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Wie Medien des 9. Mai gedachten

Russland erinnerte an den Sieg über Nazi-Deutschland.

Die damals siegreiche UdSSR ist 45 Jahre nach dem bitteren Triumph über den Hitler-Faschismus selber untergegangen. Kein anderer Staat hat durch den Vernichtungskrieg Deutschlands gegen die bolschewistischen Untermenschen mehr Verluste erlitten, mehr Leid, mehr Zerstörung. Die Schlachten um Moskau, um Stalingrad, der barbarische Überfall, nach dem Abschluss eines Nichtangriffspakts: 10 Millionen Soldaten der Roten Armee, mindestens 14 Millionen Zivilisten verloren ihr Leben, bis es den sowjetischen Streitkräften in einer heroischen Anstrengung gelang, bis nach Berlin vorzustossen und der Diktatur ein Ende zu setzen, die von den Deutschen bis zuletzt fanatisch verteidigt wurde.

Am 9. Mai wird dieser Sieg traditionell mit einer Parade auf dem Roten Platz in Moskau begangen. Natürlich hat Präsident Putin die Gelegenheit genutzt, um Parallelen aus seiner Sicht zum Ukraine-Krieg zu ziehen. Das kann man zu recht kritisieren.

Aber vielleicht wäre es auch angebracht, kurz an die ungeheuerliche Leistung zu erinnern, die die UdSSR im Zweiten Weltkrieg erbrachte, von der nicht zuletzt auch die von faschistischen Staaten umgebene Schweiz profitierte. Aber doch nicht im heutigen Elendsjournalismus, wo die Kindersoldaten in ihren Verrichtungsboxen sowieso googeln müssen, was der Zweite Weltkrieg eigentlich war.

Der «Blick» hämt in seinem «Ticker»: «Besonders peinlich für Putin: Die eigentlich angekündigte Flugshow wurde kurzfristig abgesagt.» Und zitiert lediglich diesen Splitter aus Putins Rede: «Am 78. Jahrestag des sowjetischen Sieges über Nazi-Deutschland hat Russlands Präsident Wladimir Putin sein Land im aktuellen Krieg gegen die Ukraine als angebliches Opfer dargestellt.» Was wird hier genau gefeiert? Kein Wort darüber.

Gut, das mag halt Boulevard sein, wie sieht’s denn in den «Qualitätsmedien» aus? Nicht besser. Auch Tamedia verwurstet die Meldung in seinem «Ukraine»-Ticker: «Die traditionelle Militärparade auf dem Roten Platz ist trotz klaren Himmels ohne Flugshow zu Ende gegangen. An Militärtechnik präsentierte das russische Militär am Dienstag vor allem gepanzerte Radfahrzeuge. Kampfpanzer fehlten, mit Ausnahme des historischen T-34.»

Offensichtlich hat auch das angebliche Qualitätsorgan den gleichen Satz wie der «Blick» bei der SDA abgeschrieben: «Am 78. Jahrestag des sowjetischen Sieges über Nazi-Deutschland hat Russlands Präsident Wladimir Putin sein Land im aktuellen Krieg gegen die Ukraine als angebliches Opfer dargestellt.»

Dazu porträtiert Tamedia noch einen russischen Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Also die «Süddeutsche Zeitung» porträtiert, Tamedia schreibt’s nur ab. Wladimir Stepanow, 98, war Aufklärer in der Roten Armee. Aber seine Geschichte dient nur als Aufmarschgebiet für seine Kritik an der Invasion der Ukraine: «Er …hat die «spezielle Militäroperation» in der Ukraine öffentlich kritisiert. «Ich kann immer noch nicht verstehen, was passiert ist», sagt er in seinem Wohnzimmer. «Der Krieg ist verrückt.»»

Aber der Leuchtturm NZZ wird doch wohl Gehaltvolles zu schreiben haben? Nun ja: «Wieder ein «echter Krieg gegen Russland» – am Tag des Sieges teilt Putin gegen den Westen aus und appelliert an die Geschlossenheit», berichtet Markus Ackeret aus Moskau. Man kann ja schon froh sein, dass immerhin ein echter Korrespondent und nicht die SDA verwendet wird. Dazu ein Interview mit der «ukrainischen Anwältin Olexandra Matwitschuk, deren Organisation kürzlich mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde», mit klaren Fazit: «Es gibt fast kein Kriegsverbrechen, das die Russen noch nicht begangen haben». Damit wären sie dann tatsächlich in den Fussstapfen der Nazis während des Zweiten Weltkriegs getreten. In dem die Ukraine zu den profaschistischsten Staaten gehörte; der Kriegsverbrecher Stepan Bandera wird im Westen des Landes bis heute mit Denkmälern geehrt.

«Putin rechtfertigt Kämpfe gegen Ukraine – und spricht von «Krieg»», bluewin.ch, CH Media, nau.ch, «20 Minuten», srf.ch, überall die gleiche Einheitssauce. Nicht sonderlich originell ist auch «watson»: «Heute ist der «Tag des Sieges»: Was plant Putin?» Aber immerhin findet man im Artikel einen Absatz, der sonst fehlt: «In Russland selbst ist der 9. Mai vielmehr ein Feiertag für die Bevölkerung. Im Zweiten Weltkrieg starben bis zu 27 Millionen Menschen aus der Sowjetunion, fast jede Familie hatte in diesem Krieg Opfer zu beklagen. Deswegen hält Russland das Gedenken an diese Menschen am Leben.»

ZACKBUM hätte nicht gedacht, dass wir mal «watson» loben …

 

Die Not mit dem Notrecht

Wie die Mainstream-Medien Grundlegendes ignorieren.

Enteignung von Aktionären? Notrecht. 16 Milliarden mit einem Federstrich ausgelöscht? Notrecht. 209 Milliarden Staatsgarantien? Notrecht. Welches Notrecht eigentlich?

Wenn die Not gross ist, gibt es den sogenannten übergesetzlichen Notstand. Notstand wie Katastrophe, Krieg, Überschwemmung. Notstand wie Notwehr. Welches Notrecht kann eigentlich der Bundesrat anwenden, wenn er durch ihr unfähiges Management in Schieflage geratene Banken retten will, weil er meint, er müsse?

Zunächst einmal steht vor dem Notrecht in solchen Fällen das extra dafür verabschiedete Gesetz zur «Too big to fail»-Problematik. Zunächst einmal steht vor dem Notrecht das von der FINMA, der Bankenaufsicht verlangte und überprüfte Prozedere für systemrelevante Banken, wie die in einem Notfall ordnungsgemäss abgewickelt werden können.

Da mussten sogenannte Testamente eingereicht werden, die einen solchen völlig normalen Vorgang vorzeichnen. Denn es gibt das Grundgesetz im Kapitalismus, dass ein privates Unternehmen pleite gehen kann und muss, wenn sein Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert.

Wenn also beispielsweise eine Bank über 3 Milliarden Miese macht, dafür aber über 30 Milliarden Boni ausschüttet, dann ist sie krank und liegt komatös auf dem Sterbebett. Ist aber, wir sprechen natürlich von der Credit Suisse, keinesfalls ein Notfall. Weil das jahrelang so zu und her ging.

Chronisch Kranke werden normalerweise nicht auf der Notfallstation behandelt. Aber das mag der Bundesrat anders sehen. Weil seine Mitglieder von finanztechnischen Feinheiten keine Ahnung haben, bemerkte die Landesregierung erst vergangenen Donnerstag, dass bei der CS die Hütte brennt.

Da muss die Feuerwehr kommen, mit Alarmsirene und Notrecht. Aber welches Notrecht eigentlich, gibt es denn in der Schweiz eigentlich Notrechtparagrafen? Jein.

Es gibt zwei Artikel in der Bundesverfassung, die dafür hingeprügelt werden. Artikel 184 ist der eine. Der trägt zwar den Titel «Beziehungen zum Ausland», hat aber den Absatz 3: «Wenn die Wahrung der Interessen des Landes es erfordert, kann der Bundesrat Verordnungen und Verfügungen erlassen. Verordnungen sind zu befristen

Was hat das mit einer Bank in Schieflage zu tun? Gemach, es gibt noch Artikel 185. Absatz 2 und 3 lauten:

«Er trifft Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit.
Er kann, unmittelbar gestützt auf diesen Artikel, Verordnungen und Verfügungen erlassen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen. Solche Verordnungen sind zu befristen.»

