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Die Musik-Pest ist wieder da

Es gibt einen Song, der Hörkrätze auslöst. Und er ist wieder da.

Zu den schlimmsten Zeiten der geschwenkten Feuerzeuge, wo tief betroffene Kids von «Gänsehaut-Feeling» schwadronierten, entstand ein Song des ewigen Gutmenschen Bob Geldof, der das Gute wollte und nur Schlechtes ausgelöst hat.

Schon seine Lyrics sind übelkeitserregend:

«It’s Christmas time, and there’s no need to be afraidAt Christmas time, we let in light and banish shadeAnd in our world of plentyWe can spread a smile of joyThrow your arms around the worldAt Christmas time

Bring peace and joy this Christmas to West AfricaA song of hope they’ll have is being aliveWhy is comfort deadly fearWhy is to touch to be scaredHow can they know it’s Christmas time at allHere’s to youRaise a glass to everyoneHere’s to themAnd all their years to comeCan they know it’s Christmas time at all
… Feed the world, let them know it’s Christmas time againFeed the world, let them know it’s Christmas time againHeal the world, let them know it’s Christmas time again»
Was soll man zu diesem primitiven «alles wird gut, wenn»-Gegröle sagen? Könnte von Bärfuss sein, okay, das würdigt es wohl genügend.
1984 malträtierte das Lied das erste Mal die Welt. Bob Geldof trommelte Musiker wie Sting, Phil Collins und andere zusammen, daraus entstand dann «Band Aid». Damit wurden dann Millionen gesammelt und völlig sinnlos verpulvert.
Nicht nur in Afrika protestierten viele gegen diese kolonialistisch-stereotype und herablassende Beschreibung.
Immerhin sagte Geldof im Jahr 2010 in einem Interview selbstkritisch, er sei «für zwei der schlimmsten Lieder der Geschichte verantwortlich. Das andere ist We Are the World
Das hinderte ihn aber nicht daran, 2004 eine neu Version aufzunehmen, die dritte. 2014 die vierte. Auch deutsche Gutmenschen um Campino verbrachen 2014 eine weitere Version mit den nur vollbesoffen erträglichen Zeilen:
«Endlich wieder Weihnachtszeit, die Nerven liegen so schön blank.
Egal ob’s regnet oder schneit, wir treffen uns am Glühweinstand.
Wir vergessen unsere Nächsten nicht, kaufen all die Läden leer.
Die ganze Stadt versinkt heut’ Nacht im Lichtermeer.»
Und nun, es weihnachtet halt jedes Jahr, hat der inzwischen 73-jährige Bob Geldof tatsächlich noch eine fünfte Version auf die Rampe geschoben. Selbst ein nicht gerade für politischen Aktivismus bekannter Sänger wie Ed Sheeran hat sich allerdings verbeten, dass ohne seine Einwilligung sein Kurzauftritt von 2014 auch in der neuen Version verwendet wird.
Er sei inzwischen der Auffassung, dass er das Lied scheisse finde, sagte Sheeran, etwas höflicher formuliert. Geldof hingegen ist unbeirrt irrig: «Dieser kleine Popsong hat Millionen von Menschen am Leben gehalten», behauptet er. Richtiger wäre: er hat Menschen eine Hungersnot überstehen lassen, nur um in der nächsten zu verrecken. Weil sich die Ursachen keinen Deut geändert oder verbessert haben.

Alles ist gut

Aus schludrigen Gedanken entstehen schludrige Texte. Das ist aber nicht schlimm. Lasst uns lieb zueinander sein. Alles ist gut.

Von Adrian Venetz

Mal angenommen, ich furze in einen Ballon, hänge ihn an einen rosaroten Staubsaugerschlauch, schmücke ihn mit Plastiktulpen und nenne das Werk «Flatulenzia Tulipae». Ausgestellt in einem hippen Atelier vergingen keine zehn Minuten, bis jemand das Werk mit einem Preis für progressives künstlerisches Schaffen versieht.

Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass in der bildenden Kunst keine Qualitätskriterien mehr gelten. Das Handwerk beherrschen? Unwichtig. Alles ist subjektiv. Alles ist gut.

