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Rüpel-«Republik»

Von der Illustration bis zum Inhalt: die «Republik» verblödet zusehends.

Zum x-ten Mal vermutet das Organ der moralisch überlegenen Lebensart, dass die NZZ nach rechts «abdriftet». Das will das faktisch bankrotte Magazin mit einem der üblichen ellenlangen Artikel untermauern.

Schon die Illustration ist beknackt. Da fällt ein Leser von ihm aus gesehen nach links. Während der begabte Illustrator doch zum Ausdruck bringen wollte, dass alles nach rechts kippt. Aber immerhin, der braune (!) Inhalt der Kaffeetasse schwappt nach rechts.

Zudem ist der Autor über jeden Zweifel erhaben: «Marco Maurer arbeitete von 2012 an als freier Reporter für die «NZZ am Sonntag», von 2022 bis 2024 war er dort fest angestellt. Derzeit arbeitet er für den «Tages-Anzeiger»

Da möchte man doch zu gern wissen, was da passiert ist, dass er von diesem Schoggi-Job zum sich ins Elend sparenden Tagi wechselte. Dort fiel er letzthin einzig durch den bedeutenden Beitrag auf: «So verwandeln Sie den Balkon in eine grüne Insel». Und nun müllt er auch noch die «Republik» zu.

Es sind sagenhafte 30’000 A, durch die man sich kämpfen muss, will man «Auf dem rechten Weg nach Deutschland» wirklich lesen. Will man aber nicht, denn es lohnt sich definitiv nicht.

Zunächst einmal tritt Maurer die Anregung der NZZ, dass die Errichtung einer «Brandmauer» gegen die nach Umfragen stärkste deutsche Partei falsch ist, zu Brei. Dass die CDU besser mit der AfD koalieren sollte, statt sich von den Wahlverlierern SPD und Grüne das Regierungsprogramm in weiten Teilen diktieren zu lassen – wieso nicht. Dass selbst ein Ministerpräsident Höcke kein Unglück wäre, das Deutschland in den braunen Sumpf der Vergangenheit zurückführte – diese These kann man vertreten, auch wenn Höcke ein widerlicher Brandstifter und Provokateur ist.

Es ist sicherlich genüsslich, abgehalfterte Politiker und auch den abservierten CEO der NZZ Veith Dengler zu zitieren. Der scheiterte krachend mit einer Expansion nach Österreich und wäffelt nun natürlich gegen die erfolgreiche Expansion nach Deutschland.

Aber immerhin, Maurer ist gnädig mit dem Leser und teilt ihm überdeutlich mit, ab wo man problemlos die Lektüre einstellen kann, Freundlicherweise recht weit vorne, nämlich hier:

«Der deutsche Medienjournalist Stefan Niggemeier hatte daher gefragt, ob sich die NZZ nicht als Mainstream verstehe? Die NZZ-Kommunikations­abteilung antwortete ihm, man sehe sich «nicht als Teil des Mainstreams». Das ist eine beachtliche Antwort, weil sie das gleiche Narrativ bedient wie Verschwörungs­theoretiker, rechte Influencerinnen oder die AfD, wenn sie von «Mainstream-Medien», «Lügenpresse» oder den «gleich­geschalteten Medien» sprechen.»

Echt jetzt? Weil die NZZ knapp meint, sie sehe sich nicht als Teil des Mainstreams, bewegt sie sich damit im «Narrativ» von Verschwörungstheoretikern? Hat denn Maurer niemand gesagt, dass man das Wort Narrativ nur noch in Kreisen linker Verschwörungstheoretiker verwendet, ebenso wie «Framing»?

Für immer noch unentschlossene Leser setzt Maurer noch einen drauf: «Aktuell wirbt die NZZ in Deutschland mit dem Claim «Für Meinung ohne Mache». Auch dieser impliziert, dass andere Medien – im Gegensatz zur NZZ – nicht neutral berichten.»

Ob sich Maurer wohl dagegen wehren würde, dass man der «Republik» problemlos attestieren kann, dass sie keineswegs, nie und in keiner Form objektiv berichtet?

Das zeigt sich auch überdeutlich bei der Riege von «Fachleuten» und weiteren «Stimmen», die Maurer auffährt. Wer einen Georg Kreis als Analysten der NZZ verwendet, der macht sich wirklich lächerlich. Das Zitieren von ausschliesslich anonymen «NZZ-Redaktoren» ist hingegen das übliche Vorgehen bei der «Republik».

So pumpte und pumpt sie alle ihre angeblichen Skandalstorys auf, die dann, wie im Fall ETH oder im Fall Globegarden, um nur zwei Flops zu erwähnen, wie ein Soufflee zusammenfallen, wenn sie Kontakt mit der kühlen Luft der Realität aufnehmen.

Wer sich nach anonymen Stimmen zu diesem Satz versteigt, hat nun selbst jeden Anspruch aufgegeben, als Journalist noch ernst genommen zu werden:

«Viele sagen auch, sie hätten aufgrund der schwierigen Markt­lage kaum mehr eine Alternative auf dem deutsch­sprachigen Markt. Und dass sie davon ausgehen, dass der grösste Teil der Belegschaft unglücklich sei mit dem eingeschlagenen Kurs.»

Was würde wohl die «Republik» sagen, wenn ZACKBUM hier eine Latte von anonymen Mitarbeitern zitieren würde, die beispielsweise den versemmelten Rausschmiss eines Starreporters, den blitzschnellen Abgang von de Weck, das Mobbing gegen den ersten und den zweiten Chefredaktor, die finanzielle Unfähigkeit und die Unfähigkeit, aus einer luftdichten Gesinnungsblase auszubrechen, ziemlich scheisse finden und überhaupt viele mit dem eingeschlagenen Kurs der amtierenden schreibenden Schmachtlocke und seiner Quotenfrau nicht einverstanden seien?

Das würde die «Republik» als üble, haltlose Denunziation zurückweisen.

Richtig widerlich wird es dann gegen Schluss (bitte Applaus für ZACKBUM, das muss man im Kopf aushalten). Da fährt der Wicht Maurer noch der Grand Old Lady der Schweizer Publizistik an den Karren. Margrit Sprecher habe «ein wachsweiches Alice-Weidel-Porträt geschrieben».

