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Abgeschriebener Skandal

Die Recherche-Cracks von Tamedia können Französisch.

Das kommt wie ein Hammer-Artikel daher: «Bankenskandal holt ehemalige Bundesrätin Ruth Metzler ein», wummert Tamedia auf den Frontseiten seines Kopfsalats. Und legt auf zwei Seiten nach: «Bank Reyl: Finma kritisiert Umgang mit Autokraten-Geldern».

Wow. Endlich mal wieder ein Ergebnis tiefer Recherche von Christian Brönnimann, Sylvain Besson und Oliver Zihlmann. Geballte Fachkompetenz, tiefe Denke, gnadenlose Enthüllungen.

Wie eine Fülle von Dokumenten beweise, habe die Privatbank Reyl In Genf jahrelang Kunden zweifelhafter Herkunft und Gelder von mehr als zweifelhafter Herkunft beherbergt. Sie sei dafür ständig von der Bankenaufsicht Finma gerügt und kritisiert worden – ohne etwas Ernsthaftes dagegen zu unternehmen, dass Gelder von Autokraten, der Drogenmafia und Putin nahestehenden russischen Oligarchen bei der Bank landeten.

Schlimmer noch: die frühere Justizministerin Ruth Metzler war acht Jahre lang Verwaltungsrätin der Bank, «dort ab 2021 auch Vizepräsidentin in einem dreiköpfigen Ausschuss, der unter anderem für Fragen der guten Geschäftsführung (Governance) zuständig ist – genau dafür also, was die Finma beanstandete», moniert Tamedia.

Und führt eine Unzahl von Beispielen an, wie geleakte Dokumente einen mehr als fahrlässigen Umgang mit Grundregeln der Verhinderung von Geldwäsche und der aufnähme von sogenannten PEP, politically exposed persons, belegen.

Dazu wird die «Rechtsprofessorin und Compliance-Expertin Monika Roth» ausführlich befragt. «Ihr Fazit: «Das sieht sehr schlecht aus – es gab offenbar jahrelanges und intensives Fehlverhalten der Bank.»»

Das ist doch mal wieder das Geld wert, dass der Konsument für knallharten Recherchierjournalismus, für das Aufdecken eines Skandals, für die Demontage einer ehemaligen Bundesrätin ausgibt.

Nun ja.

Der Konsument kann sich das als aufgewärmte Second-Hand-Story zu Gemüte führen – oder das Original in der französischen Zeitung «Le Monde» lesen. Dort ist der Artikel zwar auch nicht gratis, aber immerhin selbst hergestellt.

Hier reichte ein Autor, Maxime Vaudano, um den Skandal in all seinen Facetten aufzuzeigen. Während die Investigativ-Genies von Tamedia nicht viel mehr machten, als diese Ergebnisse auf Deutsch zu übersetzen.

Und natürlich die Rolle von Metzler deutlicher herauszustellen. Ach, und als Höhepunkt ständig die Meinung einer einzigen Rechtsprofessorin einzuholen, als gäbe es keinen anderen Spezialisten für solche Fragen. Aber he, wenn man eine Fachfrau gefunden hat, wieso dann noch nach anderen suchen.

Weil das copy/paste und dann kräftig in den Mixer so offenkundig ist, haben die Cracks weise eine Packungsbeilage in den Artikel geschmuggelt:

«Die Dokumente zu mehreren Finma-Untersuchungen liegen ausländischen Redaktionen vor, darunter «Le Monde» in Frankreich. Der Recherchedesk von Tamedia konnte sich so über die Untersuchungen der Bankenaufsicht ins Bild setzen.»

Das muss man abschmecken. «Konnte sich so ins Bild setzen». So nennt man das heutzutage, wenn man die Arbeit von Kollegen zweitverwertet. Natürlich wurde sowohl die Bank wie Metzler um Stellungnahmen angefragt. Wie vorherzusehen versteckt sich Metzler hinter «Geheimhaltungspflichten», während sich die Bank Reyl als Opfer einer Verletzung des Bankgeheimnisses sieht und natürlich arbeiten sie «uneingeschränkt mit den Aufsichtsbehörden zusammen und legen grössten Wert auf die Einhaltung aller geltenden Vorschriften».

Das kann man auch aus dem Stehsatz abholen, statt solche Anfragen zu starten.

Aber immerhin: wer nicht Französisch kann, ist mit der Übersetzung von Tamedia gut bedient. Allerdings erledigt das heute auch jedes Sprachübersetzungsprogramm in Sekundenbruchteilen. Und dass Metzler und Bank nichts, Professorin Roth hingegen viel sagen, nun ja, da sind dann über 18’000 A auf zwei Seiten mit einer riesigen Kriminaltango-Illustration doch etwas breitgewalzt.

In besseren Zeiten hätte man daraus eine Meldung gemacht:

«Recherchen der französischen Tageszeitung «Le Monde» ergaben grobes Fehlverhalten der Privatbank Reyl. Das geht aus Dokumenten und Kritiken der Finma hervor. Die ehemalige Bundesrätin Ruth Metzler spielte als langjährige Verwaltungsrätin der Bank eine dubiose Rolle.»

Hätte doch auch gereicht. Aber nicht im heutigen Elendsjournalismus, wo gebellt wird, wenn ein fremder Knochen apportiert und abgenagt wird.