Jetzt kommt der Witz, der keiner ist: gestützt auf diese beiden Artikel der Bundesverfassung hantiert der Bundesrat mit Notrecht bei Banken. Das tat er mehrfach bei der Rettung der UBS vor dem Abgrund, das tut er inzwischen schon wieder bei der Übung, die CS zum Schnäppchenpreis an die UBS zu verticken. Da fragt sich der juristische Laie, was das Problem der CS mit der «Wahrung der Interessen des Landes» oder mit der inneren Sicherheit oder «mit unmittelbar drohenden schweren Störungen» zu tun habe.

Ha ha, sagt da der Bundesrat, und willige Staatsrechtler, zufälligerweise als Professoren vom Staat angestellt, stimmen ihm zu: ein Zusammenbruch der CS könnte die Interessen des Landes im Ausland beschädigen, ein möglicherweise zusammenbrechender Zahlungsverkehr zu einer Störung der öffentlichen Ordnung führen.

Wenn der Laie nachfragt, ob das wirklich ernstgemeint ist, dann ist die Antwort, professoral eingekleidet oder einfach mit der besserwisserischen Attitüde, die man als Regierungsverantwortlicher haben muss: ja.

Eine solche Umdeutung geht eigentlich überhaupt nicht, müsste völlig ausgeschlossen sein, wenn gesunder Menschenverstand noch eine Rolle spielte. Wie sagt ein Anwalt, der normalerweise nicht zu kräftigen Ausdrücken neigt:

«Ein Megamurks von Beamtenärschen ohne dogmatische Kenntnisse.»

Die Herleitung der Anwendung von Notrecht ist ein Megamurks. Die Legitimation des Notrechts ist ein Megamurks. Was unter Anwendung von Notrecht stattfindet, ist – Überraschung – auch ein Megamurks.

Eigentlich müsste das Notrecht gegen den Bundesrat angewendet werden. Denn mit der Enteignung von Anteilseignern, dem Kotau vor der UBS, der Nichtberücksichtigung von alternativen Rettungsplänen schädigt der Bundesrat das Image der Schweiz und wahrt keinesfalls ihre Interessen. Eine Störung der öffentlichen Ordnung könnte höchstens durch diese Handlungen des Bundesrats eintreten.

Ist das absurd oder nicht? Unter Verwendung eines für solche Fälle gar nicht vorgesehenen Notrechts schafft der Bundesrat einen Notfall, den er eigentlich verhindern will. So geht verantwortungslose Regierungspolitik als Antwort auf verantwortungslose Bankführung.

Hört damit das Gemurkse auf? Nicht wirklich. Die grossen Medien, also Tamedia, CH Media und Ringier, ebenfalls die NZZ, haben in gewählten Worten hin und her gerudert. Einige Professoren sagen dies zu dieser Anwendung des Notrechts. Andere sagen das. Und letztlich gilt doch die Macht des Faktischen; ist nunmal so beschlossen, war wohl nicht anders möglich.

Was sich genau abspielte, das wird inzwischen aus der «Financial Times» abgeschrieben, weil die Schweizer Wirtschaftsmedien nicht mehr in der Lage sind, selber zu recherchieren. Dass der Abschreiber von 16 Milliarden Franken Additional Tier 1 auf null eine heikle Sache sein könnte: um das zu schreiben, muss man zuerst einmal kapiert haben, worum es sich hier genau handelt.

Und da der durchschnittliche Wirtschaftsjourni schon bei der banalen Frage zögert, ob das Eigenkapital zu den Aktiven oder Passiven gehört, nimmt er hier am liebsten den Telefonjoker oder wartet, dass auch das von der FT erklärt wird. Als die sofort von einem «Aufschrei» schrieb, trauten sich Schweizer Journis halb aus der Deckung, nachdem sie dieses Detail vorher schlichtweg überlesen hatten.

Es ist leider so: Bundesrat? Schwach. Nationalbank? Oberschwach. FINMA? Sackschwach. Medien: peinlich. UBS: clever.

Wumms: Urban Frye

Ukrainische Vorstellungen von Pressefreiheit in der Schweiz.

Im Kanton Luzern haben 39 Ukrainer Klage beim Kantonsgericht erhoben. Sie sind der Auffassung, die Sozialhilfe, die sie bekommen, sei zu niedrig. Unterstützt werden sie bei diesem edlen Ansinnen vom grünen Kantonsrat Urban Frye.

Laut «Blick» habe der auch den Gang ans Gericht finanziert. Da Frye auf seiner Webseite Weltläufigkeit ausströmt und behauptet: «Mit so wenig Geld kann man kein menschenwürdiges Leben führen», wollten wir von ihm wissen, was genau seine Motive seien, wie viel dieser Gerichtsgang koste, wer der Anwalt sei und ob er den Eindruck habe, damit einen Beitrag zur Akzeptanz von ukrainischen Flüchtlingen in der Schweiz zu leisten.

Damit gerieten wir aber in schweres Gelände. René Zeyer identifizierte sich als das, was er ist: freier Publizist, und stellte ein paar Fragen. Daraufhin drehte Frye den Spiess um:

«Können Sie mir bitte sagen, für welches Medium sie schreiben und in welchem Kontext die allfälligen Antworten auf Ihre Fragen stehen

Wir erklärten geduldig, dass wir als freier Journalist verschiedene Abnehmer haben, und zum Kontext führten wir aus: Was Sie betrifft, ist der Kontext, dass Sie eine Klage von 39 Ukrainern finanzieren und mich die Motive und der Verlauf interessieren.

Natürlich bekäme der Grünen-Politiker seine Antworten zur Überprüfung zugestellt. Doch damit wollte er sich nicht zufrieden geben:

«Haben Sie einen konkreten Auftrag eines Mediums, wenn ja, von welchem? Bitte bestätigen Sie mir den Auftrag. Ansonsten kann ich Ihnen keine Auskunft geben.»

Daraufhin mussten wir ihm mitteilen:

Sie haben eine sehr merkwürdige Vorstellung vom Journalismus. Erstens stellt der Journalist die Fragen, nicht der Befragte. Zweitens biete ich Ihnen Gelegenheit, sich zu erklären. Wenn Sie darauf verzichten wollen, spricht das ja schon für sich selbst. 

Ihnen einen Auftrag bestätigen? Entschuldigung, aber Sie sind ja nicht ganz dicht.

Offensichtlich geruht der Kantonsrat nur dann, eine journalistische Anfrage zu beantworten, wenn er weiss, ob seine Antworten in einer geschützten Werkstatt, einer freundlichen Umgebung oder gleich in der «Republik» erscheinen.

Mit diesem Gezicke hat er die Möglichkeit verspielt, seine Handlungen zu erklären. Kein Kommentar …

Die Jahresbilanz

Wie war 2022 für die Medien? Katastrophe.

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Die Wirklichkeit müsste wie die Nemesis über ihre mediale Darstellung herfallen. Für die Ungebildeten unter den Journalisten: Die Nemesis ist die griechische Göttin des gerechten Zorns, der ausgleichenden Gerechtigkeit.

Denn die grossen Massenmedien und sogenannten Qualitätszeitungen haben sich auch 2022 noch weiter von ihrer eigentlichen Aufgabe entfernt. Ihren Konsumenten und Zahlern ein bearbeitetes, eingeordnetes, nach Bedeutung gewichtetes Bild der Realität zu vermitteln.

Es gibt keine objektive Realität, wie schon viele Verteidiger des Marxismus-Leninismus leidvoll erfahren mussten. Aber es gibt mehr oder minder kompetente Versuche, eine Interpretation zu liefern, die dem Konsumenten einen Erkenntnisgewinn verschafft, ihn ein wenig begreifen lässt, was über 8 Milliarden Menschen in über 200 Staaten so treiben.

Wie sie leben, welche Träume sie haben, welche Mentalität sie prägt, welche geschichtlichen Erfahrungen. Wie sie Konflikte lösen oder eben nicht. Was sie so treiben, um das zu erreichen, was wohl der Traum jedes Erdenbürgers ist: sein kleines Glück im Diesseits verwirklichen.

