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Lololo, Lockdown

Wie ein Begriff seinen zweiten Frühling im Herbst erlebt.

Im Kampf um die Lufthoheit in der öffentlichen Debatte sind Begrifflichkeiten entscheidend. «Coronaleugner» als Sammelbegriff für alle, die auch nur eine kritische Frage wagen: grossartig stigmatisierend, ein sicherer Blattschuss.

Ergänzen wir noch mit «Experten warnen», «Wissenschaftler fordern», «zweite Welle», «immer mehr Infizierte»; irgendwas oder irgendwer ist dann auch schon «am Anschlag». Was hilft?

Logisch, ein Lockdown. Beziehungsweise: «Wie reagiert die Baubranche auf die zweite Welle?» – oder Restaurants und Hotels? All diese Fragen beantwortet eine einzige Ausgabe des «Blick», und es bleibt erst noch genügend Platz übrig, um ein Thema anzuschneiden, das schon die alten Griechen beschäftigte: «Bin ich ungeeignet für Analsex?»

Lockdown ist lieblich für Massenquarantäne

Ein Lockdown ist nichts anderes als eine Massenquarantäne, aber hört sich viel lieblicher an. Erst recht, wenn es nur ein «Teil-Lockdown» ist, oder gar bloss ein «Mini-Lockdown». Die NZZ versucht’s mal wieder mit einem ordnungspolitischen Zwischenruf: «Zweite Corona-Welle: jetzt wird es für die Wirtschaft brenzlig – Augenmass ist gefragt».

Normalerweise riecht es brenzlig, aber wenn man Chefökonom der NZZ geworden ist, kann man auch mit schiefen Bildern den richtigen Riecher haben. Oder so.

«BAG prüft ein- bis zweiwöchige Lockdowns», weiss CH Media. Man fragt sich, wie diese Prüfung aussieht: «Äxgüsi, wir prüfen hier mal einen einwöchigen Lockdown, bleiben Sie gefälligst in Ihrer Wohnung.»

Bericht von der Spitalfront in Basel-Land

Aber Scherz beiseite, beide Basel gehören ja auch zum Einzugsgebiet der Wanner-Presse: «Im Kanton Basel-Landschaft befinden sich 12 Menschen im Spital, 2 müssen beatmet werden.» Das ist furchtbar und wird sicherlich nicht dadurch relativiert, dass es im Halbkanton 2019 ingesamt knapp 35’000 Spitalaufenthalte gab, plus 6300 im mit Basel betriebenen Uni-Kinderspital.

Das bedeutet, dass es jeden Tag im Schnitt 113 Spitalaufenthalte gibt. Und wenn man die Ticker-Meldung genauer liest, kann man aufatmend feststellen, dass am Stichtag lediglich 2 neue Patienten wegen Corona ins Spital mussten, was die Gesamtzahl auf 12 heraufsetzt.

Aufatmen kann man ebenfalls in der Ostschweiz: «Kanton St. Gallen lässt weiterhin Grossveranstaltungen zu», vermeldet das St. Galler «Tagblatt». In den letzten sieben Tagen hat sich der Begriff Lockdown wie ein Virus in den Medien vervielfältigt, die Datenbank SMD verzeichnet knapp 3600 Treffer dafür. Sozusagen auch dagegen; die «Handelszeitung» titelt tapfer: «Fünf Gründe gegen einen Lockdown».

Häppchenweise serviert, wird’s geschluckt

Der Unternehmer Marcel Dobler, unter anderem Besitzer des alteingesessenen Spielwarenhändlers Franz Carl Weber, in der Vorweihnachtszeit normalerweise der Sehnsuchtsort für Kinder, warnt: «Bei einem zweiten Lockdown geht auch Franz Carl Weber in Konkurs», so zitiert ihn «20 Minuten».

Es ist eine alte Erkenntnis aus der Propagandalehre, dass man einen ungeliebten Begriff zuerst häppchenweise wieder aus der Versenkung holen muss. Das kann ganz am Anfang durchaus auch verneinend sein, «ein zweiter Lockdown ist ausgeschlossen». Als Nächstes wird ein angetäuschter Ausfallschritt beliebt gemacht: «Mir müssen alles tun, um einen zweiten Lockdown zu vermeiden.»

Schon fast auf der Zielgeraden ist man dann mit Stufe 3: «Wir können einen Lockdown nicht mehr ganz ausschliessen.» Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Sieg in der Lufthoheit heimzutragen.

Leider kein Diminutiv

Der Begriff ist wieder platziert, nun kann  man entweder den Überraschungs- und Überrumpelungsangriff wagen: «Ab morgen 12 Uhr gilt der Lockdown.» Oder man tänzelt etwas um den Begriff herum, «Teil-Lockdown», «Mini-Lockdown», «Versuchs-Lockdown».

Indem man sich des hässlichen Begriffs Massenquarantäne entledigte, verbaute man sich allerdings die Möglichkeit des Diminutivs, der immer etwas Beruhigendes hat, automatisch einen Jö-Effekt auslöst. Aber ein «Lockdäunchen», das geht nun schlecht.

Die in den Medien breit geführte Debatte, ob, wann, wie, wo, flächendeckend oder teilweise, wie beim ersten Mal oder anders, deckt zudem eine weitere, unangenehme Wahrheit zu. Deshalb bekommt der FDP-Nationalrat und erfolgreiche Unternehmer (Digitech) Dobler, der einem neuen Lockdown kritisch gegenübersteht, viel Gegenwind.

Es gibt auch unangenehme Wahrheiten

Denn er weist darauf hin, dass zumindest Teile der Volkswirtschaft in der Schweiz einen zweiten Stillstand nicht überleben werden. Die zweite Welle damit in eine Pleitewelle übergehen würde, in der Arbeitslosenheere schwömmen. Und ihn kann man schlecht als verkappten Aluhut-Träger oder Rechtsradikalen beiseite räumen.

Eine Debatte über das Wie und Wann, befeuert durch zwar nicht signifikante, aber geeignete absolute Zahlen von positiv Getesteten, soll von einer Tatsache ablenken, die noch beunruhigender als das Virus ist: Bislang hat der erste Lockdown mit allen Folgewirkungen einen Schaden von rund 100 Milliarden Franken angerichtet.

Selbst die wohlhabende Schweiz kann sich das nicht nochmal leisten. Aber davon liest man eigentlich im Medienchor, der Lololo Lockdown singt, kaum etwas.