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Der helvetische Kuschelkonsens

Der Schweizer (Achtung, Rassismusgefahr) liebt den Kompromiss. Ist kompromisslos gefährdet.

Dem Schweizer ist die deutschen Wesensart (Vorsicht, Rassismus) nicht sehr angenehm. Zu arrogant, grosssprecherisch, eingebildet. «Fräulein, ich krieg’ dann noch‘n Bier», das käme keinem Schweizer über die Lippen.

Auch in politischen oder geschäftlichen Auseinandersetzung ist der Deutsche mehr auf Krawall gebürstet. Deshalb entfalten deutsche Politdebatten gelegentlich einen gewissen Unterhaltungswert, während sie in der Schweiz meistens nach eingeschlafenen Füssen in ungewaschenen Socken riechen.

Deshalb ist der einzige angriffige Talker der Schweiz als zu aggressiv, zu angriffig, gar als «Pitbull» verschrien ­– und Roger Schawinski hat keinen Nachfolger gefunden.

Das Vermeiden von breiten Rändern in der Gesellschaft

Der Hang zum Kompromiss, zum Abwägen, Ausgleichen, Konsensualen hat durchaus auch seine Vorteile. Der Einbezug möglichst vieler in eine Entscheidung lässt nur kleine Ränder in der Gesellschaft entstehen, die sich nicht verstanden, mitgenommen, berücksichtigt fühlen.

Während es in Deutschland eigentlich nur Sieger und Verlierer gibt, Politiker nur in höchste Not Kompromisse und Koalitionen suchen, bleiben dort viele Ränder unberücksichtigt, was der wesentliche Grund für den Aufstieg der AfD ist. Sicherlich kommt noch hinzu, dass auch dreissig Jahre nach der Wiedervereinigung sich die Bürger der Ex-DDR immer noch nicht als ganz ernstgenommen von den Westlern empfinden.

In der Schweiz hingegen, schon alleine gezwungen durch die Mehrsprachigkeit, käme es nicht gut, wenn sich eine gesellschaftliche Gruppe durchsetzen würde. Also die deutschsprachige Schweiz als Mehrheit. Oder Zürich als wirtschaftsstärkster Kanton. In der Schweiz heisst ernsthafter Konflikt, was die Béliers oder Sangliers vor der Abspaltung von Bern machten.

Typisches Beispiel für das Suchen nach Kompromiss.

Für deutsche Verhältnisse Pipifax. Sicher, es gibt auch in der Schweiz so etwas wie einen Schwarzen Block. Aber selbst sein traditioneller Zerstörungszug am 1. Mai in Zürich wurde ihm weggenommen; Zustände wie in Hamburg während des G7-Gipfels wären unvorstellbar in Helvetien.

Aber die aktuelle Pandemie bewirkt, neben unübersehbaren wirtschaftlichen Schäden, auch zum ersten Mal einen gesellschaftlichen Schaden, der in seinen Auswirkungen nicht zu unterschätzen ist.

Schlimmer als im Kalten Krieg

Sicher, zu Zeiten des Kalten Kriegs wurden Linke diskriminiert, ausspioniert, fichiert, «Moskau einfach», die Angst vor Willi Wühler ging um, einer Kunstfigur aus dem «Zivilverteidigungsbüchlein», das vor subversiv-umstürzlerischen Gesellen warnte. Auch wenn das damals für viele nicht sehr lustig war, zu Stellenverlust oder Abbruch einer Karriere führte: es ging vorbei.

Das ist bei Corona anders. Hier kommen bedenklich viele Faktoren zusammen, die eine ungekannte, tiefe Spaltung in der Gesellschaft auslösen.

