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Der Zerrspiegel

Neues Jahr, neues Glück? Aber doch nicht beim «Spiegel».

Das muss wohl seinen Grund haben: Die verkaufte Auflage des «Spiegel» sank seit 1998 um über ein Drittel. Oder um rund 385’000 Exemplare. Im Jahr 2000 lag sie bei über einer Million Exemplare, aktuell sind es noch 672’000.

Das ist doch kein Grund, sich grundsätzlich Gedanken zu machen, woran das liegen könnte. Wohlfeile Erklärungen sind sowieso zur Hand: Inserateflaute, Internet, die Welt, das Klima. Die Konzentration auf eine schrumpfende Gesinnungsblase, die man als Resonanzverstärker bedient? Niemals.

Das aktuelle Titelblatt ist symptomatisch. Früher war eine «Spiegel»-Titelgeschichte Anspruch und Ereignis. Heute tut es ein Interview mit dem abtretenden Kinderbuchautor und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Das sinnfreie Zitat unter dem geschmäcklerischen Porträtfoto: «Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk!» Wie der daran rumfingert, wieso er die Finger weglassen sollte und wie Habeck das erreichen möchte? Also wirklich, keine dämlichen Fragen, bitte.

Noch schwindsüchtige 124 Seiten umfasst das Blatt, die zudem schnell überblättert sind. Vor der Heisse-Luft-Orgie mit Habeck wird noch kurz die CSU abgewatscht: «Eine Partei macht sich überflüssig». Das wäre zwar ein guter Titel für die Grünen oder allenfalls die FDP gewesen.

Aber zum Interview, das mit einem Foto Habecks eingeleitet wird, das auch Leni Riefenstahl gefallen hätte. Nordisch kühl vor Wasser in Flensburg, Grau in Grau edel gewandet, der Blick bestimmt, das Haar gut frisiert, der Mund sensibel, der Dreitagebart sitzt. Die Hände in den Hosentaschen, das hebt die Schultern, die hochgekrempelten Ärmel trotz Kälte signalisieren Macherqualitäten.

Dass Habeck auch Primadonna ist, beweist er nicht nur mit seiner Flut von Beleidigungsklagen. Dem «Spiegel» muss er auch leicht auf den Zeiger gegangen sein, wenn der als Titelzitat zum Interview stellt: «Ich kann mit einigen Ihrer Fragen nicht viel anfangen». Der Leser mit den meisten Antworten wohl auch nicht. Aber 36’634 A wollen durchgestanden sein, obwohl sie auch aus der «Republik» stammen könnten.

Während früher «Spiegel»-Fragen auch mal Schweissausbrüche auslösten, weil sie so präzise durch wolkigen Politikertalk stachen, lässt das Blatt nun den Wirtschaftsminister unwidersprochen Selbstlob-Arien singen: «Ich habe in den letzten drei Jahren – zusammen mit den Mitarbeitern im Wirtschaftsministerium – die Energiekrise abgewehrt, Putins Gas ersetzt, Energiewende und Klimaschutz auf Kurs gebracht, Verfahren beschleunigt, Unternehmen gerettet und, und, und. Ein Gesetz folgte dem nächsten.»

Wow, offenbar lebt Habeck in einem Paralleluniversum, in dem es der deutschen Wirtschaft blendend geht. Toll ist auch dieser Satz: «Ich arbeite jeden Tag daran, die vielen Probleme gerade der deutschen Leit­industrien abzufedern»; ob es eine Klage auslöst, wenn man dagegenstellt, dass er jeden Tag daran arbeitet, neue Probleme zu schaffen?

Nicht nur die Parteigründer Petra Kelly oder Gerd Bastian, deren Pazifismus eine der Wurzeln der grünen Bewegung ist, rotieren im Grab, wenn sie Habeck fordern hören, dass er 3,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung für die Rüstung ausgeben will: «Wir müssen fast doppelt so viel für unsere Verteidigung ausgeben, damit Putin nicht wagt, uns anzu­greifen.» Was im Umkehrschluss bedeutet, dass das Putin sonst täte oder zumindest ernsthaft ins Auge fasste.

Hier verbietet es die Klagewut des Noch-Ministers und Kanzlerkandidaten, das entsprechend zu qualifizieren.

