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Erst schwiemeln, dann schweigen

Kommunikation im Departement des Innern Solothurn.

Von Thomas Baumann

Nicht nur im EJPD wird bisweilen miserabel kommuniziert. Auch auf Kantonsebene leistet man sich so manches Kommunikationsfiasko. Zum Beispiel im Kanton Solothurn. Zufall oder nicht: Wie das EJPD ist auch das Solothurner Departement des Innern (DDI) in SP-Hand.
Anfang April dieses Jahres eine Anfrage an das DDI bezüglich Menschenrechtsverletzungen in der Solothurner Alterspsychiatrie. Antwort des Kommunikationschefs:
«Das Gesundheitsamt des Kantons Solothurn hat keine Kenntnis von allfälligen Menschenrechtsverletzungen in der Alterspsychiatrie der Solothurner Spitäler AG und kann daher nicht weiter Stellung nehmen.»
Im gleichen Zeitraum — mutmasslich gar gleichentags — erhielt das DDI Post von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). Im Bericht geht es, ja genau, um massive Menschenrechtsverletzungen in der Solothurner Alterspsychiatrie. So fixiert man dort Patienten in Tausenden von Fällen teils tage-, bzw. nächtelang.
Anfang August, nachdem der NKVF-Bericht publiziert, in den Medien breit rezipiert und der Sachverhalt demzufolge nicht mehr zu leugnen war, eine erneute, eher lakonische Anfrage ans DDI mit folgendem Wortlaut:
«Ich beziehe mich auf meine Anfrage vom 1. April 2025. Hat das Gesundheitsamt jetzt Kenntnis von Menschenrechtsverletzungen in der Alterspsychiatrie der Solothurner Spitäler AG?»
Offenbar wurde das Dossier in der Zwischenzeit zur Chefsache erklärt. So antwortete diesmal Peter Eberhard, Leiter Gesundheitsamt, in bestem Beamtendeutsch:
«Wir haben in der Zwischenzeit Kenntnis von einem Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter über den Besuch der Psychiatrischen Dienste der Solothurner Spitäler. […] Das Gesundheitsamt ist daran, die Empfehlungen mit den Verantwortlichen der Psychiatrischen Dienste der Solothurner Spitäler soH zu analysieren und Massnahmen einzuleiten.»
Rückfrage ans Gesundheitsamt:
«Ich gehe davon aus — da Sie von sich aus auf den Bericht der NKVF zu sprechen kommen (ich habe ihn jedenfalls nicht erwähnt) —, dass das Gesundheitsamt die Vorkommnisse in der Alterspsychiatrie selber als Menschenrechtsverletzungen einstuft.»
Worauf wiederum Peter Eberhard:
«Wir sind daran, mit den Solothurner Spitäler AG die Aussagen und Empfehlungen im Bericht der NKVF zu prüfen und haben noch keine Beurteilung vorgenommen. Ihre Annahme ist somit falsch.»
Und weiter:
«Wie bereits gesagt, werden wir den Aussagen und Empfehlungen im Bericht der NKVF nachgehen. Seitens Departementsvorsteherin und Gesundheitsamt werden wir keine weitere Korrespondenz dazu führen. Wir danken Ihnen für Ihr Verständnis und grüssen Sie» (bewusst nicht «freundlich»)
Aufgrund weiterer Recherchen in den darauf folgenden Tagen einen ‹Regierungsratsbeschluss› aus dem Sommer 2024 zu Tage gefördert, in welchem das DDI erklärt, dass in den Psychiatrischen Diensten der Solothurner Spitäler «standardmässig keine Fixierungen durchgeführt» würden. Es habe in den Jahren 2021-2023 in der gesamten kantonalen Psychiatrie nur 10 Fixationen gegeben.
Also wiederum eine Anfrage ans DDI:
«Wie erklärt das DDI die Diskrepanz zwischen den im Bericht der NKVF verzeichneten Daten zu den Fixierungen in Langendorf und den Aussagen im Regierungsratsbeschluss vom 27. August 2024?»
Zur Information: Während es gemäss DDI pro Jahr nur drei Fixierungen gab, spricht die NKVF von über 3000 Fixierungen pro Jahr auf einer einzigen (!) Station der Alterspsychiatrie, also einem guten Faktor tausend (!) mehr.
Die Antwort — diesmal wieder vom Kommunikationschef des Amts:
«Besten Dank für Ihre Nachricht. Das Gesundheitsamt hat Ihre Fragen zum Thema letzte Woche so weit wie möglich beantwortet. Ich bitte um Kenntnisnahme, dass wir nicht weiter Stellung nehmen werden – weder seitens DDI noch seitens Gesundheitsamt.»
Der scheue Hinweis, dass es sich dabei um eine Anfrage zu einem durchaus anderen Thema handle: ignoriert. DDI und Gesundheitsamt entschieden sich, auch auf wiederholte Nachfrage, definitiv auf Tauchstation zu gehen.
Und die Departementsvorsteherin Susanne Schaffner? Eine Anfrage an ihre Homepage wurde so quittiert:
«Besten Dank für Ihre Nachricht. Ich beantworte Fragen gerne, auch kritische, wenn sie im Sinne einer respektvollen Diskussion formuliert sind.»
Offenbar gilt für Schaffner die Frage nach den Gründen für eine massive quantitative Diskrepanz nicht als Teil einer respektvollen Diskussion, sondern vielmehr als Majestätsbeleidigung. Zumindest war von ihr ebenfalls kein Pieps zu hören. Ist ja auch unerhört, wenn sich ein einfacher Bürger einfach so erdreistet, einmal 1+1 zusammenzuzählen.
Sollte also Oliver Washington (oder Pascal Hollenstein) einmal einen neuen Job suchen: Im Departement des Innern des Kantons Solothurn würden sie bestimmt fündig werden.

