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Der Depp des Jahres

Der Wettbewerb ist bereits im Juni entschieden.

Klarer Sieger, nicht mal nach Punkten, sondern durch K.o., heisst Max Voegtli. Er hat so deutlich gewonnen, dass man fast Mitleid mit ihm haben müsste. Aber nur fast.

Voegtli ist (oder vielleicht bald einmal war) der Sprecher von «Renovate Switzerland». Genau, die Klimakleber, die vor Kurzem den Verkehr vor dem Gotthardtunnel stauten. Denn sie haben Grosses vor:

Es sei höchste Zeit, den Klimanotstand auszurufen. Jetzt sofort müsse gehandelt werden, keine Zeit zu verlieren, wir müssen alles ändern. Vor allem natürlich auch uns selbst. Dafür steht «Renovate Switzerland», das propagiert der Mediensprecher, der wichtig bei der Gotthardautobahnblockade herumstapfte.

Mit dem Ernst der Lage entsprechendem Gesicht. Das hielt er gerne und häufig in die Kameras. Das war dann aber nicht so eine gute Idee. Denn, oh Schreck, am Flughafen Zürich erkannte ihn jemand und machte ein Foto. Als Voegtli sich gerade auf die Startbahn klebte?

Leider nein, als Voegtli auf das Boarding wartete. Für einen Flug nach Paris. Das ist schon mal peinlich, weil Paris bekanntlich bequem und auch nicht viel langsamer mit der Bahn erreichbar ist. Nicht nur Klimabewusste reisen lieber mit dem TGV. Bis man am Flughafen Kloten ist, Check-in, Sicherheitskontrolle, Verspätung, Landung im Monster Charles de Gaulle in Paris, dann noch eine halbe Stunde S-Bahn bis ins Zentrum (mit dem Taxi dauert’s noch länger), es gibt eigentlich keinen Grund, nach Paris zu fliegen. Ausser, man fliegt gerne.

Das war schon ziemlich peinlich. Aber das lässt sich noch steigern. Denn Paris war nur Zwischenstopp; von dort aus ging’s dann weiter nach Mexiko. Ach, vielleicht zum Jahrestreffen aller Klimakleber der Welt? Nein, schon wieder falsch, für einen zweieinhalbmonatigen Ferientripp.

Aber auch damit hätte Voegtli vielleicht Mitbewerbern um den Titel Depp des Jahres noch eine Chance gelassen. Doch das konnte er verhindern. Er hat nämlich ein Rechtfertigungsvideo ins Netz gestellt, dass dem Wort Fremdschämen eine neue Dimension verleiht. Es ist so oberpeinlich, dass man starke Nerven braucht, um es anzuschauen.

Der schönste Satz, mit dem allein er sich bereits den Titel verdient hat: «Ich bin eine Privatperson und fliege sonst sehr selten.» Ausserdem beschwert er sich bitterlich darüber, dass man ihn einfach knipst:

Das könnte er allerdings auch als Privatbürger vermeiden, wenn er sich erst gar nicht in einem Flughafen aufhalten täte.

Aber ZACKBUM möchte niemandem den Spass verderben, sich dieses Video vollständig reinzuziehen. Zwei Minuten, die an Peinlichkeit schwer zu überbieten sind. Die Klimakleber haben’s schon nicht leicht …

«Der Grundsatz des Gegenlesens ist wichtig»

Was einen erfahrener Mediensprecher an der Journalistenzunft gefällt, was ihn nervt und warum er das Gegenlesen sinnvoll findet.

Pio Sulzer*, Sie sind seit fast 19 Jahren Mediensprecher in der Stadtverwaltung Zürich. Was ist Ihnen lieber: agieren oder reagieren?

Um gut dazustehen, müsste ich jetzt behaupten, dass ich selbstverständlich viel, viel lieber agiere. Aber wenn ich in mich hineinhorche, dann finde ich es spannender, wenn etwas Überraschendes eintritt und eine Reaktion mit schnellem Denken, kühlem Kopf, konzentriertem Handeln und intensivem Teamwork gefragt ist. Da steckt wohl immer noch der Radiomann in mir.

Was war Ihre bisher kommunikativ heikelste Situation bei der Stadt Zürich?

Sobald ein einzelner Mensch in den Fokus rückt, ist der kommunikative Weg mit Fallstricken ausgelegt. Das war so, als Stadträtin Ruth Genner (Grüne) Anfang 2013 erkrankte oder als der damalige ERZ-Direktor Urs Pauli im Jahr 2017 entlassen wurde. Bei persönlichen Angelegenheiten gleichzeitig transparent zu sein und respektvoll zu bleiben, ist heikel.

Und Ihr Highlight?

