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Bernays verliert die Fassung

Kaum lobt man die NZZ …

Ueli Bernays: aus dem Journalisten ist ein Denunziant geworden. Denn der Feuilletonredaktor der NZZ, zuständig für «die Themen Pop, Jazz und Comics», titelt unverfroren:

«Till Lindemann und Rammstein: Aus dem Künstler ist ein Täter geworden».

Wird nun auch gleich die ganze Band in Sippenhaft genommen?

Im Text schmiert er dann weiter, als habe er die Vermutung in ZACKBUM gelesen: «Mittels Whatsapp-Gruppen bildet Makejeva – eine Art Maxime Ghislaine von Till Lindemann – ganze Groupie-Netzwerke, auf die sie immer wieder zurückgreifen kann.»

Ist denn inzwischen auch in der NZZ alles erlaubt? Jemanden zum Täter ohne strafrechtlich relevante Anklage, geschweige denn Strafuntersuchung, geschweige denn Verurteilung zu machen? Eine mögliche Helferin, die Groupies für die an den meisten Popkonzerten vorhandene «Row Zero» aussucht, mit Ghislaine Maxwell vergleichen, ohne deren Namen richtig schreiben zu können?

Aber dann hat doch noch das Korrektorat eingegriffen, vorher:

 

Nachher:

Auch beim Titel siegte lange nach Publikation ein wenig die Vernunft, vorher:

Nachher:

Nicht gerade souverän für ein Weltblatt ist, dass diese Korrekturen nicht kenntlich gemacht wurden …

Ist nun auch in der NZZ erlaubt, solche haltlosen Vermutungen und Unterstellungen publizieren zu dürfen: «Ob es sich dabei um einvernehmlichen Sex gehandelt hat, ist kaum zu eruieren. Jedenfalls gab es kaum ein klares Ja.» Kaum zu eruieren, kaum ein klares Ja? Woher weiss Bernays das, wieso darf er das publizieren?

Ist in der NZZ inzwischen auch erlaubt, dass sich jemand an der Definition von Kunst versucht und dabei ein bedenklich tiefes intellektuelles Niveau offenbart: «Kunst bleibt Kunst, solange sie sich auf Andeutung beschränkt und sich gegen die Banalität des Realen abgrenzt.» Die halbe Kunstgeschichte von Goya bis Salgado, von Büchner bis Brecht ist dann laut Bernays gar keine Kunst. Was für ein Stümper.

Ist es in der NZZ inzwischen auch erlaubt, dass sich ein Redaktor am Schluss seines Hassgesangs gegen Rammstein selber relativiert und einen Salto mortale unternimmt, was Sachlogik und Stringenz der Aussage betrifft: «Es ist durchaus zu befürchten, dass dann auch wieder strenge Moralisten auf den Plan treten, um die Libertinage in Rock und Pop zu beschränken. So könnten Lindemanns Verfehlungen dazu führen, dass sich die Grenzen des Sagbaren, Singbaren und Zeigbaren verengen. Die Freiheit der Kunst leidet unter ihren Verrätern.» Sagt der überstrenge Moralist Bernays, der journalistische Prinzipien verraten hat.

Das mag alles zu befürchten sein. Realen Anlass zur Furcht bieten aber solche Artikel, die mehrfach gegen die Grundregeln des Publizierens, des Anstands und auch gegen die Unschuldsvermutung und vorsichtigen Umgang mit Vorverurteilungen verstossen.

Auch die NZZ hat sich in der Affäre Roshani nicht gerade mit Ruhm und Ehre bekleckert. Zuerst hat sie kräftig Partei für die Anklägerin ergriffen, um dann die gesamten Medien in die Pfanne zu hauen, die das auch getan haben. Ohne jede Spur von Selbstkritik.