Der Mensch ist ein widersprüchliches Wesen, gesteuert von Rationalität und auch Irrationalität. Die einen mehr, die anderen weniger. Er lebt in einer widersprüchlichen Wirklichkeit, einer multipolaren Welt, zersplittert, fragmentiert, granuliert und dennoch durch die Globalisierung so eng vernetzt wie noch nie in der Geschichte.

Dank Internet haben inzwischen rund 5 Milliarden Menschen Zugang zu einem Meer von Informationen. Das ist aber noch verschmutzter als die Weltmeere; dem Nutzer geht schnell die Luft aus und er ersäuft in wilden Strudeln von Belanglosigkeiten.

Dagegen zimmert er sich ein Rettungsboot, er schliesst sich einer Gruppe (oder mehreren) an. Hier versammeln sich die Kenner der Andamanen, die Sammler von Bierdeckeln, Sportsfreunde, Rechte, Linke, Abartige und Fetischisten, Kenner der Philosophie und Sammler von Pornos um wärmende Lagerfeuer, angefacht von Gleichgesinnten.

Dadurch wird die Welt vom bunten Kaleidoskop zu einem trichterförmigen Bildausschnitt, gleichförmig grau statt bunt, geordnet statt chaotisch, erklärbar statt geheimnisvoll. Rund statt kantig, einschränkend statt bewusstseinserweiternd.

In unsicheren Zeiten sucht der Mensch nach Sicherheiten. Will Bestätigung der eigenen Vorurteile, will nicht mit Widerspruch herausgefordert werden. Denn denken tut nicht weh, ist aber anstrengend. Schwarzweiss ist beruhigender als bunt und farbig. Aber Schwarzweiss-Seher sind wie blinde Maulwürfe, die sich durch die Erde graben und keine Ahnung haben, welche wahren Wunder sich an der Oberfläche abspielen.

Heinrich von Kleist verzweifelte an der einfachen Frage, wie es denn wäre, wenn alle Menschen grüne Brillen tragen würden, ohne das zu wissen. Dann käme ihnen die Realität grün vor, obwohl sie das nicht ist:

«Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urtheilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün — und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzuthut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr — und alles Bestreben, ein Eigenthum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich.»

Sind wir 2022 weiter als 1801, als Kleist das schrieb? Spielt in unserem Alltag die Nemesis noch eine Rolle? Damit sie das könnte, müsste man sich an sie erinnern. Nemesis, Zeus, Schwan, Helena, um derentwillen der Trojanische Krieg geführt wurde? Nemesis wird begleitet von Aidos, der Göttin der Scham. Ihre Hauptaufgabe ist, menschliche Hybris zu bestrafen und die Missachtung von Themis, der Göttin des übergeordneten Rechts und der Sittlichkeit.

Womit wir schon mitten im Problem der Medien wären. Brüllende Bildungsferne, historischer Analphabetismus, Schamlosigkeit und Unkenntnis des Begriffs Sittlichkeit: das sind Merkmale, mit denen man den modernen Journalismus ziemlich erschöpfend beschreiben kann. Es wird zunehmend gejapst und gehechelt, in ermüdenden Schlaufen die gleichen Narrative durchgekaut, die Bestätigung von Vorurteilen geliefert, statt die Bausteine für Urteile.

Denn, so ist der Mensch: er möchte die Welt schon verstehen. Er ist nicht bösartig von Natur aus, sondern eigentlich anteilnehmend und mitleidig. Nur kommt er so selten dazu. Er mag’s gerne kommod und bekömmlich. Aber bei der Lektüre der modernen Massenmedien (wenige Ausnahmen bestätigen die mächtige Regel) wird ihm Fastfood serviert. Angereichert mit Geschmacksverstärkern und Zucker als Geschmacksträger, der dank geschicktem Lobbying den Kampf gegen Fett längst gewonnen hat.

So wird das Drama der abserbelnden Medien zur Tragödie. Denn  eigentlich hätten die Helden des Stücks, die Journalisten und Publizisten, den Ausgang in der Hand. Seit rund 30 Jahren gibt es das Internet. Es ist damit eine Generation alt, und es wäre die Rettung für alle Anbieter bearbeiteter News mit Nutz- und Mehrwert.

1605 erschien die wohl erste Zeitung Europas, das Wochenblatt «Relation aller Fürnemmen und gedenckwürdigen Historien». 400 Jahre lang war Print das Medium der Wahl, nur ergänzt durch Radio und dann TV. Alles Medien, die keine Interaktion zulassen, keine Individualisierung, keine Vernetzung, keine verschiedenen Ebenen der Vertiefung, keine Dreidimensionalität. Im Gegensatz zum Internet.

Aber in den dreissig Jahren seiner Existenz ist den grossen Verlagen, immer noch geprägt von der Druckermentalität, nichts Neues eingefallen. Ausser: Internet muss auch sein, das ist dann einfach digital und flimmert. Aber wie man damit Geld verdienen könnte, dieses Geheimnis aufzudecken, ist noch niemandem vergönnt.

Also klagen und jammern die Medien, krähen nach Staatshilfe, weil sie angeblich für die Demokratie unersetzlich seien. Aber weil sie als Ausweg aus der Krise nur eins kennen – sparen, bis es quietscht und knirscht –, nimmt ihnen das die Bevölkerung nicht wirklich ab. Die verlorene Abstimmung über eine Steuermilliarde Subventionen, trotz der geballten Medienmacht derjenigen, die davon profitiert hätten, ist wie ein Menetekel an der Wand. Das ist ein Rebus und bedeutet wohl: «Gott hat dein Königtum gezählt und beendet

Der babylonische König Belsazar soll sich in frevlerischem Hochmut an Gott versündigt haben und sich über ihn gestellt. Wie dichtete Heinrich Heine, der wohl begabteste Lyriker deutscher Zunge, so schön (leicht gekürzt):

«Doch kaum das grause Wort verklang,
Dem König ward’s heimlich im Busen bang.
Und sieh! und sieh! an weißer Wand
Da kam’s hervor wie Menschenhand;
Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
Belsatzar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.»

Es gab Zeiten, da meinten irre gewordene Banker, sie seien die «Master of the Universe». Es gab Zeiten, da meinten Medienclans, sie hätten Gelddruckmaschinen im Keller stehen, bis in alle Ewigkeit.

2022 bedeutet nicht das Ende der Newsmedien. Aber ihre selbstverschuldete Verzwergung, ihren beschleunigten Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Begleitet von rechthaberischem Geschrei, unbrauchbaren und haftungsfreien Kommentaren, fuchtelnder, aber verantwortungsloser Besserwisserei und unappetitlicher Betrachtung des eigenen Bauchnabels.

Sie gleichen immer mehr dem Idioten von Shakespeare, leicht abgewandelt trifft’s auf den Punkt:

«News are a tale
Told by an idiot
Full of sound and fury
signifying nothing.»

Notrecht – und keiner schaut hin

Ukraine, Putin, russische Zensur. Und Notrecht in der Schweiz. Hä?

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Kennen Sie das «Bundesgesetz für wirtschaftliche Landesversorgung»? Nein? Dieses Notrecht ist seit dem 23. September in Kraft. Kein Gerücht, denn das wäre strafbar.

Medienecho: nahe null.

In der Schweiz wird wieder einmal Notrecht angewendet. Das letzte Mal wurde damit die UBS im Steuerstreit mit den USA gerettet. Denn nur so war es möglich, am geltenden Bankgeheimnis vorbei Kundendaten an die grösste Wirtschafts- und Militärmacht der Welt auszuliefern, ohne dass sich die verantwortlichen Bankführer strafbar machten. Inzwischen ist das Bankkundengeheimnis geschleift, nur noch ein Papiertiger. Ohne dass das einer Volksabstimmung unterstellt worden wäre.

Tempi passati. Aktuell ist zwar der Zustand der Credit Suisse besorgniserregend, aber eigentlich hat die Schweiz andere Probleme. Versorgungsprobleme. Dafür, bzw. dagegen gibt es das «Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung». Ein harmloser Name, und auch die Zweckbestimmung kommt ganz freundlich daher:

«Dieses Gesetz regelt Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selber zu begegnen vermag.»

Also wie gemacht für die aktuelle Situation. Am 26. September vermeldete die NZZ, und nur sie: «Ohne dass es jemand bemerkt hat: Der Bundesrat hat eine drohende Strommangellage ausgerufen».

