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Das Leid mit dem Leserbrief

Blattbindung, Reaktionen, Aufschlüsse. Der Leser hat das Wort.

Jeder hat das Recht, einen Leserbrief zu schreiben. Niemand hat einen Rechtsanspruch darauf, dass der auch veröffentlicht wird.

Ausser, im juristischen Fingerhakeln hat sich eine Reaktion mit einem Kritisierten darauf geeinigt, dass der auf eine kurze Gegendarstellung verzichtet und dafür einen längeren Leserbrief schreiben darf.

Früher, wo bekanntlich alles besser war, brauchte es bei der Verfertigung der Gedanken einen gewissen Aufwand. Schreibmaschine, Papier, Tippfehler, ein neuer Gedankengang führten meistens dazu, dass das Werk zerknüllt im Papierkorb landete und neu angesetzt wurde.

Schliesslich die Mühwaltung, es ins Couvert zu stecken, Briefmarke drauf, Andresse und Absender nicht vergessen, et voilà.

Auch hier hat die Digitalisierung Bahnbrechendes, aber nicht unbedingt Besseres geleistet. Noch vor ein paar Jahren rauschten auch auf grösseren Medienplattformen Kommentare, wie der Leserbrief modern heisst, ohne grosse Kontrolle rein.

Das Medium ist mitverantwortlich für den Kommentar

Erst, als es den verantwortlichen Redaktionen schmerzlich klar wurde, dass sie als Verbreiter von Hassbotschaften, Beleidigungen, Fake News oder Geschwurbel verantwortlich und haftbar für den Inhalt sind, wurde das abgeklemmt.

Seither machen mehr oder minder ausführliche Benimm-Regeln die Kommentarschreiber darauf aufmerksam, was erlaubt ist und was nicht. Sehr ungern gesehen werden anonyme Kommentare, da so bekanntlich der Mut des Heckenschützern oder Rabauken ungemein steigt.

Für solche Berufskeifer gibt es die asozialen Medien, wo man nach wie vor ziemlich blöd tun muss, damit der Account gesperrt wird. Ausser, man sagt etwas Kritisches zum Thema Corona. Dann geht’s fix.

Aber üble Beschimpfungen, Hetze, Verschwörungstheorien, gegenseitiges Masturbieren in der luftabgeschlossenen Meinungsblase, alles normal. Nur leiden hier die Keifer, Beller und Rechthaber darunter, dass die öffentliche Aufmerksamkeit überschaubar ist, sich oft auf einen kleinen Sympathisantensumpf beschränkt.

Daher ist das Ziel vieler Kommentatoren, es möglichst häufig auf die Plattformen grosser Multiplikatoren zu schaffen. Also von Tageszeitungen oder grossen elektronischen Medien. Welchen Lustgewinn allerdings einer daraus zieht, den 789. Kommentar zwei Tage post festum zu posten, erschliesst sich dem Normalmenschen nicht wirklich.

Vielleicht ist es die Illusion: Die Welt hat mich und meine Meinung zur Kenntnis genommen. Und bestünde die auch nur aus: «Völliger Quatsch, was im vorangehenden Kommentar steht

Kommentarfunktionen müssen kontrolliert werden

So wie die asozialen Plattformen ganze Heerscharen von Kontrolleuren beschäftigen müssen, die versuchen, wenigstens einen Teil des ganzen Unrats, Abschaums der Perversionen, zu denen der beschränkte menschliche Geist fähig ist, wegzuräumen, wird jede Kommentarfunktion inzwischen moderiert.

Je nach Niveau des Multiplikators müssen zwischen einem bis zwei Drittel aller Einsendungen gelöscht werden. Das, was übrigbleibt, ist häufig auch nicht sonderlich erhebend.

Aber bereits früher, als nicht ganz alles besser war, wurde der Leserbrief als Möglichkeit benützt, gratis für eine bestimmte Position, Meinung Werbung zu machen. Gratis, indem das umsonst publiziert und multipliziert wurde. Bezahlt vom Besteller des Leserbriefs.

So einer ist vor Kurzem aufgeflogen. Der Nachrichtendienst des Bundes entblödete sich nicht, sich einen Vielschreiber zu halten, der gegen 60’000 Fr. im Jahr (plus Spesen) im Sinne seines Auftraggebers kommentierte. Als der seine Zahlungen einstellte, kritisierte er sofort, biss in die Hand, die ihn gefüttert hatte.

Nicht nur auf Social Media, auch in den Kommentarspalten tummeln sich natürlich Mietmeinungen, besonders vor Abstimmungen. Denn jeder Kanal, um die eigenen Absichten zu propagieren, muss genützt werden. Damit ist das Kommentarschreiben zu einer Dienstleistung wie jede andere auch geworden.

Alles ist käuflich im Internet

Besonders beliebt ist das Kaufen von Kommentaren oder Followern für den eigenen Account auf Social Media. Man muss allerdings nicht mal ins Darknet gehen, wenn man eine Horde von Medienkommentaren kaufen will. Wird nicht gerne drüber geredet, gehört aber auch in der Schweiz zum Standard-Angebot jeder besseren PR-Bude.

Auf der anderen Seite, das ist wenigstens originell, sind diverse Medienportale dazu übergegangen, für die Publikation eines Kommentars selbst Geld zu verlangen. Neue Einkommensquelle, schreckt zudem Trolle und Mietmäuler ab.

Denn das Monitoring der Kommentarspalten kostet natürlich. Beliebt sind daher darauf spezialisierte Anbieter aus östlichen Gefilden. Billig heisst nicht unbedingt gut, aber das Gröbste wird meistens weggeschaufelt. Immer noch besser als die auch gerne eingesetzten Algorithmen, die auf Schimpf- oder Reizwörter reagieren. Aber oft schon an einem A*loch oder einem Nazischw* scheitern.