Nun zeigt Bernays, der einen berühmten Namen trägt, aber wohl nicht mit Edward Bernays verwandt ist, dass die NZZ weiterhin nichts gelernt hat. «Feine Sahne Fischfilet», Luke Mockridge, Finn CanonicaTill Schweiger, ein Drei-Sterne-Koch, nun Till Lindemann. Immer wieder wird eine neue männliche Sau durchs Dorf getrieben.

Die demagogische Methode könnte aus dem Buch «Propaganda» abgeschrieben sein, wenn die Autoren so gebildet wären, es zu kennen. Andeutungen, Konjunktive, anonyme Quellen, Rufmord, ungeprüfte und umüberprüfbare Behauptungen, völliges Fehlen der Untersuchung der Motive der Personen, die anschwärzen – was für ein blamables Bild bietet der Journalismus hier.

Der «Spiegel» musste schon mehrfach üble Verleumdungen zurücknehmen. Im aktuellen Fall wird nicht einmal ein sexueller Übergriff, eine strafbare Handlung behauptet. Dennoch reicht das für Schreibtischtäter wie Bernays, um von einem «Täter» Lindemann zu faseln. Er ist sowieso mit Vorverurteilungen und Urteilen schnell zur Hand. Das bewies er schon gegenüber Roger Waters. Der wurde von Bernays auch hingerichtet, mit einem rechthaberischen Hassgesang:

«Achtung, Roger Waters ist wieder unterwegs. … breitbeinig und zielbewusst in alle möglichen Fettnäpfe … Plattform für diesen Wüterich … sein aufgeblasener Idealismus und seine Besserwisserei lassen ihn oft als Ritter von hässlicher Gestalt erscheinen.»

Im Boulevard mit seinen üblichen Zuspitzungen («Schumacher: das erste Interview») mag das noch angehen. Aber dass auch die NZZ so niveaulos wird, ist erschütternd.

 

Ist der «Spiegel» die neue «Bunte»?

Als die «Bunte» People-Magazin wurde, war das noch originell.

Ein merkwürdiger Name muss nicht bedeuten, dass das Blatt erfolglos sei. Die «Bunte Illustrierte» (aus Zeiten, als bunt Gedrucktes noch wow war) ist nach wie vor eines der erfolgreichsten Magazine Deutschlands. Trotz Auflagenrückgang um über 50 Prozent seit 1998 verkauft die «Bunte» immer noch über 320’000 Exemplare.

Ihre Stärke ist Klatsch und Tratsch, aber auf durchaus höherem Niveau. Mit «Bunte» und «Focus», an dessen Erfolg zunächst niemand glaubte, ist dem Burda-Verlag ein erfolgreiches Duo gelungen, das jahrelang vom Ehepaar Markwort/Riekel geführt wurde.

Eine echte Konkurrenz für «Stern» und «Spiegel», die beiden Bertelsmann-Blätter. Der «Stern» verkauft noch 314’000 Exemplare, ein Minus von 71,4 Prozent seit 1998. Der «Spiegel» hält sich vergleichsweise gut mit etwas über 700’000 verkauften Exemplaren, ein Rückgang von lediglich 33,5 Prozent seit 1998.

Während aber «Bunte» und «Focus» von den ganz grossen Skandalen verschont blieben, machte sich der «Stern» mit den «Hitler-Tagebüchern» im Jahr 1983 unsterblich lächerlich. Hinter dem Rücken der Redaktion war die Chefetage auf eher billige Fälschungen eines Konrad Kujau reingefallen. So hatte der bei einem Tagebuch gerade kein A in Frakturschrift zur Hand und ersetzte es kurzerhand durch ein F.

Wer den Schaden hat, brauchte für den Spott nicht zu sorgen, zum Beispiel für die Frage, ob das nicht die Tagebücher von Fritzli Hitler seien.