Was hält denn der «Spiegel» sonst noch parat? Nun, wen macht das Blatt wohl unter dem Titel «Der Obertroll» nieder? Richtig geraten, natürlich Elon Musk; da entwickelt sich eine gegenseitige Hassliebe, eindeutig. Im Vorbeilaufen würgt der «Spiegel» auch noch seinem Lieblingsfeind Mathias Döpfner über Seiten eine rein. Interessiert Journalisten ungemein, Leser eher weniger.

Nochmal ein leicht zu lösendes Titelrätsel: «So fängt es an». Thema? Schon wieder richtig geraten, die AfD als stärkste Kraft in Bitterfeld-Wolfen.

Blätter, blätter, blätter.  Dann die geradezu Habeck-gute Nachricht: «Kohlestrom auf Rekordtief». Dann kommt die Nummer Chefredaktor fragt: und was haben wir zu Syrien? Betretenes Schweigen. Chefredaktor läuft rötlich an: das kann’s ja wohl nicht sein. Reporter und Fotograf spurten los und bringen eine nette Bildergeschichte aus Damaskus mit: «Einige Zufallsbesuche mit unerwarteten Ergebnissen». So stellt man sich Weltklassejournalismus vor.

Rührend dann die Herzschmerz-Story «Tod eines Rennpferds». Tja, dann mal Nachrufe, Personalien, Briefe und – herbeigesehnt , die «Letzte Seite». Immer noch mit dem «Hohlspiegel» samt merkwürdigen Scherzchen. Der inzwischen in einem Zerrspiegel erscheint.

Ein Schatten seiner selbst. Erblindet, verschattet, verblödet. Verständlich, dass selbst Bill Gates ihn nicht mehr finanziell unterstützt. Verständlich, dass viele Menschen den Montag immer noch für den «Spiegel»-Tag halten. Weil sich nicht mitgekriegt haben, dass er seit geraumer Zeit am Freitag erscheint.

Im Radio sagt man gerne: das versendet sich. Beim «Spiegel» wäre es: das überblättert sich.

Bester Boulevard

CH Media zeigt es dem «Blick», wie das geht.

Wer mit uns «im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit uns im Aufzug nach unten», erklärte schon vor vielen Jahren der Könner Mathias Döpfner das Prinzip des Boulevard von «Bild». CH Media exerziert das gerade beispielhaft mit der Bachelorette der Politik durch.

Vergangenes Wochenende das tränentriefende «jetzt rede ich»-Interview, mitsamt («unfassbar») der unglaublichen Story, dass die Dame wegen einer Schmerzattacke über den Jahrzehnte zurückliegenden Tod des Bruders sich nicht anders zu helfen gewusst hätte, als ab ins Internet damit. Die Story ist löchriger als das Marienbild, auf das sie ballerte. Dafür, dass sie gar nicht gesehen haben will, worauf sie schoss, hat sie den Kopf der Gottesmutter und von Jesus aber gut perforiert.

Die Reaktion des Publikums war, gelinde gesagt, durchwachsen. Aber immerhin, die Dame hat sich wieder ins Gespräch gebracht. Nun gibt es neuerdings wieder an einem Tag fast 100 Treffer in der Mediendatenbank für ihren Namen.

Allerdings diesmal nicht unbedingt so, wie sie es gerne hätte. Ausser, sie ist abgebrüht genug, um sich zu sagen: any news are good news. Denn diesmal rauscht durch den Blätterwald: «Der «saudumme» Post hat ein juristisches Nachspiel». Nach dem einfühlsamen Gspüri-Interview folgt nun der Blattschuss aus dem Hause CH Media: «Nach den Schüssen auf ein Jesusbild führt die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Störung der Glaubensfreiheit», schreibt Kari Kälin im Kopfblattsalat des Wanner-Imperiums.

Denn er hat schlichtweg mal nachgefragt: «Die Staatsanwaltschaft Zürich hat gegen sie Ende Oktober ein Strafverfahren eröffnet wegen Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit, wie ihr Sprecher Erich Wenzinger auf Anfrage mitteilt. Bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gelte die Unschuldsvermutung.»

