ausmerzen würde.

Aber zurück in die Gegenwart dieser Vergangenheit. Da muss man der Gerechtigkeit halber sagen, dass sozialistische Rechenschaftsberichte nie auch nur ansatzweise lustig waren.

Das Schlusswort von Strehle, angesichts des Verhaltens der Redaktion von Tamedia gegenüber der offiziellen Corona-Politik kritisch eingestellten Mitmenschen, die regelmässig beschimpft und heruntergemacht wurden, kann man nur als gelungenen Versuch sehen, den Leser mit Seitenstechen vor Lachen zu verabschieden:

«Abschliessend möchte ich allen Chefredaktionen, Journalistinnen und Journalisten dafür danken, dass sie den Tendenzen zur Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken, indem sie den gesellschaftlichen Dialog beispielsweise zwischen den Mass nahmegegnerinnen und -gegnern aller Art und den Verantwortungsträgern sowie Befürwortern aufrechterhalten.»

Da wälzt man sich auf dem Boden und klopft ab: bitte aufhören, japst man zwischen Lachsalven.