Der «Spiegel» hat sich bis heute nicht vom Fall Relotius erholt. Der mit Preisen überschüttete Star-Schreiber, dem ein Scoop nach dem anderen gelungen sein sollte, der Reportagen möglich machte, an denen andere scheiterten, musste schliesslich einräumen, dass er das Meiste erfunden, gefälscht, geflunkert, geschönt hatte. Weil er aber das Narrativ der Redaktion bediente, die sich immer mehr darauf verlegte, Thesen-Journalismus zu betreiben, die sogar im Grössenwahn ernsthaft ankündigte, Donald Trump »wegschreiben» zu wollen, kam er lange Zeit damit durch.

Edelfeder Ullrich Fichtner musste seine ganze Schreibkraft aufwenden, um diesen Skandal schönzuschreiben, der ihn die schon auf sicher geglaubte Stelle des Chefredaktors kostete. Wie an einem Mantra klammerte sich der «Spiegel» an der Aussage seines Gründers Rudolf Augstein fest, «schreiben, was ist».

Dabei ist das sowieso nicht möglich, weil Beschreiben immer eine der möglichen Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnet. Beim «Spiegel» wurde das immer mehr zu «schreiben, was sein soll», oder gar «herbeischreiben, wie es sein sollte». Die Wahl Trumps war für den «Spiegel» schlichtweg «Das Ende der Welt», nur notdürftig abfedert mit der Unterzeile «wie wir sie kennen». Der «Spiegel» kannte sich dann selbst nicht mehr, und seither eiert er in einer Art herum, die beelendet.

Noch schlimmer ist aber, dass sich der «Spiegel» in die Gefilde des Boulevards, des Promi-Schnickschnacks begibt. Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Serie undenkbar gewesen. Der «Spiegel» denunzierte den deutschen Comedian Luke Mockridge als mutmasslichen Vergewaltiger. Die Story basierte lediglich auf den Aussagen dessen geschiedener Frau. Der Komiker überlebte diesen Rufmord nur knapp, der «Spiegel» wurde gerichtlich gezwungen, grosse Teile seiner Behauptungen zurückzunehmen.

Es folgte eine «Enthüllung» über den «Bild»-Chef Julian Reichelt. Dem schloss sich eine Breitseite gegen Mathias Döpfner an, den Chef des Springer-Verlags. Der auf billigen Medienhype angelegte «Enthüllungsroman» des PR-Genies Benjamin Stuckrad-Barre war dem «Spiegel» eine Titelstory wert.

Dann gab das Nachrichtenmagazin seiner Ex-Mitarbeiterin Anushka Roshani ungeprüft die Möglichkeit, einen Rufmord zu begehen, ihren ehemaligen «Magazin»-Chef als üblen Mobber und sexistischen Quälgeist zu beschimpfen, sich über mangelhaften Schutz des Tamedia-Verlags zu beschweren. Die Rache einer Frau, die es selbst mit Mobbing und Denunziationen nicht geschafft hatte, ihren Chef vom Sessel zu lupfen, den sie selbst gerne erklettert hätte. Stattdessen wurde sie gefeuert, der «Spiegel» war nicht in der Lage, dieses offenkundige Motiv für eine Abrechnung zu durchschauen.

Diverse Prozesse laufen. Aktuell ist der deutsche Schauspieler Til Schweiger dran; wie immer gespeist aus anonymen Quellen wird ihm ein gröberes Alkoholproblem vorgeworfen. Und bereits wird ein Drei-Sterne-Koch auf die Rampe geschoben, der sich in seiner Küche ungebührlich benommen haben soll.

Das alles bedient das Narrativ von toxischer Männlichkeit, von Frauendiskriminierung im Nachhall der «#me too»-Bewegung, deren erste Exponentin später selbst sexueller Übergriffe beschuldigt wurde.

Nicht nur ältere «Spiegel»-Mitarbeiter sind sich einig: das wäre in früheren Zeiten, unter dem letzten beeindruckenden Chefredaktor Stefan Aust nicht möglich gewesen. Inzwischen gilt:

Wenn Würstchen an die Macht kommen, wird der Senf rationiert.

