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Der digitale Scheinriese

Betrachtet von Journi-Zwergen. Es ist ein Trauerspiel fehlender Sachkompetenz.

Man könnte meinen, dass Journalisten in der Lage sind, ein Ereignis einzuordnen, das in ihrer unmittelbaren Nähe stattfindet. Also zum Beispiel die Zusammenlegung der Online-Marktplätze von TX Group, Ringier und Mobiliar.

Aber das täuscht; Journalisten sind nur in der Lage, die Betrachtung des eigenen Bauchnabels wortreich wiederzugeben. Eine Sternstunde im «Magazin»: «Unsere Autorin leidet unter Antropomorphismus.» Nein, man möchte nicht wissen, was das ist.

«Kennen Sie die vier Katzenwäsche-Hotspots?»

Die Antwort ist nein, was war schon wieder die Frage? Dabei sind das nur zwei Beispiele von Tamedia, wenn wir noch «watson» oder die «Republik», aber lassen wir das.

Zurück zu einem ernsten Thema; der Zusammenschluss der Online-Marktplätze. Das erste Problem dabei: Nur Journalisten mit Todeswunsch würden darüber schreiben: «So ein Quatsch». Zumindest dann, wenn sie weiterhin nicht zu den Opfern der x-ten Sparrunde bei Tamedia oder Ringier gehören möchten.

Jubel bei den einen, Kritik bei den anderen

Umgekehrt wäre es eher erstaunlich, wenn CH Media, das nicht auf Marktplätze setzt, sondern sein Geld lieber in Privat-TV und -Radio steckt, diesen Zusammenschluss grossartig fände. So weit geht dann auch dort die objektive Berichterstattung nicht. «Es ist ein Deal mit vielen Fragezeichen», unkt Christian Mensch.

Nun leidet auch er unter einem weitverbreiteten Problem: mangelnde Fachkenntnis. Mensch ist zweifellos intelligent und kann schreiben. Aber die Feinheiten eines solchen Zusammenschlusses entgehen ihm dann doch. Damit ist er natürlich nicht alleine. Dass alle Gazetten von Tamedia und Ringier in Jubelarien ausbrechen, ist keine Überraschung.

Wie säuselt «Blick»: «Big Bang bei Marktplätzen». Selbst CH Media will beobachten: «Ein digitaler Riese formiert sich». Für Tamedia beantwortet die altgediente Wirtschaftsredaktorin Rita Flubacher selbstgestellte Fragen zur «Bündelung der Onlinemarktplätze». Genauer gesagt: Sie rudert um die Beantwortung herum. «Für Zusammenlegungen noch viel zu früh», keine Prüfung durch Wettbewerbskommission (Weko) nötig, «das Joint Venture liegt unter der Interventionsschwelle der Weko».

Umsatzzahlen? «Werden erst nach Abschluss der Transaktion publiziert». Wer hat das Sagen? Alle Beteiligten halten «je 25 Prozent der Stimmrechte». Und wann geht’s an die Börse? «Mittelfristig». Das nennt man mal eine knallharte Recherche.

Was sagen nun die neidischen Zuschauer? Bei CH Media verstolpert sich Mensch etwas in den Zahlen; er schätzt einen Gesamtumsatz von «wohl rund 500 Millionen Franken». Das wäre aber enttäuschend, denn alleine schon «Ricardo» kommt auf 600 Millionen. Dann werde eine Meldepflicht bei der Weko «durch eine komplexe Struktur ohne einen dominierenden Partner vermieden». Interessanter Ansatz.

Aber immerhin, eine gute Frage hat Mensch auf Lager; wieso denn die bereits gemeinsam betriebene Jobplattform von Ringier und Tamedia nicht ins Joint Venture gewandert sei. Die «Kohärenz» wäre damit gefährdet, habe Pietro Supino, der Boss der TX Group, darauf geantwortet. «Was er damit meint, ist nicht die einzig verbliebene offene Frage», setzt Mensch eine Schlusspointe.

Dabei liesse sich die problemlos beantworten. Joint Venture unter drei Partnern inklusive Beizug eines vierten von bislang nicht kooperierenden Plattformen. Passt da eine von zwei Partnern bereits gemeinsam betriebene kohärent dazu? Eben.