Qualitätsjournalismus? My ass

Kurt W. Zimmermann knöpft sich den Qualitätsanspruch von Tamedia vor.

Eine Massenentlassung, die mehr als 100 Journalisten bei Tamedia die Stelle kosten wird. Gleichzeitig blamierte sich die publizistische Leiter nach unten Simon Bärtschi mit einem Kommentar in «eigener Sache» unsterblich.

Oder wie Zimmi in der «Weltwoche» schreibt:
«Die aberwitzigste Begründung für die Sparübung kam vom obersten publizistischen Leiter des Verlags. Die Massenentlassung, schrieb er, sei ein Glücksfall. Es sei eine «Weichenstellung für den unabhängigen Qualitätsjournalismus».
Qualitätsjournalismus durch Massenentlassung? Weichenstellung? Die Branche brüllte vor Lachen, von der nahen NZZ bis zu den ferneren Le Monde in Paris und der Frankfurter Allgemeinen.»
Seither gibt es endlich einen Masstab zur Messung von Peinlichkeit im Journalismus. Es ist die Bärtschi-Skala. Mit dieser Lachnummer legte er die Benchmark vor: 10 Bärtschis. Sie wird selten übertroffen, häufig unterboten.
Diese lachhafte Behauptung, die wohl nicht einmal karrierefördernd war, nimmt Zimmi zum Anlass, selbst Kriterien aufzustellen, nach denen sich «Qualitätsjournalismus» messen lässt. Nein, Massenentlassungen gehören nicht dazu. Dafür aber vier Dinge, die eben eine NZZ, eine Le Monde, eine FAZ oder eine NYT zu Qualitätsmedien machen.

Wie bei Bärtschi kann man das ganz einfach messen, es sind nur vier Kriterien:

– Auslandberichterstattung
– Feuilleton
–Wirtschaftsberichterstattung
– offene Meinungsbildung

Nun könnte man noch diskutieren, wenn ein Blatt nicht alle vier Kriterien erfüllt. Bei Tamedia hingegen ist es ganz einfach: hier wird Qualität nur behauptet, nicht geliefert. Das Medienhaus fällt bei allen vier Kriterien durch.

Statt eigener Auslandberichterstattung mit eigenen Korrespondenten übernimmt es flächendeckend die Berichterstattung der «Süddeutschen Zeitung», die mit sehr linker, teutonischer Sicht die Welt betrachtet und mit typisch deutscher Rechthaberei bewertet und benotet. Nicht nur hier, nebenbei, der halbe Tagi ist voll von Artikeln aus der SZ, wenn sie nicht von der DPA, SDA oder AFP stammen.

So etwas wie ein Feuilleton oder eine Kulturberichterstattung gibt es nicht mehr. Es gibt zwar noch ein Team «Kultur», das diesem Namen aber Schande macht. Man kann ja nicht im Ernst behaupten, dass Andreas Tobler oder Nora Zukker etwas mit Kultur zu tun hätten.

Tamedia hat sich gerade rumpelig von seinem Wirtschafts-Chef getrennt; niemand weiss, warum. Was früher mal eigenständig war, ist inzwischen ein Mischmasch von «Politik & Wirtschaft». Der einzig ernst zu nehmende Wirtschaftsjournalist Arthur Rutishauser kann das im Alleingang auch nicht rausreissen.

Debattenkultur ist das letzte Kriterium. Alle grossen Qualitätszeitungen pflegen den Gastkommentar, die andere Meinung, den Widerspruch. Bei Tamedia kommentieren meistens die eigenen Schreiber. Am liebsten auch noch sich selbst und ihren Bauchnabel. Will aber zum Beispiel René Zeyer einen Gastkommentar als Erwiderung zu einer unerträglichen Kriegstreiberei schreiben, dann wird ihm mitgeteilt, er habe «Schreibverbot». Ausgesprochen von zwei unsicheren Weibern der Chefredaktion, die sich durch ihn «diffamiert» fühlen.

Auf die Frage, ob sie dafür vielleicht ein, zwei Beispiele nennen könnten, verstummt die Chefredaktion. Das ist mal echte Debattenkultur.

Es ist schon lachhaft, ein grosses Rausschmeissen als Weichenstellung für Qualitätsjournalismus verkaufen zu wollen. Schlimmer noch, selbst der dümmste Leser merkt, dass er hier verarscht wird, auf den Arm genommen, über den Löffel balbiert.

Aber auch unabhängig davon ist Tamedia schon lange nicht mehr ein Qualitätsorgan. Der Tagi ist in weiten Teilen eine (oft schlechte) Kopie von «20 Minuten». Mit zwei Unterschieden: der Tagi ist nicht gratis, und er ist vollgesosst mit Meinungen und Kommentaren der Redaktoren, die meistens keinen Menschen interessieren.

Kein Qualitätsorgan käme auf die Idee, die Autoren eines angeblichen Scoops sich selber produzieren zu lassen, mit stolzgeschwellter Brust über ihre übermenschliche Leistung zu schwadronieren. Das dürfen auch die Autoren einer Podcast-Serie über eine Sprinterin, die vor langer Zeit gestorben ist und keinen Menschen mehr interessiert.

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung, heisst es. Den will Tamedia offenbar nicht tun. Ein erstes Zeichen wäre es, wenn sich das Medienhaus von seinem publizistischen Leiter trennen würde. Denn mit einer solchen Lachnummer kann es nicht besser werden.