Statt beeindruckender Enthüllungen wie früher, Stichwort Neue Heimat, Stichwort Parteispenden, folgt nun eine billige Fertigmacher-Story ad personam nach der anderen. Aus Schweizer Sicht ist der Fall Roshani besonders peinlich. Denn spätestens seit dem akkurat recherchierten Buch von Roger Schawinski ist klar, was auch ZACKBUM als eines der ganz wenigen Organe schon von Anfang an kritisierte: Canonica ist hier nicht der Täter, sondern das Opfer, und die Medien machten sich allesamt zu willigen Helfershelfern einer Frau auf dem Rachetrip. Sie übernahmen ungeprüft ihre Behauptungen, schmückten sie sogar mit weiteren, erfundenen anonymen Aussagen aus, schwiegen dann verkniffen, als sich immer mehr offenkundige Widersprüchlichkeiten und gar grobe Erfindungen herausstellten.

Besonders peinlich dabei das Verhalten der «Magazin»-Redaktion, eine Versammlung von Gutmenschen, darunter der Lebensgefährte der Kampffeministin Franziska Schutzbach, die jahrelang mit höchster Sensibilität Missbrauch und alles, was gegen Gutmenschentum verstiess, aufs schärfste verurteilten. Aber in eigener Sache Zeugnis abzulegen, Zivilcourage zu beweisen, dazu Stellung zu nehmen, dass sie von Roshani als Zeugen für angeblich öffentliche Ausfälligkeiten von Canonica aufgeführt wurden – da verordneten sie sich feiges Schweigen, tiefer als die Omertà der Mafia.

Aber all das wird unterboten vom Niedergang des «Spiegel», der nicht einmal mehr schreibt, was sein soll. Sondern sogar, was gar nicht ist.

 

Denunziations-Maschinen

Soziale Medien werden zum Rache-Verstärker. Die Medien auch.

«Unter einer Denunziation versteht man das Erstatten einer (Straf-)Anzeige durch einen Denunzianten aus persönlichen, niedrigen Beweggründen, wie zum Beispiel das Erlangen eines persönlichen Vorteils. … Das Wort «denunzieren» hat noch eine weitere Wortbedeutung, nämlich „als negativ hinstellen, brandmarken, öffentlich verurteilen“.»

Die Definition des Begriffs aus Wikipedia ist einfach. Die Methode selbst ist abartig und widerwärtig. Dazu gibt es aus dem Jahre 1884 ein hübsches Gedicht, das das Wesen des Denunzianten auf den Punkt bringt:

«Verpestet ist ein ganzes Land,
Wo schleicht herum der Denunziant.
[…]
Der Menschheit Schandfleck wird genannt
Der niederträcht’ge Denunziant.»

Üblicherweise erfolgen Denunziationen anonym. Im Rahmen der «#metoo»-Bewegung hat sich aber ein neues Modell entwickelt. Der Denunziant steht mit seinem Namen hin, denunziert aber eine einzelne Person oder eine ganze Gruppe von nicht genannten Opfern. Herausragendes Beispiel ist dafür der «Protestbrief» von 78 erregten Tamedia-Mitarbeiterinnen, die über 60 angebliche Vorfälle als Beleg aufführten, dass im Konzern eine frauenfeindliche, diskriminierende, sexistische und demotivierende Stimmung herrsche.

Kleiner Schönheitsfehler: keine einzige dieser Denunziationen war verortbar. Es fehlten Umstände, Zusammenhänge, Zeitangaben. Daher konnte bis heute kein einziger Vorwurf verifiziert oder falsifiziert werden.