Woran man sich noch etwas gewöhnen muss: Auch in der Literatur macht sich diese Unsitte breit. Davon zeugen die zwei nachfolgenden Beispiele. Das erste Beispiel ist aus einem Gedichtband einer jungen Frau, die 2019 mit einem Literaturpreis ausgezeichnet worden ist.

«Brechend und schallend,

Ergreifend nah das Licht.

Schwebend und fallend,

Ein Segeln über düstere Meere.

Heimlich verdrängt und doch:

Die Fesseln abgelegt –

Der Schall schon verstummt.»

 

Das zweite Beispiel ist der Anfang eines Romans, den kürzlich ein junger Mann publiziert hat. Man ahnt es: Auch er ist Träger eines Literaturpreises.

«Fabien ist echt nicht in Stimmung für Spielchen. Wutentbrannt hetzt er die Treppe hinunter, raus auf die Straße, schmeißt achtlos eine Kippe vor den Eingang der Bank nebenan. „Bullshit!“, schreit er. Passanten drehen sich um. Egal. In ihm schreit es weiter, während er sich auf den Weg macht zu Michaela. Soll er ein Taxi rufen? Der Regen strömt. „Die Zeit rennt davon“, schleudert er wütend einem Banker entgegen. Graue Schläfen. Pikfeine Schuhe. Imprägniert. Der Banker blickt auf den Boden, als bemerkte er Fabien nicht. „Die Zeit rennt davon“, murmelt er, die Gedanken rasen durch seinen Kopf wie Papierschiffchen auf einem Wildbach. Hatte er Michaela nicht ausdrücklich gebeten, den Mund zu halten? Bullshit, Bitch! Wie ein nasser Traum trieft seine Wut, während er seine Schritte beschleunigt.»

Wütender, triefender, nasser Traum. Oder so.

Wer kommt auf die Idee, solche Texte als preiswürdig zu taxieren? Zwar gibt es Literaturpreise wie Sand am Meer, aber doch muss man sich fragen: Wer findet in solchen Texten literarische Qualität? Gewiss: Das «Mögen» ist subjektiv. Ich liebe Kafka und Stifter, fliehe aber vor Goethe und Brecht – dies allerdings im Wissen, dass auch Goethe und Brecht von höchster literarischer Qualität sind. Doch objektive Qualität in der Literatur geht heutzutage flöten. Alles ist subjektiv. Alles ist gut.

Und schliesslich – woran wir uns noch gewöhnen müssen: Auch im Journalismus schmelzen objektive Kriterien langsam dahin. Ein Thema sorgfältig einschätzen und gewichten? Einen roten Faden in den Text bringen? Eine verständliche Schreibe? Alles subjektiv. Alles gut.

Journalistisches Handwerk heute? Fühlen, wo das Ich betroffen ist

Gerne erinnere ich mich an einen früheren Chefredaktor der Luzerner Zeitung. Gnadenlos in seinem Urteil, menschlich manchmal kaum zu ertragen. Und doch hatte sein Urteil Gewicht. Weil er das journalistische Handwerk verstand. Weil er nicht sagte: Alles subjektiv, alles gut. Man hütete sich, schludrige Artikel abzuliefern. Tat man es dennoch, folgte ein Donnerwetter.

Heute ist das anders. Heute hütet man sich davor, einen Artikel als schludrig zu bezeichnen. Zu gross ist die Verletzungsgefahr. Das Resultat: Vor allem im Online-Journalismus sind dürftige Texte nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Unverständliche Sätze? Grammatikalisch falsch gebildete indirekte Rede? Alles halb so schlimm! Als ich einmal einen Vorgesetzten darauf aufmerksam machte, dass die Textqualität in der gedruckten Zeitung keineswegs mehr dem entspricht, was ein Abonnent von einem Bezahlmedium erwartet, antwortete er allen Ernstes:

«Das ist deine subjektive Meinung. Journalismus ist nun mal keine exakte Wissenschaft.»

Sie sind in der Tat zu beneiden, die exakten Wissenschaften. Über das korrekte Ergebnis der Quadratwurzel von 64 muss man nicht lange diskutieren. Auch über Qualität im Journalismus muss man heute offenbar nicht mehr diskutieren. Alles subjektiv. Alles gut. Bullshit, Bitch!