Die Bepflanzungsaktion auf dem Münsterhof im Sommer 2019 war eine Wohltat. Bevölkerung, Politik und Medien waren so gut wie ausnahmslos begeistert, die positiven Kommentare auf Facebook nahmen lange kein Ende. Obwohl ich Kontroversen bevorzuge, war diese fast einhellige Freude eine schöne Abwechslung.

Wie sieht Ihr Wunschprofil an einen Journalisten aus?

Die ideale Journalistin geht vorurteilsfrei an ein Thema heran. Sie arbeitet in einem Team, in dem Anfänger auf alte Häsinnen zählen können. Und sie bekommt von ihrem Medienhaus genügend Zeit und Wertschätzung für ihre Arbeit. Ausserdem hat mein Wunsch-Journalist den Ehrgeiz, gutes Deutsch zu verwenden.

Und das Horrorprofil?

Jemand, der nicht wissen will, was ist. Oder noch schlimmer: Der es weiss, aber trotzdem etwas anderes erzählt.

Wie hat sich der Durchschnittsjournalist während Ihrer Tätigkeit bei der Stadt verändert?

Er hat weniger Zeit für seine Recherchen.

Sind Onlinemedien ein Fluch oder ein Segen für Sie?

Ein Segen. Online-Journalismus sehe ich als Bereicherung. Natürlich stellen sich spezifische Probleme, aber das ist bei jedem Medium so.

Was sind das für spezifische Probleme?

Die Kostenwahrheit ist noch nicht hergestellt, und der befriedigende Umgang mit unzutreffenden und hetzerischen Behauptungen in den Foren ist auch noch nicht gefunden.

Was nervt Sie am meisten an Journalisten?

Die Kombination von Ahnungslosigkeit und Überheblichkeit ist äusserst unangenehm. Das findet sich zum Glück selten.

Wie gross ist die Freude, wenn Ihre Medienmitteilungen 1:1 abgedruckt wurden?

Die Freude ist gering. Unsere Medienmitteilungen sollten Ausgangspunkte für Recherchen, Reportagen oder Kommentare sein, nicht Fertignahrung.

Wie finden Sie das ungeschriebene Gesetz in der Schweizer Medienszene, dass Interviews, aber auch Statements inkl. Kontext gegengelesen werden?

Dieser Grundsatz ist wichtig. Durch die Verschriftlichung, die Übersetzung ins Hochdeutsche und die Kürzungen, die die Redaktion vornehmen muss, können Aussagen verfälscht werden. Das braucht nicht mal absichtlich zu geschehen. Deshalb ist es ganz einfach fair, dass Interviewte die Zitate und deren Einbettung gegebenenfalls korrigieren können. Im Gegenzug darf das Gegenlesen nicht dazu führen, dass die ursprünglichen Aussagen zu blutleerem Image-Gewäsch degenerieren.

Sie waren vorher Journalist, zum Beispiel beim damaligen Radio Z. Was sind für Sie die grössten Unterschiede zwischen den beiden Gebieten?

Heute arbeite ich in einer komplexeren Struktur und muss wesentlich mehr Gesetze und Regeln beachten als damals, auch was die Ausdrucksweise anbelangt. Zudem konnte ich als Redaktor persönliche Kommentare abgeben, das ist in meiner heutigen Funktion tabu. Dieses Interview mit Ihnen ist eine Ausnahme, da ich hier für mich selber spreche, nicht für die Stadt.

Wie finden Sie es, dass beim ZHAW-Studium der Kommunikation die Grundausbildung in PR und Journalismus gemeinsam stattfindet?

Da bin ich unschlüssig. Beide Berufsfelder sind wichtig und haben Schnittmengen wie Wahrheit, Exaktheit, verständliche und korrekte Sprache sowie eine ansprechende Aufbereitung von Informationen. Deshalb ist eine gemeinsame Vermittlung der Grundlagen wohl vertretbar. Trotzdem möchte ich als Staatsbürger, der ich ja auch bin, die beiden Berufsfelder lieber weniger als mehr vermischen. Behördenkommunikation ist nochmals etwas anderes. Staatliche Stellen sollten zurückhaltend mit PR sein.

Haben Sie noch eine Bitte an die Journalisten, die Sie via ZACKBUM.ch veröffentlicht haben möchten?

Journalistinnen und Journalisten sind keine homogene Gruppe. Deshalb kann ich keine Bitte an den ganzen Berufsstand äussern. Stereotype sind mir ein Gräuel.

*) Pio Sulzer (57) leitet seit 2001 die Medienstelle des Tiefbau- und Entsorgungsdepartementes der Stadt Zürich. Seine bisherigen Chefs waren Kathrin Martelli (FDP), Martin Waser (SP), Ruth Genner (Grüne), Filippo Leutenegger (FDP) und aktuell Richard Wolff (AL).