Eine Steigerung dazu stellt das dar, was gerade (und ausgerechnet) der linksradikalen deutschen Punkband «Feine Sahne Fischfilet» passiert. Sie muss sich damit auseinandersetzen, dass ein anonymer Blog anonyme und nicht einmal spezifizierte Vorwürfe angeblicher «sexualisierter Gewalt» mit angeblich 11 Opfern erhoben hat. Diese Denunziation tauchte im August 2022 im Internet auf und verfolgt die Band seither wie ein Gespenst.

Nicht nur für Patrizia Laeri sind solche Behauptungen sexueller Übergriffe ein wohlfeiles Transportmittel, um mal wieder in die Medien zu kommen. Solche Vorwürfe haben meistens drei Dinge gemein. Sie werden von einer Frau erhoben, sie liegen jenseits aller Verjährungsfristen in der Vergangenheit, sie wurden damals nicht aktenkundig gemacht, und sie richten sich zumindest öffentlich gegen unbekannt, gegen eine nicht genauer identifizierte Person. Damit wird jeglicher Klage oder Anzeige wegen Rufschädigung oder Ehrverletzung vorgebeugt.

Stellt sich in einer Untersuchung (die sich nach so vielen Jahren naturgemäss sehr schwierig gestaltet) heraus, dass sich der Vorwurf nicht erhärten lässt, zudem bei genauerer Betrachtung Widersprüche auftauchen, dann behauptet die Denunziantin, dass hier sicherlich schwerwiegende Fehler begangen wurden. Gerne deutet sie auch an, dass es sich um Männersolidarität handeln könnte.

Das Schweizer Farbfernsehen hatte es letzthin gleich mit zwei solcher Fälle zu tun. Einer betraf einen welschen TV-Starmoderator, der andere angeblich eine Führungskraft am Leutschenbach. Beide Denunziationen stellten sich als halt- und substanzlos heraus.

Die verschärfteste Version ist die öffentliche Hinrichtung mit Namensnennung in einem reichweitenstarken Titel. Das exerziert gerade eine gefeuerte Mitarbeiterin gegen ihren ehemaligen Chef und ihren Ex-Arbeitgeber durch. Beide hat sie öffentlich und mit Namensnennung denunziert, gegen den Arbeitgeber hat sie Klage eingereicht.

Besonders fatal ist hier noch, dass diese Denunziation im leserstarken «Spiegel» erschien, begleitet von einer fast zeitgleichen Veröffentlichung in der «Zeit» durch die offensichtlich mit der Denunziantin verbandelte Journalistin Salome Müller, die deren Behauptungen ungeprüft und im Indikativ übernahm. Zudem mit weiteren angeblichen anonymen «Zeugenaussagen» ausschmückte.

Hier zeigt eine genauere Überprüfung der konkret beschriebenen Vorwürfe, dass sie in ihrer grossen Mehrheit nicht haltbar sind, zum Teil aus der Lüge überführter Quelle stammen und von keinerlei namentlichen Zeugen bestätigt wurden.

Nicht einmal das mögliche und naheliegende Motiv der Urheberin – Rache, nachdem sie ihr Ziel nicht erreichte, den Posten des Angeschuldigten zu erobern und stattdessen gefeuert wurde – wurde vor Veröffentlichung zumindest überprüft.

Ob es sich um anonyme Anschuldigungen in den asozialen Medien oder um Behauptungen in den Mainstream-Medien handelt: immer entwickelt sich schnell ein ganzer Schwarm von Kolporteuren, die die Denunziation aufnehmen, ausschmücken, mit angeblichen (und natürlich auch anonymen) weiteren Zeugenaussagen unterfüttern.

In keinem dieser Fälle gelingt es jemals – unabhängig davon, ob die Vorwürfe erfunden und erlogen sind oder zumindest teilweise zutreffen –, den Geist wieder in die Flasche zu kriegen. Kann der Betroffene seine Anonymität wahren, hat er noch Schwein gehabt. In keinem einzigen Fall getraute sich ein so anonym Angerempelter, öffentlich hinzustehen und zu sagen: Ich soll der Täter gewesen sein, das ist aber erstunken und erlogen.