Das mag ja nun ein bürokratischer Akt gewesen sein, der halt nur den aufmerksamen Bundeshaus-Redaktoren der alten Tante auffiel. Allerdings heisst es dann am Anfang des Artikels: «Seit Freitag gilt verstecktes Notrecht, zum Beispiel ein Verbot, Gerüchte zu verbreiten. Ein Staatsrechtsprofessor bezeichnet das Vorgehen des Bundesrates als gesetzeswidrig.»

Hoppla. Was stört den Juristen? «Aus Sicht des Zürcher Staatsrechtsprofessors Giovanni Biaggini ist der Entscheid des Bundesrats allerdings äusserst heikel: «Entweder es liegt derzeit tatsächlich eine unmittelbar drohende schwere Mangellage vor. Oder der Beschluss ist gesetzwidrig.»

Gut, das mag nun eine typische Feinheit für einen Strafrechtsprofessor sein, das muss uns doch nicht wirklich beunruhigen. Das hier aber schon. Wir zitieren aus Kapitel 7: «Strafbestimmungen». Da heisst es zum Beispiel in Artikel 54:

«Wer in Zeiten einer unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden schweren Mangellage vorsätzlich und in der Absicht, sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, unwahre oder entstellende Behauptungen über geltende oder bevorstehende Massnahmen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Landesversorgung äussert oder verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Auf Deutsch: Das Verbreiten von Gerüchten wird bestraft. Wobei wer entscheidet, was eine freie Meinungsäusserung (erlaubt), was ein Gerücht (strafbewehrt) ist?

Auch Artikel 49 «Widerhandlungen gegen Massnahmen» oder 50 «Verletzung der Auskunftspflicht» haben es in sich. Widerhandlungen können «mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen» geahndet werden. Zum Beispiel: wer «trotz Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels eine Verfügung nicht befolgt, die sich auf dieses Gesetz oder darauf beruhende Ausführungsbestimmungen stützt».

Das heisst auf Deutsch: Sollte der Bundesrat tatsächlich verfügen, dass die Raumtemperatur nicht über 17 Grad geheizt werden darf, Saunen oder Heizstrahler ausser Betrieb zu nehmen sind, und jemand käme auf die Idee, das vorsätzlich zu ignorieren, kann er im Knast landen. Ob auch schon ein Vollbad dafür reicht, müsste im Einzelfall geprüft werden.

Man mag sich nun fragen, wie denn kontrolliert wird, ob ein «Heiz-Sünder» («Blick») sich nicht den Hintern anfrieren will, sondern wohlige 23 Grad im Wohnzimmer befürwortet. Da käme dann eine der ältesten Geisseln der Menschheit ins Spiel: der Denunziant. Denn keiner zu klein, Kontrolleur zu sein.

Nun mag der liberal gestimmte Mitbürger einwenden, dass es doch seine Privatangelegenheit sei, was sich innerhalb seiner vier Wände abspiele. Ob er dort eingemümmelt in zwei Pullover, Handschuhe und dreifachen Satz Wollsocken ein Zeichen für den Frieden setzen will. Oder sich lieber leichtbekleidet auf dem Fell vor dem knisternden Cheminée hinfläzt, in wohligen 23 Grad. Um dann die auf 80 Grad vorgeheizte Sauna im Keller zu benützen. Anschliessend einen Tee zubereitet, ohne dass ein Deckel den Wassertopf beim Kochen verschliesst. Und aus Bequemlichkeit lässt dieser Sünder auch noch überall das Licht brennen.

Damit stünde er allerdings bereits mit einem Bein im Gefängnis. Oder müsste neben einer gesalzenen Energierechnung auch noch mit einer empfindlichen Busse (Tagessätze bis Fr. 3000.-) rechnen. Aber mindestens so schlimm wird die soziale Ächtung. Wahrscheinlich wird ein alter Begriff neubelebt werden: Kalter Krieg. Wann werden wir die ersten Plakate sehen: «Hier wohnt ein Energie-Frevler»? Die anonyme Schmiererei an der Haustüre: «Sie Putin-Freund, Sie Heiz-Sünder»?

Müssen bedauernswerte Gesetzesbrecher mit einem Schild auf der Brust herumlaufen: «Ich habe zu heiss geduscht und schäme mich»? Kommt die Polizei auf Anzeige des lieben Nachbarn und sichert Beweismittel, dass die Badewanne tatsächlich gefüllt wurde? Der Deckel zwar neben dem Topf liegt, aber keine Spuren erkennbar sind, dass er auch auf dem Topf war? Gibt das verräterische Geräusch eines Föns schon Anlass zu einer Hausdurchsuchung? Zeigt das geeichte Polizeithermometer mehr als 17 Grad? Wird bei 17,1 noch ein Auge zugedrückt?

Aufmerksamen Lesern von ZACKBUM mögen diese Absätze bekannt vorkommen. Das liegt daran, dass wir bereits am 7. September – damals alleine auf weiter Flur – auf dieses Gesetz aufmerksam machten.

Sind das Übertreibungen, ist das eine satirische Überspitzung? Kann man darüber lachen – oder wird uns das Lachen im Hals steckenbleiben?

Zumindest zwei Tatsachen stimmen bedenklich. Die überwältigende Mehrzahl der Leser haben von diesem Gesetz noch nie etwas gehört. Der überwältigenden Mehrheit der Leser ist es entgangen, dass dieses Gesetz bereits seit einigen Wochen in Kraft ist. Der grossen Mehrheit der Leser ist nicht bekannt, dass bereits die Verbreitung von Gerüchten, das Nicht-Befolgen von bundesrätlichen Anordnungen mit hohen Bussen und sogar mit Gefängnis bestraft werden kann.

Das ist kein guter Zustand in einem Gemeinwesen, bei dem die öffentliche Information über hoheitliche Anordnungen ein so wichtiges Gut ist. Selber schuld, man hätte es ja spätestens am 27. September in der NZZ lesen können? Nein, das ist kein tragendes Argument. Es gab und gibt keine öffentliche Debatte über diese potenziell einschränkenden und repressive Anwendung eines Notrechts.

Damit die Kirche im Dorf bleibt: Das ist nicht der Anfang des Endes der direkten Demokratie und der Mitbestimmung des Schweizer Staatsbürgers. Aber es ist beunruhigend.

Krise in den Medien

Krise könnte Publikum generieren. Könnte.

In Krisen sucht der Mensch Orientierung und Halt. In einer Pandemie möchte er wissen, wie gefährdet er ist. Was er zum eigenen Schutz tun kann. Welche Massnahmen sinnvoll sind, ob Impfungen nützen, welche schädlichen Nebenwirkungen sie haben könnten. Der Mensch zweifelt und hört dies und das.

Eine wunderbare Chance für Massenmedien, ihr Publikum zu vergrössern. Denn sie hätten alle Ressourcen, um als Leuchttürme in dunkler Nacht zu dienen. Was ihnen selbst an Expertenwissen abgeht, könnten sie einholen. Ihre Redakteure könnten ausgewogen, mit kritischer Distanz zu Regierungsmassnahmen und mit gesundem Menschenverstand berichten.

Angesichts der Tatsache, dass sich in der Schweiz wenige Grosskonzerne den Tageszeitungs-Markt untereinander aufgeteilt haben, in vielen Regionen ein Meinungsmonopol herrscht, das höchstens noch von elektronischen Medien aufgebrochen wird, könnten sie als Plattform dienen, auf der diverse Meinungen, Ansichten, Einsichten aufeinanderprallen. Ein Querschnitt dessen halt, was in der öffentlichen Meinung im Schwange ist.

So könnte das sein. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie die Massenmedien krachend versagten. Ihnen fehlte es an kritischer Distanz zum staatlichen Handeln. Statt ausgewogener und überlegener Berichterstattung boten sie Raum für wahre Corona-Kreischen, herausragend symbolisiert in Marc Brupbacher von Tamedia. Der beschimpfte hysterisch Regierende, wusste alles besser und verbreitete wahre Panikorgien. Die Medien gaben profilierungssüchtigen Wissenschaftlern ungefiltert Platz, wahre Weltuntergangs-Orgien aufzuführen. Es gab einen Wettbewerb, wer mit welcher Anzahl Toter den anderen übertrumpft. Immer schön abgefedert mit «könnte, würde, ist zu befürchten».

