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Von Helden und Heuchlern

In der russischen Tagesschau «No War» zu fordern, das ist Mut.

Marina Ovsyannikova hat ein Zeichen gesetzt. Die Redaktorin beim russischen Staatsfernsehen marschierte mit einem Plakat in die Abendausgabe der dortigen Tagesschau «Wremja» um 21 Uhr Lokalzeit.

«Kein Krieg» auf Englisch, «Stoppt den Krieg, glaubt der Propaganda nicht, hier werdet ihr belogen» auf Russisch. Das ist Mut. Alleine das Wort Krieg für die «militärische Spezialoperation» in der Ukraine zu verwenden, kann bis zu 15 Jahre Gefängnis bedeuten. Selbst die putinkritische Zeitung «Novaya Gazeta» des Friedensnobelpreisträgers Dmitri Muratow traute sich nur so, über diese Protestaktion zu berichten:

Wie lange es wohl dauern wird, bis Marina Ovsyannikova vergessen sein wird? Ihre Aktion wird den Krieg in der Ukraine nicht stoppen. Aber sie hat einen Mut bewiesen, ein Opfer für ihre Haltung und Überzeugung gebracht, vor dem man sich nur verneigen kann.

Umso verächtlicher wirken all die Plakatträger im Westen, in der Schweiz, die auch mal wieder ein Zeichen setzen. Endlich nicht mehr auf den Knien und «black lives matter» grölen. Auch kein Schuleschwänzen mehr fürs Klima.

Nein, jetzt muss ein neues Zeichen gesetzt werden. Blaugelb sind die Modefarben des Frühlings, auch die Fashionweek in Mailand bietet Gelegenheit, mutig ein Plakat in Kameras zu halten.

Von T-Shirts, Demonstrationen und «#IstandwithUcraine» ganz zu schweigen. Oder wie wär’s mit diesem T-Shirt, für lumpige 39.70:

Auch als Dekokissen, Käppi und Unterhose zu haben.

Natürlich kann man auch mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, also gegen Russland, den Imperialismus und die NATO demonstrieren:

Wer ein solches Plakat in der Schweiz hochhält, setzt auch ein Zeichen:

 

Ist das nicht besser als nichts? Sollte nicht jeder an seinem Platz kämpfen? Der Redaktor in seinem mit russischem Erdgas beheizten Büro, der Bürger auf der Strasse, der Boykotteur, der keine russischen Waren mehr führt, ein Zeichen setzt, indem er für den Ausschluss russischer Benindertensportler von den Paralympics ist?

Weil, das geht dann nicht, im Fall. An den Olympischen Winterspielen in Peking teilnehmen, das geht hingegen seht gut.

Ein echtes Zeichen setzen wie viele?

Nein, alle diese Manifestationen von Gutmenschentum sind lächerlich. Nicht nur im Vergleich zum Mut von Marina Ovsyannikova. Denn all das ist wohlfeil, billig zu haben. Die Aufnahme von Flüchtlingen, sinnvolle Geldspenden, selbst das Knüpfen persönlicher Kontakte in die Ukraine, das sind zählbare Taten.

Wie viele der Friedensdemonstranten in der Schweiz, wie viele der über 20’000, die sich jeweils solidaritätsbewegt durch die Strassen wälzen, wie viele von denen haben ein einziges solches Zeichen gesetzt? Wir wissen es nicht.

Aber angesichts der Tatsache, dass ja eigentlich alle in der Schweiz für die nachhaltige Produktion von Konsumgütern und Lebensmitteln und strikt gegen Kinderarbeit und unmenschliche Arbeitsbedingungen sind, während pro Kopf und Jahr für alle Bio-Produkte schlappe 450 Franken ausgegeben werden, kann man sich selbst ausrechnen, wie viele dieser Friedensbewegten anschliessend befriedigt nach Hause gehen.

Dort aufs Ikea-Sofa fallen und ihre Selfies in den sozialen Medien verteilen – dann über die hohen Benzinpreise fluchen, die es ihnen leider nicht ermöglichen, die geplante Spende auch zu realisieren.