Schon kurz nach der Ballerei wurde bekannt, dass verschiedene Strafanzeigen gegen die Pistolenschützin eingegangen waren. Aber Strafanzeige einreichen, das ist einfach und kostenlos. In vielen Fällen beantwortet das dann die Strafverfolgungsbehörde mit einer sogenannten Nichtanhandnahmeverfügung. Kein ausreichender Anfangsverdacht vorhanden, um den Justizapparat in Bewegung zu setzen. Hier aber wurde offenbar ein Strafverfahren eröffnet.

Verstösse gegen diesen Artikel werden normalerweise mit einer Geldbusse erledigt, ohne Gerichtsverfahren. Ausser, die beschuldigte Person wehrt sich dagegen, was der Dame durchaus zuzutrauen wäre.

Auf jeden Fall ist die Erinnerung daran, dass ihre gezielte Provokation ein juristisches Nachspiel hat, nicht unbedingt karriere- und imagefördernd. Kommt erschwerend hinzu, dass die sorgfältig gedrechselte und gewundene Erklärung, in welchem angeblichen Ausnahmezustand sie die Schiessübung gepostet hätte, vor Widersprüchlichkeiten nur so strotzt. Alleine die Tatsache, dass ja nicht sie selbst die Fotos schoss, lässt das Märchen aus 1001 Nacht zusammenfallen.

Grossartig läuft es aber für CH Media. Zuerst der Dame die Spalten öffnen, exklusiv, sie bricht ihr Schweigen. Dann die Resonanz und Wirkung abwarten, Schonfrist für beendet erklären, und wumms, eine über die Rübe ziehen. Da würde selbst Döpfner anerkennend eine Augenbraue nach oben ziehen und sagen: genau so macht man das, bravo.

 

Ein grauenvolles Jahr

Tiefseebohrung. Das beschreibt den Zustand der Schweizer Medien im Jahr 2023.

Dass nach der Entlassungsrunde vor der Entlassungsrunde ist, daran mussten sich die verbliebenen angestellten Redakteure gewöhnen. Die grossen Verlagshäuser Tamedia, CH Media und Ringier zeigen damit den überlebenden Journalisten, was sie von ihnen halten: nichts.

Sie sind ein unangenehmer Kostenfaktor, bis die KI die meisten ihrer Aufgaben übernimmt. Den gutbezahlten Managern in der Teppichetage ist auch 2023 nur ein einziges Heilmittel gegen die Arglist der Zeit eingefallen: sparen, feuern, letzte Fleischreste vom Knochen abschaben. Das ist erbärmlich.

Allerdings tun auch die Journalisten nicht gerade viel, um die wichtigsten Assets, Glaubwürdigkeit und Vertrauen, zu schützen und zu bewahren. Nabelschau, kreischige Rechthaberei, Bedienung der Gesinnungsblase, Schwarzweiss-Verblödung. Wer dachte, man sei noch nie so schlecht über einen Krieg informiert gewesen wie in der Ukraine, sah sich eines Schlechteren belehrt. Was im Gazastreifen tatsächlich passiert, niemand weiss Genaueres.

In beiden Fällen versagt die Journaille auf einem ihrer wichtigsten Handlungsfelder: analytische Einordnung liefern, Argumente zur Bildung einer eigenen Meinung bei den Lesern. Da vielfach ältere und damit teurere Journalisten weggespart werden, sinkt das allgemeine Niveau der Berichterstattung auf erschreckend bildungs- und kulturlose Minusgrade. Historische Zusammenhänge, Kenntnis von Kultur und Literatur, was nicht im schnellen Zugriff mit Google aufpoppt, existiert nicht.

Wenn die Sprachverbrecher Lukas Bärfuss und Kim de l’Horizon als die zwei bedeutendsten Vertreter der Schweizer Gegenwartsliteratur angesehen werden, dann ist wohl der Boden der Geschmacklosigkeit erreicht. Wobei man mit solchen Vermutungen vorsichtig sein sollte. Bevor Kim auftauchte, meinte man den mit Bärfuss alleine schon ausgelotet.

Wer meinte, die Sprachreinigungshysterie, die Verhunzung der deutschen Sprache durch Gender-Sternchen und andere Methoden zur angeblichen Inkludierung habe einen dermassen hysterischen Höhepunkt erreicht, dass es nur noch vernünftiger werden könne, sah sich ein weiteres Mal getäuscht. Das gilt auch für alle Post-#metoo-Schwurbeleien.