In Wirklichkeit ist dieses Porträt auf einem Niveau formuliert, das Maurer nicht mal in seinen kühnsten Träumen von schräg unten anschauen kann. Wie mies ist das denn, ein hochstehendes journalistisches Werk niederzumachen, nur weil ihm die Fähigkeit Sprechers, die Person Weidel nicht von Vorurteilen umstellt zu porträtieren, aus ideologischen Gründen nicht in den Kram passt? Der Text  sei «in den sozialen Netzwerken und in Medien im gesamten deutsch­sprachigen Raum für seine Einseitigkeit vehement kritisiert» worden, behauptet Maurer. Und als Beleg führt er ausgerechnet einen Verriss des unterirdischen Tagi-Redaktors Andreas Tobler an.

Der Mann hat sich dermassen häufig disqualifiziert (man kann seine Spur des Schreckens auf ZACKBUM nachverfolgen), dass er sich nun zu allerletzt als Beleg für diese Kritik eignet. Wobei eine Quelle, und dann erst noch so eine, etwas gar dünn ist für den «gesamten deutschsprachigen Raum».

Also ein weiteres Schmierenstück eines offensichtlich voreingenommenen ehemaligen Mitarbeiters der NZZ, der sich aus ungeklärten Gründen vom Acker machte.

Und das soll Qualitätsjournalismus sein, für den Leser zahlen sollten?

Kleines Einmaleins des Journalismus

Sittenverluderung und Hirnstarre. Ein Zwischenruf gegen das Elend.

Früher, ja früher gab es mal die Kenntnis von verschiedenen journalistischen Gefäßen. Es gab die Nachricht. Den Kommentar. Das Interview. Die Analyse, Die Reportage. Die Recherche. Das Essay. Und das Porträt.

Heute gibt es Brei.

Das Porträt gehört zu den anspruchsvollsten Formen des Journalismus. Denn die Ausgangslage ist, dass man einen facettenreichen, oftmals in der Öffentlichkeit stehenden Menschen schriftlich abbilden will. Dahin führen zwei Wege.

Der Königsweg ist, dass man so viel Material wie möglich über diesen Menschen sammelt. Wenn es sich einrichten lässt, ihm auch persönlich begegnet. Meinungen aus seinem Umfeld einholt, wobei man wie üblich solche mit Namensnennung höher gewichtet als anonyme. Und anonyme nur mit Begründung zu-, oder besser noch weglässt.

Dann kommt die Phase des Verdauen. Man sitzt auf einem Berg von Informationsstücken und Stückchen, den man verschlingen, verarbeiten, verdichten und aufbereiten muss. Nach der Richtschnur: das Resultat muss sein, kein wirklichkeitsgetreues Abbild schaffen, denn wer weiss denn schon, was das ist. Aber ein rechtschaffenes, eines, das der porträtierten Person gerecht wird. Das man in der Sicherheit niederschreibt, dieser Person anschliessend weiter in die Augen schauen zu können.

Ein Mensch ist immer mehr als die Summe seiner Teile, seiner Aussagen, seiner Handbewegungen, seiner Mimik, seines Charakters, seiner Positionen, seiner Ansichten. Aus all dem signifikante Elemente herausschälen und sie in eine lesbare Form zu bringen, die den Leser bereichert, informierter als zuvor zurücklässt, mit dem Gefühl: ich glaube, ich habe nun eine grössere Ahnung über diesen Menschen als vor der Lektüre – das ist das grosse Ziel.

Aktuell haben wir zwei Porträts, an denen man den Unterschied zwischen gelungen und übler Schmiere deutlich festmachen kann. Margrit Sprecher porträtiert Alice Weidel. Man kann davon ausgehen, dass Sprecher mit kaum einer der politischen Positionen übereinstimmt, die die AfD und Weidel vertreten. Man kann davon ausgehen, dass viele sie davor gewarnt haben, dieser schrecklichen Rechtspopulistin mit Abgrenzungsproblemen zum braunen Sumpf überhaupt eine Plattform zu bieten, indem Sprecher ein Porträt schreibt.

Sie hat es dennoch getan, und siehe, es ist gelungen. Es ist elegant geschrieben, mit Distanz, aber auch Anteilnahme, die beschriebenen Facetten fügen sich zu einem Mosaik zusammen. Das Porträt wird Weidel gerecht, verurteilt nicht, sondern beschreibt, verdichtet, wählt aus. Muss man können, wenn man’s nicht kann, sollte man es erst gar nicht versuchen.

Dann gibt es Lohnschreiber und Wendehälse wie Daniel Ryser, die kein Problem damit haben, eine Person als Bestandteil eines brandgefährlichen rechten Mediennetzwerks darzustellen – um dann anschliessend für genau diese Person zu schreiben. Darüber muss man weiter kein Wort verlieren – ausser den Ausdruck höchsten Befremdens, wieso Köppel diese Type bei sich schreiben lässt. Aber das fragt man sich bei Tom Kummer ja auch vergeblich.

Und dann gibt es das aktuelle Porträt von Roger Köppel in der WoZ. Ein übles Machwerk, von fünf Köchen zusammengerührt, ein unappetitlich riechender Brei. Schon mit dem ersten Satz wird hier klargestellt, dass es keineswegs um ein Porträt gehen soll. Sondern um eine Hinrichtung: «Manchmal wird die «Weltwoche» für die russische Sicht auch handgreiflich.»

Null Intention, den Motiven und Beweggründen Köppels nachzugehen, was ja durchaus interessant sein könnte. Nein, es ist sonnenklar, dass die geballte Recherchierkraft darauf verwendet wurde, möglichst viele Mosaiksteine zu finden, die Köppel möglichst schlecht aussehen lassen.

Nun gibt es bei dem Mann vieles zu kritisieren, und auch ZACKBUM tut das innerhalb sowie ausserhalb der «Weltwoche» nach Kräften. Aber das macht ihn nicht restlos aus. Was ist also von einem Porträttext zu halten, den man auch in einem Satz hätte abhandeln können: Köppel ist ein russlandfreundlicher und von Despoten faszinierter Rechtspopulist und Demagoge mit völlig selektiver Wahrnehmung der Realität.