Aus den heiligen Hallen der Wirtschaftskompetenz kommt auch nur Lauwarmes

Was sagt denn nun das Kompetenzzentrum für Wirtschaftsfragen? Die geballte Fachkenntnis von gleich drei Redaktoren bietet die NZZ auf, mit der gebotenen Neutralität wird getitelt: «Online-Markplätze verbünden sich». Aber auch hier bekommt der Ton gleich am Anfang ein leichtes Tremolo: «Der Zusammenschluss … wirft einige Fragen auf.»

Die Antworten der Autoren werfen allerdings auch Fragen auf. Hier wird die Ansicht ebenfalls kolportiert, dass die Weko sich den Zusammenschluss nicht anschauen müsse, weil es vier gleichberechtigte Partner gebe und weil das neue Unternehmen «mit weniger als 500 Millionen Fr. Umsatz im Schweizer Geschäft eine kleine Nummer» sei im Vergleich zu Google oder Facebook.

Insgesamt 8 Fragen werfen die NZZ-Cracks auf und beantworten sie auch gleich selbst. Immerhin ist ihnen auch aufgefallen, dass der Partner Mobiliar-Versicherung schon lange an den Scout-24-Plattformen von Ringier beteiligt ist, seit letztem Jahr auch mit 25 Prozent direkt an Ringier.

Eher tänzelnd vorsichtig nähert sich die NZZ der Frage, wie unabhängig denn die Berichterstattung in den Gazetten der Verlage über dieses Joint Venture sein könne:

«Sowohl TX Group wie Ringier betonen, dass die journalistische und finanzielle Unabhängigkeit ihrer zahlreichen Medientitel gewahrt bleibe.»

Da lachen zwar die Hühner, aber NZZ-Wirtschaftsfachleute machen ein ernstes Gesicht dabei. Was allerdings auch diesen Cracks nicht wirklich aufgefallen ist: Ringier ist ja zusätzlich auch mit Axel Springer verbandelt. Wie sieht denn da eigentlich das Binnenverhältnis bezüglich dieses Zusammenschlusses aus? Wäre doch auch eine interessante Frage.

Es bleiben noch ein paar Fragen …

Wie steht es denn um die Machverhältnisse im neuen Club? Offensichtlich bilden Ringier und Mobiliar ein Päckli mit je 25 Prozent Stimmrechte; das bedeutet, dass TX und der Vierte im Bunde, General Atlantic, das andere Päckli formen. Der Investor ist der einzige Beteiligte, der entschieden mehr Stimmrechte als Aktienanteil hat. Wäre auch eine interessante Frage: warum?

Was nicht nur die rund 1000 Mitarbeiter der Marktplätze, sondern auch die noch überlebenden Medienschaffenden der beiden Verlage interessieren dürfte: damit ist dann jede Form der Quersubventionierung ausgeschlossen. Also die früher in Print erschienen Anzeiger sind nicht nur digital geworden, sondern fallen als mögliche Einkommensquelle weg.

Aber auch darüber ist natürlich im völlig unabhängigen Journalismus der beiden Verlage kein Wort zu hören oder zu lesen. Erst recht nicht darüber, dass hier keineswegs ein «Digital-Riese» entsteht. Sondern ein Digital-Zwerg, bei dem es ein Mikroskop braucht, wenn man ihn neben den wirklichen Riesen erkennen will. Der unter Artenschutz gestellt werden muss, damit er nicht unabsichtlich totgetreten wird. Aber der Steuerzahler soll’s ja richten.

Wenn Zwerge wachsen wollen

Zusammenschluss der grossen Marktplätze in der Schweiz: zu spät, zu klein, zu wenig innovativ.

Es war ja überfällig, nun ist’s raus: TX Group, Ringier und Mobiliar werfen ihre Marktplätze zusammen. Also Homegate, Ricardo, Scout24, Tutti usw.

Dazu wurde noch General Atlantic ins Aktionariat geholt. Also ein Finanzinvestor, der rund 35 Milliarden US$ Assets under Management hält und rund um den Globus in einem Gemischtwarenladen Minderheitsanteile hält. Neben vielem anderen auch bei Airbnb, Uber oder der deutschen Flixbus. Daher soll wohl seine «langjährige internationale Expertise im Bereich der digitalen Marktplätze» kommen, was den Schweizer Betreibern offensichtlich abgeht.

«Bündeln, vorantreiben, Vorreiter, Expertise, Wachstum», und selbstverständlich: Die gesamthaft 1000 Angestellten der Marktplätze würden alle vom neuen Unternehmen übernommen, sagte die TX Sprecherin auf Anfrage.