Unbelegte Anschuldigungen öffentlichkeitsgeiler Weiber oder anonymer Denunzianten reichten auch 2023 aus, um Karrieren zu vernichten oder Menschen fertigzumachen. Trotz vielen Flops haben die Scharfrichter in den Medien nichts dazugelernt. Schnelle Vorverurteilung, grosse Entrüstung, dann peinlich berührtes Schweigen, wenn der Skandal mal wieder keiner war. Aber auf zum nächsten, der kommt bestimmt.

Auch als Jahresbilanz muss man festhalten: Dass sich die Medienproduzenten weiterhin von Google, Facebook & Co. online die Werbebutter vom Brot nehmen lassen, ist an Unfähigkeit und Dummheit nicht zu übertreffen. Das Gejammer über wegfallende Print-Inserate und der anhaltende Ruf nach staatlicher Unterstützung der Vierten Gewalt sollen nur übertönen, dass die Krise der Medien nicht den Umständen geschuldet ist, sondern selbstverschuldet.

Kein vernünftiges Distributionsmodell, das aberwitzige Geschäftsmodell, für immer weniger immer mehr zu verlangen, seichte Inhalte, sich im Hamsterrad der Online-Produktion bis zur Bewusstlosigkeit drehende News-Abdecker – wie kann man für diese klägliche Leistung ernsthaft Geld vom Konsumenten verlangen?

Geradezu autistisch richten viele Redakteure ihren Blick an diesen Problemen vorbei, schauen in sich hinein und langweilen den Leser mit der Leere, der sie dort begegnen. Oder regen ihn auf, indem sie ihre politischen und sozialen Steckenpferde auf offener Bühne zu Tode reiten. Ein Kommentar zur Gratis-Abgabe von Tampons, wieso traut sich keiner mehr, die einzig richtige Antwort an der Themenkonferenz zu geben: «Aber nicht im Ernst

In diesem Niedergang wird das Schweizer Farbfernsehen, die mit Gebühren alimentierten Radiosender immer wichtiger. Aber das Angebot der SRG ist dermassen lausig, dass die 200-Franken-Gebühreninitiative intakte Chancen hat. Auch hier ist es den privaten Unternehmen nicht gelungen, eine valable Konkurrenz dazu auf die Beine zu stellen. Das sei eben die Übermacht der SRG, jammert der Wannerclan von CH Media. Anstatt zuzugeben, dass die Einkaufstour in den elektronischen und Printmedien als deutlichstes Resultat lediglich eine Massenentlassung gebracht hat.

Völlig von der Rolle sind Tamedia und Ringier. Der Tagi war einmal eine ernstzunehmende, linksliberale Stimme, seine Leitartikel und Forderungen hatten Gewicht. Aber heute? Das nimmt doch keiner mehr ernst, wenn sich die Oberchefredaktorin zu Wort meldet und absurde Forderungen zu den nächsten Bundesratswahlen aufstellt.

Der «Blick» als wichtigstes Organ des Hauses Ringier wurde seines Wesenskerns beraubt, die Führungsriege geköpft, dafür ein Rudel von Heads und Chiefs installiert, deren Funktionsbezeichnungen kabarettreif sind. Weniger lustig sind allerdings ihre Leistungen. Springer zieht weiter in die Zukunft und trennt sich konsequent von seinen Printtiteln. Ringier kauft sie auf. Mathias Döpfner mag persönlich ein eher unausstehlicher Mensch sein, was er mit Marc Walder gemein hat. Aber der Unterschied im Wirken und in der Performance der beiden an ihren Unternehmen beteiligten CEOs ist unübersehbar.

Ach, und die NZZ? Ein Leuchtturm mit einigen blinden Flecken auf der Linse, das Bild ist schwer zu schlagen, so zutreffend ist es. Häufig Labsal und Kopfnahrung, manchmal aber auch ärgerliche Ausflüge ins Unterholz der vorgefassten Meinungen und neuerdings auch üblen Rempeleien in einer Tonlage, die die alte Tante seit Ende des Kalten Kriegs nicht mehr verwendete.

Auch der ruppige Umgang mit Chefredaktoren ist neu. War die Absetzung von Markus Spillmann zwar ein absolutes Novum, aber dennoch gerechtfertigt, wurde die Absetzung von Luzi Bernet und sein Ersatz durch Jonas Projer eher ruppig durchgeführt. Das war aber noch geradezu stilvoll und zartbesaitet im Vergleich dazu, wie dann Projer entsorgt wurde.