  1. Vertrauensverlust in die Regierenden. Überforderung, Wackelpolitik, Verlust des Augenmasses, Ersatz von Argumenten durch Arroganz. Der erste Faktor.
  2. Vertrauensverlust der Wissenschaft. Wenn früher eine eidgenössische Task Force (oder Expertengruppe, wie das hiess, als man noch Deutsch sprach) ihre Erkenntnisse bekannt gab, dann war das amtlich. Dann war das EMPA, gesichert, Ende der Debatte. Heute ist es eine wüste Kakophonie sich widersprechender Experten. Faktor zwei.
  3. Die sorgfältige Abhandlung überprüfbarer Fakten wird durch klickgetriebene Panikmache ersetzt. Immer wieder wird vor Zehntausenden von Toten, einem überforderten Gesundheitssystem gewarnt. Es hat sich ein Chor von Corona-Kreischen gebildet, die nur noch durch Übertrumpfen Aufmerksamkeit erzielen. Faktor drei.
  4. Diese Faktoren haben zum Entstehen einer Gesellschaftsgruppe geführt, die den Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie kritisch bis ablehnend gegenübersteht. An ihren Rändern versammeln sich auch Verschwörungstheoretiker, Gestörte und Sonderlinge. So wie es bei jeder gesellschaftlichen Strömung einen Kern vernünftiger Teilnehmer gibt, plus einen Rand von problematischen Mitläufern. Faktor vier.
  5. Immer wieder müssen sich linke Bewegungen davon distanzieren, was gewalttätige Extremisten unternehmen, immer wieder müssen sie sich gefallen lassen, dass man ihnen im politischen Kampf gleiche Denke vorwirft, sie als geistige Brandstifter denunziert, die den Boden für Gewalt gegen Sachen oder sogar Personen bereiten. Das gleiche Modell wird nun auf die Massnahmen-Skeptiker angewendet. Orchestriert und begleitet von einer geradezu einheitlichen Darstellung in den Massenmedien. Faktor fünf.
  6. Die sogenannte Vierte Gewalt, die Kontrollinstanz, die Plattform für öffentlichen Meinungsaustausch, für Debatten, ist denaturiert. Ein Brain Drain ungekannten Ausmasses hat stattgefunden. Durch Massenentlassungen, Einsparungen, Leistungsdruck, Kurzatmigkeit, durch den Ersatz von Argument durch Meinung. Faktor sechs.
  7. Wenn man davon ausgeht, dass trotz vorhandenem Angebot über 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung nicht geimpft ist, selbst wenn man medizinische Gründe abzieht, handelt es sich um eine bedeutende Minderheit, nicht einfach um ein paar randständige Spinner. Dennoch wird diese Minderheit so dargestellt, was die Zentrifugalkräfte stärkt. Faktor sieben.
  8. Meinungsstarke Beschimpfungen von Impfgegnern als verantwortungslose und fahrlässige Deppen, grob überzeichnete Meldungen von Ausschreitungen bei Demonstrationen, die Verweigerung jedes Dialogs, jedes Meinungsaustauschs, der zunehmende Eindruck, dass die verbleibenden Medienkonzerne gut Wetter bei den Regierenden machen wollen, von deren Subventionsbereitschaft sie immer mehr abhängen, lässt viele Konsumenten auf alternative Nachrichtenquellen zurückgreifen. Faktor acht.

Damit läuft die Schweiz Gefahr, einen Schaden zu erleiden, der viel nachhaltiger wirken wird als eine Pandemie. Denn im Gegensatz zu vielen Unkenrufen wird auch dieser Seuchenzug vorrübergehen. Wie alle vorher. Er wird vielleicht einige Verhaltensweisen ändern, vielleicht muss man sich an Maskentragen in der Öffentlichkeit gewöhnen. Aber viel gefährlicher als jede Virusmutation ist der Verlust der Konsensfähigkeit.

Die Deutschen beneiden die Schweizer

Der (deutsche) Wutbürger.

Schon längst haben die konfliktbegabten Deutschen aufgehört, die putzigen Schweizer mit ihrem komischen Dialekt zu belächeln. Stattdessen herrscht Neid, Erstaunen darüber, wie es denn die Eidgenossen auch ohne Bankgeheimnis und die Aufbewahrung von Blutgeldern aus aller Welt schaffen, eine funktionierende Infrastruktur aufrechtzuerhalten, die Schulhäuser in Schuss sind, die Staatsverschuldung überschaubar, die Notenbank in Geld schwimmt und Wohlstand herrscht.

Der Deutsche fühlt sich verarscht.

Das Konsensuale spielt dabei offensichtlich eine bedeutende Rolle, denn arbeitsam, pünktlich und genau sind sowohl Deutsche wie Schweizer. Aber sollte das Ausgrenzen, das Verwenden verbaler Zweihänder, das Beschimpfen ganzer Bevölkerungsgruppen, das Fuchteln mit Morgenstern und Hellebarde gegen Abweichler anhalten oder gar zunehmen, dann könnten durchaus deutsche Zustände in der Schweiz ausbrechen. Und das sollte doch niemand wollen.