«Spiegel» spinnt
Das ist keine Kritik, sondern eine Therapiesitzung.
Auf der Couch liegt eine Redaktion, die durchgedreht ist. Es gibt eine unselige «Spiegel»-Tradition von Trump-Covern, die völlig den Kontakt mit der Realität verloren haben. Es gibt den absurden Ansatz, dass der «Spiegel» es sich zur vornehmsten Aufgabe gemacht hatte, Trump «wegzuschreiben». Und es gibt den Relotius-GAU.
Aus all dem hat die Redaktion nichts gelernt, sondern sie verliert sich immer mehr in einer Welt, die nur noch aus Wille und Wahn besteht.
Anders ist ein solches Titelblatt, kurz vor deutschen Landtagswahlen, nicht zu erklären:
Auf der Gewaltstrecke von 62’886 A versuchen Lothar Gorris und Tobias Rapp in der Titelgeschichte «Die heimlichen Hitler» aufzuspüren. Sie nennen ihre Teufelsaustreibung überheblich «Über den Versuch, das Böse zu erkennen».
Damit kein Zweifel bleibt, in welcher Tradition das heutige Böse steht, beginnt der ellenlange Artikel mit einem ganzseitigen Schwarzweissfoto, das Adolf Hitler 1937 in Berlin zeigt:
Das ist der vollendete Faschismus, jetzt aber zu seinen Neuanfängen, symbolisiert in Donald Trump, Marine Le Pen und natürlich Björn Höcke. Die allesamt auch mal so dastehen wollen, wenn man sie nicht rechtzeitig daran hindert.
Die unendliche Titelgeschichte beginnt mit der Beschreibung des Brettspiels «Secret Hitler». Es gehe darin darum, «Adolf Hitler zu enttarnen und zu töten, bevor er Reichskanzler werden kann». Aufgepasst: «»Secret Hitler« kam 2016 auf den Markt, kurz bevor Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde.»
Also gerade noch rechtzeitig, oder zu spät, wenn es nach den beiden Therapiebedürftigen ginge. Sie sehen, ahnen, wittern Faschismus fast überall auf der Welt. Sollen nun – dank ihnen – die neuen Hitlers auch aufgespürt und getötet werden, aber natürlich nur im Spiel? In bestem Whataboutism-Stil rühren sie zusammen, was nicht zusammengehört:
«Der Rückfall in den Faschismus ist die Urangst der modernen demokratischen Gesellschaften. Doch was lange etwas hysterisch klang und unvorstellbar, erscheint inzwischen ernst und real. Wladimir Putins imperiale Ambitionen. Narendra Modis nationalistische Hindu-Regierung in Indien. Der Wahlsieg Giorgia Melonis in Italien. Marine Le Pens Normalisierungsstrategie in Frankreich. Javier Mileis Sieg in Argentinien. Viktor Orbáns autokratische Dominanz in Ungarn. Die Comebacks der FPÖ in Österreich oder von Geert Wilders in den Niederlanden. Die AfD in Ostdeutschland. Nayib Bukeles autokratische Herrschaft in El Salvador, eher unbeachtet, aber erstaunlich zielstrebig, wo das Parlament mit Waffengewalt zu Entscheidungen gezwungen wird. Die drohende Wiederwahl Trumps und die Angst davor, dass er in einer zweiten Amtszeit wirklich ernst machen könnte. Die Überfälle britischer Mobs auf Migranten-Unterkünfte. Der Neonazi-Aufmarsch in Bautzen. Die Pandemie. Der Krieg in der Ukraine. Die Inflation.»
Immerhin versuchen die beiden Faschismus-Warner sich an einer Definition des Begriffs. Denn eigentlich ist «Faschist» schon längst zu einem beliebigen Schimpfwort denaturiert, mit dem Linke alles belegen, was ihnen nicht passt. Also zitieren sie einen US-Autor, der ihnen in den Kram passt: «Moderner Faschismus sei, schreibt Stanley, ein Führerkult, der einer gedemütigten Nation die Wiedergeburt verspricht.»
Damit ist der Begriff, mit Verlaub, entkernt, ins Beliebige entlassen, wird anwendbar auf jede autoritäre Gestalt, auf jeden Potentaten oder Möchtegern-Demagogen. Die zehn Punkte, die Stanley dann aufzählt, treffen von Hitler bis Putin, von Trump bis Sarkozy, von Reagan («Make America Great again») bis Orbán auf alle und alles zu, was einem verängstigten Gutmenschen als Gottseibeiuns vorkommt.