Auf der anderen Seite wurde das durchaus kritikwürdige Management der Regierenden mit unkritischem Lob überschüttet. Der CEO eines grossen Medienkonzerns gab sogar als Stallorder heraus, dass seine Redaktionen gefälligst Regierungshandeln positiv zu würdigen, gar zu unterstützen hätten.

Statt Plattform für divergierende Meinungen zu sein, durften Redakteure ihre Privatansichten spazieren führen. Abweichende Meinungen wurden nicht zugelassen, gar stigmatisiert, sogenannte Corona-Leugner wurden beschimpft, karikiert, beschuldigt. Ihnen wurde Fahrlässigkeit, Uneinsichtigkeit, sogar versuchte Körperverletzung an anderen vorgeworfen. Es herrschte weitgehend Rechthaberei und arrogante Überheblichkeit.

Die Quittung folgte auf dem Fusse. Dieselben Medien besannen sich plötzlich ihrer unersetzlichen Bedeutung in einer funktionierenden Demokratie, als kontrollierende und kritische vierte Gewalt. Dafür wollten sie – um das eigene wirtschaftliche Versagen auszugleichen – eine zusätzliche Finanzspritze von einer Steuermilliarde. Mit geschickter Lobbyarbeit bugsierten sie die Milliarde durchs Parlament, dann sahen sie sich mit einem Referendum konfrontiert.

Auch hier reagierten die Mainstream-Medien wie gewohnt. Zunächst ignorierten sie das Referendum, dann nahmen sie es übellaunig zu Kenntnis, und viel zu spät begannen sie, es ernst zu nehmen. Daraufhin veranstalteten die Medienmacher die wohl dümmste und kontraproduktivste Werbekampagne in der jüngeren Geschichte, um für ihr Anliegen Stimmung zu machen. Die Quittung folgte: das Referendum wurde zum Entsetzen der Besitzerclans der Schweizer Medien angenommen.

Darauf erfolgte ein ungeordneter Rückzug von allen wilden Behauptungen, dass ohne diese Milliarde die Pressefreiheit in der Schweiz in ernster Gefahr sei, ein Mediensterben einsetzen würde, die grossen Medienhäuser ihren Aufgaben als kontrollierende vierte Gewalt nur noch unzulänglich nachkommen könnten. Denn dem Publikum war längst klar geworden: das taten sie sowieso nicht mehr, eine zusätzliche Milliarde hätte daran auch nichts geändert.

Aber neue Krisen bedeuten auch immer neue Chancen. Seit dem 24. Februar 2022 herrscht wieder Krieg in lediglich 2000 Kilometer Entfernung. In diesen Krieg ist eine Atommacht verwickelt, die zudem eine wichtige Rolle als Energielieferant für Europa spielt. Natürlich wird diese Abhängigkeit als Waffe verwendet, der Öl- und Gashahn nach Belieben zugedreht.

Auch in dieser Krise sucht der Mensch nach Orientierung und Halt. Wie schlimm wird es, auf welche Energiepreise muss er sich einstellen? Wird es zu Blackouts in der Schweiz kommen, zu kontrollierten Stromabschaltungen? Wie schlimm wird die Heizsituation? Kann ein Normalbürger die Energiepreise überhaupt noch stemmen? Mit welchen Massnahmen kann er sich an der Bewältigung der Krise beteiligen? Welche Spartipps sind sinnvoll, welche absurd? Wie sehen zukünftige Lösungen aus? Ist unsere Landesregierung dieser Krise gewachsen, ergreift sie vorausschauend alle nötigen Massnahmen? Ist der Ausstieg aus der Atomenergie unter diesen neuen Umständen überhaupt noch sinnvoll?

Welche Rolle spielen die Alternativenergien, können Photovoltaik, Windräder, Bodensonden, bauliche Massnahmen, ein anderes Mobilitätsverhalten die Krise meistern? Müssen wir mit einem allgemeinen Wohlstandsverzicht rechnen? Geht die Krise vorbei, und wenn ja, wann?

Auf alle diese Fragen (und auf einige mehr) liefern die Massenmedien wieder nur sehr unzulängliche Antworten. Wer könnte aus dem Stand sagen, welche Bedeutung zum Beispiel Alternativenergiequellen in Deutschland, in der Schweiz haben? Wie hoch ist ihr Anteil am gesamten Energiemix? Na? Eben.

Zudem gibt es eine Frage, die die Menschen sehr umtreibt. Ist es denkbar, dass zum zweiten Mal in der Geschichte der Menschheit Atombomben zum Einsatz kommen? Welche Auswirkungen hätte das? Ist es denkbar, dass zum zweiten Mal ein ukrainisches AKW in die Luft fliegt? Welche Auswirkungen hätte das?

Schliesslich: Sind die Sanktionen eine gute Sache? Welchen Schaden richten sie beim Gegner an, welchen Schaden bei uns selbst? Ist die geradezu manische Verteufeln alles Russischen, inklusive Kunst und Kultur, gerechtfertigt oder Ausdruck einer Hysterie? Kann es richtig sein, die Eigentumsgarantie aufzuheben, das Prinzip, dass jeder unschuldig ist, bis ihm eine Schuld rechtsgültig nachgewiesen wurde? Kann es richtig sein, das zweite Prinzip aufzuheben, dass es gegen jede staatliche Zwangsmassnahme möglich ist, den Rechtsweg zu beschreiten?

Wieder stapeln sich die Fragen und Befürchtungen. Niemand weiss alle richtigen Antworten. Wieder nehmen die Medien einseitig Position und Partei ein. Wieder werden abweichende Meinungen nicht zugelassen, Dissidenten verunglimpft, beschimpft. Was früher der Corona-Leugner war, ist heute der Putin-Versteher. Zwei Kampfbegriffe, die an Dümmlichkeit schwer zu überbieten sind.

Das Trauerspiel geht weiter. Die Medien haben aus ihrem Versagen während der Pandemie nichts gelernt. Sie haben zwar zur Kenntnis genommen, dass ihre Glaubwürdigkeit weiter gelitten hat. Sie haben zur Kenntnis genommen, dass sich immer mehr Leser fragen, wieso sie für diese lausige Qualität des Gebotenen noch Geld zahlen sollen. Wieso sie die Privatmeinungen von überforderten und rechthaberischen Journalisten finanzieren sollen. Die nicht mehr recherchieren und ergebnisoffen berichten, sondern schon im Voraus wissen, was sie berichten werden.

Es gibt Journalisten, die zitieren Menschen, die es gar nicht gibt. Es gibt Journalisten, die beschreiben eine Wirklichkeit, die es gar nicht gibt. Es gibt Journalisten, die geben Handlungsanleitungen, die ins Nichts führen. Es gibt Journalisten, die Ratschläge erteilen, deren Befolgung im besten Fall nutz- und wirkungslos ist, im schlechtesten Fall schädlich.

Die intelligente Wiedergabe einer komplexen und komplizierten Realität ist aufwendig. Es braucht Gehirnschmalz, das Vermögen, ohne Scheuklappen die Wirklichkeit so akkurat und unverfälscht wiedergeben zu wollen wie möglich. Es braucht die Fähigkeit, dem mündigen Leser die nötigen Informationen zu verschaffen, aufgrund derer er sich eine eigene Meinung bilden kann. Es braucht den Verzicht auf Belehrung, Rechthaberei, den Verzicht auf arrogante Besserwisserei, hinter der nichts anderes als tiefe Verunsicherung herrscht.

Bislang sprechen alle Anzeichen dafür, dass die Medien, die Massenmedien, auch in dieser Krise versagen. Damit verschärfen sie ihre eigene Krise. Den wohlverdienenden Verlangsmanagern wird weiterhin nichts anderes einfallen als: sparen, noch mehr sparen. Entlassen, ausdünnen, Kompetenz abbauen, Agenturmeldungen, Fremdbeiträge ausbauen. Und als Zückerchen im Elend den verbliebenen Journalisten die Möglichkeit geben, die Leser mit ihren völlig unerheblichen Meinungen zu belästigen. Das einzige Gefäss, das wächst und wächst, ist die Kolumne. Der Kommentar. Der Leitartikel. Das «ich sag› der Welt, wie sie sein sollte, aber leider hört keiner auf mich»-Gewinsel.

Trostlos. Schlimmer noch: hopeless, wie man auf Englisch sagt. Caso perdido, wie man’s auf Spanisch ausdrückt. Im Arsch, wie man’s unfein, aber zutreffend auf Starkdeutsch sagt.