Dabei, wie bei der Nicht-Inauguration von Markus Somm als NZZ-Chefredaktor, spielte die Redaktion eine üble Rolle. Bei Somm stellte sich im Nachhinein heraus – als er mit der Absurd-Idee, aus dem «Nebelspalter» ein bürgerlich konservatives Kampforgan zu machen, baden ging –, dass der NZZ doch einiges erspart blieb. Aber der Zwergenaufstand in der Redaktion gegen Projer führte nur erwartungsgemäss dazu, dass die NZZaS viel näher an das Stammblatt gebunden wurde. Der notfallmässig installierte Beat Balzli ist noch viel mehr von der Gnade Eric Gujers abhängig als sein Vorgänger.

Allerhand Betrübliches und Besorgniserregendes ist von den Medien im Jahr 2023 zu vermelden. Gibt es Hoffnung für 2024? Für die klassische Medien nicht. Vor allem bei Jugendlichen haben sie längst die Meinungshoheit als Newslieferant verloren. Wenn der Bezahl-Inhalt qualitativ sich kaum von Gratis-Angeboten unterscheidet, wieso soll ein vernünftiger Mensch noch etwas bezahlen?

Natürlich sollte der Content einer Newsplattform nicht gratis sein. Eine Bezahlschranke macht aber nur dann Sinn, wenn dieser Inhalt auch etwas wert ist. «Blick+» ist das beste Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Die Idee wurde bei «Bild+» abgekupfert, aber jämmerlich umgesetzt. Tamedia macht ähnlichen Unsinn, indem es beim Berliner «Tagesspiegel» die Idee übernimmt, sauteure Angebote für spezifische Zielgruppen zu machen. Wer einen  fantasielosen Verwaltungsrat mit einer digitalen Offensive betraut, der sich dann an seine frühere Wirkungsstätte erinnert, ist selber schuld.

Nein, das ist kein Aufsteller,diese Jahresbilanz. Aber zum Jammertal, durch das der Journalismus wankt, passt eben auch, dass solche offenen Worte nurmehr hier auf ZACKBUM möglich sind.

Für das anhaltende Leserinteresse, liebe Worte (immer hinter vorgehaltener Hand) und auch (wenige) Widerworte danken wir ganz herzlich.

 

«Bild»! Chef! Weg!

Nabelschau aller Orten. Ein Boulevardblatt feuert den Chef. Wahnsinn.

«watson» findet mal wieder die falschen Worte im Titel: «Medien-Tornado in Deutschland». Echt jetzt? Erscheinen die Tageszeitungen wegen Papiermangels nur noch als Faltblatt? Wurde das ß abgeschafft? Hat ein Chefredaktor vergessen, wo er seinen Porsche geparkt hat? Hat Tamedia vergessen, daraus parkiert zu machen?

Nein, der «Tornado» besteht darin, dass der Chefredaktor der «Bild»-Zeitung gefeuert wurde. Per sofort, denn anders geht das bei einem Chef nicht. Oder um es mit dem «Blick» ganz seriös zu formulieren: «Axel Springer entbindet «Bild»-Chefredaktor Reichelt von seinen Aufgaben». Ist halt schon blöd, wenn man mit Springer als Juniorpartner verbandelt ist.

Eigentlich ist die Story vom Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» schon längst auf den Punkt gebracht worden, wie es ein guter Boulevard-Journalist nicht besser könnte:

«Vögeln, fördern, feuern».

Das scheint eines der Führungsprinzipien von Julian Reichelt gewesen zu sein.

Inzwischen hat der Boulevard-«Spiegel» ganze acht Redaktoren an die Story gesetzt: «Warum Julian Reichelt gehen musste». Die zähe deutsche Regierungsbildung, Corona, Wirtschaft, nichts ist so wichtig wie diese Personalie. Auch in der Schweiz. Das Medienarchiv verzeichnet rund 100 Treffer für Reichelt, alle Schweizer Printmedien haben über den Rausschmiss berichtet.