Damit wird der Hitler-Faschismus, und dafür sollte dieses Wort reserviert bleiben, verniedlicht und verharmlost, werden seine Opfer verhöhnt. Ohne dass damit neue Erkenntnisse gewonnen wären. Ausser: all diese politischen Führer mögen wir Gutmenschen überhaupt nicht. Ausser Reagan, aber den haben sie vergessen.
Und Führer, die sie nicht mögen, sind Faschisten. Das sagen nicht nur die Autoren: «Timothy Snyder spricht bedächtig und leise, aber mit großer Gewissheit. Putin ist ein Faschist. Trump ist ein Faschist. Der Unterschied: Der eine ist an der Macht. Der andere nicht. Noch nicht.» Das ist natürlich eine Analyse von überlegener Denkkraft, denn sie wird von einem «der wichtigsten Intellektuellen Amerikas» ausgesprochen. Ob das Amerika weiss?
Wie klein der Denker ist, zeigt seine verpeilte Analyse der Entstehungsgeschichte des deutschen Faschismus im letzten Jahrhundert: «Die Marxisten der Zwanziger- und Dreißigerjahre, so Snyder, glaubten, der Faschismus sei nur eine Variante des Kapitalismus. Die Oligarchen, wie wir sie heute nennen würden, hätten den Aufstieg Hitlers überhaupt erst ermöglicht. Aber das stimme nicht.»
Vielleicht sollte der Denker mal «Der Faschismus» von Reinhard Kühnl lesen, so als Einstiegslektüre in ein Thema, von dem er sehr wenig versteht. Aber natürlich brauchen moderne Faschisten wie Trump auch Helfershelfer, sozusagen die modernen Krupps und Thyssens, und da heisst der grösste Gottseibeiuns Elon Musk: «Er ist die Nummer eins. Niemand hat in den vergangenen anderthalb Jahren so viel dafür getan, dass der Faschismus auf dem Vormarsch ist», macht sich der Denker Snyder völlig lächerlich.
Und so weiter und so fort. So mäandern sich die zwei durch ihre Weltreise zu ausgewählten Intellektuellen, die jeweils wie auf der Sprechbühne ihren Auftritt haben und wieder verschwinden.
Aber nach vielen Irrungen und Wirrungen landen die beiden dort, wie sie von Anfang an hinwollten: natürlich in Greiz, Ostdeutschland. Der Wahlkreis von Björn Höcke. Da sind die beiden zunächst hin und her gerissen: «Höckes Auftritte in den Medien haben oft etwas Verspanntes, sein Blick flattert dann panisch und empört. Hier in seinem Wahlkreis strahlt er Souveränität aus. Er ist, das muss man sagen, ein guter Redner, er spricht ohne Manuskript, er scheint sich zu Hause zu fühlen auf der Bühne.»
Blöd aber auch, weil sie ihn am Ende seiner Rede nicht eindeutig des Faschismus überführen können, maulen sie am Schluss: «Man bleibt etwas ratlos zurück.»
Aber, nochmal blöd, selbst die längste Strecke geht mal zu Ende, nun muss noch eine Schlusspointe hergeprügelt werden. Da sie selbst doch ziemlich schwächlich daherkommt, wird sie mit einem hübschen Scherz eingeleitet:
«In Berlin machte Ivan Krastev einen dieser Krastev-Witze. Ein amerikanischer Richter habe mal gesagt: Er könne Pornografie zwar nicht definieren, »aber ich erkenne sie, wenn ich sie sehe«. Mit dem Faschismus, sagt Krastev, sei es genau umgekehrt: einfach zu definieren, aber schwierig zu erkennen, wenn man ihn sieht.
Das »F-Wort«. F wie in Faschismus oder wie in »Fuck you«. Man darf, das hat ein Gericht in Meiningen verfügt, Höcke einen Faschisten nennen. Die Frage bleibt, was man davon hat.»
Womit der Artikel auf der Primitivst-Ebene endet:
Es bleibt die Frage, was der Leser von diesem Artikel hat. Ausser der Gewissheit, dass der «Spiegel» sich endgültig vom Anspruch verabschiedet hat, die Wirklichkeit zu umgreifen und zu begreifen. Stattdessen gibt er sich dem eschatologischen Wahn hin, in der Welt «das Böse» erkennen zu wollen. Für Bibeltreue ist das ein gehörntes Wesen, schwarz behaart mit Bocksfüssen und einem Schwanz. Für den Zerrspiegel sind das alle Menschen, die die Redaktion nicht mag und denen man das Etikett «Faschist» ankleben kann.
Was man davon hat? Nichts, ausser einem wehmütigen Abschied von einer medialen Institution, die sich selbst mit wiederholten Anläufen mit Schmackes demoliert und zerstört.