Das mag man so sehen, und Köppel bietet genügend Anlass für diese Sicht. Aber das ist kein Porträt Köppels, das ist eine Karikatur. Ein Pamphlet. Eine ideologische Kampfschrift. Das ist, Gipfel der Absurdität, das tun, was man Köppel vorwirft. Die Autoren sind offensichtlich zu blöd, diesen schreienden Widerspruch zu bemerken.

Nein, sie sind vielleicht nicht zu blöd. Aber ideologisch zu verbohrt, unfähig, die Realität (und den Menschen) bunt, widersprüchlich, komplex wahrzunehmen. Sie brauchen Schwarzweiss, Holzschnitt, Holzhammer.

Sie merken nicht, dass ausserhalb ihrer kleinen Gesinnungsblase so eine Schmiere ihren Zweck völlig verfehlt. Niemand wird dadurch bereichert, niemand lernt etwas. Nur Gleichdenkende fühlen sich durch diese Rückkoppelung in der Echokammer der eigenen Gesinnung bestätigt.

Das ist dermassen lähmend langweilig, aschgrau, unerträglich flach und dumm. Wäre diese Fünferbande nicht völlig beratungsresistent, müsste man ihnen sagen: Porträt schreiben wollen. Thema verfehlt. Inhalt ungenügend. Formal mangelhaft. Eins, setzen, nochmal versuchen. Oder noch besser: sein lassen, einen anständigen Beruf suchen.

Oder sich bei der «Weltwoche» bewerben. Aber bitte für Buchhaltung, Archiv und Sekretariat, ja nicht als Journalist.

NZZaS traut sich endlich was

Margrit Sprecher porträtiert Alice Weidel. Ein Gipfeltreffen.

27’000 A, die zeigen, dass der Leser eine solche Strecke verträgt. Wenn der Autor Margrit Sprecher heisst und die Porträtierte Alice Weidel.

Normalerweise wird bei Darstellungen der Kanzlerkandidatin der AfD lediglich die Nähe zum braunen Sumpf ausgemessen, sie wird als Scharfmacherin, Demagogin, natürlich als Rechtspopulistin und mit den üblichen Schlagworten aus dem journalistischen Versandhauskatalog niedergemacht.

Das ist von Sprecher nicht zu erwarten. «Unterwegs mit einer Grenzgängerin», beschreibt die Altmeisterin die Herstellung ihres Porträts. Einleitend macht sie sich über diese versammelten Klischees lustig, die anlässlich des Geplauders mit Elon Musk über Weidel neuerlich hereinbrachen:

«Einmischung eines Wirtschaftsbosses in den deutschen Wahlkampf! Werbung für die Rattenfängerpartei AfD! Untergang der Demokratie! «Ist das Tor zur Hölle nun geöffnet?», fragte die «FAZ».»

Dann zeigt Sprecher, was der Unterschied zwischen einem Porträt und Gewäffel ist, indem sie die beiden Ausnahmefrauen der deutschen Politik, Weidel und Sahra Wagenknecht, miteinander vergleicht: «Beide Frauen sind den meisten männlichen Politikern in Sachen IQ, Ausbildung und Rhetorik überlegen. Beide machten ohne das politische Establishment Karriere. Beide krempelten Deutschland aus dem Stand heraus um. Beide stehen so ungeniert zu ihrer Ich-AG, wie sich das schon lange kein Mann mehr getraut.»

Sprecher verschweigt natürlich nicht, dass Weidel bewusst und immer wieder zuspitzt und verbal so draufhaut, dass kein Gras mehr wächst: «Heute hat Alice Weidel ihr Repertoire mit neuen Aufreger-Themen bestückt. … «Mutter aller Sünden» freilich bleibt für sie Angela Merkels Migrationspolitik. Denn importiert worden sei «ein marodierender, grapschender und Messer stechender Mob, an den wir uns gewöhnen sollten»

Dann kommt der obligate Ausflug in die Biografie, elegant dargeboten. Dann ein Ausflug in Weidels Auftritte im Bundestag: «Am Ende ihres Referats schien der Saal von kollektivem Burnout befallen. Frenetischen Applaus bekam sie nur von ihren Parteigenossen.» Und dann das grösste Aufregerthema für Weidel: «Denn ist die Rede von Islamisten, rutscht ihr das Lächeln weg. «Unser Umgang mit islamischen Hasspredigern ist naiv.»» und ihre Wackelpolitik gegenüber einem angebräunten Brandstifter: «Noch 2017 hatte sie Björn Höckes Parteiausschluss unterstützt, seine Nähe zur Neonazi-Szene schade der Partei. Dann freilich musste sie zurückkrebsen

Und dann, immer der Höhepunkt bei Sprechers Porträts, ihre persönliche Annäherung, Umkreisung: «Alice Weidel, die die Absätze knallen lässt und weiss, wie man in die Kamera schaut, auf dem Land? Passt schon. «Hier kann ich Kraft tanken, in Berlin bekomme ich extrem viel ab.»»

Sprecher weiss auch, wie man auf dem schmalen Grat zwischen zu Intimem und zur Vervollständigung Nötigem tanzt: «In Einsiedeln steigt sie frühmorgens auf den Grossen Mythen, um den Sonnenaufgang zu erleben, im nahen Wald umarmt sie Bäume. Sie besitzt einen Apparat, der Wasser ionisiert, und duscht kalt, um die Endorphin-Ausschüttung anzukurbeln. «Die verhinderte Medizinerin», ­lächelt sie. Grösste Kraftquelle ist freilich Partnerin Sarah.»»

Und zum Schluss zurück zu den politischen Absichten von Weidel:

«Bei Kaffee und Mineralwasser, den Blick fest auf die hehren schneegleissenden Gipfel vor dem Panoramafenster gerichtet, erklärte sie ihr Ziel: die AfD zur stärksten Partei Deutschlands zu machen. «Mit neutralen Medien hätte ich die CDU schon längst überholt.» Zu mut- und zahnlos seien deren Konzepte, zu deutlich Friedrich Merz’ alleiniges Interesse am Machterhalt. «Das schaffe ich nicht bis zum 23. Februar», sagte sie. «Aber das schaffe ich bis zur nächsten Bundestagswahl.» So, wie sie dasitzt, gespannt wie ein Bogen, ist ihr alles zuzutrauen.»