Obwohl oder gerade weil bei solchen Denunziationen die Beweisumkehr gilt. Nicht der Beschuldiger muss seine Behauptungen beweisen, der Beschuldigte muss seine Unschuld belegen können. Wie aber soll das ihm gelingen, da es sich meistens um Ereignisse handelt, die sich naturgemäss unter vier Augen, Ohren und zwei Körpern abspielten – sehr häufig vor vielen Jahren.

Nicht nur in der Schweiz gibt es erschreckende Beispiele für diese neue Denunziationskultur. Der deutsche Komiker Luke Mockridge wurde zu Unrecht der versuchten Vergewaltigung beschuldigt. Obwohl das Verfahren eingestellt wurde (eben typisch Männersolidarität), begleiten seine Tourneen seither Proteste, auch in der Schweiz, er soll gecancelt werden, von der Bühne verschwinden. Die Juso Zürich entblödeten sich nicht, gegen seinen Auftritt im Hallenstadion eine Petition zu starten.

Der US-Schauspieler Kevin Spacey verlor seine ihm auf den Leib geschneiderte Hauptrolle in «House of Cards»; bislang kam es zu keiner Verurteilung gegen ihn. Der schmutzige Scheidungskrieg zwischen Amber Heard und Johnny Depp endete trotz massiver Anschuldigungen gegen ihn mit seinem Sieg. Beschädigt blieben beide zurück. Dem 85-jährigen Morgan Freeman wurde vorgeworfen, vor vielen Jahren anzügliche Bemerkungen auf Filmsets gemacht zu haben. Schliesslich wurde Bob Dylan beschuldigt, vor fast 60 Jahren sexuell übergriffig geworden zu sein. Diese Klage machte ihn zum Rekordhalter, noch vor Dustin Hoffman, gegen den lagen die Vorwürfe lediglich rund 50 Jahre zurück.

Was all diesen Fällen gemeinsam ist: sie verhöhnen die Opfer wirklicher Belästigungen, Übergriffe, Vergewaltigungen. Vor den öffentlichen Gerichtshöfen der Moral werden gnadenlos und schnell gesellschaftliche Todesurteile ausgesprochen, Karrieren vernichtet, Menschen jahrelang wenn nicht lebenslänglich stigmatisiert.

Dass das Internet, die sozialen Plattformen dafür ungeahnte Möglichkeiten bieten, ist widerlich, aber wohl kaum vermeidbar. Dass sich auch sogenannte Qualitätsmedien daran beteiligen, allen voran und bedauerlicherweise der deutsche «Spiegel», ist abscheulich und wäre durchaus vermeidbar.

Dafür müssten sie sich nur an ein paar grundlegende Regeln des Handwerks erinnern. Motivlage des Anklägers. Faktencheck. Umfeldrecherche. Zeugenbefragung. Aufdecken von Widersprüchen. Und bei wackeliger Ausgangslage: Verzicht auf Publikation.

Aber seit der Unsitte der «Leaks» und «Papers», also das Arbeiten mit Hehlerware aus anonymen Quellen mit völlig undurchsichtigen Motiven, sind die Massstäbe eindeutig verrutscht. Nicht zum Wohle der Bezahlmedien …

Kläglich ist auch die Reaktion involvierter Medien auf Anfragen. Tamedia (wir wollen es bei diesem Begriff belassen) räumt lediglich ein: «Wir können bestätigen, dass eine Klage bei uns hängig gemacht wurde. Weitere Details dazu können wir nicht bekannt geben.» Also was genau Anuschka Roshani einklagte und wie sich Tamedia dagegen zu wehren gedenkt: Staatsgeheimnis. Auch die «Zeit», deren Mitarbeiterin Müller eine mehr als zwielichtige Rolle in der Affäre spielt, geruht nicht mehr, auf Anfragen zu reagieren. Ein Verhalten, das von Journalisten sonst gerne lauthals beklagt wird.