Eigentlich eine banale Personalie

Dabei ist die Story so banal wie schnell erzählt. Ein erfolgreicher Chefredaktor kann seinen Hosenschlitz bei der Arbeit nicht geschlossen halten, reaktiviert die Casting-Couch und ermöglicht Karrieren per Beischlaf. Eine erste Untersuchung überlebt er noch leicht ramponiert, machte aber offenbar fröhlich weiter.

Bis dem Springer-Boss der Kragen platzt und Mathias Döpfner vornehm zum Zweihänder greift und köpft: «Privates und Berufliches nicht klar getrennt, dem Vorstand die Unwahrheit gesagt, Weg gerne gemeinsam fortgesetzt, das ist nun nicht mehr möglich.»

Um die Absetzung herum entwickelten sich tatsächlich lustige Nebengeräusche. Zunächst ist Reichelt Opfer einer globalisierten Welt. Denn Springer hat sich das Politportal «Politico» in den USA gekrallt. Eigentlich ein kleiner Laden, aber bedeutend als Nahbeobachter der Politik in Washington. Anlass für die NYT, sich den Käufer mal genauer anzuschauen.

So kam Reichelt in die NYT

Auch die grosse «New York Times» kann Boulevard: «At Axel Springer, Politico’s New Owner, Allegations of Sex, Lies and a Secret Payment». Darunter ein Foto von Reichelt, der sich sicherlich nicht gewünscht hätte, einmal so dort aufzutauchen.

Die Recherchen der NYT ergaben offenbar, dass einiges stinkt im Reiche Döpfner, und dass vor allem Reichelt im Zeitalter von «#metoo» schon längst untragbar war. Allerdings durch seinen Erfolg geschützt blieb, denn die «Bild»-Zeitung hat unter seiner Leitung die allgemeine Auflagenerosion zum Stillstand gebracht und durch knalligen Boulevard ihre Rolle als Meinungsbildner aufgefrischt. Denn wie sagte schon Altkanzler Gerhard Schröder so richtig: Man könne in Deutschland nicht gegen die «Bild» regieren.

So geht relevanter Boulevard.

 

Die Frage bleibt allerdings offen, wieso es genau in Zeiten von «#metoo» genügend willige Weiber gab, die sich tatsächlich den Weg nach oben erschliefen. Aber bald werden wir sicherlich erste Opferschilderungen vernehmen müssen, die wir den Lesern von ZACKBUM aber nach Möglichkeit ersparen.

Eine zweite knackige Nebenstory ergab sich aus der Tatsache, dass parallel zur NYT auch ein Investigativteam der Mediengruppe Ippen dem Unhold Reichelt nachrecherchierte. Aber das Verlagshaus heisst so, weil es dem Senior Dirk Ippen gehört («Frankfurter Rundschau», «Münchner Merkur» und das Boulevardblatt «TZ»).

Der hatte sich gerade, schon wieder Globalisierung, ein Team von der deutschen Ausgabe von BuzzFeed eingekauft. Die wollten als Einstiegskracher ebenfalls die schmutzige Unterwäsche von Reichelt an die Leine hängen. Aber da griff Ippen persönlich ein und stoppte die Publikation zwei Tage vor dem vorgesehenen Zeitpunkt.

Begründung:

«Als Mediengruppe, die im direkten Wettbewerb mit ›Bild‹ steht, müssen wir sehr genau darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, wir wollten einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden.»

Das ist nun putzig und rührend, aber sicherlich nicht die Wahrheit.

Mir san mir und ich bin der Chef: Dirk Ippen.

Wir fassen das laue Lüftchen zusammen, das in den Schweizer Nabelschaumedien Themen wie drohende Energiekrise oder Corona locker wegblies. Ein Boulevardchef knüpft an die schlechten, alten Zeiten an. Sein Verlag stützt ihn als Erfolgsbringer. Der Ankauf eines US-Blogs erregt die Aufmerksamkeit der NYT, was in Deutschland untersagt wurde, wird in den USA publiziert. Weg isser.

Wäre doch eine Knaller-Story hier gewesen …

Sonst noch was? Ach ja, Christian Dorer könnte das garantiert nicht passieren. Ausgeschlossen. Für diesen Schwiegergmuttertraum legen wir die Hand ins Feuer. Vorstellbar wäre ein abruptes Ende höchstens, wenn der Hobbybusfahrer auf dem Fussgängerstreifen einen Rentner mit Rollator totfahren täte.

Under new management, wie der Ami sagt.