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Mode-Porno in der «Vogue»

Es gibt Shabby* Chic und es gibt schäbige Kriegsmode.

Neues aus der Welt der Schönen: «Vogue» wird Porno. Das beweist eine Modestrecke aus der ukrainischen Hölle.

Eine Stylistin, zwei Assistenten, natürlich eine Make-up-Artistin, eine Friseuse fürs Haar, eine Produzentin, drei Fixer, also Möglichmacher, und dann noch die Star-Fotografin Anne Leibowitz. Das Modeblatt «Vogue» hat keinen Aufwand und keine Kosten gescheut, um schonungslos aus der Kriegshölle der Ukraine zu berichten. Es wurden aber nicht Verwundete geschminkt, Leichen frisiert oder fesche Uniformen stylisch aufgemotzt.

Nein, «Vogue» hebt Olena Selenska aufs Cover, die Gattin des ukrainischen Präsidenten. Das hat bei dem Blatt Tradition; vor einigen Jahren durfte auch mal Asma al Assad edel fotografiert über die Güte ihres Mannes, des syrischen Diktators Assad, schwadronieren. Kurz bevor Syrien zum Schlachthaus wurde.

In der Ukraine wird seit Ende Februar geschlachtet, aber Präsident Selenskij ist ja nicht Assad, sondern ein Held. Und an der Seite jedes Helden steht eine heldenhafte Gattin, logo. Also rollt «Vogue» überall ein Modeporträt der Gattin aus. Auf Englisch, Deutsch, Ukrainisch, in allen Weltsprachen.

Wunderbar illustriert mit geschmacklosen Fotos von Leibowitz. Olena vor Sandsäcken. Olena mit einer Gruppe ukrainischer Soldaten vor einem zerschossenen Flugzeugwrack. Olena Hand in Hand mit dem Präsidenten. Olena an den Präsidenten geschmiegt. Perfekt ausgeleuchtet, perfekt gekleidet, perfekt frisiert, das Make-up sitzt perfekt.

Wahrscheinlich wurden auch die Sandsäcke farblich assortiert, die Uniformen der Soldatinnen frisch aufgebügelt. Der Präsident trägt sein olivgrünes T-Shirt, sein Markenzeichen.

Screenshot aus der «Vogue».

Und was sagt Olena denn so? «Wir freuen uns auf den Sieg.» – «Ich bitte um Waffen», sagt  sie auch. Nicht für sich, denn Olena kämpft mehr mit den Waffen einer Frau. So schwärmt die Modeschreiberin:

«Während unserer beiden Gespräche in Kiew erweist sich Selenska als direkt, würdevoll, elegant, eine diskrete Förderin ukrainischen Designs. An einem Tag trägt sie eine ecrufarbene Seidenbluse mit einer schwarzen Samtschleife um den Hals und einen schwarzen, halblangen Rock, ihr aschblondes Haar zu einem lockeren Dutt hochgesteckt. Am nächsten Tag erscheint sie mit ausgestellten Jeans, robusten weißen Sneakern mit gelben und blauen Details – eine Anspielung auf die ukrainische Flagge.»

Dann wird die Autorin kurz völlig geschmacklos:

«Ich kann mich des Eindrucks nicht verwehren, dass das Hemd denselben rostigen Farbton hat wie die ausgebrannten russischen Panzer»,

flötet sie.

Es gibt Betroffenheitspornos. Ein Journalist heuchelt Anteilnahme am Sterben eines Krebskranken. Es gibt Sozialpornos. Ein Reporter lebt eine Woche mit Obdachlosen auf der Strasse. Es gibt Politpornos. Ein Autor himmelt einen Regierenden an, der unter der schweren Last seiner Verantwortung nicht zusammenbricht.

Am widerlichsten sind allerdings Modepornos. Eine aufgebrezelte Präsidentengattin vor einem zerschossenen Flugzeug, umgeben von drei im goldenen Schnitt hindrapierten ukrainischen Soldatinnen? Leider sieht man unter den Helmen nicht, was die Friseuse hingezaubert hat, und schwarze Sonnenbrillen verdecken das Werk der Make-up-Artistin. Aber das ist ja auch nur Staffage. Gefasst unter dem hingefönten Haar schaut die Präsidentengattin in die Zukunft, leicht fröstelnd umfasst ihre Hand den Kragen des modisch langen Mantels. Dunkelblau, sicher Cashmere oder Merino-Wolle; leider gibt die «Vogue» keine Hinweise, wo die modebewusste Dame sich das Stück kaufen kann. Reinigungstipps wären auch erwünscht; kriegt man da Blutspritzer einfach so raus?

Wir sind schon eine leicht dekadente Gesellschaft. Wie es aber angeblich zurechnungsfähigen Redakteuren eines Fashionblatts einfallen kann, einen aufwendigen Modeporno in der Ukraine zu veranstalten, das hat schon etwas Spätrömisches. Das reizt nicht die Sinne, sondern löst Brechreiz aus.

 

*Auf Leserhinweis korrigiert.