Einer dermassen stigmatisierten und vorverurteilten Person wie Weidel, die auch selbst ihren Beitrag zur Polarisierung leistet, freundlich-distanziert und aufmerksam näherzukommen, davon könnte sich die versammelte Journaille in der Schweiz mehrere Scheiben abschneiden. Aber eben, wenn man’s nicht kann …

Meine Güte, Margrit Sprecher

Vor dieser grossen Dame sollten alle Zwerge verstummen.

Sie ist 88, man glaubt es kaum. Wenn Margrit Sprecher ein Porträt schreibt, dann fühlt man sich in den angelsächsischen Journalismus versetzt. Oder in eine Zeitreise zurück, als es noch Journalisten gab, die ein Porträt nicht nur beherrschten, sondern auch richtig verstanden.

Es geht nämlich darum, ein Bildnis von jemandem zu schaffen, dem Leser zu vermitteln, wer dieser Mensch eigentlich ist. Das ist heutzutage meistens zu Fertigmacher-Banalität verkommen, wo dem Journalisten schon vor dem ersten Wort, der ersten Begegnung völlig klar ist, was er mit dem Porträtierten machen will. Hinzu kommt zunehmendes sprachliches Unvermögen allerorten.

Dagegen Margrit Sprecher. Erst vor Kurzem zeigte sie in der NZZaS, wie Reportage geht. Und schon legt sie im NZZaS Magazin und in der NZZ nach; mit einem Porträt von Ueli Maurer. Echt jetzt, mag mancher denken, was gibt es denn über den noch zu schreiben? Ist doch alles bekannt, und ausserdem ist er nicht mehr Bundesrat.

Das ist richtig, aber dagegen kann man nur halten: wenn Sprecher ein Porträt schreibt, dann lohnt sich die Lektüre. Es ist über 21’000 A lang, und im Gegensatz zu den meisten solchen Strecken («Republik», horribile dictu) löst das Ende Bedauern aus. Das ist wohl das grösste Kompliment, das man einem Text machen kann: er sollte gar nicht aufhören.

«Treffen mit einem Erlösten», nennt Sprecher ihre Begegnung, und geschickt webt sie biographische Stationen, die Jetztzeit und Beobachtungen ineinander.

«Heute, im Sitzungszimmer der Zürcher SVP, vergleicht er sein Leben mit einem Stafettenlauf: «Solange du den Stab in den Händen hältst, musst du secklen.» Also ist er geseckelt.»

Und fiel immer wieder mit träfen Sprüchen auf. Allseits erinnerlich ist sein «Kä Luscht», als er überhaupt noch mit den Medien sprach, von denen er zunehmend und heute vollständig angewidert ist. Da es nur eine Sprecher gibt, völlig zu recht. Nicht schlecht ist auch sein Satz, den er «empörten Feministinnen» entgegenhielt: «Ich habe ein unverkrampftes Verhältnis zu den Frauen. Schon meine Mutter war eine Frau

Mit wenigen Sätzen erklärt Sprecher, wie erfolgreich Maurer als Bundesrat war: «Um die fehlende Widerspruchskultur zu fördern, erteilte er ganz offensichtlich sinnlose Befehle. «Niemand rebellierte.» Um die grassierende Kontrollitis einzudämmen, drohte er mit der Aufhebung von 78 Verfügungen, sollten sie die Zuständigen nicht bis Ende Jahr begründen können. «Begründet wurden genau fünf», sagt er.»

Wie gelingt ein solches Porträt, das einem Maurer näherbringt als alles andere, was schon über ihn geschrieben wurde? Eigentlich ganz einfach. Man macht sich mit der zu porträtierenden Person vertraut, vertieft sich in den Lebenslauf, den Leistungsausweis. Markiert entscheidende Weichenstellungen. Spricht mir ihr. Und dann sucht man aus all diesen Mosaiksteinchen die richtigen aus, und dann tut man so, als seien sie mit leichter Hand an die richtige Stelle gerückt worden.

Flachschreiber sehen eine Rolex an der Hand des NZZaS-Chefredaktors, sprechen zwei Stunden mit ihm, zitieren einen Satz, der in die Hinrichtung passt, und erwähnen natürlich die Uhr. Das ist Schweinejournalismus à la «Republik». Guter Journalismus ist, wenn man aus der Vielzahl von Beobachtungen, Anekdoten, Situationen, Zitaten diejenigen herausgreift, die sinnfällig ein Porträt vollkommen machen. So vollkommen es halt sein kann, wenn es um einen 73-Jährigen geht, der schon ziemlich lange in der Politik und der Öffentlichkeit steht.

Diese Auswahl, diese Ernte aus überreichlich Material, das ist’s was ein gelungenes Porträt ausmacht, das dem Porträtierten gerecht wird und den Leser bereichert.

Wie man das macht, das ist schwer zu vermitteln, unmöglich zu lernen. Da kann nur Goethe helfen: «Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.» Ein gutes Porträt muss sich beim Lesen gut anfühlen. Wenn man die Absicht spürt, ist man verstimmt. Aber wenn hier ein Mensch in all seinen Facetten entsteht und zu leben beginnt, dann fühlt sich’s gut an.

Also, liebe Margrit Sprecher. Ja nicht aufhören, Sie Quell der Labsal im dunkeldüsteren Tal der Flachschreiber.

Paula Scheidt spricht nicht mit jedem

Die neue Chefredaktorin des NZZ am Sonntag Magazin hat einen ganz schwachen Start.

Die erste Ausgabe nach der Sommerpause unter neuer Leitung war ein Totalflop. Der Tiefpunkt war ein rezykliertes Interview, das tags zuvor bereits in der NZZ erschienen war.