Besonders widerwärtig ist dabei, dass es auch rechtlich kaum Möglichkeiten gibt, sich gegen solche Denunziationen zur Wehr zu setzen. Was soll ein Gericht zu geschickt formulierten, viele Jahre zurückliegenden Vorwürfen sagen, die die Denunziantin damit begründet, dass es sich laut ihr so abgespielt habe oder sie zumindest eine Äusserung so empfunden habe?

Geradezu brüllend komisch ist eine Nebenwirkung dieser neuen Denunziationskultur. Viele Chefs entdecken hier den Vorteil des Grossraumbüros. Und sollten dennoch Gespräche zu heiklen Themen (ungenügende Arbeitsleistung, Kritik an einem Fehler, gar Kündigung) in vertraulichem Rahmen stattfinden, wird inzwischen immer ein Zeuge dazugerufen. Am besten weiblich und verlässlich. Damit die Kritisierte erst gar nicht auf die Idee kommt, mit einer Denunziation zurückzuschlagen.

Ausserdem getraut sich kein Mann, der noch bei Sinnen ist, in einen Lift einzusteigen, in dem sich eine einzige Frau befindet. Auch das Führen eines Tagebuchs drängt sich auf, mit wichtigen Eckdaten. So kann man dann beispielsweise den Vorwurf, es sei bei einer Jahre zurückliegenden Weihnachtsfeier zu anzüglichen Bemerkungen (oder gar Handlungen) gekommen, problemlos als Lüge entlarven, weil die Feier gar nicht stattfand – oder man gar nicht anwesend war …

Tamedia, die deutsche Klatschkugel

Luke Mockridge? Vorwürfe, «Spiegel» und hä?

Das grosse Schweizer Qualitätsmedium Tamedia mit Kopfblättern aller Orten füllt den knappen Platz mit relevanten Storys. Aus der ganzen Welt, die kommen dann fast immer von den Korrespondenten der «Süddeutschen Zeitung».

Hier darf auch gerne der Münchner Ex-Bürgermeister Ude über seinen Hang zu Katzen schreiben. Oder das Schicksal einer deutschen Witwe wird einfühlsam, aber etwas holperig dem Leser serviert. Der sich enerviert fragt, wieso er dafür eigentlich einen Haufen Geld ausgeben soll.

Oder wieso er nicht gleich die SZ abonniert, dann hat er wenigstens das Original.

Als neuen Glanzpunkt in der Serie Leserverhöhnung berichtet Laura Hertreiter (genau, von der SZ) über ein Urteil des Landgerichts Hamburg. Das untersagt dem Hamburger Nachrichtenmagazin «Der Spiegel», mit dem die SZ in tiefer Hassliebe verbunden ist, weiter einen Artikel über den deutschen Comedian Luke Mockridge im Netz zu lassen.

Dem war vorgeworfen worden, seine  damalige Freundin Ines Anioli vergewaltigt zu haben, eine deutsche Rundfunkjournalistin und Komikerin. Über diese sehr innerdeutsche Geschichte machte der «Spiegel» eine Geschichte, und damit fiel das Nachrichtenmagazin vor Gericht in Ungnade.

Und das bringt Tamedia auf 8800 A seinen Schweizer Lesern näher. Also genauer gesagt: diesen copy/paste-Artikel mutet der Konzern seinen Lesern zu. Das ist sicherlich ein weiteres Beispiel für das hohe Qualitätsniveau, die starke Eigenleistung, den gnadenlosen Nutzwert und die einfühlsame Berücksichtigung der Interessen seiner Leserschaft.

Dermassen geballte journalistische Kompetenz und Leistungsfähigkeit muss unbedingt mit einer Steuermilliarde unterstützt werden. Man stelle sich nur vor, dass sonst solche Artikel die Schweizer Leserschaft nicht mehr erfreuen könnten.