Grosse Zahlen und kleine Zahlen

Lassen wir doch mal einfach ein paar Zahlen sprechen. Amazon hat einen Jahresumsatz von 386 Milliarden $. Alphabet, der Mutterkonzern von Google & Co., liegt bei 182,5 Milliarden. Alibaba dreht jährlich 109 Milliarden um, hat bereits eine eigene Währung, ist auch Zahlungsdienstleister, Warenhaus und wohl die grösste Gefahr für alle Mitbewerber.

Ricardo zum Beispiel stemmt einen Jahresumsatz, Achtung, Trommelwirbel – von 660 Millionen. Gut harte CHF, immerhin. Aber anderseits: 500 mal weniger als Amazon. Man muss noch hinzufügen, dass die meisten der «Schweizer» Marktportale von neuen oder ausländischen Firmen auf den Markt geworfen und dann für teures Geld von diesen Schweizer Konzernen aufgekauft wurden.

Nun machen also die Schweizer Zwerge eine kleine akrobatische Übung. Sie stellen sich aufeinander und meinen, so könnte dann ein Riese entstehen. Ein Scheinriese allerdings. Ein verspäteter, verschlafener, sich erst noch sortieren müssender Riese.

Das wird nix, kann man jetzt schon prognostizieren. Wer sich alleine von Google und Facebook & Co. 90 Prozent des Online-Marketing vom Brot nehmen lässt, dem ist sowieso nicht zu helfen. So schaut’s im Online-Werbekuchen aus. Brosamen für die Schweizer Multimediahäuser, fast der ganze Kuchen für die anderen.

The winner takes it all

Schon längst ist bekannt, dass auch Facebook, Google und Amazon den Schweizer Markt entdeckt haben. Zwar relativ klein und sprachdivers, aber mit einem ausnehmend zahlungskräftigen Publikum.

Also alles eine Frage der Logistik für Warenlieferungen und eine Frage des Aufwands für einen kräftigen Markteintritt, was die üblichen Plattformen betrifft.

Tauschen und Krimskrams, Produktekauf aus breitem Angebot, Wohnungen und Häuser, Autos und andere Fahrzeuge plus alles, was zur neuen Sharing-Ökonomie à la Airbnb oder Uber gehört.

Aber da gilt im Internet noch brutaler als in der Realwirtschaft: the winner takes it all. Beziehungsweise: der Platzhirsch vertreibt alle anderen. Denn wer etwas handeln möchte, kaufen oder verkaufen, der geht nicht auf die kleinste Handelsplattform. Auch nicht auf die zweitgrösste. Sondern auf die grösste, logisch. Denn dort erwartet er die grösste Auswahl oder das grösste potenzielle Publikum.

Besonders brutal hat sich das bereits bei den Suchmaschinen gezeigt. Als Google 1997 online ging, war das ein Anbieter unter anderen. Heutzutage ist Google im Westen Fast-Monopolist. Amazon machte am Anfang einen wöchentlichen Umsatz von 20’000 Dollar, ausschliesslich mit dem Verkauf von Büchern.

Auch bei sozialen Plattformen gab es ein wildes Durcheinander diverser Anbieter, bis es dann nur noch Facebook als Überplattform gab.

Wenn Zwerge auf Augenhöhe von Riesen klettern wollen

Was also die Schweizer Zwerge versuchen, ist eigentlich Folgendes. Es gibt bei den Brausen Coca-Cola. Zuvor wurden in der Schweiz ein paar Mini-Colas hergestellt. Marktanteil, im Vergleich zu Coca-Cola: nicht wirklich messbar. Also beschlossen die Mini-Hersteller, sich zusammenzuschliessen, um endlich Coca-Cola auf Augenhöhe begegnen zu können.

Nur: selbst wenn sich Coca-Cola auf den Bauch legen würde und die Schweizer Cola-Zwerge noch eine Leiter kriegten: es wäre immer noch nicht Augenhöhe.

Was wird geschehen? Das ist, wie das meiste in der Zukunft, unvorhersehbar. Aber: eine sichere Prognose gibt’s. Ende dieses Jahr werden es nicht mehr 1000 Angestellte beim neuen Anbieter sein. Das ist so wahr wie dass aus drei Digital-Zwergen kein «Digitalriese» entsteht.