Journalistischer Scheinriese

ZACKBUM gesteht: wir haben die welterschütternde Bedeutung von Dreadlocks unterschätzt.

Im Gegensatz zu vielen Mainstream-Medien ist sich ZACKBUM nicht zu schade, eine Fehleinschätzung einzuräumen und zu korrigieren. Wir meinten: dass in einer Berner Alternativbeiz vor einer Handvoll Zuhörer ein Alternativkonzert einer Alternativband in der Pause abgebrochen wird, habe eine ähnliche Bedeutung, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt.

Aber weit gefehlt. Die «Südthüringer Zeitung» meldet: «Konzertabbruch wegen weisser Dreadlock-Träger». Natürlich verschwendet auch SRF Gebührengelder darauf: «Wenn Rastalocken und Reggae für eine Sturm der Entrüstung sorgen». Dazu alle Schweizer Medienkonzerne, also Tamedia, CH Media und Ringier, ebenfalls «Spiegel», Süddeutsche», »Focus» und FAZ, «stern» sowie «Bild».

Auch die Sprachschranke hat die schreckliche Nachricht über «kulturelle Aneignung» übersprungen, sie ist nach Holland und Schweden metastasiert. Wie eine Kommentarschreiberin auf ZACKBUM richtig vermutet, werden demnächst CNN, BBC, Al Jazeera und Sky News berichten. Wenn sich dann auch noch die chinesische «Morning Post», die russische «Pravda» oder das «Wall Street Journal» des Themas annehmen, kann man von einer Weltschlagzeile sprechen.

So viel Echo hatte die Band «Lauwarm» wohl noch nie, die Brasserie Lorraine darf sich über Gaffer und Touristen freuen, die den Schauplatz solch welterschütternder Ereignisse persönlich in Augenschein nehmen wollen.

Schon vor einiger Zeit hatte eine deutsche Künstlerin Auftrittverbot bei einer Veranstaltung von «Fridays for Future». Ihr Verbrechen: sie ist weiss – und trägt Rastas. Das geht nicht, da fühlen sich Sektenschwurbler plötzlich «unwohl», das zeugt von angeblich mangelnder Sensibilität. Das stünde in der Tradition des «Black facing». Das alles ist der brüllende Wahnsinn, aber legt auch Zeugnis davon ab, wie viel Verpeilte, Genderschwurbler, Diskriminierungssensibelchen, Bauchnabelbetrachter sich in den Massenmedien tummeln.

Wäre das nicht der Fall, müsste ihnen doch aufgehen, dass es sich hier keinesfalls um ein Ereignis handelt, das ein grosses Medienecho verdient hätte. Oder aber, jeder Schwarze, der mit heissem Kamm oder Wässerchen seine Naturkrause bändigt und glättet, ist auch der kulturellen Aneignung schuldig und müsste von der Bühne gebuht werden.

Wir sollten endlich aufhören, Kartoffeln zu essen, die gehören bolivianischen Bauern, denen sie von blutrünstigen Kolonisatoren entwendet wurden. Tee, vergiss es, der gehört Chinesen, und ohne Schlitzaugen darf der nicht getrunken werden. Genau wie Spaghetti, die keinesfalls von den Italienern erfunden wurden. Pizza? Etrusker und Griechen. Kaffee? Hört auf, die Äthiopier zu imitieren.

Und wer faule Tomaten aus Protest gegen kulturelle Aneignung auf die Bühne wirft, sollte gefälligst bei den Azteken und Mayas Abbitte leisten, denn die haben die Xictomatl erfunden und kultiviert.

Und haben wir schon von Baumwolle, Seide, Porzellan und vielen anderen Produkten des täglichen Lebens gesprochen?

Man könnte nun sagen: glücklich eine Gesellschaft, die keine grösseren Probleme hat. Aber obwohl das Zentralorgan des Gutmenschentums, Tamedia, dieses weltbewegende Ereignis gestern zur Aufmacherstory auf Seite eins machte: doch, wir haben grössere Probleme. Altersvorsorge, Energie, Welthandel, Ukrainekrieg, Konfrontation USA – China, 10-Millionen-Schweiz, es gibt da ein paar.

Oder müsste einen der dunkle Verdacht beschleichen, dass «panem et circensis», Brot und Spiele, schon seit den Zeiten der alten Römer ein gutes Konzept war, die Bevölkerung von bedeutenderen Bedrückungen abzulenken?

Das ist die eine Erklärung. Die andere: in den Massenmedien fehlt zunehmend jede Qualitätskontrolle, jedes Bemühen, Ereignisse nach Bedeutung einzuordnen. Sobald Triggerwörter wie Kulturimperialismus, Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, Gendergerechtigkeit fallen, wird das Hirn ausgeschaltet und niemand traut sich, diesen sektiererischen Bannerträgern von brüllendem Wahnsinn zu widersprechen.

Da wundern sich diese Qualitätsmedien, dass sich das zahlende Publikum zunehmend fragt, warum es Geld dafür ausgeben soll, mit belanglosem, in der Lebenswirklichkeit der grossen Mehrheit völlig unbedeutendem Pipifax beschallt zu werden. Oder will jemand ernsthaft behaupten, dass das Tragen von Dreadlocks mehr als 0,01 Prozent aller Leser interessiert? Oder will jemand behaupten, dass die Frage, ob das auch Weisse tun dürfen, mehr als 0,001 Prozent beschäftigt?

 

Das Problem mit der Wahrheit

Wieso ist heutzutage eine einfache Frage so schwer zu beantworten?

Die Frage lautet: Fand im Kiewer Vorort Butscha ein Massaker statt, und wurde es von russischen Streitkräften begangen?

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Das führt zur Frage: wie lässt sich eine solche Behauptung verifizieren, beziehungsweise falsifizieren? Dieser Frage vorangestellt werden müsste die Feststellung: Es handelt sich bislang um ein mutmassliches Massaker, mutmasslich von den Invasoren der Ukraine begangen.

Unsere Methode, zwischen wahr und unwahr zu unterscheiden, ist normalerweise eher einfach gestrickt. Gibt es fotografische Beweise für eine Behauptung? Gibt es Zeugenaussagen, am besten von Augenzeugen? Gibt es die Bestätigung von unabhängiger Seite? Gibt es faktische Beweise wie beispielsweise Kugeln? Gibt es logische oder andere Unstimmigkeiten in einem Erklärungsnarrativ?

Gerade Ereignisse wie die in Butscha können eine signifikante Auswirkung auf den Kriegsverlauf und die Weltöffentlichkeit haben.

Wie war es bei früheren Massakern?

Greifen wir kurz in die Geschichte zurück und erinnern an das Massaker von My Lai. In einem vietnamesischen Dorf verübte die US-Armee am 16. März 1968 ein Massaker an der Zivilbevölkerung mit 504 Toten.

Der US-Journalist Seymour Hersh brachte mit unermüdlichen Recherchen das Massaker an die Öffentlichkeit, allerdings lehnten zunächst alle grossen Medien in den USA die Publikation seiner Recherche ab.  Erst 14 Monate später berichtete «Life», danach auch «Newsweek» und das «Time»-Magazin. Schockierend waren die Aufnahmen des Fotografen Ron Haeberle, der als das, was man heute «embedded journalist» nennen würde, an dieser Militäraktion teilnahm und die Leichen für einen «body count» der Militärstatistik fotografierte.

Denn die erste Verteidigungslinie der Militärs war, dass es sich ausschliesslich um Vietcong, also feindliche Guerillakämpfer, gehandelt habe. Das Massaker hatte einen bedeutenden Einfluss auf die öffentliche Meinung in den USA und löste eine Protestbewegung in weiten Teilen der Welt aus.

Nur wenige Soldaten hatten den Befehl zum Massenmord verweigert, mit dem vorangehende Greuel wie Vergewaltigungen vertuscht werden sollten. Als Hauptverantwortlicher wurde der befehlshabende Offizier William Calley 1971 zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Der damalige US-Präsident Richard Nixon wandelte die Strafe sofort in Hausarrest um; 1974 begnadigte er Calley vollständig.

Nach kurzem anfänglichen Leugnen und Vertuschungsversuchen wurde dann niemals mehr in Frage gestellt, dass es sich tatsächlich um ein US-Kriegsverbrechen gehandelt hatte. Es war nicht das einzige.