Tote zählen im Gazastreifen

Ist es möglich, deren Anzahl überhaupt zu erheben?

Bislang war die einzige Quelle die Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen. Israel denunziert sie als «Terrorpropaganda», und tatsächlich sind solche Zahlen bezweifelbar.

Zudem ist es äusserst schwierig, im weitgehend zerstörten Gazastreifen, in dem es zudem No-Go-Zonen gibt und der Zugang ausländischen Journalisten versperrt ist, entsprechende Erhebungen zu machen.

Nun hat eine Gruppe von Wissenschaftler versucht, unabhängig Daten zu erheben und ihre Ergebnisse auf «medRxiv, the Reprint server for Health Sciences» veröffentlicht. Die Studienergebnisse wurden von «Nature» übernommen. Die seit 1869 erscheinende Zeitschrift ist bekannt für ihre hohe wissenschaftliche Integrität.

Diese vorsichtige Einleitung ist nötig, weil die Ergebnisse der Studie schockierend sind und selbstverständlich sofort geframt und bezweifelt werden.

Sie kommt zum Ergebnis, dass die tatsächliche Zahl der Toten, zudem nur erhoben zwischen Oktober 2023 bis Anfang Januar 2025, bedeutend höher liegt als die Zahlen der Hamas. Laut der Erhebung starben in diesem Zeitraum beinahe 84’000 Menschen im Gazastreifen.

Mehr als die Hälfte der Getöteten seien Frauen im Alter von 18 bis 64, Kinder oder Menschen über 64.

Wer hinter der wissenschaftlichen Untersuchung steht, kann jeder selbst nachlesen und sich sein Urteil bilden.

Auf jeden Fall sind diese Zahlen um 60 Prozent höher als die vom Gesundheitsministerium angegebenen, während Israel keinerlei Zahlen veröffentlicht.

Selbst Zynikern verschlägt es langsam die Sprache, und nur noch ganz Verpeilte werfen Kritikern der Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verstössen gegen Völker- und Kriegsrecht der israelischen Regierung vor, sie würden haltlosen Unsinn verzapfen.

So wie ein feige sich hinter Pseudonym versteckender Amok auf «Inside Paradeplatz», als Reaktion auf einen Artikel des ZACKBUM-Redaktors René Zeyer:

«Antisemiten können aber nicht anders, als immer wieder auf ihre rassistische, judenfeindliche Gesinnung zurückzufallen. Zeyer – ein williger Unterstützer von Hamas, Hisbollah, Iran, Nordkorea, Russland & China!»

Immerhin hatte Tamedia den Mut, einen entsprechenden Artikel der «Süddeutschen Zeitung» zu übernehmen. Wohlweisslich ohne Kommentarfunktion.

Quelle: «Tages-Anzeiger».

Sollten diese Zahlen stimmen, widerlegen sie die Behauptung der israelischen Armee, sie bemühe sich möglichst um eine Schonung der Zivilbevölkerung.

Obwohl die Studie bereits vor einer Woche erschienen ist, hat in den deutschsprachigen Medien bislang einzig die SZ (kopiert von Tamedia) diese Ergebnisse aufgenommen.

Medienkritisch geht es hier nicht um eine Diskussion der wissenschaftlichen Grundlage und der Plausibilität dieser Zahlen.

Sondern es geht darum, dass eine Debatte über den Gazakrieg im Sinne eines Meinungsaustauschs, basierend auf möglichen Erkenntnissen, kaum oder nicht möglich ist.

Verteidiger der israelischen Regierungspolitik verweisen auf die Greueltaten der Hamas, auf deren Massaker am 7. Oktober 2023. Da sie diktatorisch die Regierungsgewalt im Gazastreifen ausübt, sei die gesamte Bevölkerung mitschuldig daran – und letztlich selber schuld, wenn sie nun auch massakriert wird. Ein Zahlenvergleich sei obszön und nicht statthaft.

Noch erschreckender als diese Zahlen ist die meist fakten- und erkenntnisfreie öffentliche Debatte. Hilft alles andere nicht, schlägt die Antisemitismuskeule zu und wird an den Holocaust erinnert. Der deutsche Bundeskanzler Merz darf ungeniert davon sprechen, dass Israel hier die «Drecksarbeit» verrichte. In welchen Sprachduktus er sich damit begibt, fällt offenbar weder ihm noch breiten Teilen der Medien auf.

Wer auf der Einhaltung internationaler Regeln besteht, wird mit dem Argument niedergemacht, dass die gegen fundamentalistische Wahnsinnige und die Ayatollen im Iran nicht gelten würden. Wer Opfer eines Terrorangriffs und von den Mullahs in Teheran mit der Vernichtung bedroht wird, darf sich darum foutieren.

Dass sich damit die israelische Regierung und ihre Armee genauso zum Paria machen wie die von religiösen Wahnsinnigen regierten Staaten um das Land herum, genauso wie die Terrororganisationen Hamas und Hetzbollah, wird ignoriert.

Eine zivilisierte Gesellschaft kann sich nicht barbarisch gegen Barbaren wehren. Auch putative Notwehr hat ihre Grenzen. Sonst gilt einfach die Macht des Stärkeren, die alles Recht bricht.

Die Grundlagen zivilisierten Zusammenseins sind spätestens seit Kant bekannt. Wer sich aus Unkenntnis oder wissentlich selbst darüber hinwegsetzt, unterscheidet sich nicht mehr vom Barbaren und verliert jegliche Legitimation für sein Handeln.