Alain Zucker leidet
Eigentlich sollte man Trennungsschmerz für sich behalten.
Der Mann hat schon einige Trennungen hinter sich. Von der „Weltwoche“, vom „Tages–Anzeiger“ und dann vom Posten des stellvertretenden Chefredaktors der „NZZamSonntag“.
Jetzt ist er „Autor und Blattmacher“, und es hat ihn ganz schwer erwischt:
„Es ist halt doch wie bei einer Trennung: Auf eine Kopie des oder der Verflossenen zu setzen, ist selten eine gute Idee.“
Der Leser leidet, leidet mit ihm. Über quälend lange 11‘663 A Weltleiden, durch den eigenen Bauchnabel betrachtet. Denn ach, der Welt- und Trennungsschmerz entsteht durch eine ganz grosse Ex-Geliebte:
„Denke ich derzeit an Amerika, geht es mir ein wenig wie bei einer schlimmen Trennung. Man wacht auf und fragt sich: Habe ich nur geträumt, oder ist das wirklich passiert.“
Alain Zucker schreibt sich dann seinen Frust von der Seele und lässt den wehrlosen Leser daran teilhaben, wie er sich schon in jugendlichem Alter wie ein Backfisch in das Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten verliebte:
„Als ich nach der Matur das erste Mal in die USA fuhr, verliebte ich mich in ein anderes Land, eines, wo alles gross erschien.“
Er berichtet von jugendlichen Untaten, schwärmt und gesteht seufzend:
„Ich liess mich auf eine ernsthafte Beziehung mit dem Land ein, die mein Leben bereicherte.“
Er hat es ernst gemeint, „ich wurde selber freundlicher, unbeschwerter“, aber wie hat es ihm seine ehemalige Geliebte gedankt:
„So ist aus meinem Amerika ein Amerika des Grolls geworden.“
Ach ja, der Groll des Verlassenen und Betrogenen, der herausfindet, dass er seine Geliebte halt doch idealisiert hat, so schön war sie dann doch nicht, und welch üble Charaktereigenschaften hat Zucker doch in seiner Verliebtheit übersehen.
Oder noch schlimmer: es war wunderbar, bis sie sich plötzlich verändert hat, im breitgetretenen Trennungsschmerz erkennt er:
„Die bittere Folge davon ist eine zusehends unversöhnliche Gesellschaft, die bis zur Unerträglichkeit polarisiert und zu keinen Kompromissen mehr bereit ist. Sozusagen per Liveticker erlebe ich, wie die heutige US-Regierung die Ressentiments schamlos ausnützt, sie noch anheizt – und wie meine Zuneigung sich in enttäuschte Entfremdung verwandelt.“
Wenn Trump wüsste, was er da alles in der kleinen Welt des enttäuschten Liebhabers anrichtet. Denn oh je, die Ex ist eigentlich weiterhin ein Dreamboat. Aber sie ist in schlechte Gesellschaft geraten, hat sich unziemlichen Verlockungen hingegeben, wie kann sie nur.
Garniert wird Zuckers Trennungsschmerz, wir sind hier schliesslich bei der NZZ, mit ein paar zusammenhangslosen Anekdoten, etwas Huntington („Kampf der Kulturen“) und natürlich darf auch George Packer nicht fehlen, der sich nicht dagegen wehren kann, dass sein grossartiges Buch „Die Abwicklung“ hier zur Überhöhung der Zurschaustellung des leidenden Innenlebens des Autors missbraucht wird.
Und immer wieder das Wichtigste im Leben, Leiden und Schreiben Zuckers: ich, ich, ich.
„Doch jetzt, da sich ein anderes Bild des Landes vorschiebt, denke ich an jene Familie im Trailerpark in der Nähe von New Orleans, die mich nach dem Hurrikan «Katrina» bei sich aufnahm, als alle Hotels entweder voll oder zerstört waren. Würde sie das heute auch noch tun?“
Niemals nie werden wir die Antwort erfahren, ausser, ein neuer Hurrikan würde New Orleans heimsuchen.
Die Ich-Perspektive ist ein Stilmittel, von dem schon in der Schule abgeraten wird. Vom Jammern in aller Öffentlichkeit muss ganz allgemein dringend abgeraten werden.
Das ist wenn schon nur was für Könner. Sonst löst es peinliches Fremdschämen aus.
Und die fassungslose Frage, wieso es bei der NZZ niemanden gibt, der Zucker angeraten hätte, das in den Untiefen von „mein liebes Tagebuch“ zu versenken.
Aus Leiden kann Kunst entstehen. Wie sagte Karl Valentin so richtig: Wenn‘s einer kann, ist‘s keine Kunst. Kann‘s einer nicht, ist‘s auch keine.
Zucker kann nicht. Geteiltes Leid ist hier doppeltes Leid.