Solche singulären Ereignisse hatten schon immer einen manchmal gewaltigen Impact auf die öffentliche Meinung und die Befürwortung oder Verurteilung eines Krieges. Das mutmassliche Massaker von Butscha hat ein vergleichbares Potenzial.

Aktuelle Strassenaufnahme und zwei Wochen alte Satellitenaufnahme.

Aber trotz im Vergleich zu 1968 gewaltig weiterentwickelten Kommunikationsmitteln bis hin zu Satellitenaufnahmen bestreiten die mutmasslichen Täter ihre Tat. Das Massaker werde ihnen untergeschoben, in Wirklichkeit handle es sich um eine Racheaktion ukrainischer Milizsoldaten an Sympathisanten der Russen, nachdem deren Truppen abgezogen seien.

Ein gefaktes Massaker

In den Wirren nach dem Sturz Ceausescus in Rumänien gab es Berichte über Greueltaten seines Geheimdiensts Securitate, dessen Angehörige sich weiterhin gegen den Machtverlust wehrten. Zum Beleg gab es Fotos eines Massengrabs, in dem Leichen lagen, offensichtlich Zivilisten, die mit Stacheldraht gefesselt waren und mit Schüssen getötet. Das sollte als Beleg für das grausame Wüten der Securitate dienen.

Von dieser Mörderbande wurden tatsächlich Kriegsverbrechen begangen, zum Beispiel in Temesvar. Nur stellte sich hier heraus, dass es sich um Leichen handelte, die aus Leichenhallen von Spitälern herbeigeschleppt und entsprechend hindrapiert worden waren, um Stimmung gegen die Securitate zu machen.

Das Beispiel der Massenvernichtungswaffen des Iraks, wie angeblich irakische Soldaten bei der Invasion Kuwaits Babys aus Brutkästen gezerrt und auf den Boden geworfen haben sollen – es gibt viele Berichte, die sich im Nachhinein als Fake News herausstellten.

Allerdings: in vielen, sicher nicht in allen Fällen, kommt die Wahrheit ans Tageslicht. Meistens dadurch, dass für eine Verschwörungsstory zu viele Beteiligte dicht halten müssten. Konkret heisst das aktuell: angenommen, die russische Version stimmte, dass alle Augenzeugen, die Russen als Verursacher identifizieren, lügen. Dass die Satellitenaufnahmen der Leichen, als noch russische Truppen den Vorort kontrollierten, gefälscht sind. Oder dass ukrainische Truppen die Leichen dort präpariert hätten, um sie dann westlichen Medien vorzuführen. Ohne dass einer der Beteiligten auspackt.

Sicherlich sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen und sollte ein verantwortungsvoller Journalismus die Unschuldsvermutung und das Wort «mutmasslich» nicht aus seinem Vokabular streichen.

Berechtigte Zweifel oder Verschwörungsstorys?

Aber bislang hat die russische Seite wirklich keinerlei stichhaltige Beweise vorgelegt, um ihre Behauptung zu stützen. Natürlich werden auf den unendlich vielen Plattformen im Internet wildeste Verschwörungsstorys feilgeboten. Videoanalysen, Widersprüche, Zweifel, Schlussfolgerungen. Natürlich dient zur Selbstverteidigung auch immer das Argument, dass die westlichen Medien eben einseitig berichten würden, dem Narrativ widersprechende Fakten unterdrückten.

Bei aller Unfähigkeit der Medien, bei allem Geheule im Mainstream und der ewigen unreflektierten Wiederholung der gleichen Gemeinplätze: bei all dieser Verwirrung sollte man ein Instrument des Menschen nicht zu gering schätzen: den gesunden Menschenverstand. Etwas ist so, etwas ist nicht so. Man kann sich früher oder später festlegen, was man glaubt.

Aber im Fall von Butscha grenzt es an gesicherte Erkenntnis, noch nicht ganz, aber fast über jeden vernünftigen Zweifel erhaben, dass die Invasionstruppen dieses Massaker verübt haben. Das zu bezweifeln, ist das Recht jedes Bürgers in einer freien Gesellschaft. Ihn deswegen zu beschimpfen oder auszugrenzen oder ihm Nachteile welcher Art auch immer anzudrohen, gehört sich nicht. Oberhalb davon, dass freie Meinungsäusserung eben nicht gratis ist. Die Kosten muss dann schon jeder selber tragen, die Entscheidung ist dem Einzelnen überlassen, ob ihm seine öffentlich geäusserte Meinung etwas wert ist oder nicht.

ZACKBUM hatte beschlossen, sich inhaltlich zum Kriegsverlauf nicht zu äussern. Hier handelt es sich aber um ein Problem, das auch die Rolle der Medien umfasst. Mindestens so erschreckend wie das Massaker selbst ist der offenkundige Vertrauensverlust, den auch seriöse oder halbstaatliche Newsplattformen hinnehmen müssen. Früher hätte eine bestätigte Meldung in der «Tagesschau», erst recht, wenn sie von Paul Spahn vorgetragen wurde, amtlichen Charakter.

Paul Spahn (1914 bis 2002).

Das ist heute leider anders geworden, und daran sind nicht die Russen schuld.

Weniger für mehr

Inflation ist, wenn gleichviel teurer wird. Medien steigern das.

Es geht ja nicht nur um Gas und Öl. Es geht um Getreide, Düngemittel, seltene Metalle, Energie und vieles mehr. Das merkt der Bürger auch daran, dass eine beeindruckende Teuerungswelle auf ihn zurollt.

Nicht nur an der Tankstelle. Schmerzlicher wird es, wenn in den Supermärkten die Nahrungsmittel kräftige Sprünge nach oben machen. In Deutschland hat die Inflation bereits 7,5 Prozent erreicht. Nach offiziellen Zahlen aufgrund eines unrealistischen Warenkorbs. Die gefühlte Inflation ist noch höher.

Was Inflation ist, versteht jeder. Das gleiche Produkt kostet mehr, obwohl es nicht mehr davon gibt. Mit anderen Worten, die Zeitspanne, die der Normalbürger arbeiten muss, um es sich leisten zu können, steigt.

Natürlich kann man mit Konsumverzicht reagieren, wenn Gucci oder Prada die Preise erhöhen. Bei Grundnahrungsmitteln ist das entschieden schwieriger. Man kann auch zwei Pullover anziehen und die Heizung runterdrehen. Man kann’s auch lassen, dann zahlt man halt für die gleiche Raumtemperatur mehr.

Eine Ausnahme von dieser Regel bilden die Medien. Sie haben sich angewöhnt, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Sie setzen regelmässig, manchmal mit längeren, manchmal mit kürzeren Abständen, die Preise hinauf. Das wäre die übliche Inflation. Aber sie machen gleichzeitig noch etwas Weiteres: sie bieten weniger Inhalt für mehr Geld.

Nicht nur der Umfang der Tageszeitung ist zum Skelett abgemagert. Auch der Inhalt wird immer dünner, da immer weniger Mitarbeiter weiterhin versuchen sollen, alles Nötige in die Spalten zu quetschen. Schliesslich machen Medien noch etwas, was sich auch kein anderer Marktteilnehmer traut. Sie kopieren, übernehmen, verwenden immer häufiger die Tastenkombination copy/paste.

Sie entwicklen sich also zu wahren Mogelpackungen. Zuoberst steht weiterhin gross und stolz der Name des Mediums. Meistens mit dem Zusatz «unabhängig» oder einem anderen leeren Versprechen versehen.

Aber der Inhalt wird längst angeliefert. Entweder durch die letzte in der Schweiz verbleibende Nachrichtenagentur. Oder durch Kooperationen mit (noch) stärker ausgebauten ausländischen Titeln. Paradebeispiel Tamedia und «Süddeutsche Zeitung». Und schliesslich wird der gleiche Content mehrfach ausgespielt. Im Print, auf der Webseite, als Podcast, als Videocast, als Dossier.

Und letztlich füllt eine Zentralredaktion weite Teile des Organs ab; lokal verbleiben nur ein paar Journalisten, die sich möglichst reibungsfrei und ohne grossen Aufwand eben ums Lokale kümmern sollten, was sie zu Tode gespart immer weniger tun können.