Peinlich wie der ganze Rest der Ausgabe. Nun legt Scheidt mit einem Typo-Titel nach, der an Unleserlichkeit schwer zu überbieten ist:

In ihrem zweiten Editorial betreibt sie das, was schlechte Journalisten am liebsten machen: Bauchnabelschau – im wahrsten Sinne des Wortes. «Ich erinner mich, wie ich im Frühjahr 2020 hochmotiviert ins Büro zurückkehrte …» Geburt von Zwillingen, Lockdown, Elternwerden, «die neue Wackeligkeit der Welt». Der Leser ist indigniert, dass er solche Einblicke serviert bekommt. Aber das ist nur die Einleitung zur Gruppentherapie, die Scheidt im Blatt auslebt: «Das Expertinnengespräch hatte für mich dann neben vielen erhellenden Momenten auch etwas Beruhigendes. Wie eine Therapiestunde …»

Die breitet sie dann über 31’487 A im Eigentherapieblatt aus. Drei Psychotherapeutinnen dürfen sich über die Befindlichkeit der Schweizer aussossen. Die richtige Lektüre an einem verregneten Sonntag, wo einem ein Spaziergang dagegen direkt erholsam vorkommt.

Selbst ein wunderbar ziseliertes Porträt des Ex-Bundesrats Ueli Maurer durch die Altmeisterin Margrit Sprecher vermag das umgebende Elend nicht zu lindern.

Den Vogel, und das ist nicht so leicht, schiesst mal wieder «Bellevue» ab. Diesen Titel muss man sich erst mal trauen:

«Meisterwerke vereint», nun ja. An der Wand hat’s wohl einige, die beiden Fussel-Mops vorne sollen angeblich Schuhe sein. Für die sich Salvatore Ferragamo in Grund und Boden schämen sollte.

ZACKBUM liefert exklusiv die Bezugsquelle, muss nur noch eingefärbt werden:

Noch einen drauf legt das hier:

Blöd bloss: diese Gaga-Popcorn-Kette gibt’s bei Acne Studios gar nicht …

Antworten von der Chefredaktorin übrigens auch nicht. Obwohl sie an die mitteleuropäische Regel des Anstands erinnert wurde, dass man auf eine journalistische Anfrage zu reagieren habe, schweigt sie verkniffen, obwohl die Fragen doch durchaus eine Antwort verdienten:

Ist das der neue Stil des Magazins unter Ihrer Leitung, dass Interviews, die tags zuvor in der NZZ erschienen sind, hier rezykliert werden?
Sie beginnen Ihr erstes Editorial mit der Behauptung, es hätte viel Anrufe, gar Briefe und E-Mails gegeben, weil das Magazin vermisst worden sei.
Sie können sicherlich quantifizieren, wie viele Meldungen das insgesamt waren. Und auch ein paar anonymisierte Beispiele von Briefen oder Mails vorweisen, zum Beleg.
Da drängt sich doch der Verdacht auf, dass es gar nicht so viele Vermisstmeldungen gegeben hat. Möglicherweise, schluck, keine einzige.
Also einen gröberen Fehlstart in überschaubarem Raum hat bislang noch kaum jemand hingelegt. «Wir wollen unseren Leserinnen und Lesern am Sonntag frische, oft unterhaltsame Perspektiven bieten und einen anderen Blick auf eine sich rasant verändernde Welt ermöglichen», lobhudelte NZZaS-Chefredaktor Beat Balzli noch. Dann legte er eine herausragende Fehlanalyse hin: «Paula und die Kollegen stehen für herausragenden Journalismus.»
Schnell stellte sich heraus: Paula (Scheidt), von der «Annabelle» eingewechselt, steht für Gähn- und Rezyklierjournalismus, duckt sich bei Fragen weg und betrachtet am liebsten den eigenen Bauchnabel. Was sie dann mit dem gequälten Leser teilt. Der eigentlich nur noch eines vermisst: die Einstellung dieser Fehlkonstruktion, dieser Karikatur eines Magazins.

Sommer mit Loch

Die NZZaS hat wirklich ein Problem.

Nur eins? Gute Frage. Sie hat eine Reihe von Problemen, und wie bei Ebbe kommen die halt zum Vorschein, wenn das Sommerloch hässlich gähnt und nichtmal die Hand vor den Mund hält.

Aber der Reihe nach. Wenn eine Redaktion, ein Chefredaktor eine solche Cover-Illustration zulässt, dann haben sie die Kontrolle über ihr Leben verloren, wie Karl Lagerfeld selig sagen würde.

Sieht aus wie von KI gepinselt; was soll eine Umarmung zwischen einem Marlboro-Cowboy und der Freiheitsstatue uns sagen? Echte Nähe von Extremen? Geknutscht wird nicht, weil er nicht mal die Kippe aus dem Mund nimmt?

Dann verliert sich der Chefredaktor Beat Balzli in aufgewärmten Überlegungen zum amerikanischen Wahlkampf, nicht ohne dem Leser am Schluss launig «I Wish you a Great Sunday» nachzurufen, Versteht zwar keiner, was das soll, «Make Sunday Great again» wäre wenigstens noch einigermassen lustig gewesen.

Aber das geht wenigstens schnell vorbei, es folgen zwei Seiten Geseier zur Frage, was «uns eigentlich noch zusammen» halte. Gemeinschaft, starke Institutionen, gemeinsame Geschichte, ist die banale Antwort, die man – ausgewalzt – in einer Spalte hätte geben können.

Werbung ist sonst nicht so das Thema von ZACKBUM, aber hier müssen wir eine Ausnahme machen, denn das ist zum Schieflachen:

Das soll «Eleganz auf höchstem Niveau» bildlich ausdrücken. Dabei ist es Idiotie auf tiefstem Niveau. Da steht ein Range Rover blöd rum. Fährt er zurück, kracht er in die elegante Mauer. Fährt er nach vorne, platscht er in den eleganten Seerosenteich. Eigentlich braucht es einen Kran, um ihm aus dieser eleganten Situation herauszuhelfen.

Ach, und wenn wir schon bei gelungenen Illustrationen sind:

Ein Sarg, aus dem Geldnoten herausquellen, offenbar funktioniert die Klimaanlage bei der NZZ nicht.

Aber dann, sonst wär’s halt nicht die alte Tante, kommt ein Stück, das mit vielem versöhnt. Ist von der Altmeisterin Margrit Sprecher, die mal wieder zeigt, dass sie Reportage besser beherrscht als all die verschwurbelten Möchtegerns, die aufpumpen und nur zeigen, dass sie weder Form noch Inhalt beherrschen.

Anders aber Sprecher.

Natürlich lebt das Stück vom Setting und den beiden Protagonisten. Aber finden muss man die auch erst mal, und gültig beschreiben können auch. Da ist Simon Bühler, einst ein gefeierter Starkoch, erfolgsverwöhnt, getrieben. Der plötzlich umschaltete und nun die Walserstuba in Avers betreibt. Mit einfachen Gerichten zu zivilen Preisen (Abendmenü 35 Franken), «Nada es perfecto», ist sein Wahlspruch, und Sprecher bringt ihn dem Leser näher. Ergänzt wird er durch Bruno Loi, dem Macher, der als «Tschinggeli» in der zweiten Generation allen zeigen muss, was er kann. Und das ist viel. Eingebettet in ein Walserdorf, wo man wohl erst so ab der fünften Generation nicht mehr als fremder Eindringling empfunden wird.

Ein wunderbares Stück, das zeigt, wie Journalismus immer noch funktioniert. Idee haben, hingehen, anschauen, aufschreiben, verdichten. Geht aber nur, wenn man’s kann, denn was so einfach daherkommt, ist die hohe Kunst.

Das trägt einen auch problemlos über die nächste Seite mit Patti Basler und Rolf Dobelli hinweg. Und in die «Wirtschaft» hinein, die so siech ist, dass man ihr gerne so ein Krankenzimmer auf dem Bürgenstock empfehlen würde. Ein Abknutsch-Interview mit Tucker York, dem Chef der globalen Vermögensverwaltung von Goldman Sachs, wie es dessen PR-Abteilung nicht besser geschnitzt hätte. Ein Stück über die Zuger Kirschtorte, bzw. den finanziellen Erfolg des Kantons, nach der Devise: kann man machen, muss man nicht machen.

Dann lässt Nicole Kopp mal wieder Nostalgie aufkommen. Denn die Kolumne «Geld & Geist» wurde mal von geistreichen Autoren bespielt. Jetzt ist es halt eine Frau, die nicht einmal geistreichelt, sondern nur langweilt: «Die meisten Sitzungen sind überflüssig. Schaffen wir sie ab!» Seit es Büros gibt, die wohl am häufigsten geäusserte Phrase.

Im «Wissen» hat man auch gemerkt, dass es angeblich «grausam heiss» sei. Wenn’s nicht kalt ist und regnet, natürlich. Dazu passend die «Verlagsserie Zeit fürs Klima». Wunderbar, «in Kooperation mit Rolex». Weiter kann man als ernsthaftes Organ die Beine eigentlich nicht spreizen.

«Kultur»? Was für Kultur? Sinfonien aus Estland («gegen Putin»), das Taormina-Filmfest (heute nur noch Sizilianern bekannt), dann noch «Die Antiromatiker von Göschenen», deren Kunst, ehrlich gesagt, ungefähr so attraktiv ist wie das Kaff selbst.

Links die Künstler ohne Kunst, rechts das Kaff, auch ohne.

Dann noch die Leserbriefe, und Fr. 7.10 sind weggerauscht. Wenn man noch 2.40 Fr. drauflegt, gäbe es ein «Big Bang Menu» von McDonald’s. Immerhin mit «saftigem Rindfleisch von der Metzgerei Bell, zarter Schmelzkäse, Zwiebeln, Essiggurken, Ketchup und Senf in einem Brötchen aus IP-Suisse-Mehl». Plus Getränk! Eine echte Alternative.

 

Relotius: Will man das wissen?

Der Schweizer Zeitschrift «Reportagen» ist zweifellos ein Scoop gelungen. Der erste Interview mit Claas Relotius. Echt jetzt.

Für den «Spiegel» gibt es inzwischen eine dreigeteilte Zeitrechnung. Vor Relotius, während Relotius, nach Relotius.

Der «stern» hatte jahrelang, eigentlich bis heute daran zu knabbern, dass die entdeckten Hitlertagebücher nicht nur mit «FH» aussen signiert waren, weil der Fälscher gerade kein A in Frakturschrift zur Hand hatte. Sondern Ruf, Reputation, Seriosität, Glaubwürdigkeit des «stern» über Jahre, über Jahrzehnte schädigten. Man kann sagen, von diesem Schlag erholte sich der Nannen-«stern» nie mehr.

Der Fall Relotius beim «Spiegel» war eigentlich noch gravierender. Hatte der Star-«stern»-Reporter Gerd Heidemann – nach der Enttarnung des grossen Unbekannten der deutschen Literatur, der nur unter seinem Pseudonym B. Traven auftrat, nicht garantiert, dass er den Jahrhundert-Scoop gelandet habe? Recht schnell stellte sich heraus, dass es der Jahrhundert-Scoop war, aber leider als Fälschung. Letztlich brachte das dem «stern» als mildeste Bestrafung ein paar Jährchen Knast auf Bewährung ein.

Bei Relotius liegt der Fall (leider) bedeutend anders. Wenn man nachverfolgt, wie hier das ganze Elend des modernen Gesinnungsjournalismus zu Tage trat, erschrickt man noch in der Retrospektive. Eigentlich sollte jeder leitende Redaktor fristlos entlassen werden, wenn er diese zwei Sätze sagt:

  1. Was ist unsere These bei diesem Stück, die Storyline?
  2. Was wollen wir für Reportageelemente in dem Stück, worüber und möglichst nah?

Kopf- und Schreibtischgeburten entstanden

Und so entstanden absurde Kopfgeburten wie jene Story, die aus reinem Zufall Relotius schliesslich das Genick brach. Ein «Spiegel»-Reporter begleitet unerkannt eine Mutter mit Kind, arm und allein, Nationalität egal, aus Zentralamerika über Mexiko an die US-Grenze. Und der zweite Reporter sucht nach einer möglichst rabiaten Bürgerwehr, die die andere Seite bewacht.