Das wäre ungefähr so, wie wenn die Suppenfabrik stolz ihr Logo auf die Tüte haut. Während die meisten Bestandteile nicht etwa in der Fabrik zusammengerührt werden, sondern gefriergetrocknet angeliefert. Wobei es eine Riesenfabrik gibt und um sie herum ein Dutzend kleinere, die noch etwas Petersilie, Schnittlauch oder Kümmel hineinmischen.

Dann wird der Inhalt der Tüte immer mehr reduziert, auch ihr Umfang – aber der Preis erhöht.

Super Geschäftsmodell? Genau, das sagen sich die genialen Verlagsmanager auch.

«Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht»

So endet «Der Prozess» von Franz Kafka. So können die Medien enden.

Seit es das Internet und das Digitale gibt, ist der Satz «lügt wie gedruckt» leicht veraltet. Aber nur technologisch, nicht inhaltlich.

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Seit dem Aufkommen der Presse, was auch noch nicht so lange her ist – weder Ägypter noch Griechen kannten das –, wogt die gleiche Debatte. Wer entscheidet wonach, was es wert ist, publiziert zu werden?

Ein Genie verfilmte Kafka mit einem genialen Anthony Perkins.

Wer entscheidet wonach, wie es kommentiert, gefärbt, beurteilt wird, moderndeutsch «geframt»? Haben sich die Medien das Schmähwort von der «Lügenpresse» redlich verdient oder ist das ein dümmlicher Kampfbegriff von Marginalisierten und Verpeilten?

Gedrucktes ist normalerweise schwarz auf weiss, seltener weiss auf schwarz. Die Wirklichkeit ist aber mindestens grau, häufig bunt, scheckig und kompliziert.

Wo fängt unzulässige Beeinflussung an, wo hört die redaktionelle Unabhängigkeit auf? Ist es eine Karikatur aus dem Bilderbuch des Antikapitalisten, dass der Besitzer der Produktionsmittel, hier des Verlags, befiehlt, wo’s langgeht? Oder geben die Schweizer Medienclans die grossen Linien vor? Lesen wir also im Wesentlichen, was Coninx-Supino, Ringier-Walder , Wanner-Wanner oder Lebrument-Lebrument genehm ist?

In Krisen und Kriegen stirbt die Wahrheit zuerst

Fangen wir mit den Basics an. Erinnert sich irgend jemand, in deren Hausorganen einen kritischen Bericht über diese Clans gelesen zu haben? Ist doch auch logisch, wenn mir «Tages-Anzeiger» oder «Blick» gehören würden, fände ich es auch nicht lustig, von meinem eigenen Blatt in die Pfanne gehauen zu werden.

In Krisenzeiten scharen sich Massenmedien gerne um die Regierenden. In den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts wurde Unsägliches auf allen Seiten publiziert. Gelogen, gehämt, gekeift, gehetzt, ganze Weltbilder auf Lügen und Verzerrungen aufgebaut.

Vor dem Gerichtshof der Massenmedien.

Auch im Kalten Krieg gab es unschöne Auswüchse. Unvergessen die Hetze der NZZ gegen den Kommunisten und Kunsthistoriker Konrad Farner Mitte der Fünfzigerjahre. Unvergessen der Inserateboykott der Autolobby gegen den «Tages-Anzeiger». Unvergessen das Schreibverbot gegen Niklaus Meienberg, das damals Otto Coninx unverblümt als persönliche Abneigung verteidigte: «Daneben aber hat sich ein ungutes Gefühl bei mir verdichtet, ich verspürte einen Aberwillen gegen M.s Schreibart, seine Einseitigkeit, seine Verzerrungen, sein Verhältnis zur Schweiz, seine Animosität, seine Manipulation, der ich mich persönlich als Leser ausgesetzt sah.»

Beziehung Medien – Masse: es ist kompliziert

Einzelfälle, dagegen steht eine lange und strahlende Geschichte von durch die Medien aufgedeckten Skandalen? Muss man dann nicht auch die Glanztat eines Hansjörg Abt erwähnen, der hartnäckig den Hasardeur und Betrüger Werner K. Rey zur Strecke brachte? Auch hier könnte man eine lange Latte von Beispielen aufführen.

Aber sind das alles Gross- und Schandtaten aus der Vergangenheit, weil es an Beispielen aus der Gegenwart mangelt? Durchaus nicht. Das Internet ermöglicht ganz neue Formen der Recherche und Aufdeckung. Was früher mühsam in Archiven oder vor Ort zusammengesucht werden musste, ist heutzutage mit etwas Gelenkigkeit am Bildschirm möglich. Allerdings sind die ewigen «Leaks» und «Papers» kein Glanzlicht dieser neuen, schönen Welt. Sondern verantwortungslose Verwertung von Hehlerware, die von anonymen Quellen zugesteckt wird, ohne dass man deren Motive kennen würde.

Blick in einen Newsroom …

Zudem sind die Medien in einen fast perfekten Sturm geraten. Einbrechende Inserate im Print, im Web nehmen ihnen Internet-Giganten wie Google, Facebook oder Amazon die Butter vom Brot. Inhaltliches und im Umfang dramatisch Geschrumpftes wird hartnäckig zu den gleichen Preisen wie früher angeboten.

Die Personaldecke wird dünn und dünner; drei der vier überlebenden Tageszeitungskonzerne verdienen ihr Geld längst mit journalismusfremden Tätigkeiten. Um für wegfallende Einnahmen kompensiert zu werden, fahren sie zudem einen erkennbaren Schmusekurs gegenüber Staat und Regierung.

Grenzenlose Vermischung von Bezahltem und Berichtetem

Auch die Pandemie ist Anlass, staatstragende Geräusche von sich zu geben. Das ist nicht verboten, aber da es inzwischen faktisch Tageszeitungsmonopole gibt, wäre es schön gewesen, wenn die Behauptung, Forumszeitung und Plattform zu sein, mehr als ein Lippenbekenntnis wäre.

Die schon immer sehr dünne Grenzlinie zwischen bezahltem und selbst erstelltem Inhalt verblasst bis zur Unsichtbarkeit. Früher inhaltsschwere Worte wie «recherchiert», «investigativ», «undercover» oder «Reportage» denaturieren zu Lachnummern.

Das alles sind unangenehme Begleiterscheinungen. Aber die Wurzel des Übels liegt woanders: Glaubwürdigkeit behält man, wenn man nicht heuchelt. Vertrauen geniesst man, wenn man nicht lügt. Kompetenz und Nutzwert strahlt man aus, wenn man inhaltlich und intellektuell etwas zu bieten hat.

Den Anspruch, «wir liefern euch gegen Bezahlung eine professionell gemachte Auswahl der wichtigsten News des Tages, kompetent dargeboten, eingeordnet und analysiert», den kann man behaupten. Wenn man an ihm Tag für Tag scheitert, dann schafft man sich selbst ab.

Arbeiten an der Selbstabschaffung

Genau daran arbeiten die drei grossen Medienkonzerne der Schweiz. Der vierte versucht immerhin, auf Content, Journalismus und Inhalt zu setzen. Und die Staatsmedien, denn nichts anderes ist die SRG, können trotz garantierten Einnahmen immer weniger den Anspruch erfüllen, die Grundversorgung an Informationen aufrecht zu erhalten.

Wenn’s im «Prozess» dem Ende zugeht.

Nur ein Symbol dafür: Wer eine Wirtschaftssendung wie «Eco» ersatzlos streicht, setzt keine Sparmassnahme um, sondern holzt einen Grundpfeiler des Service publique ab.

Die schrumpfende Bedeutung der Medien, der zunehmende Verlust der Deutungshoheit in der öffentlichen Debatte, mangelnde Ressourcen und bescheidene intellektuelle Kapazitäten werden kompensiert mit verbitterter Rechthaberei, mit Kommentaren, die sich mit dem eigenen Bauchnabel, eingebildetem oder geklautem Leiden befassen. Die ungefragt und sowohl haftungs- wie verantwortungsfrei kreischig Ratschläge erteilen, Forderungen aufstellen, Handlungsanleitungen geben.

Einen guten Ruf erarbeitet man sich über lange Zeiten. Verspielen kann man ihn mit wenigen Handgriffen. Wir haben keine «Lügenpresse» in der Schweiz. Aber «All the News That’s Fit to Print» ist’s schon lange nicht mehr.