Ein Auftrag wie für Relotius gemacht; gefährlich, neu für ihn. «Andere machten sich jetzt wohl in die Hose, und ich kann sie sehr gut verstehen.» Das waren Juri Gagarins letzte Worte, bevor die Rakete mit dem üblichen Donnern abhob. Haben Sie’s geglaubt? Ts, ts.

Relotius musste da ran und dort ran und enthüllen und aufdecken, dass es keine Art hatte. Wie er das nur immer wieder schaffte, fragte man sich innerhalb und ausserhalb des «Spiegel». Aber vielleicht sollte man bei einem solchen Wunderknaben gar nicht genauer hinschauen, sagte sich das hier federführende Ressort. Relotius zeigte, dass nichts unmöglich war, auch einem, der in den nächsten Minuten tot gespritzt wird, dabei in die Augen zu schauen und darüber zu schreiben.

Natürlich war das nicht möglich, und der «Spiegel» erwähnt seither viel kleinlauter, dass er dann schon eine ganze Reihe von Kontrollinstanzen zwischen der Abgabe eines Manuskripts und der Publikation habe, die eine Ungenauigkeit oder gar Fälschung verunmögliche. Tat es nicht, weil Relotius – ein geschickter Menschenfänger wie jeder Betrüger — das ablieferte, was das im roten Bereich drehende Ressort «Gesellschaft» von ihm wollte.

Da es bei einer Reportage tatsächlich so ist, dass der Reporter den Ereignissen nach gusto einen Spin geben kann. Durch entsprechende Darstellung von Protagonisten – vor allem aber durch das, was er ihnen entlocken kann. Und verständlich, dass da gerade dem Tonband der Saft ausgegangen war. Selbst dazu war Relotius in einem Fall offenbar zu faul, und so stürzte sein Kartenhaus zusammen, das zuvor bis in die Chefetage hinein verbittert verteidigt und für stocksolide erklärt worden war.

Mit der brutalstmöglichen Aufklärung, neuen Kontrollinstanzen und dem Demontieren der Leitung des Ressorts, in dem Relotius tätig gewesen war, meinte man, das Problem einigermassen eingezäunt zu haben. Zudem schrieb eine der letzten real existierenden Edelfedern des «Spiegel» ein mea culpa, illud mihi culpa, wie es nur Ullrich Fichtner hinkriegt.

Neue Exerzitien für Relotius

Daraufhin meldete sich Relotius ab und war eine Zeitlang in einer psychiatrischen Anstalt versorgt. Zu seinen Exerzitien gehörte offenbar, sich bei allen Abnehmern seiner Lügenstorys dafür zu entschuldigen. So auch beim Schweizer Magazin «Reportagen», für das er fünf Relotius-Stücke, natürlich voller Lug und Trug, einreichte. Nach der Entschuldigung blieb man in Kontakt, und schliesslich durfte der Chefredaktor von «Reportagen» mitsamt Margrit Sprecher ein Interview mit Relotius führen.

Das ist natürlich ein Scoop, der im Medienkuchen dafür sorgt, dass es kräftig staubt. Aber ausserhalb der sozusagen Direktbetroffenen? Interessiert das keinen Menschen mehr. Doch Scoop ist Scoop, also trompetete «Reportagen», die meisten Medien zogen mehr oder minder ehrfürchtig nach; nun dürfte das mit den Buchverkäufen geritzt sein.

Ach, der Inhalt des Interviews? Völlig unerheblich, uninteressant, lausig vorbereitet, ein Trauerspiel, bei dem schon die ersten Zeilen reichen, für leichte Hektik zu sorgen. Nun ist genau der Relotius wieder aus der Versenkung aufgetaucht:

«Mein Verhalten hat diese Verschwörungstheorien scheinbar bestätigt. Ich kann das nicht wiedergutmachen, aber versuchen zu erklären, dass mein Handeln nichts damit zu tun hatte, sondern mit meinen persönlichen Fehlern.»

So spricht ein braver Junge, bei dem die Therapie anschlägt. Nichts beschönigen, nur erklären und entschuldigen, im Ernstfall zurück in die psychiatrische Anstalt. Während alle «Spiegel»-Frauen und -Mannen sich schon salviert haben und Relotius zu – richtig – dem bedauerlichen Einzelfall erklärten, der er nie war, der zudem ohne Wissen seiner Vorgesetzten (was auch nicht völlig der Wahrheit entspricht) eine mission impossible nach der anderen abspulte, bei der er unbeschädigt aus jeder Schlägerei, jedem Schusswechsel mit immer grösserem Gerät hervorging, sozusagen.

Während jeder weiss, dass so ein Gaga nur in Comixheftchen möglich ist, räumte Relotius so ziemlich alle Reportagepreise ab, unter Absingen von Lobeshymnen, die im Nachhinein sehr, sehr peinlich sind.

Dass man ihm nun das Wort erteilt und er es auch ergreift, damit tut er sich keinen Gefallen, tut sich «Reportagen» keinen Gefallen. Denn wen interessieren die seelischen und geistigen Abgründe, die Relotius angeblich zu seinem Tun getrieben haben sollen? Keinen – ausserhalb des Medienkuchens.

Protestfrauen: mitgegangen, mitgefangen …

Unterwegs wie Lemminge: jetzt kommt das grosse Fragen und Zweifeln.

Der moderne Kampffeminismus hat ein paar gröbere Probleme. Er vergewaltigt die Geschlechterfrage, moderndeutsch Gender, zur Allzweckwaffe im Kampf um Positionen, Vorteile und Denunziationen.

Spätestens seit #metoo, aber auch schon vorher wusste jeder männliche Vorgesetzte, dass jede Art von Kritik – so sachlich und berechtigt sie auch sein mag –  an einer weiblichen Untergebenen ohne Umwege in Teufels Küche führen kann.

Diskriminierung, Chauvinismus, Frauenfeindlichkeit, männliche Arroganz sind noch die harmloseren Waffen. Die Atombombe sozusagen ist die Beschuldigung, sexuell belästigt worden zu sein. Sei das auch nur verbal, sei das auch nur im Empfinden der Frau so.

Berechtigte Forderungen gesteigert in Nonsens

Also beispielsweise die Frage ins Homeoffice an die Mitarbeiterin: «Warum kommst du nicht rein?», gemeint ist in ein Archiv oder ein Co-Working-Tool, kann problemlos als anzüglich, als diskriminierend kritisiert werden, weil das doch sicher als Anspielung auf angeblich mangelnde technische Fertigkeiten von Frauen gemeint sei.

So bis zum Nonsens gesteigert, reissen diese jüngeren Feministinnen ein, was ihre Vorgängerinnen mühsam und kämpferisch aufgebaut haben. Schlichtweg mit Forderungen nach Gleichbehandlung, nach Lohngleichheit, nach gleichen Rechten. Aber nicht als Mimosenwettkampf.

Alice Schwarzer, die grosse alte Dame des deutschen Feminismus, die für die Sache der Frau mehr getan hat als all ihrer Kritikerinnen hier in der Schweiz zusammen, setzte sich zum Beispiel bedingungslos für das Verhüllungsverbot ein, weil der Tschador, die Burka, der Nikap Fanale für die frauenfeindliche und mittelalterliche Ausprägung des islamischen Fundamentalismus ist.

Dagegen schrieben sich bei Tamedia sowohl Männlein wie Weiblein die Finger wund, dass man das ja nicht annehmen dürfe, das sei ein Anschlag auf die Grundrechte der Frau, das sei letztlich wieder ein Ausdruck der männlich dominierten Gesellschaft, die Frauen Vorschriften machen will.

Der Jungfeminismus ist häufig schlichtweg dumm

Das ist das zweite Problem des Jungfeminismus: er ist schlichtwegs in vielen Äusserungsformen dumm. Er hebt schnell ins Absurde ab, wenn er aus jeder noch so harmlosen Bemerkung einen frauenfeindlichen Unterton herausfühlen will. Und zu allem zu ist er noch von einer tiefen Humorlosigkeit geprägt, was Fanatiker immer auszeichnet.

Ganz anders sieht das die grosse alte Dame des Schweizer Qualitätsjournalismus. Margrit Sprecher beginnt ihre Antwort mit der fröhlichen Feststellung, dass sie über meine Zeilen herzlich lachen musste. Um dann weise zu sagen:

«Seltsam ist ja, dass nicht nur im Tagi, sondern auch beim Spiegel und in der NZZ plötzlich öffentlich über Machos und deren Führungsstil geklagt wird.  Nun gab es auf Redaktions-Chefetagen schon immer viele aufgeplusterte Egos. Doch seit sich die wirtschaftliche Lage derart verschlechtert hat, leben sie hemmungslos ihre Chef-Macht aus. Meine Vermutung: Nicht nur die Frauen leiden unter dem ruppig gewordenen Stil, auch empfindsamere Männer. Nur: Unter welchem Sammelbegriff sollen sie sich outen?»

Das ist das dritte Problem des pubertierenden Feminismus. Frauen sind Opfer, Männer sind Täter. Frauen können eigentlich niemals Täter werden, Männer niemals Opfer. Der weibliche Chef, der seinen männlichen Untergebenen quält? Ein Fantasma von sich verzweifelt wehrenden Chauvinisten.

Warum alle für sexuelle Belästigung zuständigen internen Meldestellen umgehen?

Das vierte und letzte Problem, das höchstwahrscheinlich den protestierenden Frauen bei Tamedia gröbere Schwierigkeiten machen wird, abgesehen davon, dass bislang keine einzige ihrer Behauptungen belegt oder verifiziert ist: Es gibt bei Tamedia, wie eigentlich in fast jedem modernen Unternehmen, Human Resources, Anlaufstellen für jede Art von Beschwerde. Und natürlich eine firmeninterne Meldestelle für sexuelle Belästigung oder Mobbing.

Aber laut Marco Boselli, Mitglied der Geschäftsleitung, wurde diese Stelle im ganzen Jahr 2020, was ja laut dem Protestschreiben ein weiteres Höllenjahr für Frauen bei Tamedia gewesen sein soll, genau nullmal kontaktiert. Null. Wenn nun die 61 Beispiele, die im Protestschreiben aufgeführt werden, nur ein kleiner symbolischer Ausschnit aus der männerdominierte, sexistischen, Frauen abwertenden, unerträglichen Firmenkultur sein sollen, wie ist das zu erklären?

Auf dem dafür eingerichteten Weg, auf dem solche Probleme intern, auch anonym gemeldet werden können, ging keine einzige Beschwerde ein. Aber stattdessen dieses Protestschreiben an Geschäftsleitung und Chefredaktion. Dann die Weitergabe an die Medien, um mehr Druck aufzubauen. Aus Mangel an Vertrauen in die internen Abläufe? Die ewiggleiche, uralte Ausrede.

Das stinkt nach Kalkül, nach Kampagne

Aber: eine Aktion, bei der die dafür vorgesehenen Kanäle umgangen werden, begründungslos, sondern man (und frau) sich lieber direkt an die Öffentlichkeit begibt und kräftig Erregungsbewirtschaftung betreibt, riecht immer zehn Meilen gegen den Wind übel. Ganz übel. Nach Kalkül, Kampagne, Arbeitsplatzsicherung der besonderen Art.

Dazu passt auch perfekt ins Bild, dass die Unterzeichner in dunkelsten Farben wahre Abgründe männlich dominierter Arbeitsatmosphäre malen, eine Unzahl von nichtssagenden, unbewiesenen, nicht verifizierbaren Anschuldigungen dazustellen – und dann eisern schweigen. Auf Anfragen von innen und von aussen.

Natürlich sind nicht alle Frauen mit Arbeitserfahrung beim Tamedia mit diesem Schreckensbild einverstanden. Natürlich fragen sich nun in der Wagenburg der gemeinsamen Unterzeichnung gefangene Frauen, die mit der Veröffentlichung weder einverstanden sind, noch vorher um ihr Einverständnis gefragt wurden, wie sie aus dieser Nummer wieder rauskommen. um nicht als Lemminge zu enden.

Das Ende einer Frauenbewegung?

Leider gilt da, auch bei diesen Kämpferinnen für Anstand und Höflichkeit: mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Und Schnauze, Mädels, ihr wollt doch wohl unserer Sache nicht in den Rücken fallen?